Über zehn Stadien der Fussball-EM in Deutschland werden während der Spiele kurzfristig Lufträume gesperrt. Piloten von kleineren Flugzeugen im Sichtflug müssen aufpassen, sonst drohen Abfangmanöver und Strafen.
In der Schweiz ist es bereits ein bekanntes Ritual: Kurz vor und während des World Economic Forum wird in einem 46-Kilometer-Radius rund um Davos der Luftraum für Privatflugzeuge im Sichtflug, Deltasegler und Gleitschirmpiloten aus Sicherheitsgründen gesperrt. Überwacht wird der Himmel dann von Helikoptern sowie Jets der Schweizer Luftwaffe. Auch bei der Bürgenstock-Ukraine-Konferenz am 15./16. Juni ist der Luftraum weiträumig über dem Veranstaltungszentrum für Flugzeuge oder Helikopter im Sichtflug, Drohnen und Modellflugzeugen bis zu einer Höhe von 19 500 Fuss (5943 Meter) Höhe gesperrt.
Für die Zeit der Fussball-Europameisterschaft in Deutschland (14. Juni bis 14. Juli 2024) werden in den kommenden Wochen ebenfalls sogenannte Flugbeschränkungsgebiete ausgewiesen – sogar über insgesamt zehn Stadien, zu den unterschiedlichsten Zeiten und mit verschiedenen Ausdehnungen. Da sind ungewollte und unwissentliche Einflüge von deutschen wie ausländischen Piloten im Sichtflug fast schon vorprogrammiert.
Denn dass die Freiheit über den Wolken wohl grenzenlos sei, stimmt höchstens im Liedtext. Stattdessen herrscht am Himmel sogar eine äusserst rigide Ordnung. Da gibt es jede Menge unterschiedliche Lufträume, die sich in einem genau definierten Höhenbereich und einer räumlichen Ausdehnung befinden. Je nach ihrer Bestimmung dürfen sie nur von speziell dafür erlaubten Luftfahrzeugen beflogen werden.
Zudem kommen immer wieder temporäre Sperrgebiete hinzu, die für manche Flieger völlig tabu sind. So wie in diesem Juni und Juli über den zehn verschiedenen deutschen EM-Spielstätten. Diese sind in Berlin, Dortmund, Düsseldorf, Frankfurt, Gelsenkirchen, Hamburg, Köln, Leipzig, München und Stuttgart. Das Besondere: Je nach Abstufung sind nicht nur Drohnen und Modellflugzeuge davon betroffen, sondern auch Flugzeuge oder Helikopter im Sichtflug – und das möglicherweise in einem grossen Umkreis um das betreffende Stadion.
Komplexe Regeln können verwirren
Zudem sind die Regelungen kompliziert: Die Deutsche Flugsicherung hat je nach Gefährdungsstufe drei verschiedene Szenarien vorgestellt. Im für die Aviatik günstigsten Fall, EM-1 genannt, sind nur Drohnen sowie Flugmodelle innerhalb eines Radius von 3704 Metern ums Stadion verboten. Im zweiten Gefährdungs-Szenario EM-2 dürfen Luftfahrzeuge im Sichtflug – üblicherweise Flugzeuge und Helikopter – nicht in einem Radius von 5556 Metern ums Stadion fliegen.
Im dritten und für die Luftfahrt schlechtesten Fall einer Gefährdungslage EM-3 ist der Luftraum volle 55,56 Kilometer im Radius um die Spielstätte gesperrt. In Regionen wie dem Ruhrgebiet wären davon Dutzende Flugplätze betroffen, die fast neun Stunden für den Flugbetrieb komplett gesperrt sind.
Die «ungeraden» Meterangaben resultieren daraus, dass in der Luftfahrt mit Nautischen Meilen und nicht Kilometern für die Entfernung gerechnet wird. Bei EM-1 beträgt der Radius zwei Nautische Meilen, bei EM-2 drei und bei EM-3 sind es 30 Nautische Meilen. Diese drei Zonen können kurzfristig je nach Bedrohungslage des Spiels von der Flugsicherung aktiviert werden. Geschehen kann dies jeweils beginnend drei Stunden vor Spielbeginn und gültig bis vier Stunden nach Spielende der verschiedenen Fussball-EM-Partien.
Das heisst, jeder Pilot muss höllisch aufpassen, um nicht möglicherweise illegal in ein gerade aktiviertes Flugbeschränkungsgebiet einzufliegen. Denn dann würden Helikopter der deutschen Bundespolizei das Luftfahrzeug abfangen, womöglich steigen sogar Eurofighter der Luftwaffe auf.
Zwar gibt die Deutsche Flugsicherung mit 48 Stunden Vorlauf bekannt, ob oder welches Sperrgebiet aktiviert wird und publiziert dies in den sogenannten Nachrichten für Luftfahrer, kurz NOTAM. Piloten sind zwar verpflichtet, vor einem Flug diesen Dienst für ihre vorgesehene Flugroute zu konsultieren. Manch ein Aviatiker unterlässt dies aber.
Es droht der Verlust der Fluglizenz
Dann aber wird es brisant: Der Einflug in ein Flugbeschränkungsgebiet gilt als gefährlicher Eingriff in den Luftverkehr und damit als Straftat. Darauf können bis zu zehn Jahre Haft stehen. Ein Pilot, der in ein Sperrgebiet eingeflogen ist, wird sich zudem kritische Fragen hinsichtlich seiner wohl mangelhaften Flugvorbereitung stellen müssen und womöglich seine Fluglizenz riskieren.
Um den Luftverkehr bei einer Gefährdungslage des Szenario EM-2 zudem besser überschauen zu können, sind rund um Fussball-Spielstätten auch sogenannte Gebiete mit Funkkommunikations- und Transponderpflicht, im Fachjargon RMZ und TMZ, eingerichtet. In diese dürfen Piloten nur einfliegen, wenn sie sich vorher per Funk auf einer festgelegten Frequenz gemeldet haben. Ein sogenannter Transponder muss zudem an Bord sein. Er übermittelt zeitgleich Flughöhe, Kennung, Kurs und Geschwindigkeit an die Flugsicherung.
Die Flugbeschränkungsgebiete zur EM werden von der deutschen Bundespolizei oder womöglich sogar der Luftwaffe überwacht. In der Schweiz haben zur Zeit von Luftraumsperrungen die F/A-18-Kampfjets eigens eine rot aufgemalte Frequenz auf dem Zusatztank unter dem Rumpf stehen. Dort ist auffällig «Standby 121.50» zu lesen, eine Funkfrequenz.
Fliegt ein Pilot im Sichtflug fahrlässig oder unwissend in die verbotene Zone zum WEF über Davos oder nun zur Ukraine-Konferenz über den Bürgenstock und taucht ein Militärflugzeug seitlich von ihm auf, dann sollte der Ertappte diese Frequenz rasch an seinem Funkgerät einstellen. Dadurch kann er Kontakt mit dem Luftwaffenpiloten neben ihm oder aber einer Bodenstelle bekommen. Diese Frequenz ist international für Notfälle gedacht. Über Funk bekommt der erwischte Pilot Anweisungen, was er zu tun hat.
Auch deutsche Hubschrauber der Bundespolizei erhalten zur EM auffällige Aufkleber mit einer Funkfrequenz, wenn sie im Abfangeinsatz sind. Das ermöglicht direkten Funkkontakt zwischen Polizeihelikopter-Crew und unerlaubt eingeflogenen Piloten.