Der gelbe Riese steckt im Umbau. Christian Levrat will, dass in Zukunft jeder selbst entscheidet, wie er seine Post erhält, ob physisch im Briefkasten oder digital. Dazu fordert er mehr Freiheiten von der Politik – auch für die Postfinance.
Die Post steht finanziell besser da als auch schon. Der Konzern präsentierte am Donnerstag einen Gewinn von 324 Millionen Franken. Präsident Christian Levrat ist trotzdem nicht zum Feiern zumute. Der Grund: Die Briefmengen gehen weiter zurück, das Schaltergeschäft bricht ein. Im Interview mit der NZZ schildert der frühere SP-Präsident seine Vision für die Post der Zukunft.
Herr Levrat, wir dachten eigentlich, dass Sie heute den neuen Postchef präsentieren werden. Tun Sie sich schwer damit, einen Nachfolger für Roberto Cirillo zu finden?
Nein, der Prozess läuft gut. Doch die Erwartungen an einen neuen CEO sind hoch. Die Post befindet sich mitten in einem Transformationsprozess, und wir wollten uns genug Zeit lassen für die Suche der Nachfolge. Aus diesem Grund haben wir mit dem Finanzchef Alex Glanzmann auf eine gute Interimslösung gesetzt.
Ein Post-CEO wird von allen Seiten angefeindet und muss akzeptieren, dass ihm die Politik ständig dreinredet. Das wollen sich die wenigsten Manager antun.
Es ist der beste Job für einen ambitionierten und kompetenten CEO. Bei der Transformation eines zentralen Unternehmens unseres Landes die Richtung zu bestimmen, ist doch absolut spannend! Das Interesse an der Stelle ist entsprechend gross. Die Post ist ein Unternehmen, das der ganzen Schweiz am Herzen liegt. Der neue CEO kann nicht nur ein Unternehmen weiterentwickeln, sondern eine Institution. Klar, die Herausforderungen sind gross, aber die Chancen und Perspektiven ebenso.
Wie wichtig ist es, dass der neue CEO im Bundeshaus vernetzt ist?
Es ist nicht zentral, dass der neue CEO Beziehungen in der Politik hat. Um es etwas plakativ zu sagen: Als Roberto Cirillo bei uns angefangen hat, wusste er kaum, wo Bern ist. Er ist zwar im Tessin aufgewachsen und hat in Zürich studiert. Danach lebte er aber 20 Jahre lang im Ausland. Dennoch hat er sich im Bundeshaus schnell zurechtgefunden. Es braucht einfach das Interesse und die Freude für den Austausch mit Bevölkerung und Politik.
Muss der neue Postchef Schweizer sein?
Es ist zentral, dass der neue CEO einen Bezug zur Schweiz hat. Die Passfarbe ist für mich aber nicht entscheidend. Es gibt Schweizer, die ihr ganzes Leben im Ausland verbracht haben. Und es gibt Ausländer, die seit Jahrzehnten in der Schweiz leben und arbeiten. Wichtig ist deshalb in erster Linie das Verständnis für das Land.
Roberto Cirillo gibt den CEO-Posten Ende März ab. Bezahlt wird er aber noch bis Ende Juli. Das sind rund 300 000 Franken fürs Nichtstun. Weshalb?
Wir haben uns dazu entschlossen, die Phase bis zur Übergabe an den Interim-CEO möglichst kurz zu halten. Herr Cirillo wird dem Verwaltungsrat aber noch für Sonderaufgaben zur Verfügung stehen bis zum Ablauf seiner Kündigungsfrist. Das ist ein ganz normaler Vorgang.
Nicht überall: Der Armeechef zum Beispiel hat auch bereits gekündigt, soll aber noch bis Ende Jahr im Amt bleiben.
Ich bin nicht Bundesrat und musste deshalb nicht über das Ende des Arbeitsverhältnisses mit dem Armeechef entscheiden. In unserer Situation sehe ich aber mehr Vorteile als Nachteile, wenn die Übergangsphase nicht zu lange ist.
Die Post-Spitze hatte vergangenes Jahr damit zu kämpfen, dass die Politik unternehmerische Entscheide teilweise rückgängig machen wollte. Diese Woche durften Sie diesbezüglich einen Erfolg verzeichnen: Der geforderte «Marschhalt» beim Poststellenabbau wurde vom Ständerat verhindert. Wie gross ist die Erleichterung?
