Der norwegische Staatsfonds gehört zu den grössten Investoren der Welt. Amerikanische Unternehmen werden für ihn immer wichtiger.
Wenn man Norwegens Ölfonds-Manager Nicolai Tangen fragt, was er von Europa halte, lautet die Antwort zusammengefasst: nicht viel. Europäer seien weniger fleissig und ehrgeizig als Amerikaner, sagte Tangen kürzlich gegenüber der «Financial Times». Europa sei zudem stärker reguliert und obendrein auch noch risikoscheu. Laut Tangen wird die Lücke zwischen den beiden Kontinenten immer grösser.
Der norwegische Staatsfonds ist einer der grössten Investoren der Welt. Der umgerechnet 1461 Milliarden Franken schwere Fonds hält im Schnitt 1,5 Prozent aller Aktien weltweit. Machten amerikanische Aktien vor zehn Jahren 32 Prozent des Portfolios aus, ist ihr Anteil heute auf fast 50 Prozent gestiegen. Ins Gewicht fallen dabei vor allem sieben amerikanische Technologieunternehmen: Alphabet (die Holdinggesellschaft von Google), Amazon, Apple, Meta, Microsoft, Nvidia (ein Entwickler von Grafikprozessoren) und Tesla.
Laut Tangen ist es besorgniserregend, dass amerikanische Unternehmen ihre europäischen Konkurrenten bei Innovation und Technologie überholen. Dies habe im letzten Jahrzehnt zu einer enormen Überperformance der US-Aktien geführt. Tangen sagt: «Wir sind nicht sehr ehrgeizig. Ich sollte vorsichtig sein, wenn ich über Work-Life-Balance spreche, aber die Amerikaner arbeiten einfach härter.»
Stimmt das wirklich?
Amerikaner sind fleissiger als die Schweizer
Tangen hat recht – zumindest was die gearbeiteten Stunden angeht. Gemäss einer Erhebung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) arbeiteten Amerikaner 2022 im Schnitt 1811 Stunden pro Jahr. In der EU (1571 Stunden) und in der Schweiz (1529 Stunden) schuften Arbeitnehmer im Schnitt sieben Wochen weniger, wenn man von einem achtstündigen Arbeitstag ausgeht.
Die Erhebung zeigt allerdings auch, dass die Griechen (1886 Stunden) und die Polen (1815) am meisten arbeiten – und zwar noch mehr als die Amerikaner. Im Vergleich sind die Deutschen mit 1341 Stunden am faulsten. Wenn man sich jedoch die wirtschaftliche Entwicklung der Länder vor Augen führt, scheint die Zahl der geleisteten Stunden kein besonders guter Indikator für Innovation und Technik zu sein.
Entscheidend für den Erfolg der Amerikaner muss also etwas anderes sein. Tangen sagt gegenüber der «Financial Times»: «Ich sage nicht, dass es gut ist, aber in Amerika gibt es viel künstliche Intelligenz und keine Regulierung, in Europa gibt es keine künstliche Intelligenz und viel Regulierung.» Amerikanische Geschäftsführer würden sich darüber beschweren, dass es aufgrund der strengen Vorschriften und des bürokratischen Aufwands schwierig sei, in Europa Geschäfte zu machen.
Welche Auswirkungen haben die US-Wahlen?
Auch wenn Tangen die stärkere Regulierung in Europa kritisiert, legt der norwegische Staatsfonds – der wohlgemerkt Geld aus der Öl- und Gasförderung verwaltet – Wert auf Nachhaltigkeit und schliesst immer wieder auch Investitionen aus, wenn ein Unternehmen nicht den Kriterien entspricht. Sorgen bereitet Tangen denn auch die Gegenreaktion der Amerikaner auf die ESG-Nachhaltigkeitskriterien (Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung).
Dieses Jahr wählen die Amerikanerinnen und Amerikaner zudem einen neuen Präsidenten. Die Aussicht, dass Donald Trump die Wahl gewinnen könnte, beunruhigt Tangen. Auf die Anlagestrategie des Fonds werde der Ausgang der Wahlen jedoch keinen Einfluss haben. «Wir investieren in Amerika langfristig in grossartige Unternehmen, und fast die Hälfte unserer Vermögenswerte ist dort.» Das werde sich nicht ändern.