Eine Ursache für anhaltenden Geruchsverlust gefunden. Booster mit angepassten Vakzinen bringen Zusatznutzen. Bei Hamstern könnte eine Grippe gegen Covid helfen. Diese und weitere Ergebnisse aus der Forschung zu Sars-CoV-2 und Covid-19.
Im Frühjahr 2020 wussten wir noch nichts vom Coronavirus und konnten nicht ahnen, wie stark es unser aller Leben beeinflussen würde. Seither ist die Welt eine andere geworden. Die Flut von wissenschaftlichen Studien, die sich mit Sars-CoV-2 und Covid-19 befassen, ist kaum noch zu überschauen. Damit Sie den Überblick behalten, berichten wir in diesem Blog über eine Auswahl von Publikationen.
Die neusten Ergebnisse finden Sie jeweils am Anfang des Artikels.
25. Februar: Gehirnnebel bei Long Covid wohl durch Störung der Blutversorgung im Hirn verursacht
(dpa) Mediziner haben eine körperliche Ursache für den sogenannten Gehirnnebel bei Long-Covid-Patienten gefunden. Demnach verursacht die Virusinfektion eine Störung des Blutversorgungssystems im Gehirn. Die Blutgefässe werden durchlässiger und können das Gehirn schlechter von Krankheitserregern, Giften und anderen Substanzen im Blut abschirmen, berichtet die Forschergruppe um Matthew Campbell vom Trinity College Dublin und Colin Doherty vom St James’s Hospital in Dublin (Irland) im Fachmagazin «Nature Neuroscience».
«Zum ersten Mal konnten wir zeigen, dass undichte Blutgefässe im menschlichen Gehirn zusammen mit einem hyperaktiven Immunsystem die Hauptursache für Gehirnnebel im Zusammenhang mit Long Covid sein können», erklärte Campbell. Er und seine Kollegen hatten bereits in der Anfangsphase der Corona-Pandemie im März und April 2020 begonnen, diese auch als Brain Fog bekannte Form der Bewusstseinstrübung zu untersuchen, durch die Analyse von Blutproben von 76 Covid-Patienten des St James’s Hospital. Sie fanden erhöhte Werte des Proteins S100-Beta, das unter anderem ein Marker für eine gestörte Blut-Hirn-Schranke ist.
Als Blut-Hirn-Schranke wird die Grenze zwischen Blutstrom und Zentralnervensystem bezeichnet. Durch spezielle Zellen, die der Gefässwand aussen anliegen, können nur bestimmte Stoffe ins Gehirn übertreten. Dadurch wird das Hirn vor schädlichen Stoffen und Krankheitserregern geschützt. Wenn die Blut-Hirn-Schranke gestört ist, gelangen Substanzen ins Gehirn, die sonst abgeschirmt werden.
Den genauen Mechanismus der Schwächung dieses Systems konnten die Forscher noch nicht aufklären. Die Störung der Blut-Hirn-Schranke machten sie auch mittels bildgebender Verfahren sichtbar. Dafür nutzten sie eine besondere Art der Magnetresonanztomografie (MRT), die dynamische kontrastmittelbasierte Perfusions-MRT. Gemessen wird dabei, in welcher Weise ein Kontrastmittel durch ein Gewebe fliesst. Die speziellen MRT-Aufnahmen zeigen, dass bei den Gehirnnebel-Patienten mehr Kontrastmittel in das Hirngewebe ausserhalb der Blutkapillaren gelangt.
Campbell, Doherty und Kollegen sind überzeugt, dass Corona nicht die einzige Virusinfektion ist, die auf diese Weise das Gehirn schädigt. «Die Ergebnisse werden nun wahrscheinlich die Art und Weise verändern, wie wir postvirale neurologische Erkrankungen verstehen und behandeln», sagte Doherty. In den vergangenen Jahren habe sich gezeigt, dass bei vielen neurologischen Erkrankungen – etwa Multipler Sklerose (MS) – wahrscheinlich eine Virusinfektion der auslösende Faktor für die Erkrankung sei, heisst es in der Mitteilung des Trinity Colleges. Welche Rolle die Blut-Hirn-Schranke dabei spielt, wird von den Studienautoren aktuell genauer untersucht.
31. Januar: Einige Autoimmunerkrankungen könnten Covid-Spätfolge sein
(dpa) · Nach Erkenntnissen von deutschen Forschern haben Menschen nach überstandener Covid-19-Infektion deutlich häufiger eine Autoimmunerkrankung als andere. Grundlage für diese Aussage ist eine umfangreiche Analyse von Krankenversicherungsdaten. «In allen Alters- und Geschlechtsgruppen traten Autoimmunkrankheiten in der Zeit nach der Infektion signifikant häufiger auf», sagte Jochen Schmitt vom Universitätsklinikum Dresden.
In die Studie eingeschlossen wurden laut den Forschern ungeimpfte Betroffene, die eine nachgewiesene Corona-Infektion mit dem Wildtyp des Virus hatten. Erkenntnisse über andere Varianten des Virus gebe es derzeit nicht.
Gemäss der Analyse kamen bei Menschen mit Corona-Infektion gut 15 Diagnosen einer Autoimmunerkrankung auf 1000 Versichertenjahre, bei Personen ohne Corona-Infektion waren es gut 10 Diagnosen. Patienten mit einem schwereren Corona-Verlauf hatten ein besonders hohes Erkrankungsrisiko. Bestimmte autoimmune Entzündungen der Blutgefässe wiesen den grössten statistischen Zusammenhang mit Covid-19 auf. Die Ergebnisse sind noch nicht in einem Fachjournal veröffentlicht worden.
