Vor 25 Jahren zerschellte der Alaska-Airlines-Flug 261 vor Kalifornien im Pazifik, weil eines der Steuersysteme versagte.
Es ist ein Routineflug aus der warmen Wintersonne Mexikos in den feuchtkühlen pazifischen Nordwesten der USA an diesem 31. Januar 2000. Der erste Teilabschnitt des Flugs Alaska Airlines 261 führt von Puerto Vallarta, einem der grössten Badeorte Mexikos, nach San Francisco, und die Maschine soll dann noch bis nach Seattle weiterfliegen. Das Flugzeug ist ein Allerweltsmodell der damaligen Zeit, eine McDonnell Douglas MD-83.
Erstkunde des Basismodells MD-81 war ab Ende 1980 die Swissair, die bis 1998 insgesamt 26 Exemplare dieser Baureihe einsetzte. Auch Crossair und Balair betrieben diesen Flugzeugtyp in der Schweiz, von dem der Hersteller in Long Beach, Kalifornien, in zwei Jahrzehnten insgesamt 1191 Stück produzierte. Je nach Version und Kabinenaufteilung konnten die Zweistrahler mit dem charakteristischen T-Leitwerk und den zwei Triebwerken am Heck zwischen rund 130 und 170 Fluggästen befördern.
Zur Mittagszeit treten an diesem Tag allerdings nur 83 Passagiere den Rückflug Alaska 261 in die USA an. Der Flug ist nicht ausgebucht, es ist keine Ferienzeit. Ein Dutzend Fluggäste arbeiten für die Gesellschaft und nutzen solche nachfrageschwachen Zeiten, um mit Familienangehörigen zum günstigen Mitarbeitertarif in die Sonne zu fliegen. Im Cockpit sitzen zwei sehr erfahrene Piloten, die neben vielen tausend Flugstunden Erfahrung auf der MD-83 auch eine Ausbildung beim Militär mitbringen. Der Kapitän Ted Thompson und der Erste Offizier Bill Tansky haben bereits 18 bzw. 15 Jahre ihrer Karrieren bei Alaska Airlines verbracht, in der Kabine arbeiten drei Kolleginnen mit Basis in Seattle.
Um 13.37 Uhr Ortszeit hebt der Flug Alaska 261 in Puerto Vallarta ab, bis San Francisco soll die Reise rund vier Stunden dauern. Anfangs läuft alles normal, doch dann tritt ein Problem auf. Um 15.49 Uhr, gut zwei Stunden nach dem Start, ruft die Cockpitbesatzung die Wartungszentrale von Alaska Airlines in Seattle an. Die Piloten bitten den diensthabenden Techniker an der Hotline um Hilfe, weil das Höhenleitwerk nicht mehr zuverlässig auf die Steuereingaben reagiert.
Bei den Flugzeugen der MD-80-Baureihe befinden sich die beiden beweglichen, wie kleine Tragflächen aussehenden Höhenruder horizontal oben an der T-förmigen Heckflosse. Sie bewegen sich langsam nach oben oder unten, wenn die Piloten manuell oder der Autopilot per Computer aus dem Cockpit entsprechende Kommandos geben. Ihre Funktionsfähigkeit ist entscheidend, um die Nase des Flugzeugs zu heben oder zu senken und so Steig- oder Sinkflug einzuleiten. Doch jetzt scheint dieser so elementare Mechanismus nicht mehr wie vorgesehen zu arbeiten – eine beunruhigende Beobachtung.
Es entwickeln sich Schwierigkeiten mit dem Horizontalflug
Das Flugzeug sackt immer wieder nach unten ab, und die Flugzeugführer müssen permanent gegensteuern – und dabei mit ihren Steuersäulen gegen ein Gewicht von geschätzten fünf Kilogramm anarbeiten.
Doch der Wartungsmitarbeiter kann auch nicht helfen. Mehrere Versuche, die Maschine über alternative Prozeduren zu stabilisieren, scheitern. Wenig später nimmt die Cockpitbesatzung Kontakt zur Operationszentrale der Airline auf und erklärt, dass sie vorsorglich bereits im näher gelegenen Los Angeles landen will. Der Flugdienstberater ist dagegen, er hat Sorge, dass daraus Verspätungen, Komplikationen und Folgekosten entstehen könnten.
