2021 wurde Ghislaine Maxwell wegen Menschenhandels sowie sexueller Ausbeutung Minderjähriger verurteilt. Nun versucht sich die ehemalige Gefährtin von Jeffrey Epstein selbst und unter Beihilfe mancher Medien zum Opfer zu stilisieren.
Ghislaine Maxwell traf Jeffrey Epstein zum ersten Mal in seinem Büro an der Madison Avenue bei einer Tasse Tee. In Aufnahmen, die das Department of Justice im August 2025 veröffentlicht hat, erzählt sie, sie erinnere sich an seine Krawatte. «Sie hatte einen Fleck, sah aus wie Ketchup.» Das war 1991.
Maxwell war gerade von London nach New York gezogen. «Eine Freundin sagte zu mir: ‹Ich habe jemanden, den du treffen musst. Du wirst ihn lieben. Er sucht eine Frau.›» So begann eine Beziehung, privat und geschäftlich, die Jahrzehnte halten sollte. Deren grausame Geschichte wurde in unzähligen Medienberichten erzählt.
Der Frage, wer Ghislaine Maxwell ist, sind zahlreiche Dokumentationen gewidmet. Der Fall ist längst über den Justizrahmen hinausgewachsen. Spekulationen und Verschwörungserzählungen haben diese Wucherung nur weiter vorangetrieben.
Netz aus Abhängigkeit
Erica Gornalls Film «Wer ist Ghislaine Maxwell?» von 2022 zeigt eingangs ein fünfjähriges Kind, das den Weihnachtsbaum schmückt. Man schaut sich die märchenhafte Szene dieses Mädchens an, im Wissen, dass sie Jahre später, als Erwachsene, Jeffrey Epstein kennenlernen wird.
Sie wird ein Leben in der High Society führen – und Epstein über Jahre junge, auch minderjährige Frauen beschaffen, die er missbraucht. Teilweise gemeinsam mit ihr. Sie wird ein Netz aus Abhängigkeit und falscher Vertrautheit spinnen, aus dem die Opfer kaum entkommen. Die beiden werden auffliegen und angeklagt werden. Es hilft ihr nichts, dass sie die gegen sie erhobenen Vorwürfe bestreitet. Das Gericht verurteilt Maxwell wegen Menschenhandels sowie sexueller Ausbeutung Minderjähriger im Dezember 2021 zu 20 Jahren Haft.
Der Fall legte die Bedingungen offen, unter denen Epstein sein Unwesen treiben konnte: eine Justiz, die ihn 2008 noch mit einem «sweetheart deal» – einem ungewöhnlich milden Vergleich – davonkommen liess; eine Gesellschaft, die hinnahm, dass er von viel zu jungen Mädchen umgeben war; ein Milieu der Reichen und Wichtigen, die lieber wegsahen, als Fragen zu stellen, die auch sie selber betrafen.
Die Dokumentation über Maxwell zeigt, wie sie als Tochter eines Medienmoguls nach dessen ungeklärtem Tod eine neue starke Figur in ihrem Leben sucht. Sie zeichnet das Bild einer Frau mit grosser Verführungskraft, die das System Epstein nicht nur stützte, sondern am Laufen hielt. Sie wird als Mittäterin und Komplizin beschuldigt, von amerikanischen Medien «enabler» genannt. Nun ist ein neuer Begriff in der Berichterstattung über die heute 63-Jährige aufgetaucht: Opfer.
Verlegung hin zur Freilassung
Greg Kelly von «Newsmax» sprach von Maxwell als möglichem Opfer eines überhitzten #MeToo-Klimas. Ihr Bruder schrieb in einem Beitrag für die britische Boulevardzeitung «Daily Mail», sie sei an der Seite des Milliardärs blind gewesen. Es hiesse, dass sie nicht Täterin war, sondern geradezu unschuldig schuldig oder jedenfalls schuldunfähig.
