Feminismus ist angesagt in Medien und Pop-Kultur. Doch er hat nichts mit der Lebenswirklichkeit vieler Frauen zu tun. Dass er seine Dringlichkeit verloren hat, müsste Frauen freuen.
Wenige Tage vor den Wahlen sagte Donald Trump, er werde die Frauen beschützen, falls er zum nächsten Präsidenten der USA gewählt werde, «ob sie das wollen oder nicht».
Viele Frauen schreckte die zur Schau gestellte Männlichkeit nicht ab. 45 Prozent der Amerikanerinnen stimmten für Trump und verhinderten so die erste Frau in diesem Amt.
Die Amerikanerinnen wollen zum zweiten Mal von einem Mann regiert werden, der einst behauptete, ein Star könne mit Frauen alles machen, ihnen auch unaufgefordert zwischen die Beine greifen. Von einem Mann, der 2023 wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt wurde und der dieses Jahr vor Gericht stand, weil er einer Pornodarstellerin, mit der er angeblich eine Affäre hatte, mutmasslich Schweigegeld zahlte.
Dieser «Frauenbeschützer» hat für sein künftiges Kabinett mindestens drei Männer nominiert, denen übergriffiges Verhalten gegenüber Frauen vorgeworfen wird.
Wie ist die grosse weibliche Zustimmung für Trump möglich? Dies in einer Zeit, in der der Feminismus so populär ist und gerade junge Frauen die Schwesternschaft beschwören?
#MeToo förderte die Illusion, die Frauenbewegung erstarke. Trump war 2017 bereits im Amt, als Frauen weltweit gegen Sexismus und sexuelle Gewalt zu protestieren begannen. Dass es Trump trotz seinen frauenfeindlichen Bemerkungen schaffte und ihn viele Frauen wählten, konnte man sich halbwegs damit erklären, dass die Sensibilisierung erst richtig mit #MeToo einsetzte.
Doch diesmal wurde Trump von den Frauen sogar besser gewählt als damals, als er gegen Hillary Clinton antrat. Seine erneute Wahl zeigt, dass sich Frauen überhaupt nicht einig sind und ganz unterschiedliche politische Interessen haben. Der Hegemonieanspruch der feministischen Bewegung, die Behauptung, für die Frauen insgesamt zu sprechen, wird von der Realität infrage gestellt wie vielleicht noch nie. Der Feminismus der letzten Jahre ist gescheitert.
Ein «antifeministischer Backlash»?
Der erste Trugschluss liegt darin, zu meinen, Feminismus interessiere alle Frauen gleichermassen und alle Frauen sähen seine Ziele als notwendig an. Wer die Wahl von Kamala Harris als feministisches Projekt verstand, war nach Trumps Sieg entsprechend konsterniert. «It’s a Man’s, Man’s, Man’s World», schrieb die «New York Times». Nur: Die Frauen, die Trump unterstützten, sehen offenbar ihren Platz in dieser Welt.
Die Frauen, so äusserten sich viele linke Frauen, hätten gegen ihre eigenen Interessen gestimmt. Vom «antifeministischen Backlash» sprach der «Guardian». Schwarze Frauen nannten die Trump-Wählerinnen «schwache Schwestern». Etwas mehr als die Hälfte seiner Wählerinnen war weiss. Aber auch 38 Prozent der Latinas stimmten für Trump.
Der «Spiegel» titelte dennoch: «Die Missgunst der weissen Frauen von Amerika». Das Magazin zitierte Geschlechterforscherinnen, die von «internalisierter Misogynie» sprachen, die das «selbstzerstörerische Verhalten» der Trump-Wählerinnen erklären sollte: Frauen wählten keine Frau, weil sie verinnerlicht hätten, dass eine Frau weniger wert sei. «Feminismus als unsolidarisches Projekt», so das Fazit der Analyse.
Doch die feministische Prämisse, dass Frauen eine Frau wählen, weil sie eine Frau ist, ist falsch. Sie geht von der Benachteiligung der Frau aus als einer Erfahrung, die den Wahlentscheid beeinflusst wie nichts anderes. Man sieht in den Trump-Wählerinnen Verräterinnen an der Sache der Frau, nennt sie «unsolidarisch». Statt ihre Motivation verstehen zu wollen, zweifelt man an ihrem politischen Verstand. An diesem fehlenden Interesse für Frauen, die anders leben und denken, scheitert der moderne, akademisch geprägte Feminismus.
Er lässt die Lebenswirklichkeit vieler Frauen ausser acht, denen eine gute Ausbildung für die Kinder wichtiger ist als das Recht auf Abtreibung. Sie sorgen sich über die steigenden Lebenshaltungskosten und die Migration, die ihre Jobs bedroht. Dass Frauen in Führungspositionen fehlen oder in Hollywood fast wöchentlich ein Star der sexuellen Belästigung beschuldigt wird, raubt ihnen nicht den Schlaf.
Versinnbildlicht wird Kamala Harris’ Ferne zu diesem Milieu durch ihren Entscheid, an ihrer Elite-Uni zu feiern, hätte sie gewonnen. Trump servierte im Wahlkampf bei McDonald’s Pommes. Es ist klar, wer den Arbeiterinnen und Arbeitern näherkam.
Die Trump-Wahl macht deutlich: Geschlecht ist kein politisches Programm. Die Klasse zählt mehr als das Geschlecht. Der Graben verläuft heute nicht mehr zwischen Frauen und Männern, sondern die Ungleichheit trennt Frauen voneinander. Gleiches Geschlecht bedeutet nicht gleiche politische Interessen.
