Edelgard und Horst Liebl kamen genau genommen zweimal zusammen. Einmal für eine Amour fou im Orient, ein Abenteuer von acht Tagen. Und dann noch einmal – für den Rest ihres Lebens.
Folge 2 der Serie «Alte Lieben».
Eines Tages erhielt Horst Liebl eine auf feines Porzellan gemalte Einladung. Eine ähnliche Tafel ging auch an Edelgard, die damals einen anderen Nachnamen trug – denn noch kannten die beiden einander nicht. Doch das würde sich bald ändern: Die Porzellan-Täfelchen waren Einladungen an die Hochzeit von Prinzessin Aliasi, Tochter des damaligen Herrschers von Abu Dhabi.
So begann die Geschichte von Edelgard und Horst Liebl, in einer Umgebung wie aus «Tausendundeiner Nacht». Beide hatten die Herrscherfamilie von Abu Dhabi über ihre Arbeit kennengelernt. Horst Liebl war der ehemalige Fluglehrer des Bräutigams. Edelgard Liebl war eine bekannte Züchterin arabischer Pferde. Beide rechneten auf dieser Reise mit einigem – die grosse Liebe gehörte allerdings nicht dazu.
Er war damals 42 Jahre alt, hatte bereits zwei Ehen hinter sich und war Vater zweier Kinder, zu denen der Kontakt schon fast ganz abgebrochen war. «Mit den Frauen hatte ich abgeschlossen», sagt er. Sie war 37 Jahre alt und Mutter zweier Kinder von zwölf und vierzehn Jahren – und verheiratet. «Schon lange nicht mehr glücklich», sagt sie, «aber für die Kinder bin ich geblieben.»
Opulenz und Liebe
Die Hochzeit der Prinzessin war ebenso ein Fest der Liebe wie der rauschenden Opulenz. Filmteams aus aller Welt, auch eines vom ZDF, waren 1984 nach Abu Dhabi gereist, um von dem Grossereignis zu berichten.
«Schön, nicht?», sagt Edelgard Liebl und blättert durch ein Fotoalbum der Extravaganz: Männer mit Turbanen, Frauen in teuren Kleidern, Diamanten und Schmuck, Seide, Pferde, eine Flotte von Mercedes-Limousinen in allen Farben des Regenbogens – Luxus und ein Hauch von Abenteuer prangen auf jedem Bild. Und noch etwas fingen die Hochzeitsfotografen ein: zwei Menschen, die eben noch Fremde waren und innerhalb weniger Tage etwas ganz anderes wurden: Verliebte.
Horst Liebl schaut über die Schulter seiner Frau ins Fotoalbum. Eine Fotografie zeigt die beiden inmitten von Menschen, bei einer der vielen Veranstaltungen am Rande der eigentlichen Hochzeitsfeierlichkeiten. Sie stehen nicht allzu nah beieinander, aber sie schauen sich an. Und dieser Blick lässt auch 41 Jahre später keinen Zweifel: Da ist etwas. «Liebe», sagt Horst Liebl.
Wo haben Sie beide sich zum ersten Mal gesehen?
Horst Liebl (82): Das war 1984 am Frankfurter Flughafen, kurz vor Abflug, Gate B 52. Ich erinnere mich, als wäre es heute. Da war diese Dame mit faszinierend blauen Augen. Strahlend blau! Und sie hatte offenbar das gleiche Ziel wie ich: Abu Dhabi.
Edelgard Liebl (77): Du bist mir auch sofort aufgefallen – wir mussten nämlich alle auf dich warten!
Er: Etwas mit meinem Visum hatte erst im letzten Moment geklappt.
Sie: In Abu Dhabi waren wir dann sogar im gleichen Hotel. Es waren nur wenige Europäer dort, also abgesehen von den Filmcrews, so kamen wir bald ins Gespräch.
Wann war Ihnen beiden klar, dass das Liebe ist?
Sie: Unglaublich schnell.
