Bei den Trends zu den Interieurs von Linienflugzeugen steht dieses Jahr Nachhaltigkeit im Vordergrund. Höchste Zeit, denn die Branche hinkt weit hinterher.
Die Passagierluftfahrt muss dringend nachhaltiger werden. Flugzeug- und Triebwerkshersteller bemühen sich seit mindestens zwei Jahrzehnten darum und haben spürbare Fortschritte erzielt. Aber Flugzeuge fliegen nicht leer umher, im Gegenteil, ihre Kabinen sind vollgestopft mit Hightech, um möglichst viele Passagiere so bequem, aber auch für die Airlines so profitabel wir möglich um die Welt zu fliegen.
Ein Produkt wie ein Flugzeug vom Anfang bis zum Ende seines Lebenszyklus zu planen, also mit Einbezug der Frage, wie es eines Tages verwertet wird, steckt dagegen erst in den Anfängen. Noch vor wenigen Jahren wurden 45 bis 50 Prozent des Leergewichts eines ausrangierten Flugzeugs nach seiner Zerlegung auf Mülldeponien vergraben – eine notorische Umweltbelastung und Ressourcenverschwendung gleichermassen.
Inzwischen bemühen sich Hersteller wie Airbus und Boeing mehr um das sogenannte Lebensend-Management ihrer Jets, bis zu 93 Prozent des Leergewichts lassen sich bereits wiederverwerten.
Völlig vernachlässigt wurden bisher Recycling und Wiederverwendung von Materialien der Kabineneinrichtung. Da bei Sitzen oft schwer voneinander zu trennende Materialien wie Schaumstoffe, Metall und Kunststoffe verwendet wurden, landeten deren Überreste fast immer auf Deponien.
Die boomende Multi-Millionenbranche der Sitzhersteller kümmerte sich bis jetzt allenfalls darum, zumindest die Economy-Bestuhlung immer leichter zu machen. «Damit erzielen wir in der Lebensdauer eines Flugzeugs die grössten Einsparungen an Emissionen», sagt Mark Hiller, Chef von Recaro Aircraft Seating, einem der führenden Anbieter mit Sitz in Deutschland.
Wog früher ein Economy-Sitz im Schnitt rund zwölf Kilogramm, sind es heute im Schnitt eher um die sieben bis acht Kilo, wenn man Hersteller auf der Aircraft Interiors Expo (AIX) in Hamburg befragt. Die jährliche Flugzeugkabinenmesse im Frühjahr ist die grösste weltweit, Tausende Airline-Vertreter pilgern von überall her an die Elbe, um sich die neuesten Trends anzuschauen.
Wiederverwendung ist so wichtig wie Leichtbau
Ging es bisher oft um immer noch luxuriösere und damit schwerere Edelsitze für die vorderen Klassen, stand in diesem Jahr zum ersten Mal stark der Recycling-Aspekt im Vordergrund.
Recaro bietet ab Oktober erstmals den R-Sitz für die Economy-Class an, darin wird anstelle neuer Materialien zu 80 Prozent Recycling-PVC und -Polyurethanschaum ebenso verwendet wie echtes Holz und als interessantestes Element rezyklierte Fischernetze für die Sitztaschen. «Beim Einsatz von recyceltem Material besteht Potenzial, das gibt es bisher wenig», sagt Firmenchef Mark Hiller.
Als nächster Schritt sollen etwa ein Jahr später Korkelemente, Kaktusleder und nachhaltige Verbundwerkstoffe verbaut werden, sobald diese nach den strengen Bestimmungen vor allem zur Feuerfestigkeit zugelassen sind. Gerade die heute üblichen Kohlefaser-Verbundstoffe sind nur sehr schwierig für die Wiederverwertung aufzubereiten, daher braucht es umweltfreundlichere Lösungen.
«Die nachhaltig gefertigten Sitze kosten etwa zehn Prozent mehr als herkömmliche Sitze gleicher Art, aber bei den Airlines ist die Bereitschaft da, das auch zu bezahlen. Die wollen etwas tun und müssen es auch», sagt Hiller.