Ausgewertet wurden Abrechnungsdaten der Jahre 2019 bis Juni 2021 von knapp 39 Millionen gesetzlich versicherten Personen. In die Analyse gingen die Daten von 640 000 Patienten mit labormedizinisch nachgewiesener Covid-19-Erkrankung im Jahr 2020 ein, unter ihnen auch 76 000 mit vorher bestehender Autoimmunerkrankung. Von den Covid-Patienten, die zuvor keine Autoimmunerkrankung hatten, entwickelten 6489 erstmals eine solche Krankheit. Bei den Nichtinfizierten – die Vergleichsgruppe bestand aus Menschen mit ähnlichen Eigenschaften und ähnlichen Vorerkrankungen – war die Häufigkeit einer neuen Autoimmunkrankheit ein Drittel tiefer.
Die Studie ist Teil eines vom Robert-Koch-Institut und von der deutschen Regierung geförderten Projekts zu Langzeitfolgen von Covid. Bisher habe es erst wenige Anhaltspunkte für Autoimmunerkrankungen durch Corona-Infektionen gegeben, schreibt das Team.
22. Dezember: Bei anhaltendem Geruchsverlust fehlen Nervenzellen in der Nasenhöhle
slz. · Das Essen riecht und schmeckt nach nichts, das geliebte Parfum stinkt plötzlich nach toter Ratte – Verluste oder Veränderungen des Geruchs- und Geschmackssinns sind typische Symptome einer Covid-19-Erkrankung. Bei zehn bis fünfzehn Prozent der Betroffenen halten diese Aussetzer über mehrere Monate an. Eine neue Untersuchung liefert nun eine Erklärung dafür.
Ein Forscherteam der Duke University in Durham hat von 24 Personen Riechgewebe aus der Nasenhöhle entnommen. In diesem Gewebe befinden sich Nervenzellen, die spezielle Sensoren besitzen und somit Gerüche detektieren. Die Nervenzellen sind eingebettet in Helferzellen. Letztere liefern Nährstoffe, entsorgen Giftstoffe und bilden ein stützendes Gerüst.
Bei den Covid-19-Patienten der Studie, die nach der Akutinfektion unter anhaltendem Geruchsverlust litten, hatte sich im Riechgewebe eine Entzündung breitgemacht. Es tummelten sich dort spezielle Immunzellen, die eine Entzündung stimulieren. Diese Zellen sind im Normalfall nicht im Riechgewebe zu finden. Zudem gab es viel weniger Zellen, die eine Entzündung dämpfen, oder solche, die Gewebeschäden reparieren können. Aktive Coronaviren oder Virenreste wurden hingegen nicht gefunden.
Die Entzündung im Riechgewebe war für die Betroffenen nicht direkt spürbar. Sie hatten keine Schmerzen in der Nasenhöhle und auch keine dauerhaft juckende oder tropfende Nase.
Aber die leichte Dauerentzündung veränderte die Helferzellen. Offenbar konnten sie die Nervenzellen dadurch nicht mehr ausreichend unterstützen. Denn in den analysierten Gewebeproben fehlten Riechnervenzellen. Dieser Mangel könne zu einem veränderten Geruchssinn oder gar zum völligen Geruchsverlust führen, schlussfolgern die Forscher.
Die neuen Erkenntnisse bestätigen, was Ärztinnen und Wissenschafter weltweit bei Long-Covid-Patienten beobachtet haben: In diversen Organen gibt es meist nicht besonders schwere, aber anhaltende Entzündungen. Und diese beeinträchtigen die Funktion der betroffenen Organe.
Viele Arbeitsgruppen versuchen derzeit herauszufinden, wie man diese Entzündungen mildern oder gar beenden könnte. Für Tests – und damit auch spätere Therapien – eignet sich die Nasenhöhle sehr gut. Denn hier können Substanzen direkt durch Sprays oder Salben am Ort des Geschehens aufgetragen werden.
21. Oktober: Angepasste Corona-Impfstoffe bilden eine spezifische Abwehreinheit gegen neue Varianten
slz. · Zwei Studien zu Auffrischungsimpfungen (Booster) mit angepassten Corona-Vakzinen machen Hoffnung, dass diese einen echten Zusatznutzen bieten, sprich eine spezifische Abwehr gegen neue Varianten verleihen.
Bei vielen Menschen ist das Immunsystem mittlerweile durch vorangegangene Impfungen oder Infektion mit dem Coronavirus etwas vertraut. Es hat sich bereits ein Arsenal an Anti-Corona-Antikörpern gebildet. Die grosse Frage ist nun, ob das Immunsystem beim Kontakt mit einer neuen Corona-Variante einfach die erprobten Kämpfer zusammentrommelt und losschickt. Oder ob es in der Lage ist, die kleinen Unterschiede im Aussehen des Feindes zu erkennen, und zusätzlich auch gänzlich neue Abwehrkämpfer bildet, die gezielt gegen die neue Variante gerichtet sind.
Offenbar ist Letzteres der Fall. Zwar aktiviert gemäss den Analysen des Teams um Ali Ellebedy von der University of St. Louis das Immunsystem nach einer Auffrischungsimpfung mit einem angepassten Corona-Impfstoff vorwiegend die bewährten Kämpfer. So löste ein Booster von der Firma Moderna mit einem an die Omikron-Variante BA.1 angepassten Impfstoff vorwiegend die Bildung einer grossen Menge von zuvor bereits kursierenden Antikörpern aus. Diese waren nach den ersten Impfungen entstanden.
Doch es wurde zusätzlich auch eine kleine Menge von gezielt gegen die BA.1-Omikron-Viren gerichteten Antikörpern gebildet. Ein anderes amerikanisches Forscherteam hat gezeigt, dass auch Personen, die mit einem der alten Impfstoffe geimpft worden waren und danach eine Omikron-BA.1-Infektion durchmachten, neue, spezifisch gegen BA.1 gerichtete Antikörper gebildet hatten.
