Es ist eines der schwierigsten und bis heute nicht restlos gelösten Probleme der Pandemie: Long Covid. Was genau ist das? Welche Risikofaktoren gibt es? Und wie kann man die Störung diagnostizieren? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Eine Spätfolge der Corona-Infektion bereitet vielen Menschen Sorgen und gibt der Wissenschaft Rätsel auf: Long Covid. Betroffene vereint, dass sie nach einer überstandenen Covid-Erkrankung an Folgeschäden leiden, die ihnen die Rückkehr in den Alltag erschweren oder sogar unmöglich machen.
Nun hat eine internationale Forschergruppe unter der Leitung von Wissenschaftern der Universität Zürich einen Bluttest vorgestellt, mit dem man die Long-Covid-Diagnose künftig möglicherweise auf eine objektive Grundlage stellen kann. Die Arbeit ist soeben in der Fachzeitschrift «Science» erschienen. Von unbeteiligten Wissenschaftern wird sie als eine der umfangreichsten und detailliertesten Studien der Long-Covid-Forschung bezeichnet.
Wie lässt sich Long Covid im Blut erkennen?
Charakteristisch für die Störung sind laut den Forschern bestimmte Eiweissstoffe im Blut, die sich messen lassen. Das internationale Team hat für seine Studie mehr als 6500 solcher Biomarker bei Patienten mit Long Covid analysiert. Was sie bei den Patienten bei den regelmässigen Messungen fanden, unterschied sich von dem, was sie im Blut von Personen fanden, die nach der Corona-Infektion keine Langzeitprobleme entwickelten.
Das ermittelte Protein-Profil bei den Long-Covid-Patienten sprach für eine erhöhte Aktivität im sogenannten Komplementsystem. Das ist ein Teil der angeborenen Immunantwort. Zudem identifizierten die Forscher bei den Patienten mit lange anhaltenden Covid-Beschwerden Biomarker für Gewebeschäden und eine verstärkte Blutgerinnung. Beides begünstigt die Entzündung von Blutgefässen und die Bildung von Blutgerinnseln in den Gefässen. Weil die Blutgefässe den ganzen Körper durchziehen, können bei Long Covid praktisch alle Organe betroffen sein. Entsprechend vielfältig sind die Symptome der Betroffenen.
Warum es allerdings bei einigen Covid-Patienten zu einer solchen Fehlregulation des Immunsystems mit erhöhter Entzündungsreaktion kommt und bei anderen nicht, ist noch nicht vollständig geklärt. Eine wichtige Hypothese besagt, dass dabei die Reaktivierung von Herpesviren im Körper eine Rolle spiele. Für diese Erklärung spricht, dass die Forscher bei ihren Patienten spezifische Antikörper gegen diese Viren gefunden haben.
Ist künftig eine sichere Diagnose von Long Covid möglich?
Nein – und das aus mehreren Gründen. Erstens sind die Symptome bei Long Covid nicht spezifisch. Das heisst, sie können auch durch andere Ursachen und Krankheiten bedingt sein. Zweitens sind die in der Studie untersuchten Long-Covid-Patienten alle schwer erkrankt, nachdem sie sich mit dem neuen Coronavirus infiziert hatten. Man weiss aber, dass andere Patienten mit Long Covid ursprünglich einen milden Krankheitsverlauf hatten. Ob sich bei ihnen ein ähnlicher molekularer «Fingerabdruck» im Blut nachweisen lässt, ist unbekannt. Das neue Testverfahren – es ist noch weit davon entfernt, in der ärztlichen Routine eingesetzt zu werden – könnte somit vor allem bei Corona-Patienten mit schwerer Infektion hilfreich sein. Entwickeln diese Personen im weiteren Verlauf Symptome, die auf Long Covid hindeuten, könnte der Bluttest die vermutete Diagnose bestätigen.
Wann spricht man eigentlich von Long Covid?
Es gibt zwei Definitionen, die aber nicht einheitlich verwendet werden. Ärztinnen und Ärzte sprechen von einer Long-Covid-Erkrankung, wenn die Symptome mehr als vier Wochen nach der Akutinfektion anhalten. Zunehmend taucht der Begriff Post-Covid-Syndrom auf, wenn die Probleme auch nach zwölf Wochen noch vorhanden sind oder neue Beschwerden hinzugekommen sind. Für die Diagnose sind weder die Anzahl der Symptome noch deren Schwere entscheidend.
Welche Symptome sind typisch für Long Covid?