Kosten sind bei Alaska Airlines zu dieser Zeit ein heikles Thema, der Gesellschaft geht es wirtschaftlich nicht gut, und sie versucht zu sparen, wo sie kann. Das wird an diesem Tag tragische Folgen haben. Der Mann in der Zentrale bittet die Crew vergeblich, wie geplant nach San Francisco zu fliegen. Die Piloten überstimmen ihn und beharren auf einer Ausweichlandung in Los Angeles.
Eine Zeitlang versuchen Ted Thompson und Bill Tansky weiter beharrlich, durch abwechselnden Einsatz der beiden Elektromotoren, die normalerweise die Höhenruder bewegen, die Manövrierfähigkeit ihrer Maschine zu verbessern. Die Stimmung im Cockpit ist weiterhin sehr gespannt, doch um 16.09 Uhr gelingt es den Piloten unerwartet, die Blockade des Höhenleitwerks zu lösen.
Die Folge des nun plötzlich heftigen Ausschlags des Höhenruders ist jedoch verheerend: Die MD-83 rast jetzt mit der Nase nach unten in Richtung Ozean – in knapp anderthalb Minuten verliert die Maschine fast zweieinhalbtausend Meter an Höhe. Die Piloten setzen pure Muskelkraft ein, um den Sturzflug zu beenden – was ihnen auf einer Höhe von knapp siebeneinhalbtausend Metern tatsächlich gelingt.
Hörbar mitgenommen schildern sie der Flugsicherung in Los Angeles ihre Extremerfahrung. «Alaska 261, wir sind im vertikalen Sturzflug hier, wir haben die vertikale Kontrolle über das Flugzeug verloren», vermelden sie zunächst, um dann Entwarnung zu geben: «Wir haben es wieder unter Kontrolle.»
Erik van Wingerden hat als Flugkapitän in den 1990er Jahren sieben Jahre lang die MD-83 für die damalige deutsche Ferienfluggesellschaft Aero Lloyd geflogen. «Das war noch ein konventionelles Flugzeug, das von Hand geflogen wurde und die ganze Aufmerksamkeit der Piloten beanspruchte», erinnert er sich. Durch die Trimmung, also die Regulierung des Schwerpunkts, «wird Steuerdruck weggenommen, so werden die Piloten entlastet», so van Wingerden. «Bei blockiertem Höhenleitwerk ist das nicht mehr möglich. Es baut sich Druck auf, den die Piloten durch manuelles Ziehen oder Drücken der Steuersäule ausgleichen müssen.»
Dabei offenbart sich ein besonderes Dilemma der MD-80-Flugzeuge: Sie sind an dieser Stelle nicht nach dem sonst üblichen «Fail Safe»-Prinzip konstruiert: «Es gibt nur ein System zur Trimmung des Höhenruders. Wenn das kaputt ist, ist alles verloren», sagt van Wingerden. Airbus-Jets zum Beispiel verfügen dagegen über zwei voneinander unabhängige Systeme, um das Höhenleitwerk anzusteuern.
Umso mehr lobt Erik van Wingerden seine Kollegen in dieser prekären Situation: «Die Maschine nach einem solchen Sturzflug noch mal zu stabilisieren, ist eine fliegerische Meisterleistung.» Doch alle Mühen der Piloten sollen sich an diesem Tag als vergeblich erweisen.
Die Mechanik hält den Elektromotoren nicht stand
Um 16.19 Uhr befindet sich der Flug Alaska 261 im Anflug auf Los Angeles, die Flugbegleiter bereiten die Kabine auf die Landung vor. Plötzlich gibt es vier starke Schläge und ein sehr lautes Geräusch im Cockpit, alles vom Stimmenrekorder aufgezeichnet. «Da hat die Antriebsspindel, eine Gewindestange, die das Höhenruder mechanisch bewegt, den Geist aufgegeben», erklärt Erik van Wingerden.
«Das Gewinde hat sich unter dem Druck der Elektromotoren aufgelöst und ist stückweise aus den Führungsmuttern herausgerutscht, der letzte Schlag war die komplette Befreiung von den Muttern», vollzieht der Pilot das katastrophale Geschehen nach.
