Die Gesellschaft Schweiz-Israel (GSI) beobachtet propalästinensische Aktivisten und Organisationen – Kritiker sprechen von Überwachung und Methoden à la Cincera. Der GSI-Zentralsekretär Walter L. Blum weist die Vorwürfe zurück.
Herr Blum, die Gesellschaft Schweiz-Israel (GSI) sucht Freiwillige, die verschiedene Medien, Universitäten und Vereine wegen allfälliger propalästinensischer Aktivitäten beobachten sollen. Ist das nötig?
Es gehört zu unserer Aufgabe, öffentliche Äusserungen zu Israel im Auge zu behalten. Damit wir intervenieren können, wenn wir feststellen, dass es zu Diffamierungen von Israel kommt. Diese Aufgabe ist seit dem 7. Oktober und seit dem Beginn der israelischen Offensive sehr schwierig geworden. Dauernd poppt irgendwo eine neue Gruppierung auf, die sich mit Palästina solidarisiert. Oder sogar mit der Hamas. Unsere Geschäftsstelle verfügt nicht einmal über eine 100-Prozent-Stelle, das ist nicht mehr zu bewältigen. Deshalb haben wir unsere Basis, die etwa 2000 Personen umfasst, um Hilfe gefragt.
In der E-Mail von Anfang Mai sprechen Sie von einem «gegnerischen Lager», das systematisch beobachtet werden müsse.
Ich gebe zu, das mit dem gegnerischen Lager war nicht die glücklichste Formulierung. Unser Ziel ist nicht die Konfrontation. Wir suchen das Gespräch, wenn wir auf Inhalte stossen, die eine Reaktion von uns erfordern.
Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Kürzlich wurden wir beim Schweizer Fernsehen vorstellig, weil wir finden, die Berichterstattung zum Gaza-Konflikt ist nicht das Gelbe vom Ei. Demnächst haben wir ein Gespräch mit einem Hilfswerk, weil die Ausschreibung für ein humanitäres Projekt in Gaza unserer Meinung nach Punkte enthält, die wir mit den Verantwortlichen besprechen möchten. Ein drittes Beispiel ist der Fall Marco Sassòli.
Der Genfer Völkerrechtler schrieb in einem Gastbeitrag im «Tages-Anzeiger», eine Streichung der Beiträge für das Palästinenserhilfswerk UNRWA könnte der Schweiz eine Verurteilung wegen Verletzung des Völkermordsübereinkommens einbringen.
Und der Artikel erschien genau an dem Tag, als die Aussenpolitische Kommission über die UNRWA-Gelder entschied, es war reine Politagitation. Deshalb wollten wir von der «Tagi»-Chefin wissen, ob ihre Redaktion diesen Beitrag bestellt hatte. Sie versicherte mir, Sassòli habe ihn selbst angeboten. Ich fragte daraufhin einen anderen Völkerrechtler, was von der Argumentation zu halten sei, er fand, Sassòli bewege sich auf sehr dünnem Eis. Normalerweise hätten wir bei der Leitung der Universität Genf nachgefragt, ob sie es in Ordnung finde, dass Professoren solche «Drohungen» verbreiten würden. Doch dann fingen die Studentenproteste an. Und wir liessen es sein.
In den Tamedia-Zeitungen wirft Ihnen der SP-Ständerat Carlo Sommaruga vor, Sie würden Methoden anwenden wie der frühere Zürcher FDP-Mann Ernst Cincera. Dieser fichierte in den siebziger Jahren politische Gegner.
Das ist ein ungeheuerlicher Vorwurf! Es gibt einen grossen Unterschied zwischen Beobachten und Überwachen. Wir schleusen niemanden in problematische Organisationen ein und verwenden nur öffentlich verfügbares Material. Doch natürlich kommt bei Sommaruga reflexartig der Fichenvorwurf. Von einem Mann wohlgemerkt, dessen Freundschaftsgruppe Schweiz-Palästina einst Hamas-Vertreter ins Bundeshaus einlud. Und es ist auch nicht überraschend, dass eine solche Kritik von einem Genfer kommt.
Inwiefern?
Wir stellen bei unserem Medienmonitoring fest, dass die Zeitungen sowie Radio und Fernsehen in der Westschweiz tendenziell israelkritischer sind. Das zeigt sich etwa daran, dass die welschen Medien die Angaben zu den Toten in Gaza von Anfang an für bare Münze nahmen und – anders als die Deutschschweizer Medien – kaum darauf hinwiesen, dass die Zahlen von Hamas-kontrollierten Behörden stammen. Woher dieser Bias kommt, weiss ich nicht genau. Vielleicht ist es der Einfluss des französischen Diskurses, der israelkritischer ist als jener in Deutschland und in der Deutschschweiz.
Auf der Liste der Akteure, die Sie beobachten lassen wollen, figuriert neben verschiedenen Organisationen auch eine Einzelperson: Victor J. Willi vom Middle East Institute in Genf. Erstaunt Sie da der Fichenvorwurf wirklich?
Willi stellte bei einem Auftritt in der «Arena» die Hamas als staatstragende Organisation dar, sie habe auch die Charta von 2017, in der sie zur Vernichtung Israels aufruft, relativiert. Die SRG-Ombudsstelle hat die Sendung denn auch gerügt, weil der Moderator bei den Aussagen dieses «Experten» nicht interveniert hat. Aber auch hier muss ich gestehen, dass die Liste nicht optimal ist. Wir hätten da stärker differenzieren sollen.
Haben sich auf Ihren Aufruf hin viele Leute gemeldet, die bei der Beobachtung mithelfen wollen?
Ja, einige. Vor allem auch Junge, die Social-Media-affin sind.
Sie haben dafür auch eine Entschädigung versprochen. Wie hoch ist das Budget dafür?
Wir haben keinen konkreten Geldbetrag auf die Seite gelegt. Wenn man das Monitoring seriös machen will, mit einer gewissen Verlässlichkeit, dann ist es sehr aufwendig. Deshalb können wir uns vorstellen, eine Pauschale von maximal einigen hundert Franken zu bezahlen. Doch jene, die sich bisher gemeldet haben, wollen es unentgeltlich machen. Unsere Basis ist enorm sensibilisiert und motiviert.
Fordern Sie die Mitglieder der Gesellschaft Schweiz-Israel auch auf, israelkritische Stellungnahmen auf X oder Facebook selbst zu kontern?
Nein, das ist vor allem Sache von uns auf der Geschäftsstelle. Wir begegnen polemischen Posts nüchtern und faktenbasiert.
Nicht als verlängerter Arm der israelischen Regierungspropaganda?
Auf keinen Fall. Ein solcher Vorwurf wäre allein schon deshalb verfehlt, weil bei unseren Mitgliedern die Meinungen zur israelischen Politik weit auseinandergehen. Viele kritisieren dezidiert die Regierung Netanyahu.