Er: Der erste Augenblick, in dem ich das ahnte, war beim Mittagessen im Hotel. Meine Frau sass an einem anderen Tisch und bestellte Entenbein in Aspik. Eines, ein zweites und noch ein drittes und ein viertes. Ich selbst bin kein grosser Esser, aber dieser offensichtliche Genuss, zu dem sie fähig war – das hat mich fasziniert.
Sie: Er hat mich während dieser acht Tage in Abu Dhabi in einem Helikopter über das Land geflogen. Da war es um mich geschehen.
Wie kamen Sie schliesslich zusammen?
Sie: Nun ja . . .
Er: Es klopfte halt eines Abends an meiner Zimmertür im Hotel, und da stand sie.
Liebls kamen genau genommen zweimal zusammen. Einmal für ein Abenteuer von acht Tagen, für diese Amour fou im Morgenland. Und dann noch einmal – für den Rest ihres Lebens. Dazwischen lag die vielleicht schwierigste Zeit ihrer Beziehung, die damals genau genommen noch gar keine war. Denn in Abu Dhabi war beiden klar: Sobald sie in den Flieger zurück nach Deutschland steigen, ist diese Geschichte vorbei. «Ich dränge mich in keine bestehende Ehe», sagt Horst Liebl, «das stand für mich immer fest».
In Deutschland lag Schnee, als Edelgard Liebl mit einer neuen Telefonnummer im Kopf und dem Versprechen, sich zu melden, falls die Dinge irgendwann anders stehen, zu ihrer Familie zurückkehrte. «Die Nummern waren damals ja nur fünfstellig», sagt sie, «das konnte ich mir gut merken.» Doch zunächst blieb das Telefon stumm: Edelgard Liebl hatte sich fest vorgenommen, ihren Kindern eine intakte Familie zu bieten, bis sie die schwierige Zeit der Pubertät hinter sich hatten.
Edelgard Liebl war kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland zur Welt gekommen. Sie hatte Medizin studiert, jung geheiratet und mit 23 ihr erstes Kind bekommen, eine Tochter. Zwei Jahre später folgte ein Sohn. «Mit den beiden Kindern zu Hause zu sein, das war schön. Wunderschön», sagt sie. Als die Kinder grösser waren, begann sie mit der Zucht von arabischen Vollblutpferden – und reiste darum auch immer wieder in den Orient.
Horst Liebl war Zivilpilot, das Fliegen sein Bubentraum. «Aber Deutschland war kein Fliegerland mehr. Früher waren Piloten Helden. Nach dem Krieg waren alles Verbrecher.» Statt zu fliegen, arbeitete er – ein sehr junger Familienvater mit zwei Kindern – als Frachtagent am Frankfurter Flughafen. Frankfurt war während des Vietnamkriegs eine wichtige Drehscheibe: «Wir entluden die Fracht, die nach Vietnam musste, aus den amerikanischen Maschinen», erinnert er sich, «und beluden sie stattdessen mit den Toten, die ihn Vietnam gefallen waren und zurück nach Amerika sollten.» Er schweigt einen Moment. «Das war Daily Business», sagt er dann.
Als sich die Gelegenheit bot, das Frachtgeschäft hinter sich zu lassen, zögerte Horst Liebl nicht: Er erhielt das Angebot, als Pilot eine Helikopterlieferung nach Libyen zu begleiten. Bis das Land eigene Piloten habe, solle er dort auch fliegen. Er sagte zu. «Damit war meine Welt eine andere», sagt er. In Libyen wurden Piloten bald Helden. Später folgten Jobs in Indonesien, Sumatra, Nigeria und anderen Teilen der Welt. «Fragen Sie besser, was er von der Welt nicht gesehen hat, das geht schneller», sagt Edelgard Liebl in ihrem Haus im Elsass. In ihrer Stimme liegt Bewunderung.
Wie lange dauerte es, bis Sie sich nach Abu Dhabi wieder gesehen haben?
Sie: Zurück kamen wir im April. Zu deinem Geburtstag im Juli haben wir uns dann auf Mallorca getroffen. Meine Eltern hatten dort ein Haus. Ich bin alleine mit den Kindern hingefahren und habe dir das gesagt.
Er: Ich bin hingeflogen, klar. Aber da hattest du dich noch nicht getrennt, und ich habe gesagt, so was mach ich nicht noch mal.