Sehr gross. Diese Motion hätte nicht nur den Poststellenumbau verhindert, sondern die Post gelähmt. Es wäre ein Bruch gewesen in der Art und Weise, wie Post und Politik zusammenarbeiten.
Sie haben gar vor einem Kollaps gewarnt.
Kollaps glaube ich nicht gesagt zu haben. Aber es hätte die Post in die roten Zahlen geführt, weil es uns verunmöglicht hätte, uns den Kundenbedürfnissen anzupassen. Die Post muss für die Bevölkerung relevant sein, sonst haben wir keine Daseinsberechtigung. Ich bin froh, dass eine Mehrheit der Politik das am Ende doch noch eingesehen hat.
Wie stellen Sie sich den Service public der Zukunft vor?
Wir müssen ein Angebot schaffen, das die ganze Bevölkerung mitnimmt. Der digitale Brief muss in den Grundversorgungsauftrag integriert werden. Jede Kundin und jeder Kunde soll selbst entscheiden können, wie er seine Post erhält. Ich habe bereits einen digitalen Briefkasten, in dem ich meine Post digital bekomme. Ich mag das, für meine Mutter wäre das aber ein Albtraum. Um beide Bedürfnisse befriedigen zu können, brauchen wir mehr Handlungsspielraum der Politik.
Wieso braucht es dafür einen neuen Grundversorgungsauftrag?
Weil die digitale Post gleichgestellt werden muss mit der physischen Zustellung. Heute läuft die juristisch gültige Korrespondenz praktisch nur über die Briefpost. In Zukunft soll das auch über digitale Kanäle möglich sein. Diese Mischung von physischer und digitaler Zustellung kann nur die Post. Für rein digitale Angebote gibt es zwar viele Anbieter. Aber es gibt sonst niemanden, der sicherstellt, dass die ganze Bevölkerung mitgenommen wird auf diese Reise. Das ist unser Anspruch.
Soll die Post noch täglich zugestellt werden müssen?
Heute ja, das erwarten die Leute. Wir wären deshalb verrückt, wenn wir die A-Post abschaffen würden. Wie es in zehn Jahren ist, weiss aber niemand. Es kann sehr schnell gehen – und dann muss die Post reagieren und ihr Angebot anpassen können. Sonst müssen wir jahrelang Dienstleistungen erbringen, die niemand nachfragt. Wenn das passiert, droht uns das gleiche Schicksal wie Dänemark: Dort hat die Post erst ihre Zustellfrequenz reduziert und verzichtet nun ganz auf die physische Zustellung.
Sie sprechen seit Jahren von der Digitalisierung des Geschäftsmodells. Doch die Post kommt in diesem Bereich nicht vom Fleck. 2024 hat die Sparte einen Verlust von 67 Millionen Franken geschrieben.
Unser Unternehmen hat viel in Innovation und Entwicklung investiert in den vergangenen 10 Jahren. Dort, wo wir uns am Markt bewegen, läuft es gut: in der Cybersicherheit etwa oder bei den Kommunikationsplattformen. Schwieriger ist es bei staatsnahen Dienstleistungen wie dem elektronischen Patientendossier oder E-Voting. Da investieren wir seit Jahrzehnten, ohne Geld zu verdienen. Das würde kein privates Unternehmen machen. Da leisten wir einen Service public, was seinen Preis hat.
Trotzdem: Die Post ist weit davon entfernt, die Erosion im Stammgeschäft mit dem neuen Digitalgeschäft wettmachen zu können. Ist Ihre Strategie gescheitert?
Nein. Aber der Gegenwind ist tatsächlich stark. Der Rückgang der Briefpost schreitet in enormem Tempo voran, das Schaltergeschäft fällt in sich zusammen. Umso schneller müssen wir uns neu positionieren. Wir wollen uns aber nicht in völlig neuen Gebieten etablieren. Vielmehr investieren wir dort, wo die Nachfrage wächst, ins Paketgeschäft etwa, in die Güterlogistik und in die digitalen Produkte wie die E-Post. Hier sind wir auf Kurs.
Wieso halten Sie dann die Zahlen zu den einzelnen Akquisitionen unter Verschluss? Selbst die Politik tappt im Dunkeln.
Weil wir uns im freien Wettbewerb bewegen, können wir keine Zahlen zu den einzelnen Akquisitionen offenlegen. Das würde kein anderes Unternehmen tun! Wir führen aber mit dem Bundesrat sehr ausführliche Diskussionen darüber.