Beide Forscherteams sind somit davon überzeugt, dass unser Immunsystem flexibel ist und uns der an eine neue Corona-Variante angepasste Impfstoff besser gegen diese Variante schützt als die alten Vakzine. Das spricht dafür, dass jeweils an die in einem Land gerade zirkulierenden Corona-Varianten angepasste Impfstoffe als Auffrischungsimpfung verwendet werden sollten. Allerdings hält auch der Schutz vor einer Infektion nach einem solchen Booster nur wenige Monate an.
27. September: Neue Erkenntnisse zur seltenen Impfnebenwirkung Herzmuskelentzündung
NvL. · Schon bald nach Beginn der Impfkampagne zeichnete sich ab, dass die mRNA-Vakzine in seltenen Fällen zu Herzmuskelentzündungen führen, und das vornehmlich bei männlichen Teenagern und jungen Männern. Meist klingt diese impfbedingte Myokarditis nach wenigen Wochen wieder ab.
Worauf genau die Entzündungen zurückgehen, liegt noch weitgehend im Dunkel. Eine wachsende Zahl von Beobachtungen spricht gleichwohl dafür, dass sie mit Autoimmunreaktionen zu tun haben könnten. Diesen Verdacht nähren nun auch die Ergebnisse einer Studie von Wissenschaftern um Lorenz Thurner von der Universität des Saarlandes in Homburg.
Die Erkenntnisse der Forscher stützen sich auf Untersuchungen bei 61 Jugendlichen und Erwachsenen, die nach der (zumeist zweiten) Corona-Impfung medizinische Hilfe in Anspruch genommen hatten, wegen Symptomen, die auf eine Herzmuskelentzündung hindeuteten. Um eine sichere Diagnose stellen zu können, ordneten die Ärzte in allen Fällen eine Gewebeuntersuchung beim Herzen an. Bei 40 Probanden wurde der Verdacht auf eine Myokarditis daraufhin bestätigt, bei den übrigen 21 nicht.
Weitergehende Analysen zeigten, dass ein knappes Drittel der Myokarditis-Patienten Abwehrstoffe (Antikörper) gegen ein spezifisches körpereigenes Protein – und zwar gegen den Interleukin-1-Rezeptor-Antagonisten (IL-1-RA) – im Blut aufwies. Die Entzündungsreaktionen im Körper der Betroffenen waren dabei umso ausgeprägter, je geringer die Konzentration von freiem IL-1-RA im Blut war und je grössere Mengen dieses Proteins der destruktive Antikörper – genauer Autoantikörper, da dieser körpereigenes Gewebe attackiert – abgefangen hatte.
Alle Patienten mit solchen aggressiven Autoantikörpern im Blut waren männlich und fast alle jünger als 21 Jahre. Was die Aufgaben des attackierten Immunproteins angeht, hemmt IL-1-RA überschiessende Entzündungsreaktionen und trägt auf diese Weise dazu bei, dass das Immunsystem bei einer feindlichen Attacke nicht aus den Fugen gerät.
Die gleichen Autoantikörper wie bei den jungen Männern mit impfbedingter Myokarditis hatten die Forscher zuvor bei einer weiteren Gruppe von Patienten entdeckt. Dabei handelte es sich um Personen, bei denen es infolge einer Corona-Infektion zu schweren Entzündungsreaktionen gekommen war.
Die Wissenschafter vermuteten zunächst, dass das Immunsystem der Betroffenen möglicherweise bestimmte Oberflächenstrukturen von IL-1-RA mit solchen des Spike-Proteins verwechselt – also jenes Stachels in der Hülle des Coronavirus, gegen den die Impfstoffe mobilmachen – und das entzündungshemmende Protein daher angreift.
Denn sowohl bei einer Infektion mit Sars-CoV-2 als auch bei der Impfung gegen dieses Virus kommt der Organismus mit grossen Mengen des Spike-Proteins in Berührung. Nach einer solchen Kreuzreaktion hätten sie aktiv gesucht, schreiben die Studienautoren in einem Brief an die Herausgeber des «New England Journal of Medicine». Sie hätten jedoch keinen Hinweis auf einen derartigen Irrtum des Immunsystems gefunden.
Wie die Erkenntnisse der Forscher vielmehr nahelegen, kann eine schwere Corona-Infektion und in seltenen Fällen auch die Impfung zu strukturellen Veränderungen von IL-1-RA führen. Diese werden vom Abwehrsystem als fremdartig erkannt und daher bekämpft. Wie die besagten Veränderungen von IL-1-RA genau zustande kommen und ob sie zur Ausbildung von impfbedingten Herzmuskelentzündungen einerseits und schweren Entzündungen im Zusammenhang mit Covid-19 andererseits beitragen, geht aus den Untersuchungen der Wissenschafter nicht hervor. Angesichts des enormen Interesses an einer Klärung dieser Fragen bleibt zu hoffen, dass sich hierauf in naher Zukunft eine Antwort finden lässt. Dies würde es möglicherweise erlauben, Mittel und Wege zu finden, mit denen sich die unerwünschten Reaktionen verhindern oder behandeln lassen.
15. August: Die neueren Virusvarianten haben bei Kindern die Probleme reduziert
ni. · Wie man schon länger weiss, können auch Kinder schwer an Covid-19 erkranken und von Long Covid geplagt sein. Beides ist aber deutlich seltener als bei Erwachsenen. Wie gross die Probleme bei Minderjährigen tatsächlich sind, legen zwei neue, grosse Studien aus den USA nahe. Die erste, in der Fachzeitschrift «Pediatrics» erschienene Arbeit zeigt, dass 7 Prozent der hospitalisierten Kinder mit Covid-19 neurologische Symptome entwickelten. Am häufigsten waren Krämpfe, die teilweise auf hohes Fieber zurückzuführen waren. Bei einigen Kindern stellten die Ärzte auch eine Hirnerkrankung fest.