Aber insgesamt bleibt die Einführung von Nachhaltigkeit an Bord ein mühsamer Prozess. Airbus hat auf der AIX ihren Plan «Airspace Cabin Vision 2035+» vorgestellt. Damit verbunden ist das Ziel des weltgrössten Flugzeugherstellers, in elf Jahren oder noch später als erster eine Art Kreislaufwirtschaft bei der Kabineneinrichtung zu erreichen, die auf maximaler Recycling- und Nachnutzungsstufe läuft.
«Ja, wir sind langsam beim Management des gesamten Lebenszyklus der Kabine», gibt Ingo Wuggetzer zu, Chef des Kabinenmarketings, «weil wir mit unseren Produkten hohe Sicherheitsanforderungen erfüllen und für eine höhere Recyclingquote das ganze Kabinendesign umstellen müssen.»
Wie das aussehen könnte, zeigt die Firma auch: Sitzbezüge aus rezykliertem Filz und anfallenden Resten aus der Lederproduktion, Wandverkleidungen mit Anteilen von rezykliertem Kunststoff, Kabinenwände und Gepäckfächer nach bionischen Prinzipien aus viel weniger massivem Material, Licht-Streuscheiben mit 20 Prozent erneuerbarem Öl in den dafür genutzten Polymeren.
Die Firma Expliseat fertigt bereits Klapptische aus wiederverarbeiteten Kohlefasern, das sollen und können die Passagiere auch vor sich erkennen. Ein mexikanischer Anbieter plant, Armlehnen aus Abfällen der Maisverarbeitung zu produzieren.
Wasser kann wiederverwendet werden
Manchmal lassen sich Gewichtseinsparungen und Passagierkomfort in einem errreichen: Mehrere Aussteller wie Diehl zeigten neue Systeme, die künftig einen Teil des Wassers vom Händewaschen hygienisch und geruchsneutral als Grauwasser für die Toilettenspülung nutzt. Die Idee wird bereits in japanischen Haustoiletten gepflegt.
Damit lassen sich in einem Grossraumjet 25 Prozent des vorher benötigten Trinkwassers einsparen, was einer Reduktion von etwa 28 Tonnen Treibstoff und 90 Tonnen CO2 pro Jahr entspricht. Hersteller Safran, der ebenfalls Grauwasser in die Spülung pumpt, installiert dank der Gewichtsminderung dafür einen neuen 300-Liter-Trinkwassertank, der einen Wasserspender an Bord speist, um Trinkflaschen zu füllen. Das schafft Nachhaltigkeit auf mehreren Ebenen.
Wer zur AIX kam, um neue Hightech-Luxussitze zu sehen, musste diesmal etwas länger suchen. Einen wirklichen Hingucker gab es aber, dafür haben sich Bordunterhaltungshersteller Panasonic und Sitzlieferant Collins Aerospace zusammengetan und die Projektstudie Maya vorgestellt. Mit ihr ist man nahe an technische Grenzen gegangen – die Abkürzung steht auf Englisch für «das am weitesten Fortgeschrittene, schon Erreichbare».
Das Businessclass-Abteil entspricht bei Maya eher einem privaten, fliegenden Imax-Rundumkino. Sein Clou ist ein gebogener 45 Zoll grosser (114 Zentimeter Bildschirmdiagonale), organischer Leuchtdioden-Bildschirm (Oled), dreimal breiter als üblich, der erste in 21:9-Cinemascope in der Luftfahrt.
Dank einem komplexen System aus Lautsprechern, Mikrofonen und Schalldämmung können Passagiere darin ohne Kopfhörer völlig in Kinoabenteuer eintauchen, und das um 50 Prozent intensiver als im modernsten Kino, werben die Hersteller.
Ob man das beim Fliegen wirklich braucht, ist eine Frage der persönlichen Vorlieben. Jedenfalls versichert Firmensprecher Charlie Hampton: «Die Airlines stehen hier Schlange, alle wollen das haben.» Ein paar Jahre wird es aber noch dauern, bis es heisst: «Demnächst in diesem fliegenden Kino.»