Die starken Avancen der sieben amerikanischen Tech-Mega-Caps werden langsam unheimlich. Erste Stimmen warnen vor einem möglichen Crash.
Die Börsenschwäche von Anfang Januar war von kurzer Dauer. In den ersten Wochen des Jahres kamen Zweifel auf, dass die amerikanische Zentralbank Fed die Zinsen in diesem Jahr so früh und so oft wie erhofft senken könnte. Doch nun glauben die Märkte wieder an ein ideales Szenario und milde gestimmte Zentralbanken.
Vergangene Woche hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Hauptrefinanzierungssatz bei 4,5 Prozent belassen, spätestens im Sommer sollen die Zinsen aber sinken, so die Erwartung. Auch eine weiche konjunkturelle Landung ohne schwere Rezession ist für viele Marktteilnehmer bereits Tatsache. Konfliktherde und latente Inflationsgefahr sind vergessen.
Wieder neue Bestmarken gesetzt
Die neu gewonnene Zuversicht befeuert die Börsenkurse. Der breit gefasste amerikanische Hauptindex S&P 500 markierte vergangene Woche ein Allzeithoch, auch der DAX notiert nahe an der Bestmarke vom Dezember. Und der vielbeachtete US-Tech-Index Nasdaq 100 ist auch wieder voll im Vorwärtsgang.
Dabei wiederholt sich ein Muster vom Vorjahr: Die Avancen werden stark von den Kursgewinnen der sieben grössten Tech-Unternehmen getragen, der «Magnificent Seven». Mit diesen glorreichen sieben sind die Aktien von Apple, Microsoft, Amazon, Alphabet, Meta, Nvidia und Tesla gemeint – in Anlehnung an den bekannten Western-Film von 1960.
Derzeit besonders viel Zug haben die Titel des Software-Riesen Microsoft. Sie haben sich seit Anfang Januar um ein weiteres Zehntel verteuert, nachdem sie bereits im Vorjahr 55 Prozent gewonnen hatten. Letzte Woche erreichte der vom CEO Satya Nadella geführte Konzern erstmals einen Börsenwert von über 3000 Milliarden Dollar.
Damit macht Microsoft Apple die Trophäe als wertvollstes Unternehmen der Welt streitig. Die beiden Tech-Riesen liefern sich nun ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die höchste Bewertung. Apple hatte die 3-Billionen-Marke bereits im Juni als erstes Unternehmen überhaupt geknackt. Doch für den weiteren Verlauf des Rallys hat Microsoft bessere Karten als das Mutterhaus des iPhone.
Microsoft startet dank KI durch
Unter den «Magnificent Seven» zählt Microsoft zu den grössten Profiteuren der künstlichen Intelligenz (KI). Dank einer Beteiligung von 49 Prozent an Open AI – das den erfolgreichen KI-Bot Chat-GPT entwickelt – gilt Microsoft als sehr gut positioniert, um von der Einführung von KI-Anwendungen in der Geschäftswelt zu profitieren. Unzählige Unternehmen arbeiten bereits mit einer Windows-Umgebung und verwenden Microsoft-Anwendungen aus der Azure-Cloud.
Wegen der Open-AI-Beteiligung hat der Tech-Riese direkten Zugang zu den leistungsfähigsten KI-Modellen, die über Azure gehostet und trainiert werden. So können neue Werkzeuge wie der KI-Assistent Copilot an bekannte Microsoft-Anwendungen wie Outlook, Word oder Teams angeschlossen werden und damit direkt und absehbar zu zusätzlichen Einnahmen führen. Ob die Integration von KI in der Suchmaschine Bing oder der Programmierplattform Github gewinnträchtig sein wird und wie sehr, muss sich noch weisen.
Auch in der Schweiz versuchen immer mehr Unternehmen KI-Anwendungen zur Produktivitätssteigerung einzuführen. Und weil die allermeisten bereits in einer Windows-Umgebung arbeiten, ist Microsoft auch in Sachen KI die erste Anlaufstelle. Microsoft profitiert somit nebst dem KI-Chip-Hersteller Nvidia am unmittelbarsten und umfangreichsten von der neuen Technologie.