Die von Forschern der Vanderbilt University in Nashville geleitete Untersuchung berücksichtigt mehr als 15 000 Covid-Patienten im Alter von 2 Monaten bis 17 Jahren. Sie alle waren zwischen März 2020 und März 2022 in 52 amerikanischen Kliniken behandelt worden. Mehr als ein Drittel der hospitalisierten Kinder litt bereits vor der Covid-Erkrankung an einer chronischen Krankheit, und bei jedem zehnten Kind bestand schon eine neurologische Diagnose.
Wie die Studienergebnisse zeigen, mussten Kinder mit neurologischen Covid-Komplikationen länger hospitalisiert und eher auf die Intensivstation verlegt werden als Kinder ohne solche Probleme. Zudem war ihre Sterberate dreimal so hoch (1,8 Prozent gegenüber 0,6 Prozent).
Die weitere Analyse der Daten ergab, dass Kinder, die während des Ausbruchs mit der Delta-Variante von Sars-CoV-2 hospitalisiert werden mussten, seltener neurologische Komplikationen entwickelten als Kinder, die sich mit dem ursprünglichen Covid-Erreger infiziert hatten.
Der Grund dafür sei unklar, schreiben die Forscher. Sie vermuten aber, dass beim Delta-Ausbruch schon viele Kinder eine Immunität gegen das neue Coronavirus aufgebaut hatten – sei es durch frühere Infektionen oder durch die Impfung. Falls diese Einschätzung stimme, dürften auch die nachfolgenden Virusvarianten wie Omikron mit einem niedrigen Risiko für neurologische Komplikationen verbunden sein, schreiben die Forscher weiter.
Die zweite Studie, die im «Pediatric Infectious Disease Journal» erschienen ist, beschäftigt sich mit der Häufigkeit von Long-Covid bei nicht hospitalisierten Kindern. Forscher der University of Texas in Houston analysierten dafür die Daten einer Antikörper-Studie, bei der bei Personen im Alter von 5 bis 90 Jahren alle sechs Monate nach den Zeichen einer durchgemachten Covid-19-Infektion gefahndet wird. Für den Untersuchungszeitraum von Oktober 2020 bis Mai 2022 registrierten sie gut 1800 nicht hospitalisierte Covid-Patienten. Nur 82 Fälle betrafen Kinder.
Wie die Arbeit zeigt, hatten Kinder in allen Altersgruppen ein deutlich tieferes Long-Covid-Risiko als Erwachsene. Je etwa die Hälfte der Kinder und Jugendlichen mit Long Covid war 10 bis 14 beziehungsweise 15 bis 19 Jahre alt. Für anhaltende Covid-Symptome über zwölf Wochen hinaus konnten die Wissenschafter drei Risikofaktoren identifizieren: So waren viele der betroffenen Kinder und Jugendlichen initial schwer an Covid erkrankt, waren oft schwer übergewichtig und nicht gegen das Coronavirus geimpft.
Auch in dieser Studie zeigt sich: Kinder und Jugendliche, die sich vor der Delta-Welle mit dem Coronavirus infizierten, hatten ein höheres Risiko, Long Covid zu entwickeln. Danach ging das Risiko für anhaltende Krankheitssymptome zurück.
14. Juli: Hilft eine Grippe gegen Covid?
ni. · Eine neue Studie bei Hamstern kommt zu einem Ergebnis, das einen im Hinblick auf den kommenden Herbst zuversichtlich stimmen könnte. Gemäss der im «Journal of Virology» erschienenen Arbeit hatten Versuchstiere einen Vorteil, wenn sie nicht nur mit dem Covid-Erreger infiziert waren, sondern gleichzeitig auch mit dem Grippevirus. Bei einer solchen Co-Infektion hatte das Coronavirus laut den amerikanischen Forschern mehr Mühe, sich in den Lungenzellen der Tiere zu vervielfältigen, als wenn der Grippeerreger nicht vorhanden war.
So stellten die Wissenschafter bei einigen Tieren, die zuvor mit beiden Erregern infiziert worden waren, eine niedrigere Menge an Coronaviren fest als bei Tieren, die nur mit Sars-CoV-2 angesteckt waren. Besonders interessant: Der schützende Effekt hielt bei den Goldhamstern mehr als eine Woche nach der Infektion mit einem Influenzavirus des Typs A an. Umgekehrt hatte die Corona-Infektion keinen Einfluss auf die Vervielfältigung der später in die Tiere eingebrachten Grippeviren.
Als Grund für die reduzierte Coronavirus-Replikation bei gleichzeitiger Grippeinfektion vermuten die Forscher die körpereigene Substanz Interferon. Der Eiweissstoff ist Teil des angeborenen Immunsystems und wirkt stark antiviral. Dass eine Grippeinfektion zu einer starken Interferon-Antwort führt, war bereits bekannt. Sie könnte die Vermehrung des Coronavirus in den Zellen hemmen.
Zusammenfassend deuten die amerikanischen Studiendaten darauf hin, dass eine Co-Infektion mit Sars-CoV-2 und dem Grippeerreger bei Hamstern nicht zu einer schwereren Erkrankung führt, sondern eher mit einem milderen Verlauf assoziiert sein dürfte. Ob dies allerdings auch bei Menschen mit Doppelinfektion zu erwarten ist, ist laut Fachleuten, die nicht an der Hamster-Studie beteiligt waren, mehr als unsicher. Denn erstens seien Menschen keine Hamster. Und zweitens zeigten die bisherigen klinischen Studien eher ein gegenteiliges Bild.
So hatten Forscher in Grossbritannien bei knapp 7000 Covid-Patienten nach einer Doppelinfektion mit Influenza und weiteren respiratorischen Erregern wie Adenoviren und RSV gesucht. Bei gut 8 Prozent der Patienten wurden sie fündig, wie die Wissenschafter in ihrer im April in der Fachzeitschrift «The Lancet» veröffentlichen Studie schreiben. Waren bei den Patienten noch Influenza- oder Adenoviren im Spiel, hatten diese ein mässig erhöhtes Risiko, im Spital beatmet zu werden und zu sterben.