Sie: Ein Jahr später, im März oder April 1985 – nach der Konfirmation meiner Tochter – habe ich mich dann von meinem Mann getrennt und bin mit dem jüngeren Sohn zu Horst gezogen.
Er: Ich habe in dieser Zeit eine Klinik für Haartransplantation in Deutschland gegründet, weil ich ein Haartransplantat erfunden hatte. Edelgard konnte mir als Medizinerin sehr helfen. Wir wurden zu Partnern.
Wie heiratet ein Paar, das sich bei einer so extravaganten Hochzeit kennengelernt hat?
Er: Wir haben ganz bescheiden auf dem Standesamt in Stuttgart geheiratet. Es war ein wunderschöner Tag.
Sie: Später haben wir dann noch eine Party gemacht, da kamen Freunde aus der ganzen Welt.
Mit welchen Erwartungen sind Sie in diese neue Ehe gegangen?
Er: Ich weiss es gar nicht. Wir sind einfach irgendwie zusammengewachsen. Wir hatten bald auch einen grossen gemeinsamen Bekanntenkreis.
Sie: Ich glaube, man macht sich keine Vorstellung, wie die Ehe werden wird, wir zumindest nicht. Wie du richtig sagst, wir sind einfach immer mehr zusammengewachsen.
Was macht man anders, wenn man bereits eine gescheiterte Ehe hinter sich hat?
Er: Man ist achtsamer. Man hat gelernt, dass man nicht jede Verletzung wieder flicken kann – und man verschwendet die Zeit darum gar nicht erst mit Zankereien.
Sie: Wir beide wollen einander noch immer glücklich machen.
Er: Wenn man das Glück etwas später findet, dann packt man umso fester zu.
Was war die schwierigste Zeit, die Sie in Ihrer Beziehung erlebt haben?
Er: Es klingt krumm, aber ich glaube, wir haben nie gestritten.
Sie: Aber man sorgt sich umeinander.
Er: Erst wenn ich jetzt darüber nachdenke, wird mir klar: Wir waren nie unglücklich.
Gibt es etwas, was Sie bereuen?
Er: Mit dir habe ich zum ersten Mal einen Kinderwunsch gespürt. Ich hätte gerne ein gemeinsames Kind gehabt.
Sie: Aber da war ich schon vierzig und hatte zwei gesunde Kinder. Und wir hatten einander. Ich wollte das Schicksal nicht herausfordern.
War das eine Prüfung für Ihre Beziehung?
Er: Ich denke nicht.
Sie: Schlimm war, als du die Cholera hattest.
Er: Da müssen wir ausholen. 1992 haben wir die Haarklinik verkauft, und ich habe zu meiner Frau gesagt: «So, was machen wir jetzt?»
Sie: Dann sind wir zurück nach Abu Dhabi. Fünf Jahre haben wir da gelebt. Schauen Sie (Frau Liebl blättert im Fotoalbum), da war unser Haus, und direkt danach kam das Meer. So haben wir gelebt. Und du hast dem Scheich einen Golfplatz gebaut.
Er: Ich habe zusammen mit einem Schweizer, der Golfplätze entwarf, den damals grössten Sandgolfplatz der Welt gebaut. In Dubai. Und ich spiele noch nicht einmal Golf. Ich schrieb auch Artikel für Zeitungen und Magazine, über Delfine zum Beispiel.
Zurück zu dem Ereignis, das Ihre Beziehung auf den Prüfstand gestellt hat: die Choleraerkrankung von Herrn Liebl.
Sie: Als wir in Abu Dhabi lebten, hatte mein Mann einen Bandscheibenvorfall. Dank einem Freund hat er einen Platz in einem sehr guten Krankenhaus mitten in der Wüste erhalten. Die Krankenhäuser in Nahost waren ganz anders als bei uns. Wir Angehörigen mussten für das Essen sorgen und die Bettwäsche wechseln. Also hatten wir da zwei Betten und erst mal eine gemütliche Zeit.