Die Zahl der Firmenkäufe der Post hat zuletzt stark abgenommen. Haben Sie die Einkaufstour beendet, weil der politische Druck zu gross wurde?
Es gibt in der Tat eine lebendige Diskussion darüber, in welche Märkte die Post vorstossen soll – und in welche nicht. Das merke ich, wenn ich meine früheren Kollegen aus dem Parlament treffe. Ich kann ihre Vorbehalte nachvollziehen. Ich warne aber vor willkürlichen Eingriffen in das System Post. Wir bewegen uns heute zu 87 Prozent im Wettbewerb – die restlichen 13 Prozent macht das Briefmonopol aus, das wegen der raschen Abnahme der Volumen bald Geschichte sein wird. Unsere Aufgabe ist es, mit diesen Dienstleistungen die Grundversorgung abzusichern. Werden wir zu stark eingeengt, bekommen wir ein ernsthaftes Problem.
Sie wollen also weiterhin frei in fremden Märkten wildern können?
Das hat nichts mit Wildern zu tun. Die Post darf seit der Gründung nur in vier Branchen tätig sein: der Kommunikation, der Logistik, dem Zahlungsverkehr und der Mobilität, sowohl digital wie physisch. Das soll so bleiben. Schränkt die Politik den Handlungsspielraum der Post hier ein, wird sie stattdessen Subventionen sprechen müssen. Das aber bringt uns in Teufels Küche. Schauen Sie, was in Frankreich passiert: Die Post erhält dort jeweils eine Milliarde Euro jährlich vom Staat, um das Poststellennetz aufrechtzuerhalten. Weil dieser sparen muss, wurden die Subventionen nun massiv gekürzt. Ein solches Szenario sollten wir um jeden Preis verhindern, denn es bringt die Post existenziell in Gefahr.
Leidtragende der aggressiven Expansion der Post sind häufig KMU, zumal sie gegenüber dem Staatsbetrieb benachteiligt sind.
Ich bestreite, dass die Post über massgebliche Wettbewerbsvorteile gegenüber privaten Konkurrenten verfügt. Unser Unternehmen profitiert vielleicht davon, dass es dem Bund gehört. Wenn ich aber die Kreditkonditionen von ähnlich gelagerten Grossunternehmen anschaue, bin ich nicht mehr sicher. Jedenfalls hat die Post auch Nachteile. Sie muss die Grundversorgung erbringen, was zwischen 300 und 400 Millionen im Jahr kostet. Der Ertrag aus dem Monopol ist mit 60 Millionen Franken viel kleiner. Es handelt sich also nicht um einen Wettbewerb mit ungleich langen Spiessen.
Das Parlament will, dass die Post künftig jede Übernahme vom Bundesrat genehmigen lassen muss.
Das ist nicht praktikabel. Bei solchen Übernahmen gibt es immer auch eine Gegenpartei. Und die wird es nie akzeptieren, dass die Zahlen des Unternehmens gegenüber dem Bundesrat und dem Parlament offengelegt werden.
Braucht es auch regulatorische Anpassungen bei der Postfinance?
Der gesetzliche Rahmen wirkt sich heute sehr nachteilig auf das Ergebnis der Postfinance aus – das Kreditverbot ebenso wie die Systemrelevanz der Bank und die Grundversorgung, für die die Bank die Kosten tragen muss. Die Ergebnisse von Postfinance sind sehr volatil. Wir müssen das also entweder so hinnehmen oder über den gesetzlichen Rahmen sprechen. Was es braucht, ist eine Gesamtbetrachtung der gesetzlichen Grundlage für die Post und Postfinance. In einem zweiten Schritt sollten dann Lösungen erarbeitet werden. Dabei sollte es kein Tabu geben.
Man hört, dass Sie die Aufhebung des Firmenkreditverbots fordern.
Nun, ich stelle fest, dass die Schweizer Unternehmen heute Schwierigkeiten haben, Kredite zu erhalten. Häufig sind sie der UBS oder den Kantonalbanken ausgeliefert. Die Postfinance könnte dazu beitragen, diese Probleme zu lösen. Stattdessen ist sie heute gezwungen, 35 Milliarden Franken im Ausland zu investieren. Es stellt sich die Frage, ob es nicht besser wäre, wenn dieses Geld in der Schweiz investiert wird. Es ist aber nicht meine Aufgabe als Präsident der Post, diese Diskussion anzustossen.