Weil beide Erkrankungen – Grippe wie auch Covid – bei Risikopersonen mit schweren bis tödlichen Komplikationen einhergehen können, gibt es für Fachleute nur eine Handlungsempfehlung: Im Herbst und Winter sollten gefährdete Personen sich impfen lassen – und zwar gegen Sars-CoV-2 und gegen die saisonale Influenza.
9. Juni: Corona-Infektion der Mutter wirkt sich möglicherweise auf die Entwicklung des Ungeborenen aus
evg. · In den letzten zwei Jahren haben sich weltweit Tausende Schwangere mit dem Coronavirus infiziert. Daher gehen Wissenschafter seit längerem der Frage nach, wie sich eine Infektion auf die Entwicklung des Kindes auswirkt. Nun sind erste Resultate dazu im Fachjournal «Jama Network Open» veröffentlicht worden. Doch diese Ergebnisse müssen mit Vorsicht interpretiert werden.
Analysiert wurden die Krankengeschichten von Müttern mit ihren Kindern aus sechs amerikanischen Spitälern. 222 Mütter waren während der Schwangerschaft positiv auf Sars-CoV-2 getestet worden. Im Vergleich dazu standen 7550 Babys, deren Mütter während der Schwangerschaft nicht infiziert gewesen waren. Bei 6,3 Prozent der Kinder, deren Mütter sich infiziert hatten, war bis zum Alter von 12 Monaten eine unspezifische neurologische Entwicklungsstörung diagnostiziert worden. Von den Kindern der nicht infizierten Mütter hatten nur 3 Prozent eine neurologische Entwicklungsstörung.
Doch Forscher sind sich einig, dass diese ersten Resultate mit Vorbehalt interpretiert werden müssen. Kritisch wird vor allem die Auswahl der Stichprobe gesehen. Einerseits war die Stichprobe sehr gering – bei insgesamt 14 Kindern war eine Entwicklungsstörung diagnostiziert worden. Andererseits basiert die Studie ausschliesslich auf Daten von Patienten, die in Spitälern vorstellig wurden.
Auch die Diagnose einer Entwicklungsstörung im Babyalter sehen Fachleute kritisch. Die meisten Entwicklungsstörungen können erst bei älteren Kindern zweifelsfrei diagnostiziert werden, denn Kleinkinder entwickeln sich sehr unterschiedlich schnell. Dorothy Bishop von der Universität Oxford sieht vor allem die Diagnose von Entwicklungsstörungen im Bereich der Sprache als problematisch. Die meisten Kinder, die spät mit dem Sprechen begännen, hätten keine Sprachstörung, sagt die Entwicklungspsychologin. Ob sich die Diagnosen in den Krankenakten der betroffenen Kinder also bestätigen, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen.
Ein ursächlicher Zusammenhang lässt sich aus dieser Art der retrospektiven Analysen nicht lesen. Möglich wäre beispielsweise auch ein Zusammenhang zwischen einer anderen Erkrankung der Mutter und den Entwicklungsstörungen: Mütter mit Diabetes haben beispielsweise häufiger Frühgeburten, was wiederum das Risiko für Entwicklungsstörungen beim Kind erhöht, wie Dimitri Sissakos vom University College London sagt, der nicht an der Studie beteiligt war. Damit ist nicht Covid-19, sondern die Diabeteserkrankung ein Risikofaktor für die Entwicklung des Kindes. Allerdings könnte auch eine Corona-Infektion die Frühgeburten ausgelöst haben. Denn dieser Zusammenhang war schon in anderen Studien gefunden worden.
Auch die Forscher der Harvard Medical School schreiben, die Ergebnisse liessen sich nicht abschliessend interpretieren. Deswegen sei es wichtig, dass nun Folgestudien durchgeführt würden.
8. April: Omikron macht Geimpfte anders und weniger stark krank
ni. · Milder, kürzer, anders – so verläuft gemäss einer neuen Studie aus Grossbritannien bei geimpften Personen eine Ansteckung mit der Omikron-Variante des Coronavirus im Vergleich zur Delta-Variante. Für die in der Fachzeitschrift «The Lancet» erschienene Auswertung griffen die Forscher des King’s College London auf die Daten einer Covid-App zurück. Damit können die Nutzer ihren Krankheitsverlauf täglich eingeben. Neben 32 verschiedenen Symptomen werden in der App auch Covid-Testresultate, Hospitalisationen, Covid-Impfungen sowie weitere gesundheitsbezogene und demografische Informationen erfasst.
Um bei den beiden Coronavirus-Varianten klinische Unterschiede sichtbar zu machen, definierten die Forscher zwei Studienperioden: In der ersten (Juni bis November 2021) war die Delta-Variante das vorherrschende Coronavirus, in der zweiten (Dezember 2021 bis Januar 2022) die Omikron-Variante. Für beide Zeiträume wählten die Wissenschafter je eine Gruppe mit knapp 5000 Probanden im Alter zwischen 16 und 99 Jahren. Alle hatten zwei oder drei Impfdosen gegen Covid-19 erhalten.
Bei den Resultaten sticht ins Auge, dass nach einer Omikron-Infektion nur 17 Prozent der Personen über Geruchsverlust klagten; nach einer Delta-Infektion war es mehr als jede zweite. Auch die anfänglich als typisch bezeichneten Symptome Fieber und Husten waren bei Omikron-Infektionen eher selten. Demgegenüber hatten Omikron-Patienten häufiger Halsschmerzen und eine heisere Stimme.
Bei der Krankheitsdauer gab es ebenfalls beträchtliche Unterschiede. So hatten Personen, die sich trotz dreifacher Impfung mit dem Omikron-Virus infizierten, im Durchschnitt während gut vier Tagen Symptome; bei Delta dauerte diese Zeit fast doppelt so lange. Bei den zweifach Geimpften waren die Unterschiede geringer: 8,3 Tage bei einer Omikron-Infektion gegenüber 9,6 Tagen bei Delta.