Er: Aber drei Tage nach der Operation am Rücken bekam ich unerträgliche Bauchschmerzen. Der Arzt, ein Ägypter, sagte, das sei der Blinddarm.
Sie: Aber ich hatte ja Medizin studiert. Ich wusste, dass das nicht der Blinddarm ist. Aber was ich sagte, war dem egal.
Er: Die haben mir den Blinddarm rausgenommen, aber es half nicht. Schliesslich habe ich mich selber aus dem Krankenhaus entlassen und meinen Fliegerarzt angerufen. Der hat eine Laboruntersuchung veranlasst und mich am nächsten Tag angerufen: «Du hast Cholera.»
Sie: Da ging es uns beiden schlecht, ich habe mich nicht angesteckt, aber mitgelitten. Und da haben wir uns gesagt: «Komm, wir gehen nach Hause.»
War «zu Hause» für Sie beide noch immer Deutschland?
Sie: Nicht unbedingt. Zufälligerweise hatten wir zuvor Weihnachten, 1996 war das, bei einem Freund im Elsass verbracht und im nächsten Dorf ein Haus besichtigt.
Er: Es war ein altes Waisenhaus, und ich sagte zu meiner Frau: Du bist doch wahnsinnig, das ist viel zu gross!
Sie: Aber ein Haus kann nie zu gross sein. Man braucht immer Platz, damit die Freunde ein Zimmer haben, wenn sie auf Besuch kommen. Wir hatten schon so viele Gäste hier.
Er: Und für mich hat sich ein Kreis geschlossen: Ich bin im Waisenhaus aufgewachsen, und wenn alles gutgeht, werde ich irgendwann hier, im Waisenhaus, sterben.
Gibt es für Sie einen Unterschied zwischen Glücklichsein und Zufriedenheit?
Sie: Zufrieden waren wir immer.
Er: Das ist vielleicht unser Glück. Wie viele Ehen haben wir gesehen, die gescheitert sind? Unsere ersten und die von Freunden. Da war viel Unzufriedenheit.
Was macht für Sie eine gute Beziehung aus?
Er: Eine glückliche Ehe, würde ich sagen, ist es, wenn das Geben schöner ist als das Nehmen.
Sie: Wenn man in der Beziehung nicht egoistisch ist. Und das waren wir nie.
Was ist Intimität für Sie?
Sie: Wenn man sich nackt vor dem anderen nicht schämt. Also, seelisch nackt.
Er: Wenn man genauso gerne miteinander Mittagessen isst, wie man miteinander schläft. Weil man sich als Mensch, unabhängig vom Geschlecht, wertschätzt.
Sie: Und wenn man einander Dinge zeigen kann.
Er: Meine Frau ist mir bildungsmässig weit überlegen. Kunst, Musik, Literatur – sie hat unglaublich viel gelesen.
Sie: Dafür hast du die Welt gesehen.
Er: Dass ich dir viel zeigen konnte, das hat uns beide glücklich gemacht. Unsere letzte grosse Reise führte uns nach China. Da hat man uns nach Peking eingeladen. Du hast das Essen dort so genossen.
Was können Sie jungen Paaren mit auf den Weg geben, die gemeinsam ihr Leben verbringen möchten?
Er: Wir sind Kumpel. Sie ist mein Kumpel, und ich bin ihr Kumpel. Da gibt es nicht männlich und weiblich, das sind zwei Menschen, die machen etwas zusammen.
Sie: Man muss sich aufeinander verlassen können. Und das muss man einander immer wieder zeigen.
Er: Und der wichtigste Rat, den ich einem jungen Menschen geben kann: Lerne oder studiere einen Beruf, geh raus und mach diesen Beruf. Geh in die Welt, lerne Sprachen, Speisen, Kulturen. Für alles andere ist danach noch viel Zeit.
In der Serie «Alte Lieben» erzählen Paare im hohen Alter, wie sie zueinandergefunden haben – und wie sie es geschafft haben, zusammenzubleiben. Die Folgen erscheinen alle zwei Wochen. Sind Sie selbst ein Paar im Alter über 75 Jahren, das uns seine Geschichte erzählen will? Schreiben Sie uns unter [email protected].