Es gibt eine sehr lange Liste. Die in Studien am häufigsten genannten Symptome sind Atemnot, Schmerzen an unterschiedlichen Stellen im Körper, ausgeprägte Erschöpfung, auch Fatigue genannt, verringerte körperliche Leistungsfähigkeit, Husten, kognitive Beeinträchtigungen wie Konzentrationsstörungen oder Vergesslichkeit sowie anhaltende Störungen des Geruchs- und Geschmackssinns. Aber auch Durchfall, Nierenprobleme, Herzrhythmus- und Blutgerinnungsstörungen sowie Haarausfall werden regelmässig gemeldet. Dies zeigt, dass eine Vielzahl von Organen betroffen sein kann, in manchen Fällen auch mehrere gleichzeitig.
Die Dauer und die Schwere von Long Covid und somit die dadurch ausgelösten Beeinträchtigungen des täglichen Lebens fallen sehr unterschiedlich aus. So gibt es jene Patienten, die sich auch nach über einem Jahr nur mit dem Rollator fortbewegen oder nicht gleichzeitig reden und stehen können. Und am anderen Ende der Skala gibt es Long-Covid-Betroffene, die «nur» für einige Wochen Husten, Brustschmerzen und eine eingeschränkte Fitness haben.
Wie viele Sars-CoV-2-Infizierte entwickeln Long Covid?
Hier gehen die Angaben weit auseinander. Das Spektrum reicht von 10 bis 80 Prozent, es wurden jeweils sowohl Spitalpatienten als auch andere beobachtet. Referenten des Jenaer Kongresses gehen davon aus, dass nur drei von zehn an Covid Erkrankten ein Jahr nach dem Spitalaufenthalt wieder voll fit sind.
Die bis anhin vorliegenden Daten zeigen: Je schwerer die Covid-19-Erkrankung war, desto höher ist das Risiko für Long Covid. Von den Personen, die Covid-19 zu Hause auskuriert hatten, meldeten weniger als ein Prozent ein Jahr nach der Infektion weiterhin Symptome. Bei den intensivmedizinisch betreuten Corona-Patienten waren es hingegen rund 21 und bei jenen, die «nur» hospitalisiert worden waren, 11 Prozent.
Allerdings variieren Daten in den einzelnen Studien und auch in unterschiedlichen Ländern erheblich. Denn zum einen ist Long Covid nicht klar definiert. Zum anderen ist die Gruppe der asymptomatisch und damit oftmals auch unerkannt Erkrankten schwer bezifferbar. Daher weiss man derzeit nicht, wie viele dieser Personen Long Covid oder Post Covid entwickeln.
Haben auch Kinder Long Covid?
Ärztinnen und Forscher glauben ja, aber seltener als Erwachsene. Neue Untersuchungen von Gruppen aus Dresden sowie Genf zeigen, dass in den ersten Monaten nach der Corona-Infektion bis zu zehn Prozent der älteren Kinder und Jugendlichen Long Covid entwickeln. Kinder unter zehn Jahren waren äusserst selten betroffen. Laut der Dresdner Studie litten die Kinder vor allem unter Müdigkeit und Erschöpfung, Husten sowie Hals- und Brustschmerzen. Psychische Probleme waren zudem etwas häufiger als bei Erwachsenen – was allerdings auch an der generellen Pandemiesituation gelegen haben könnte, geben Experten zu bedenken. Das Team aus Genf ermittelte als Hauptprobleme Bauch-, Muskel- und Kopfschmerzen, zudem Konzentrationsstörungen und Geruchsverlust.
Kennt man Auslöser von Long Covid?
Manche. Starke Beschwerden nach einer Corona-Infektion können zumindest teilweise auch auf einen schweren Krankheitsverlauf zurückgehen. Das ist dann der Fall, wenn die Betroffenen Organschäden davontragen, etwa Vernarbungen in der Lunge oder im Herzen oder auch Beeinträchtigungen der Nierenfunktion.
Ein grosses Rätsel für Ärztinnen und Therapeuten bleibt demgegenüber, wie Konzentrationsverlust, geringe körperliche wie psychische Belastbarkeit oder Fatigue entstehen, für die keine Organschäden nachweisbar sind. Ebenso ist unerklärlich, warum diese Leiden auch nach einer leichten Covid-19-Erkrankung auftreten können.
Man müsse die Facharztbrille absetzen und wahrnehmen, dass es ganz unterschiedliche Formen von Long Covid mit jeweils anderen Ursachen gebe, sagen immer mehr Expertinnen und Experten. Es müsse also eine detaillierte, individuelle Diagnostik und Therapie geben.
