In Island gibt es so viele aktive Vulkane wie sonst nirgends und mit Keflavik einen Verkehrsflughafen unweit der Eruptionen. Wie geht das zusammen?
«Willkommen im vulkanischen Island», steht in der Ankunftshalle des grössten internationalen Flughafens des Landes in Keflavik. Darunter hängt eine Inselkarte mit den eingezeichneten Vulkansystemen, die das ganze Land durchziehen. So viele aktive Vulkane wie hier gibt es nirgends sonst, über 30 insgesamt, 19 davon sind seit der Besiedlung Islands vor mehr als tausend Jahren ausgebrochen.
Daneben verzeichnet eine Liste alle Eruptionen seit 1902, genau 27 gab es bis zur vorerst letzten von Ende 2023 am Fagradalsfjall. Dessen unterirdisches System ist weiterhin auf der Halbinsel Reykjanes mit teilweise spektakulären Eruptionen aus Wällen rotglühender, flüssiger Lava sehr aktiv und hatte sich erst im Mai nochmals verstärkt.
«Grimsvötn, Katla und Hekla sind die drei gefährlichsten Vulkane und alle reif für einen Ausbruch», sagt der Flughafensprecher Gudjon Helgason, «hier kann man nie wissen.» Das gilt besonders für den Flugverkehr, denn Jet-Triebwerke und Vulkanasche vertragen sich absolut nicht.
Das wussten lange fast nur Fachleute, obwohl es bereits spektakuläre Beinahe-Katastrophen durch die feine Vulkanasche am Himmel gab. So 1982, als eine Boeing 747 von British Airways über Indonesien bei Nacht unbemerkt in eine Aschewolke flog und alle vier Triebwerke ausfielen. Nach einem Notabstieg im Gleitflug gelang es erst in letzter Minute, in Bodennähe drei Motoren wieder zu starten und sicher zu landen, alle 263 Insassen überstanden den Zwischenfall.
Doch seit 2010 ist allgemein bekannt, dass Vulkanasche und Fliegerei schlecht zusammenpassen und dass Island die Heimat vieler Vulkane ist. Das Problem mit der feinen Asche und den innen bis zu 1500 °C heissen Jet-Triebwerken ist, dass die Aschepartikel durch die Hitze schmelzen und sich wie eine Glasur um die heissen Turbinenschaufeln legen und auch deren Kühlbohrungen verstopfen. So versagt die Abkühlung, ausserdem akkumuliert sich mehr Gewicht, die einzelnen Schaufeln können abbrechen – ein potenziell katastrophales Szenario.
Mehr als 100 000 ausgefallene Flüge
Im April vor vierzehn Jahren hatte der Ausbruch des Eyjafjallajökull unter einer dicken Eisschicht – das gefährlichste Szenario – eine Wolke feiner Asche so hoch in die Atmosphäre geschleudert, dass in ganz Nordeuropa acht Tage lang nahezu der gesamte Luftraum gesperrt werden musste. Über 100 000 kommerzielle Flüge fielen in dieser Zeit der grössten Luftraumsperrung in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg aus. Mit fünf Milliarden Euro setzen Ökonomen den Verlust an globaler Wertschöpfung durch das Naturereignis an.
Zum Jahresbeginn 2024 waren Verluste durch Vulkane plötzlich wieder Thema – isländische Airlines klagten, ihnen blieben die Passagiere weg und Buchungen stagnierten, seit im Dezember 2023 der spektakuläre Lavastrom nahe dem jetzt evakuierten Ort Grindavik eingesetzt habe.
Grindavik liegt gerade einmal 25 Kilometer vom Flughafen entfernt, der in guten Jahren fast zehn Millionen Passagiere im Jahr abfertigt. «Das haben wir uns selbst zuzuschreiben, weil wir den Leuten nicht erklärt haben, wie wundervoll und spektakulär so etwas ist und ausserhalb der Sperrzone auch nicht gefährlich, dass man also keine Angst haben muss», sagt Einar Örn Olafsson, Chef der Billigfluggesellschaft Play Airlines, der zweitgrössten Gesellschaft des Landes.
Islands Airlines leben davon, Europa und Nordamerika mit Zwischenstopp auf der nordischen Insel zu verbinden. «Die Botschaft der internationalen Nachrichten war, dass in ganz Island Ausnahmezustand herrsche», klagt Olafsson. «Dabei handelte es sich um sehr isolierte lokale Massnahmen und Ereignisse, ein Gefahrengebiet von ein paar Quadratkilometern, das man nicht betreten darf», so der Airline-Chef. «Aber sonst ist Island vollkommen sicher. Der Flughafen war immer offen, niemand in Reykjavik war je beeinträchtigt, es gibt keinen Grund zur Besorgnis.»
Eine Herausforderung war es trotzdem: «Wir heizen hier mit Wasser aus heissen Quellen, und die Heisswasserleitung zum Flughafen war unterbrochen, genauso wie die Stromversorgung», berichtet der Flughafensprecher Gudjon Helgason. Dann wurden zwei zusätzliche Generatoren eingesetzt und ein System zur Wassererhitzung, nach 24 Stunden war es auch im Terminal nicht mehr kalt.
