Im Bericht «Inside Tagesschau» zeigt ein langjähriger Mitarbeiter der ARD auf, wie einseitig gebührenfinanzierte Medien berichten – und dass das ein strukturelles Problem ist.
Ein bisschen nervös ist Alexander Teske schon, auch wenn man es ihm nicht anmerkt. «Klar schläft man da auch mal schlecht», sagt er, als er mit der NZZ via Zoom über sein Buch spricht. «Inside Tagesschau» heisst der Bericht, der am Montag erscheint, «Zwischen Nachrichten und Meinungsmache». Teske ist 1971 geboren und in der DDR aufgewachsen. Schon als Kind hörte er Westsender, später hat er beinahe sein halbes Leben für den öffentlichrechtlichen Rundfunk gearbeitet, zuerst für den Mitteldeutschen Rundfunk, seit 2018 für die «Tagesschau» der ARD.
Die einst renommierte Sendung ist in den letzten Jahren zunehmend in die Kritik geraten. Auch intern, wie Teskes Bericht zeigt. «Angepasst, aktivistisch und abgehoben» ist die «Tagesschau» seiner Meinung nach geworden, seine These untermauert er mit zahlreichen Beispielen. Er beschreibt Kollegen, die mit Pullovern der linksextremen Band Feine Sahne Fischfilet an Konferenzen erscheinen, Ostdeutsche als Hinterwäldler betrachten und Verbrechen herunterspielen, wenn die Täter keine Rechtsextremen, sondern Migranten sind.
Teskes Bericht offenbart, wie der öffentlichrechtliche Rundfunk mit der Politik verfilzt ist, etwa indem er den Fall eines Mitarbeiters schildert, der den SPD-Mann Boris Pistorius für «hervorragend geeignet» erklärt und kurz darauf dessen Sprecher wird. Teske hat die ARD im Sommer verlassen – nicht im Streit, wie er betont.
Herr Teske, Sie sind in der DDR aufgewachsen, wie hat Sie das geprägt?
Als 17-Jähriger habe ich in Leipzig noch gegen die SED demonstriert. Dass ich da Geschichte miterlebt habe, wurde mir erst später bewusst, ich hatte noch anderes im Kopf. Es war eine prägende Zeit, ich war jung genug, mich dem Neuen anzupassen. Im Erziehungssystem der DDR wurde wenig Wert auf Individualismus und freies Denken gelegt. Vom Westen hatten wir Schüler ein falsches Bild, wir sahen nur diese Glitzerwelt im Fernsehen, spielten Werbespots von Produkten nach, die wir gerne haben wollten. Später erkannten wir, dass das Leben dort nicht so einfach ist, wie wir uns das vorgestellt hatten. Erstaunlich finde ich, dass sich auch 30 Jahre nach der Wende starke mentale Unterschiede zeigen zwischen Ost und West. Man sieht das gerade bei den grossen Themen unserer Zeit: Migration, Corona oder Ukraine.
Bei der «Tagesschau» waren Sie aufgrund Ihrer Herkunft ein Aussenseiter. In Ihrem Buch charakterisieren Sie die Redakteure der «Tagesschau» so: «Sie haben ähnliche politische Ansichten, kommen fast ausschliesslich aus dem Westen.» Wie wirkt sich das auf die Berichterstattung aus?
Im Gegensatz zu den privaten Leitmedien steht der öffentlichrechtliche Rundfunk in der Pflicht, ausgewogen zu berichten und auch für das Publikum im Osten da zu sein. Ich habe bei der «Tagesschau» in der Planung gearbeitet, das ist eine Gruppe von zwölf Leuten, die Themen auswählen. Ich war der einzige Ostdeutsche. Entsprechend schwer war es, einen etwas anderen, «ostdeutschen Blick» in die Sendung zu bringen. Es erstaunt mich nicht, wenn viele Gebührenzahler im Osten den Eindruck haben, es werde auf sie herabgeschaut, sofern man sie überhaupt zur Kenntnis nehme. Ich sehe das bei meinem Vater. Er hatte irgendwann den Eindruck, die «Tagesschau» blende bestimmte Sachen aus und berichte meist auf Regierungslinie. Ihn erinnert das an die Propaganda, die er aus DDR-Zeiten kennt. Ich finde diesen Vergleich übertrieben, auch wenn ich vieles kritisiere.
Sie schreiben, die «Tagesschau» sei politisch einseitig, Meinungen von SPD und Grünen würden klar bevorzugt, manche Redakteure hegten Sympathien für Linksradikale.