Bei manchen Betroffenen rufen anhaltende Entgleisungen des Immunsystems die Beschwerden hervor. Untersuchungen haben gezeigt, dass sowohl Immunzellen, die für die Bekämpfung von Erregern zuständig sind, als auch jene, die nach der akuten Kampfphase für die Beruhigung der Lage sorgen, nicht mehr richtig funktionieren. Vermutlich werden zuerst zu wenig Viren erledigt. Danach kommt es zu einer Art Dauerentzündung. Daneben könnten auch im Körper verbleibende Virenpartikel den Körper in anhaltende Alarmstimmung versetzen und zur Dauerentzündung beitragen.
Bei manchen Betroffenen wurde nach der Corona-Infektion eine erhöhte Menge an sogenannten Autoantikörpern festgestellt. Diese greifen Zellen in diversen Geweben an. Es kommt zu Organschäden. Derzeit geht die Mehrheit der Forscher allerdings davon aus, dass Long Covid nicht in jedem Fall eine Autoimmunerkrankung ist.
Bei anderen Long-Covid-Patientinnen und -Patienten haben sich nach der Corona-Infektion Störungen der Blutgerinnung entwickelt. Es kommt zu Unmengen von winzigen Gerinnseln, die sich in den Endverzweigungen der Blutbahnen verfangen und den Geweben gleichsam die Luft abschnüren.
Ferner wird darüber diskutiert, ob Sars-CoV-2 andere im Körper schlafende Viren wie zum Beispiel Herpesviren aufwecken kann. Das durch die Corona-Infektion erschöpfte Immunsystem kann diesem neuen Ansturm nicht standhalten. Somit können die erwachten Viren Organschäden auslösen. Last, but not least wurden schädliche Veränderungen im Gehirn wie zum Beispiel der Verlust von Nervenzellen nach einer Corona-Infektion festgestellt. Und es gibt Hinweise, dass die Coronaviren die Darmflora durcheinanderbringen.
Welche Therapien gibt es schon?
Bei Organschäden lassen sich in den allermeisten Fällen mit konkreten Therapien die Folgen zumindest abmildern. Auch Muskelschwäche, verursacht durch langes Liegen im Spital, oder Schluck- und Atembeschwerden nach künstlicher Beatmung können durch gezieltes Muskeltraining behoben werden.
Hingegen fehlen standardisierte Behandlungen für Fatigue und viele der anderen Symptome. Bei manchen Betroffenen halfen eine Blutwäsche oder Substanzen, die spezifisch Autoantikörper abblocken. Vorerst sind solche Behandlungen nur bei wenigen Patienten als experimentelle Therapie getestet worden. Derzeit werden klinische Studien dazu vorbereitet. Andere Patientinnen und Patienten profitieren von Energiemanagement- oder Atemtherapien oder auch von psychotherapeutischen Ansätzen. Es gibt mittlerweile Kliniken, die sich speziell mit der Linderung von Long Covid befassen.
Kennt man Risikofaktoren für Long Covid?
Mittlerweile: ja. So hat das Team des Universitätsspitals Zürich herausgefunden, dass ein höheres Alter, eine schwere Covid-19-Erkrankung sowie Asthma das Risiko erhöhen, Long Covid zu entwickeln. Zudem spielt die Ausstattung des Immunsystems eine grosse Rolle. Wenn nämlich die Betroffenen während der akuten Sars-CoV-2-Infektion gewisse Entzündungsstimulatoren in höheren Mengen, aber manche Antikörpertypen in geringeren Konzentrationen produzieren, erhöht sich ihr Risiko für Long Covid deutlich.
Auch ein Diabetes Typ 2, eine Epstein-Barr-Infektion oder die aufgenommene Menge an Sars-CoV-2 sind zudem laut US-Forschern aus Seattle Risikofaktoren für Long Covid. Gefährdet sind auch Personen, die gewisse Autoantikörper schon vor der Ansteckung aufweisen. Diese Daten deuten darauf hin, dass Abnormalitäten im Immunsystem eine wichtige Rolle bei der Ausprägung von Long Covid spielen. Manche Studien berichten, dass davon mehr Frauen als Männer betroffen sind.
Verhindert eine Impfung Long Covid?
Nur teilweise. Dass die Impfung zumindest manche Personen vor Long Covid schützt, erklären Virologen folgendermassen: Eine Impfung verhindert zwar nicht immer eine Infektion. Aber sie reduziert die Menge an im Körper zirkulierenden Viruspartikeln und damit das Risiko für eine schwere Covid-19-Erkrankung. Eine Impfung ist laut derzeitigem Stand des Wissens keine Therapie, weder gegen Long Covid noch gegen das Post-Covid-Syndrom.