Epsteins ehemaliger Anwalt Alan Dershowitz erklärte im Juli gegenüber «Newsmax», sie sitze stellvertretend «Epsteins Strafe» ab. Er wurde 2019 noch vor seinem Prozess erhängt in seiner Zelle aufgefunden. Auch zu seinem Suizid gab es Verschwörungstheorien. Die vermeintlich entscheidende Sequenz der Überwachungsaufnahmen des Metropolitan Detention Center fehlte. Erst Anfang September 2025 ist die «missing minute» aufgetaucht. Sie zeigt nichts Auffälliges.
Diese Umdeutungen von Maxwells Rolle treffen auf neue Ereignisse: Im Sommer 2025 wurde Maxwell nach Jahren in Tallahassee, Florida, in ein texanisches Gefängnis in Bryan verlegt – eine Anstalt mit niedriger Sicherheitsstufe. Routine, gemäss Justizministerium. Doch seitdem wird in den Medien spekuliert, ob dies der erste Schritt hin zu ihrer baldigen Freilassung sein könnte.
Zuvor hatte sich Maxwell zweimal mit Todd Blanche getroffen, einst Trumps Anwalt, inzwischen stellvertretender Justizminister. Die Gespräche hatten offenbar keinen klaren juristischen Zweck. Sie spricht dabei über mutmassliche Ketchup-Flecken auf Krawatten, über enge Freundschaften in der britischen High Society, etwa zu Prinz Andrew, der in einem Zivilverfahren beschuldigt wurde, eines von Epsteins minderjährigen Opfern sexuell missbraucht zu haben. Sie erwähnt auch Begegnungen mit Elon Musk bei den Oscars.
Epstein liess sie glauben, sie könnten heiraten. «Spätestens Mitte der 1990er Jahre wusste ich, dass es keine Ehe geben würde», sagt sie. «Aber ich dachte, wir könnten ein Kind bekommen, das wollte ich wirklich.» Sie deutet an, mit ihrer Abhängigkeit von Epstein ihr eigenes Leben ruiniert zu haben – ohne anzuerkennen, wie viele andere sie geschädigt hatte. Um 2005 trennten sich Epsteins und ihre Wege, warum genau, ist unklar. Sie emanzipierte sich, gründete 2012 das TerraMar Project, eine NGO zur Rettung der Meere. Aber noch zehn Jahre später soll Epstein für ihre Anwaltskosten aufgekommen sein.
Sie räumt ein, dass Epsteins Verhalten «unangemessen» gewesen sei, behauptet jedoch, selbst niemals von den Missbräuchen gewusst zu haben. In diesem Kontext erklärte Maxwell zudem, sie habe Donald Trump «nie in irgendeiner unangemessenen Situation gesehen». Er habe sich ihr gegenüber stets wie ein «Gentleman» verhalten.
Nicht weniger als «partner in crime»
Das Interview wurde nicht als offizielle Anhörung deklariert. Maxwell wurde in dem Gespräch mit Blanche nur begrenzte Immunität zugesprochen, nicht volle, wie sie bei einem noch offenen Hearing-Antrag als Gegenleistung gefordert hatte.
Maxwell will ihre eigene Rolle als die eines Opfers verstanden wissen. Bis heute bestreitet sie alle Vorwürfe und präsentiert sich als Leidtragende. Das Kalkül ist durchschaubar, mit Trumps Sympathie versucht sie sich politische Rückendeckung zu verschaffen. Die Selbststilisierung als Opfer wird damit zur zentralen Ressource ihres Rehabilitationsversuchs.
Nachdem das Transkript von Maxwells Gespräch mit Blanche veröffentlicht worden war, äusserte sich die Familie eines der Opfer, der mittlerweile verstorbenen Virginia Giuffre. Sie kritisierte das Justizministerium dafür, Maxwell eine «Plattform zum Umschreiben der Geschichte» gegeben zu haben. Die Frauen, die sich gerichtlich gegen sie aussprachen, beharren darauf: Ghislaine Maxwell war in jeder Hinsicht Epsteins «partner in crime».