Noch bedeutsamer ist folgender Befund: Personen mit Omikron-Infektion mussten in 1,9 Prozent der Fälle hospitalisiert werden; bei Delta-Infektionen waren es 2,6 Prozent. Dass mit Omikron Infizierte einen milderen Krankheitsverlauf haben, zeigte sich in der Studie auch daran, dass sie sich viel häufiger als Personen mit Delta-Infektion innerhalb einer Woche erholten.
17. März: Wie das Coronavirus unsere Zellen dazu bringt, für es zu arbeiten
slz. Kaum ist Sars-CoV-2 in eine unserer Zellen eingedrungen, beginnen die zellulären Proteinfabriken auch für das Virus zu arbeiten. Zusätzlich zu den für die Organe wichtigen Molekülen produzieren sie auch ein virales Protein. Dieses heisst NSP1. Und das ist ein widerliches Biest, aus menschlicher Sicht gesprochen – oder ein sehr effizientes Multitalent zur Eroberung des Organismus, aus Virensicht gesehen.
Denn das NSP1 blockiert den Zugang zu den Proteinfabriken. Es drängelt sich jeweils in die Tür, klebt sich am Türrahmen fest und verstopft so den Zugang, wie ein breitbeiniger, unerbittlicher Türsteher vor einem Klub. Daraufhin erhält die Fabrik keine Bauanleitungen für Proteine mehr, also für die Moleküle, die eine Zelle für ihre Aufgaben unbedingt benötigt. Um im Bild zu bleiben: Wenn die Anleitung für die Cocktails fehlt, können selbst mit den Zutaten an der Bar im Inneren des Klubs keine Drinks mehr gemixt werden.
Allerdings ist durch die Türblockade zuerst einmal auch die Produktion von viralen Proteinen, die zur Bildung neuer Viruspartikel benötigt werden, gestoppt. Forscherinnen um Marina Chekulaeva vom Max-Delbrück-Zentrum in Berlin haben nun herausgefunden, wie Sars-CoV-2 dieses Problem löst.
Die viralen Anleitungen haben nämlich alle eine spezielle Struktur, die einer Haarnadel ähnelt. Sie fungiert als Eintrittskarte: Wenn diese dem NSP1-Türsteher präsentiert wird, rutscht der ein bisschen zur Seite, lässt die viralen Bauanleitungen durch und verstopft dann sofort wieder die Tür.
Somit werden kurz nach dem Befall einer Zelle nur noch virale und keine körpereigenen Proteine mehr hergestellt. Die Zelle geht irgendwann zugrunde. Aber bis dahin wurden sehr viele neue Viruspartikel fertiggestellt, so dass die Infektion weiterer Zellen starten kann.
Das Berliner Team hat zudem herausgefunden, dass NSP1 auch noch andere normale Abläufe in der Zelle stört. So lagern sich diese Proteine an diverse Moleküle in der Zelle, die alle dafür zuständig sind, Viren abzuwehren. Dadurch werden die Moleküle gehemmt beziehungsweise ihre Aktivität stark eingeschränkt. NSP1 sorgt also auch dafür, dass unser Körper die eingedrungenen Coronaviren insgesamt nicht mehr so effizient bekämpfen kann.
Doch die neue Arbeit hält auch positive Nachrichten parat. Die Forscherinnen haben erstens identifiziert, welches Areal in NSP1 wichtig ist, damit es sich am Türrahmen festkleben kann. Und zweitens haben sie bestimmt, welche Wörter in der viralen Eintrittskarte absolut unerlässlich sind, damit diese vom NSP1-Türsteher akzeptiert wird. Dagegen sollten nun Substanzen entwickelt werden, so dass Türsteher oder immerhin die Eintrittskarten nicht mehr funktionieren.
14. März: Weltweit dürften dreimal so viele Personen wie gemeldet wegen Corona gestorben sein
ni. · Eine in der Fachzeitschrift «The Lancet» erschienene Modellrechnung einer internationalen Forschergruppe kommt zum Schluss, dass bis Ende 2021 weltweit rund 18 Millionen Menschen wegen der Corona-Pandemie gestorben sind. Das sind dreimal so viele, wie die offiziellen Fallzahlen besagen. Ende Dezember stand diese Zahl bei 5,9 Millionen Covid-Toten.
Dass die offiziellen Statistiken die Zahl der weltweiten Corona-Todesfälle unterschätzen, erstaunt Fachleute nicht. Denn gerade in ärmeren Regionen sind die Gesundheitsstatistiken oft wenig zuverlässig bis inexistent. Das bedeutet, dass viele Todesfälle nicht oder verspätet erfasst werden und die genaue Todesursache in vielen Fällen unerkannt bleibt.
Um die tatsächlichen Opferzahlen zu schätzen, stützten sich die Forscher unter der Leitung des Institute for Health Metrics and Evaluation in Seattle, USA, auf die sogenannte Übersterblichkeit. Das ist ein anerkanntes Mittel, um die Zahl der Covid-Toten zu bestimmen. Dabei geht man davon aus, dass in einem Land in Abhängigkeit seiner Bevölkerungsentwicklung und der Alterung der Gesellschaft stets ähnlich viele Menschen sterben. Steigt nun die erwartete Zahl der Todesfälle in einem Jahr mit einem extremen Ereignis wie einer Pandemie oder einer starken Hitzewelle an, so dürften die zusätzlichen Todesfälle – oder die sogenannte Übersterblichkeit – auf das Konto dieses Ereignisses gehen.
