Wohnbaugenossenschaften sind auf kompetente Führungskräfte angewiesen – doch die Personalfindung habe ihre Tücken, sagt ein Experte.
In der Zürcher Baugenossenschaft Frohheim hat es kräftig gerumpelt: Der Vorstand hat den Geschäftsführer entlassen, der Vorstandspräsident ist zurückgetreten. Der Grund dafür sind «potenzielle finanzielle Unregelmässigkeiten», wie es in einem Schreiben hiess, das Mitte Januar in den Siedlungen der Genossenschaft aufgehängt wurde.
Schon im vergangenen Dezember hatte die Genossenschaft für Schlagzeilen gesorgt, als eine happige Mietzinserhöhung bekanntwurde. In der Siedlung Brüderhofweg mit 293 Wohnungen sollten die Mieten per 1. April um rund 25 Prozent aufschlagen, in einer Siedlung in Uster im Zürcher Oberland gar um 30 Prozent. Inzwischen hat der Vorstand entschieden, die Mietzinserhöhungen um ein halbes Jahr auf den 1. Oktober zu verschieben.
Die Entlassung des Geschäftsführers und der Rücktritt des Präsidenten hätten nichts mit den Mietzinserhöhungen zu tun, erklärte die interimistische Geschäftsführerin der Genossenschaft gegenüber der NZZ. Wegen des laufenden Verfahrens wollte der Vorstand zu möglichen Verfehlungen keine Auskunft geben; ein externer Anwalt soll diese nun untersuchen.
Es ist nicht das erste Mal, dass Unregelmässigkeiten in einer Genossenschaft auftauchen. Im Jahr 2020 kündigte die Zürcher Baugenossenschaft Letten dem langjährigen Geschäftsführer und dessen Assistentin per sofort, weil die beiden unrechtmässig Leistungen zulasten der Genossenschaft bezogen hatten. So habe der Verwaltungschef mit Genossenschaftsgeldern die Ausbildung eines Familienmitglieds bezahlt und hierzu Rechnungen manipuliert, wie eine externe Untersuchung zeigte.
Der Fall ist nach über drei Jahren noch nicht abgeschlossen: Wie die Tamedia-Zeitungen berichteten, sind die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen Verdachts auf Vermögensdelikte noch im Gang.
Führungspersonal zu finden, ist schwierig
Sind Genossenschaften aufgrund ihrer Struktur besonders anfällig für Filz? «Das kann man nicht generell so sagen, jedes System hat seine Schwächen», sagt Peter Schmid. Er ist Vizepräsident des Verbandes Wohnbaugenossenschaften Schweiz und berät gemeinnützige Wohnbauträger. Demokratische Strukturen, wie Genossenschaften sie aufwiesen, hätten durchaus Vorteile. «Ein Vorstandspräsident weiss eigentlich, dass er sich nicht alles erlauben kann. Dann wird er nämlich abgesetzt.»
Die Gefahr sieht er woanders. «Es ist wie in der Politik: Gewählt werden nicht immer die Professionellsten, sondern oft diejenigen, die sich am besten verkaufen.» Wer kompetent auftrete und aufgrund seiner Funktion einen Wissensvorsprung habe, werde weniger infrage gestellt. In manchen Vorständen, sagt Schmid, getraue sich dann niemand, Vorgänge zu hinterfragen. Das erhöhe die Missbrauchsgefahr.
Schmid sagt, es sei für viele Genossenschaften sehr schwierig, gutes Führungspersonal zu finden. Denn ein Geschäftsleiter müsse einerseits die sozialen Werte der Genossenschaft vertreten und andererseits fachlich legitimiert sein. Kenntnisse aus der Immobilienwirtschaft seien unabdingbar, sagt Schmid. «Ein Geschäftsführer hat immer den Drang, gute Resultate zu präsentieren. Das ist ein Spannungsfeld.» Darum, empfiehlt Schmid, sollten Geschäftsführer und Präsident nicht gleichzeitig auch noch im Immobilienbereich tätig sein. Dies könne zu Verstrickungen führen.