Der Mann als Feindbild
Dennoch ist Feminismus angesagt wie nie. Das Thema Diskriminierung von Frauen dominierte auch dieses Jahr die Medien, die Pop-Kultur ist voller Beispiele weiblicher Selbstermächtigung. Der Film «Barbie» feierte die kurvige Puppe als feministische Ikone, Millionen von Frauen weltweit wollten ihn sehen. Der Megastar Taylor Swift war auf Welttournee und schwor ihre jungen weiblichen Fans gegen «toxische» Beziehungen ein, von denen ihre Lieder handeln.
Aber auch wenn dieser immer sehr sexy wirkende heutige Kampf von Frauen die ganze mediale Aufmerksamkeit erhält: Er überträgt sich nicht auf die politische Ebene. Er bleibt auf eine urbane, gebildete Schicht beschränkt, die im richtigen Pronomen für jede Geschlechtsidentität ein Menschenrecht sieht oder im Bürokollegen, der einen Witz über Frauenparkplätze erzählt, einen Fall für das Gleichstellungsbüro. Dieser woke Feminismus beantwortet nicht die Frage, wie man als fünfköpfige Familie die Krankenkassenprämien bezahlt.
Es ist ein Hashtag-Feminismus, der die virtuelle Sphäre selten verlässt, entsprechend schnell verpufft seine Wirkungskraft. Unter #womeninmalefields beklagen sich seit ein paar Wochen Frauen auf Tiktok über «sexistische» männliche Verhaltensweisen, indem sie den Spiess umdrehen. Das tönt dann so: «Ein Mann erzählte mir, dass er befördert wurde. Ich sagte ihm, das sei bestimmt, weil er so hübsch sei.» Oder: «Er weinte nach dem Sex. Ich drehte mich zur Seite.»
Das ist witzig, aber auch nicht mehr, und der Trend flaut auch schon wieder ab. Ein Hashtag macht noch keine Revolution.
Schade darum ist es nicht, denn solche Aktionen offenbaren eine weitere Schwäche des Feminismus. Im Umkehrschluss zur vermeintlichen politischen Homogenität der Frauen gibt es eine Tendenz, zu pauschalisieren und Männer abzuwerten. An Männern sei alles falsch, so die Aussage, also müsse man sie zu besseren Menschen erziehen. Die Anklägerinnen wirken selbstgerecht, als wären Frauen das moralisch überlegene Geschlecht. Männer gewinnt man so nicht für die Sache.
Nicht jede Frau ist ein Opfer
Der moralisierende Feminismus sieht den Mann als Täter und die Frau als Opfer. Dieser Opferdiskurs wurde von #MeToo befördert. #MeToo ist die wichtigste Bewegung der letzten Jahre, sie hat viel bewirkt und bewirkt weiterhin viel. Gleichzeitig hat sie den Gewaltbegriff immer weiter ausgedehnt, dieser ist so diffus geworden, dass der aufdringliche Blick eines Mannes heute ähnlich traumatisierend sein soll wie eine Vergewaltigung. Damit werden Sexualverbrechen relativiert.
Es ist ermutigend, wie viele Frauen – und Männer – sich mit Gisèle Pelicot solidarisierten, deren Fall nun während Wochen im Gerichtsprozess von Avignon öffentlich verhandelt wurde. Wenn es in einem offenen Brief von französischen Schriftstellerinnen und Politikerinnen aber heisst, jede Frau habe «traumatische Erinnerungen» an einen Mann, darf man das bezweifeln.
Die Geschichte einer Frau, die von ihrem Mann betäubt und über Jahre von Dutzenden von Männern missbraucht wurde, ist nicht austauschbar. Sie ist in ihrer Ungeheuerlichkeit aussergewöhnlich.
Ein Feminismus, der alle Frauen zu Opfern macht, ist vereinnahmend. Er sieht Frauen als handlungsunfähig an, als schwach und schutzbedürftig. Er ist vereinnahmend, aber nicht vereinend. Nicht alle Frauen wollen Opfer sein.
Es gibt Frauen und Frauen
Zu diesem Schluss muss auch die Trump-Wahl führen. Es gibt so viele verschiedene Ansichten, wie es Frauen gibt. So schwierig vorstellbar es für Feministinnen ist: Manchen Frauen wird sogar Trumps Beschützerspruch gefallen.
Der Feminismus hat kein exklusives Recht, für die Sache der Frauen zu reden. Und wenn er wieder mehr Frauen ansprechen will, muss er seine luftige Höhe verlassen und auch denen zuhören, die andere Sorgen haben als einen richtig gesetzten Genderstern. Männer müssen ihr Verhalten gegenüber Frauen überdenken, aber Frauen auch ihre Haltung gegenüber Frauen.
Dass feministische Anliegen für viele nicht mehr dringend sind, ist letztlich eine gute Nachricht. Es ist nicht mehr 1968, als Frauen um Grundrechte wie das Wahlrecht kämpften oder dafür, ohne Erlaubnis des Mannes ausser Haus zu arbeiten. Die 90-jährige amerikanische Feministin Gloria Steinem sagte nach Trumps Wahlsieg: Man wisse nicht, was im Herzen jeder Frau, die für ihn gestimmt habe, vorgehe. Frauen hätten in den vergangenen Jahrzehnten viel erreicht, das dürfe man nicht vergessen.
Dank dem Kampf von Frauen früherer Generationen können Frauen heute ganz unterschiedliche Lebensentwürfe wählen. Jede Frau versteht unter einem erfüllten, glücklichen Leben etwas anderes. Die Aufgabe des Feminismus ist es, dafür zu kämpfen, dass sie dieses Leben leben kann. Darüber zumindest sollte man sich einig sein.