Der Vorteil der Übersterblichkeitsberechnung: Dafür braucht es keine differenzierte Todesursachenstatistik, sondern nur zwei Angaben: die Zahl aller Todesfälle in einem Land und die aufgrund der langjährigen Erfahrung erwartete Zahl der Todesfälle. Weil auch diese Angaben nicht überall vorliegen, schätzten die Wissenschafter für Länder ohne verlässliche Daten die Übersterblichkeit mithilfe von mehreren statistischen Modellen.
Auf diese Weise berechneten sie, dass in den vergangenen zwei Jahren global 18,2 Millionen Menschen wegen der Corona-Pandemie gestorben sind. Das entspricht einer globalen Übersterblichkeitsrate von 120 Corona-Toten pro 100 000 Personen. In einigen Ländern in Lateinamerika lag dieser Wert bei über 500; in Zentraleuropa lag er bei 316, in der Schweiz bei 93.
Eine weitere Angabe in der Studie ist ebenfalls interessant: das Verhältnis zwischen den offiziell gemeldeten Covid-Todesfällen und der berechneten Übersterblichkeit. Damit lässt sich abschätzen, wie genau die offiziellen Angaben die tatsächliche Situation widerspiegeln. In der Schweiz steht den 12 000 bis Ende Jahr gemeldeten Covid-Toten eine Übersterblichkeit von 15 500 Toten gegenüber – das sind 29 Prozent mehr als offiziell erfasst. In Nicaragua dagegen mit seinen 223 offiziellen Corona-Toten und einer geschätzten Übersterblichkeit von 33 400 wird die effektive Opferzahl um das 150-Fache unterschätzt.
Die «Lancet»-Studie ist nicht die erste Berechnung der globalen pandemiebedingten Übersterblichkeit. Eine ähnliche Analyse im Politmagazin «The Economist» ist schon früher zu einem ähnlichen Resultat gekommen. Die neue Arbeit ist aber die erste Studie, die in einem von Fachkollegen begutachteten Fachjournal erschienen ist. Zudem konnten die Forscher den statistischen Unsicherheitsbereich bei ihren Resultaten stark eingrenzen. Die tatsächliche Zahl der Corona-bedingten Todesfälle liegt jetzt mit grosser Wahrscheinlichkeit zwischen 17,1 und 19,6 Millionen.
Ein Schönheitsfehler bleibt: Mit der Übersterblichkeit kann man nicht unterscheiden zwischen Todesfällen, die direkt durch Covid-19 verursacht sind, und solchen, die indirekt mit der Pandemie in Verbindung stehen, etwa weil in einem Land die Spitäler überfüllt sind und wichtige Gesundheitsdienste nicht mehr zugänglich sind.
17. Januar: Eine Omikron-Infektion verläuft bei Kindern unter fünf Jahren milder als eine mit der Delta-Variante
slz.· Mehrere Länder, darunter auch die USA, melden eine starke Zunahme an Kindern, die mit einer Omikron-Infektion ärztliche Hilfe benötigen und ins Spital müssen. Doch dies bedeutet nicht zwangsläufig, dass Omikron gefährlicher ist. Schliesslich steigen die Neuinfektionen auch bei Kindern und Jugendlichen in der Omikron-Welle stark an, also sind auch mehr Infizierte im Spital als in vorherigen Wellen.
Eine amerikanische Studie kommt nun sogar zum beruhigenden Schluss, dass eine Omikron-Infektion etwas milder verläuft als eine mit der Delta-Variante. Die Resultate wurden als noch nicht begutachtete Studie vorgelegt.
Das Team der University of Cleveland hat für seine Analyse die Daten von Kindern unter fünf Jahren ausgewertet, die sich zum ersten Mal mit Sars-CoV-2 infizierten. Fast 7200 von ihnen erkrankten in der Omikron-Welle. Sie wurden mit einer gleich grossen Gruppe von Kindern verglichen, die in vielen Parametern wie Alter, Körpergewicht oder Vorerkrankungen übereinstimmten, sich aber in der Delta-Welle infiziert hatten.
Das Risiko für die Kinder, drei Tage nach der festgestellten Omikron-Infektion ins Spital eingeliefert zu werden, war um 67 Prozent niedriger als bei einer Delta-Infektion. Eine ähnliche Risikoreduktion gab es bei der Aufnahme in die Intensivstation. Das Risiko, beatmet zu werden, war sogar noch um einige Prozentpunkte mehr vermindert.
Die Daten der US-Studie zeigen zudem, dass nur für sehr wenige Kinder eine Omikron-Infektion schlimm ist. Zwar gab es viele Besuche in der Notaufnahme, sprich es wurde ärztliche Hilfe gesucht. Aber insgesamt mussten in der Studiengruppe nur 1 Prozent ins Spital, 0,33 Prozent beatmet werden und 0,14 Prozent auf die Intensivstation.
Bei der Studiengruppe handelte es sich um ungeimpfte Kinder mit Erstinfektion. Ihr Immunsystem hatte also keinerlei Abwehrreaktion gegen das Virus aufbauen können. Somit sei klar, dass die Omikron-Variante weniger gefährlich für Kinder unter fünf Jahren sei, betonen die Autoren.
Allerdings wurde mit drei Tagen nur ein kurzer Zeitraum beobachtet. Es ist also möglich, dass sich bei einigen der kleinen Probanden doch noch schwere Verläufe von Covid-19 entwickelt hatten. Doch die Erfahrungen sowohl der Schweizer Kinderspitäler als auch jene in anderen Ländern sprechen dagegen, dass es bis anhin zu einer grossen Anzahl schwer kranker Kinder wegen einer Omikron-Infektion gekommen ist.
Zwar sagt die Studie nichts darüber aus, ob Omikron auch für ältere Kinder und Jugendliche weniger gefährlich ist als die Delta-Variante. Aber mittlerweile melden diverse Länder, dass Omikron auch in der Gesamtbevölkerung für weniger schwere Verläufe sorgt als Delta.