Der Verband hat Richtlinien für gemeinnützige Wohnbauträger entwickelt, um die Gefahr von Missbräuchen einzudämmen. Darin heisst es etwa: «Mögliche Interessenkonflikte aufgrund von Verwandtschaft, involvierten nahestehenden Personen, Mandaten, Anstellungen oder Funktionen in anderen Organisationen sind unaufgefordert offenzulegen.»
Es sei unabdingbar, dass ein Vorstand seine Aufsichtsfunktion wahrnehme und einschreite, um Verflechtungen entgegenzuwirken. «Aber auch uns ist bewusst: Es menschelt. Und wir versuchen aus Fällen wie dem Frohheim Erkenntnisse zu gewinnen, wie man es noch besser machen könnte.»
Verzweifelt gesucht: städtische Delegierte für Vorstände
Wenn es in einer Genossenschaft zu Unregelmässigkeiten kommt, muss das auch die öffentliche Hand interessieren. In der Stadt Zürich ist es Tradition, gemeinnützigen Wohnraum zu fördern: indem sie Land im Baurecht abgibt, sich am Genossenschaftskapital beteiligt oder Darlehen vergibt. Über 80 Genossenschaften werden so von der Stadt unterstützt.
Ein städtischer Delegierter in den Vorständen soll sicherstellen, dass die Interessen der Stadt vertreten werden. Doch das Modell hat offensichtlich seine Tücken. Ausgerechnet in der Baugenossenschaft Frohheim, also dort, wo der Geschäftsführer und der Präsident unlängst gingen, musste der städtische Delegierte im Mai 2021 sein Amt abgeben, wie die Tamedia-Zeitungen berichteten. Dies, weil er von der Genossenschaft eine Wohnung bekommen hatte. Aus Sicht der Stadt ist das ein klarer Interessenkonflikt.
Nach diesem Vorfall hat die Stadt einen Verhaltenskodex für ihre Delegierten in den Genossenschaften ausgearbeitet. Darin ist unter anderem festgehalten, dass diese – abgesehen von ihrer Vertretungsfunktion – keine weiteren Beziehungen zu einer Wohnbauträgerschaft unterhalten dürfen.
Nicht erlaubt sind ein Mietverhältnis, eine Mitgliedschaft oder anderweitige finanzielle Beteiligungen. Selbst das Einschreiben auf einer Warteliste ist verboten. Auch Geschenke oder Vergünstigungen dürfen nicht angenommen werden. Werden Missstände festgestellt, müssen diese der Stadt rapportiert werden.
Ein Problem bleibt: Die Stadt findet nicht genügend Delegierte für die Vorstände. Wie Claudia Naegeli, Sprecherin des Finanzdepartements, sagt, besteht eine Herausforderung darin, dass die Delegierten ihre Rolle in der Regel ausserhalb der Arbeitszeit wahrnehmen, weil Vorstandssitzungen häufig abends stattfinden. Die Entschädigung erfolgt in Form von Sitzungsgeld, als Arbeitszeit oder durch die Drittinstitution.
Zudem sei die Rolle anspruchsvoll: «Die Person hat keine formelle Kontroll- oder Aufsichtsfunktion, diese liegt beim Leitungsgremium als Ganzes. Sie soll aber durch ihre Präsenz im Vorstand auf diesen einwirken.» Somit brauche es integre Personen mit fachlichem Know-how, die zudem in der Lage seien, wo nötig Veränderungsprozesse anzustossen.
Das Rekrutieren von Leuten mit freien Ressourcen sei nicht immer sofort erfolgreich. «Geeignete Personen haben zudem sehr oft auch in ihrer städtischen Anstellung anspruchsvolle Aufgaben mit hoher Belastung.»
Ausserdem sei die Funktion an eine Anstellung bei der Stadt gebunden: Es handelt sich dabei um Architektinnen, Bewirtschafter, Juristen, Betriebswirte und Finanzspezialistinnen. Vereinzelt würden auch Kommunikationsfachleute oder Fachleute aus dem sozialen Bereich gesucht.
Mit einem Austritt aus der Verwaltung endet auch die städtische Vertretung. «Hier war in den vergangenen Jahren die Fluktuation spürbar», sagt Naegeli.
Konkret heisst das: Rund zwei Dutzend Posten sind unbesetzt. Das ist der Kontrolle nicht unbedingt förderlich.