Seit Einführung von Chat-GPT Ende November 2022 haben die Microsoft-Aktien mehr als 60 Prozent gewonnen, jene von Nvidia haben sich im Wert fast vervierfacht. Investoren halten auch die Tech-Konzerne Meta und Amazon wegen ihrer dominanten Stellungen im Werbe- und Cloud-Markt für Nutzniesser des KI-Booms. Bloss Tesla fällt derzeit wegen Margen- und Lieferkettenproblemen zurück, vermag die starken Avancen der «Magnificent Seven», die mittlerweile in einem eigenen Index abgebildet werden, aber nicht zurückzuhalten.
Kommt eine «Kernschmelze» wie Ende der Neunziger?
Dieser unaufhaltsame Aufstieg ruft Skeptiker auf den Plan. Der für seine optimistische Sicht auf die Börsen bekannte Marktbeobachter Ed Yardeni etwa zeigt sich nervös wegen der kräftigen und sehr schnellen Avancen der US-Börsen in diesem Jahr. Denn diese seien vor allem durch eine Höherbewertung zurückzuführen, auch wenn die Bewertungen der Aktien besser abgestützt seien als in früheren Euphorie-Phasen.
«Unsere grösste Sorge derzeit ist, dass der S&P 500 eine von der Technologiebranche ausgelöste Kernschmelze einleiten könnte, ähnlich wie in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre», schreibt er in einem Kommentar. Der Gründer von Yardeni Research fragt sich, ob ein Anfall von «irrationalem Überschwang» die Bewertungen in die Höhe treibe und eine spekulative Blase am Aktienmarkt aufblähen könnte, wie es vor der Jahrtausendwende zu beobachten gewesen sei. Die «Magnificent Seven»-Aktien sind nach dem jüngsten Höhenflug zusammen mehr als doppelt so hoch bewertet wie der S&P-500-Index.
Doch ausser beim KI-Chip-Hersteller Nvidia, dessen Aktie das 80-Fache eines Jahresgewinns kostet, oder bei Tesla mit dem 60-Fachen bewegen sich die Bewertungen zwar in einem hohen, aber nicht von der Realität völlig losgelösten Bereich. Analytiker der Bank of America haben errechnet, dass die «Magnificent Seven»-Aktien um weitere 55 Prozent steigen könnten, um die Hälfte des Bewertungsniveaus der sieben grössten Tech-Aktien vor dem Platzen der Dot-Com-Blase zu erreichen.
Hinzu kommt, dass die heutigen Tech-Riesen sehr profitabel arbeiten und enorme Liquiditätsreserven besitzen. So verfügte Apple zum Jahresende 2023 über rund 60 Milliarden Dollar in Cash und Wertpapieren, Microsoft über 80 Milliarden. Auch die finanziellen Aussichten sind ausgesprochen positiv. Für das abgelaufene Geschäftsjahr – über das Microsoft am 30. Januar berichtet – wird gemäss Bloomberg-Umfrage ein Umsatzwachstum von 15 Prozent erwartet, auch dank Einnahmen aus den neuen KI-Diensten.
Gefährliche Konzentration
Auch wenn kein Absturz bevorsteht, sind die Kursbewegungen der «Magnificent Seven» von grosser Bedeutung, denn diese nehmen ein im Verhältnis übergrosses Gewicht in vielen Aktienindizes ein: Allein Apple und Microsoft machten Anfang Jahr 14 Prozent des gesamten Marktwerts des S&P 500 aus, die «Magnificent Seven» mehr als ein Viertel. Sogar im oft eingesetzten, die ganze Welt umfassenden MSCI-World-Index machen sie ein Fünftel der gesamten Kapitalisierung aus.
Diese hohe Konzentration an US-Mega-Caps ist in guten Börsenperioden ein Segen, denn der gesamte Index wird im Gefolge der «Magnificent Seven» nach oben gehievt. Doch genauso kann diese hohe Konzentration gefährlich sein, wenn die Tech-Werte wieder unter die Räder kommen – dann geht es für den Gesamtindex überproportional nach unten.
Es gibt wenig Anzeichen, dass sich Investoren aus Diversifikationsgründen aus den Titeln verabschieden würden, im Gegenteil. Anleger neigen dazu, weiterhin in jenen Aktien investiert zu bleiben, mit denen sie lange gute Renditen erzielt haben.
Zudem werden die glorreichen sieben nicht nur als Wachstumstitel gesehen, sondern von vielen genauso als «sichere Häfen» betrachtet. Dass sie auch defensive Qualitäten haben, haben sie mehrfach bewiesen: Weder die heftige geldpolitische Straffung, die Krise der amerikanischen Regionalbanken noch die vielen geopolitischen Krisenherde haben ihren Vormarsch bisher aufhalten können.