Jetzt nimmt das Drama unweigerlich seinen Lauf. Ein anderer Pilot in dem vielbeflogenen Luftraum nahe Los Angeles meldet den Fluglotsen seine erschreckenden Beobachtungen: «Hier ist Flug Skywest 5451. Wir sehen Alaska 261, er hat gerade einen Sturzflug begonnen», schildert der fassungslose Flugkapitän. Die MD-83 rast wie ein Kampfflugzeug im Sturzflug in Richtung der Pazifikwellen.
«Er fliegt jetzt auf dem Rücken», berichtet der Skywest-Pilot. Und Sekunden später: «Er ist gerade im Wasser aufgeschlagen.» Bis zum Schluss versuchen Ted Thompson und Bill Tansky im Cockpit der MD-83 alles Erdenkliche, um die Katastrophe noch zu verhindern. Obwohl die G-Kräfte geradezu unmenschlich sind, setzen sie sogar eine «Mayday»-Notfallmeldung an die Fluglotsen ab.
«Als es den grossen Schlag gab, ist in Sekundenbruchteilen das gesamte, jetzt unbefestigte Höhenleitwerk nach hinten abgeklappt. Das hat sehr viel Auftrieb produziert und das Heck des Flugzeugs nach oben gedrückt», beschreibt Erik van Wingerden die Vorgänge. «Die Nase ging steil nach unten, das hat den Sturzflug in Rückenlage eingeleitet. Die Piloten waren chancenlos, ihr Flugzeug nicht mehr steuerbar», so van Wingerdens Einschätzung, «das ist bitter.»
Der höllische Sturzflug in den Tod dauert 81 Sekunden. Der Alaska-Airlines-Flug 261 zerschellt um 16.22 Uhr fast senkrecht im Pazifischen Ozean unweit der Insel Anacapa vor der kalifornischen Küste. Alle 88 Insassen der MD-83 sind sofort tot. Ihre Leichen werden durch die Wucht des Aufpralls so entstellt, dass ihre Identifizierung sich später sehr schwierig gestaltet.
Wartungsmängel bei der Fluggesellschaft
Mit Fischerbooten und Unterwasser-Robotern können 85 Prozent der Wrackteile aus dem Wasser geborgen werden, bald finden sich auch die entscheidenden Überreste aus dem Leitwerk. Die Gewindestange für das Höhenruder wird von Metallfäden umwickelt gefunden, die sich als Reste des Gewindes der befestigten Mutter erweisen. Es stellt sich bei Analysen heraus, dass bereits 90 Prozent des Gewindes durch Überbeanspruchung und mangelnde Wartung abgetragen worden waren.
Ein Whistleblower hatte bereits 1998 gegenüber der Luftfahrtbehörde FAA ausgesagt, dass es Missstände bei der Wartung von Alaska Airlines gebe, 1997 hatte es mit der späteren Unglücksmaschine ähnliche Probleme gegeben.
Eingeschritten waren die Aufseher damals nicht, hatten im Gegenteil sogar verlängerten Wartungsintervallen zugestimmt. Und selbst bei der Wartung wurde vor allem die vorgesehene Schmierung der Gewinde nicht oder nicht ausreichend ausgeführt. Das Fehlen der Schmierung führte zu starker Abnutzung der Gewinde und letztlich zum katastrophalen Versagen des gesamten Mechanismus und damit zur Katastrophe.
«Dies ist ein Unfall aufgrund mangelnder Wartung», lautet der Kernsatz des Untersuchungsberichts der Transportsicherheitsbehörde NTSB. Sie macht nicht weniger als 24 Verbesserungsvorschläge, um eine Wiederholung zu verhindern. Das Versagen, so der Report, liege gleichermassen bei Alaska Airlines und bei der mangelnden Aufsicht der zuständigen Behörden.
Boeing, Rechtsnachfolger von McDonnell Douglas als Hersteller, und die Fluggesellschaft zahlen nach Medienberichten Entschädigungen von mehr als 300 Millionen Dollar an die Hinterbliebenen, damals eine Rekordsumme. Zum ersten und bisher einzigen Mal verleiht die US-Pilotengewerkschaft Alpa den beiden Unglückspiloten postum ihre «Goldmedaille für Heldentum».
Hollywood hat den Unfall im Filmdrama «Flight» von 2012 verewigt. Denzel Washington spielt darin einen Piloten, der mit einer MD-90 in Rückenlage abstürzt. Doch anders als in der Realität überleben er und die meisten Insassen den Notfall.