«Sogar wenn Lava unsere Zufahrtsstrasse blockieren würde, hätten wir eine alternative Route», sagt Helgason beruhigend. «Die Amerikaner haben den Standort des Flughafens während des Zweiten Weltkriegs absichtlich so gewählt, weil auf dem Gelände kein Risiko von Lavafluss besteht und keine Vulkane in der Nähe sind, auch wenn die Eruptionen jetzt schon relativ nahekommen», räumt der Sprecher ein.
Genau deswegen verschaffen manche Airlines ihren Passagieren jetzt bei Gelegenheit ein spektakuläres Island-Erlebnis: Bei Lavaeruptionen kann es passieren, dass die Piloten im Anflug tief über dem rotglühenden flüssigen Gestein, das zeitweise bis zu 50 Meter in die Höhe schiesst, eine kurze Besichtigungsrunde drehen. Gefährlich? «Diese Eruptionen haben keine Asche in die Luft geschleudert, es war ja auch kein Eis zu durchbrechen, und wir haben jetzt sehr ausgereifte Detektionssysteme», sagt Gudjon Helgason. «Auf einen Ausbruch zu reagieren, ist für uns fast schon Routine geworden.»
In der Nähe von Gate A14 im Terminal von Keflavik gibt es eine unscheinbare Tür, dahinter eine Treppe nach unten. Hier ist die Flugbetriebszentrale der isländischen Billigfluggesellschaft Play, ein junges Team sitzt vor grossen Bildschirmen und hat alle Abläufe im Blick. Doch eines ist ungewöhnlich: Ein grosser Monitor zeigt etwas ganz anderes als das Vorfeld – Krater, Feuerschein, Rauch. Es sind Webcams, die die Vulkanaktivität rund um Grindavik einfangen.
«Das hier ist ein Standbild von heute morgen, da konnte man das Glühen deutlich sehen», sagt Andri Geir Eyjolfsson, Flugbetriebschef von Play. «Wir beobachten ganz genau, was da passiert.» Im Moment aber ist alles ruhig, Störungen für den Flugverkehr durch Vulkane hat es schon seit 2010 hier nicht mehr gegeben. «Seit damals hat die Branche viel gelernt und verbessert», findet Eyjolfsson. Er muss es wissen, arbeitete er doch in der damaligen Krise bei der grössten lokalen Fluggesellschaft Icelandair.
Aus dem Zwischenfall von 2010 viel gelernt
Und dann zählt er eine lange Liste von Fortschritten auf: Die Triebwerkhersteller hätten seither Forschungen über den Betrieb unter Aschebedingungen angestellt und klarere Machbarkeitsgrenzen gesetzt. Der isländische Wetterdienst hat empfindliche Geräte zur Analyse von Luft und Aschepartikeln eingeführt. «Normalerweise schliessen sie den betroffenen Luftraum nur noch für zwanzig Minuten während der Analyse», so Eyjolfsson.
Es gebe auch viel genauere Vorhersagen, wie sich eine Aschewolke zusammensetze und verhalte. «Das hilft uns, die Wolke zu umfliegen. Schon eine halbe Stunde nach einer Eruption sind wir im Gespräch mit dem Wetterdienst, der dann bereits alle wichtigen Informationen zusammengestellt hat, damit wir die richtigen Entscheidungen treffen können», sagt der Flugbetriebschef.
Das sei der entscheidende Unterschied gegenüber 2010, jetzt nämlich entschieden die Airlines selbst aufgrund der vorliegenden Daten, ob und wo sie weiter operieren wollten. Gleichzeitig übermittelten die modernen Triebwerke Echtzeitdaten mit 17 000 Parametern während des Fluges an den Boden, was einen genaueren Eindruck von der Leistungsfähigkeit unter den herrschenden Flugbedingungen ermögliche.
«Moderne Motoren sind nicht resistenter gegen die Gefahren von Vulkanasche, die sind weiter vorhanden, aber wir haben bessere Daten für fundierte Entscheidungen», so Eyjolfsson. Ausserdem biete jetzt ein Handbuch über nötige Massnahmen genaue Verhaltensvorgaben. «Damals wusste keiner, was er tun sollte. Als es letztes Jahr die nächste grosse Eruption gab, war das ganz anders, jedem war sofort bewusst, was die nächsten Schritte waren.»
Das wird sich positiv auswirken für den Fall, dass es mit den «heissen» Kandidaten Grimsvötn, Katla oder Hekla tatsächlich mittelfristig zu einem massiven Ausbruch wie 2010 kommen sollte. «Dann werden die Luftraumsperrungen sehr viel begrenzter und wir werden sehr viel besser informiert sein, um zu entscheiden, ob wir weiterfliegen oder nicht», meint Andri Geir Eyjolfsson überzeugt.
Das sieht auch Eamonn Brennan ähnlich. Als Chef der europäischen Flugsicherung Eurocontrol hatte er analysiert: «Während die Aschewolke 2010 zur Streichung von 104 000 Flügen geführt hatte, würde eine ähnliche Situation heute nur zur Streichung von rund 50 000 führen, also nur der Hälfte der Flüge.»