Natürlich setzt sich niemand in der «Tagesschau» hin und denkt: «So, jetzt beeinflusse ich die Menschen.» Das passiert wohl eher unbewusst. Es zeigt sich darin, welche Themen sie gerne aufgreifen und welche nicht. Zu sehen war das etwa im Wahlkampf, als die «Tagesschau» erst gar nicht über zu spät deklarierte Nebeneinkünfte von Annalena Baerbock berichtete und sie später unter dem Titel «ein blödes Versäumnis» abhandelte. Viele Journalisten wachsen in ähnlichen Kreisen auf, ihre Freunde denken gleich wie sie. Sie haben einen hohen Bildungsabschluss, erzielen ein hohes Einkommen, gehören zu städtischen Milieus – die klassische Stammwählerschaft der Grünen. Es gibt sicher Redakteure, die anders denken. Nur überlegen die sich wohl dreimal, ob sie den Mund aufmachen.
Die Grünen werden von «Tagesschau»-Redakteurinnen wie Tina Hassel auch auf X bejubelt. Gibt es interne Diskussionen über solche Sympathiebekundungen?
Kaum. Die eigene Arbeit wird selten reflektiert, leider. Wenn die «Tagesschau» öffentlich angegriffen wird, etwa in der «Bild»-Zeitung, gibt es eine Wagenburgmentalität: Man sagt lieber, wie ungerecht diese Angriffe seien, als sich mit der Kritik auseinanderzusetzen. Mir wäre es egal, wenn 80 Prozent der Redakteure die Grünen wählten, sofern man das in den Sendungen nicht bemerken würde. Ich habe zum Teil auch linke Ansichten, schreibe auch für die «TAZ», ein linkes Medium. Es ist jedoch wichtig, offen zu bleiben und sich die Argumente der anderen anzuhören. Und vielleicht auch einmal der FDP oder der CDU recht zu geben. Diese Offenheit fehlt mir bei der «Tagesschau» total.
In Ihrem Buch beschreiben Sie, wie zum Teil schwerste Verbrechen von Islamisten, Asylsuchenden und Migranten ignoriert oder «maximal kleingehalten» würden. Wie erklären Sie sich das?
Da wohl niemand die wahren Gründe nennt, kann ich nur mutmassen. Wahrscheinlich glaubt man, solche Nachrichten würden die Integration erschweren, eine fremdenfeindliche Stimmung schüren und der AfD Futter geben. Also sagen sie, das seien Einzelfälle, die Kriminalität nehme ab und Deutsche seien doch auch kriminell. Wenn ein Migrant eine Straftat begeht, heisst es schnell, er sei schuldunfähig oder der Fall zu «klein» und regional, um darüber zu berichten.
Haben Sie konkrete Beispiele?
2019 schlug ich vor, über den Fall Köthen zu berichten, wo ein Mann einen Streit schlichten wollte und nach einer Prügelattacke von einem Afghanen einen Herzstillstand erlitt. Als ein 50-jähriger Deutscher im selben Jahr im Ruhrgebiet in eine Menschenmenge fuhr, berichtete die «Tagesschau», der Fahrer sei wahrscheinlich ein Rassist. Dass er später vor Gericht wegen einer schweren psychischen Krankheit für schuldunfähig erklärt wurde, erfuhren die Zuschauer nie. Diese ungleiche Betrachtung gibt es auch bei anderen Themen, etwa bei Corona.
Während der Corona-Zeit fielen viele Medien mehr durch Obrigkeitsgläubigkeit als durch kritische Recherchen auf. In der «Tagesschau» gab es einen Kommentar, der mit einem zynischen «Dank» an alle Ungeimpften begann, die am nächsten Lockdown schuld seien. Wie weit hat der öffentlichrechtliche Rundfunk die damalige Spaltung der Gesellschaft vertieft?
Fairerweise muss ich sagen, dass ich die damalige Impfskepsis nicht nachvollziehen konnte, besonders in Ostdeutschland. In der DDR gab es Zwangsimpfungen, die hat kaum jemand infrage gestellt. Aber einen solchen Kommentar hätte ich nicht gesprochen. Es gab bei der «Tagesschau» schon eine Agenda, wir bestätigten vor allem die Regierungsmeinung. Über die Kritik an der Isolierung von Schulkindern oder an Impfstoffherstellern haben wir lieber nicht berichtet. Da wurde intern ziemlich offen gesagt, man wolle die Impfmüdigkeit nicht befördern. Auch die Labortheorie hat man schnell als Verschwörungstheorie abgetan, statt sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Was ich viel schlimmer finde: Es gibt keine Aufarbeitung der Corona-Zeit. Das überlässt man kleineren privaten Medien und Blogs, die Akten wie die RKI-Files herausklagen (aus diesen geht hervor, dass die Corona-Massnahmen wissenschaftlich schlecht fundiert und Begriffe wie «Pandemie der Ungeimpften» irreführend waren, Red.). Als diese teilweise publik wurden, stuften die Faktenfinder der «Tagesschau» die RKI-Files zum «Skandal, der keiner ist», herunter. Dies, obwohl sie deren genauen Inhalt nicht kannten.
Faktenchecker sind gerade ein grosses Thema. Mark Zuckerberg will bei Meta auf ihre Dienste verzichten, weil sie politisch einseitig seien. Wie weit tragen Faktenchecks zur politischen Einseitigkeit der «Tagesschau» bei?
Grundsätzlich frage ich mich, weshalb die Faktenfinder in die Redaktion der «Tagesschau» integriert sein müssen. Sie wären besser bei einer Rechercheredaktion aufgehoben. Die «Tagesschau» soll Nachrichten möglichst objektiv und neutral verbreiten. Als Reaktion auf Zuckerbergs Ankündigung hat die «Tagesschau» verlauten lassen, sie werde den Faktenfindern noch mehr Gewicht geben. Sinngemäss wurde das damit begründet, dass man sich um den öffentlichen Diskurs sorge. Ich finde das anmassend.
Warum?
Die Ausrichtung des Faktenfinders war schon immer sehr einseitig. Am Anfang haben sie sich fast nur auf die AfD fokussiert, später auch auf Rechtspopulisten in anderen Ländern und seit neustem auch auf das BSW von Sahra Wagenknecht. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie Aussagen der SPD zur Russlandpolitik und zu den Rüstungsausgaben überprüft haben. Allgemein wäre der Faktenfinder glaubwürdiger, wenn er öfter kritisch auf Linke schauen würde. Damit will ich nicht sagen, alle Parteien würden gleichermassen Fake News verbreiten. Zu glauben, ausser der AfD verbreite niemand Populismus, ist jedoch Unsinn.
Der öffentlichrechtliche Rundfunk wird zum Teil mit massloser Kritik überzogen. Die «Bild»-Zeitung behauptete 2023, die «Tagesschau» wolle den Begriff Mutter «verbieten», weil in einem Beitrag von «gebärenden Personen» die Rede war. Wie geht man damit um?
Ich war selber einmal bei der «Bild»-Zeitung und finde es schade, dass sie immer so übertreiben muss. Denn oft stellt sie berechtigte Fragen. Der Begriff «gebärende Personen» war auch intern umstritten. Aufgrund eines einzigen Beitrags zu behaupten, die «Tagesschau» wolle irgendetwas verbieten, ist natürlich Quatsch. Und so zu tun, als wären im öffentlichrechtlichen Rundfunk alle bescheuert, wohl eher kontraproduktiv. Die «Bild»-Zeitung macht es den Verantwortlichen leicht, Kritik zu ignorieren. Die Frage ist doch, ob das System hat. Viele Zuschauer, das zeigen die Reaktionen auf den «Bild»-Artikel, trauen der «Tagesschau» offenbar jeden Aktivismus zu. Das ist leider auch selbstverschuldet.
Der Schluss Ihres Buches lässt einen etwas ratlos zurück: Sie zitieren den «Tagesschau»-Slogan «Bleiben Sie uns verbunden», verraten aber nicht, wie Sie zu entscheidenden Fragen stehen. Etwa, ob der öffentlichrechtliche Rundfunk zu mächtig ist oder die Gebühren angemessen sind.
Ich bin nicht der Doktor Allwissend, der am Ende fünf Punkte auflistet, dank denen alles gut wird. Vieles liegt auch nicht in der Hand der ARD, etwa die Herkunft der Journalisten, die fehlende Durchmischung. Das beginnt ja schon in den Journalistenschulen. In Deutschland führen wir eine falsche Diskussion. Die Verleger und der öffentlichrechtliche Rundfunk bekriegen sich, die Ministerpräsidenten diskutieren, ob die Gebühr um einige Cent erhöht werden soll. Das ist in den nächsten 20 bis 30 Jahren jedoch nicht die relevante Frage.
Sondern?
Immer weniger Leute werden erreicht, egal ob mit privaten Zeitungen oder der «Tagesschau». Die Medien müssen sich überlegen, was sie Musk, Zuckerberg und Co. entgegensetzen. Ist es schlau, wenn sie ihre Inhalte teilen auf Social Media, wenn man die ausländischen Plattformen damit noch grösser macht? Die Abkehr von den traditionellen Medien ist ein grosses Problem, auch für die Demokratie. Ohne Frage ist der öffentlichrechtliche Rundfunk sehr mächtig, und ich hätte viele Sparideen. Es ist jedoch gut, dass es diese Sender gibt, gerade weil in kleineren und weniger dicht besiedelten Bundesländern kaum noch Zeitungen gelesen werden. Mein Buch soll keine Abrechnung sein, ich führe keinen Rachefeldzug. Viele Kollegen leisten gute Arbeit. Es wäre aber schön, wenn es die Verantwortlichen zum Nachdenken bringt.
Alexander Teske: Inside Tagesschau. Zwischen Nachrichten und Meinungsmache. Langen-Müller-Verlag, München 2025. 292 S., Fr. 33.–.