6. Januar: Auch milde Covid-Verläufe hinterlassen Spuren an den Organen
ni. · Ein Forscherteam des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf hat nachgewiesen, dass milde bis mittelschwere Covid-Verläufe die Organfunktionen von Herz, Lunge und Nieren beeinträchtigen können. Die Effekte sind allerdings grösstenteils minim, wie die Wissenschafter in der Fachzeitschrift «European Heart Journal» schreiben.
Für die «Hamburg City Health Study» haben die Wissenschafter 443 Covid-Patienten umfassend medizinisch untersucht – und das Monate nach durchgemachter Sars-CoV-2-Infektion. Die Probanden waren alle zwischen 45 und 74 Jahre alt und hatten ihre Covid-Erkrankung mit leichten bis mittelschweren Symptomen überstanden. Die grosse Mehrheit von ihnen (93 Prozent) konnte ambulant behandelt werden; niemand benötigte intensivmedizinische Behandlung.
Zur Batterie der Untersuchungen gehörten neben Befragungen zum Gesundheitszustand und der Lebensqualität auch Laboruntersuchungen sowie eine Magnetresonanztomografie (MRT) des Herzens und des Gehirns. All diese Informationen verglichen die Forscher mit den Untersuchungsergebnissen von Personen ohne Covid, die aber bezüglich Alter, Geschlecht und Bildungsstand ähnlich waren (Normalbevölkerung).
Im Vergleich zur Normalbevölkerung fanden sich bei den Covid-Probanden leichte Anzeichen von Organschädigungen. So zeigten sich etwa im Lungenfunktionstest ein um drei Prozent reduziertes Lungenvolumen sowie ein leicht erhöhter Atemwegswiderstand. Die Herzuntersuchungen enthüllten eine Reduktion der Pumpkraft um ein bis zwei Prozent sowie eine Erhöhung eines Proteins im Blut, das auf eine Belastung des Herzmuskels hindeutet. Im Herz-MRT fand sich dagegen keine Auffälligkeit.
Als wichtigstes Studienresultat bezeichnen die Forscher eine weitere Beobachtung: Mit einer Ultraschalluntersuchung der Beine konnten sie bei ihren Covid-Probanden zwei- bis dreimal häufiger die Zeichen einer zurückliegenden Beinvenenthrombose nachweisen, als das zu erwarten gewesen wäre. Das deckt sich mit früheren Erkenntnissen, dass die Infektion mit Sars-CoV-2 zu einer Gerinnungsstörung führen kann. Die Forscher empfehlen deshalb Ärzten, bei ihren Covid-Patienten beim geringsten Verdacht aktiv nach einer Venenthrombose zu suchen.
Die Studie wartet auch mit beruhigenden Ergebnissen auf. So konnten die Forscher bei ihren Probanden keine Hinweise auf einen negativen Einfluss der Corona-Infektion auf die Struktur und Leistungsfähigkeit des Gehirns finden. Auch bei der erfragten Lebensqualität liess sich über die ganze Gruppe kein statistisch signifikanter Unterschied zur Kontrollgruppe finden. Fokussierten die Wissenschafter allerdings auf Probanden mit etwas stärkeren Covid-Symptomen, dann stellten sie leicht höhere Werte bezüglich Depression und Ängstlichkeit fest.
Die «Hamburg City Health Study» ist laut Medienmitteilung die weltweit grösste lokale Gesundheitsstudie. Geplant ist, 45 000 Hamburgerinnen und Hamburger zwischen 45 und 74 Jahren über einen langen Zeitraum hinweg zu untersuchen, um Risikofaktoren für häufige Erkrankungen zu identifizieren. Damit sollen individualisierte Behandlungsmöglichkeiten und eine gezielte Prävention entwickelt werden. Bisher sind rund 16 000 Hamburgerinnen und Hamburger im Rahmen der Studie untersucht worden.
Wichtige Erkenntnisse aus 2021
15. Dezember: Spieltheoretische Experimente zeigen ein verändertes Verhalten von Jugendlichen
evg. · Die Covid-19-Pandemie trifft nicht alle Schichten der Bevölkerung gleich. Forscher berichten im Journal «PNAS», dass sich das Verhalten von Jugendlichen aus Haushalten mit geringen Einkommen in spieltheoretischen Experimenten verändert habe: Sie verhielten sich im Vergleich zu Messungen vor der Pandemie seltener kooperativ und vertrauten dem Gegenüber weniger.
Bei Jugendlichen aus Haushalten mit höheren Einkommen war dies nicht der Fall. Über die möglichen Gründe für die beobachtete Verhaltensänderung lässt sich nur spekulieren. Zwar wurden die Angehörigen der Jugendlichen im Verlauf der Pandemie häufiger hospitalisiert und auch häufiger arbeitslos, als dies bei Familien mit höheren Einkommen der Fall war. Doch ein statistischer Zusammenhang zwischen diesen beiden Faktoren und der Verhaltensänderung wurde in der vorliegenden Studie nicht gefunden.
Die Autoren sehen in diesen Resultaten einen Hinweis darauf, dass die Covid-19-Pandemie soziale Ungleichheit fördern könnte. Denn Verhaltensökonomen hatten bereits früher über einen statistischen Zusammenhang zwischen prosozialem Verhalten und der Beschäftigungsrate berichtet. Ob die Beschäftigungsrate dabei das prosoziale Verhalten fördert oder umgekehrt, das lässt sich aus jenen Befunden nicht lesen.
6. Dezember: FFP2-Masken schützen laut Forschern deutlich besser vor einer Corona-Infektion als OP-Masken
svt. · Zum Schutz vor der Übertragung von Coronaviren sind Masken ein hervorragendes Mittel – vor allem FFP2-Masken, in geringerem Masse aber auch OP-Masken. Das untermauert jetzt eine Studie von Forschern um Eberhard Bodenschatz vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen, die vor kurzem in den «Proceedings of the National Academy of Sciences» erschienen ist.
Bis anhin empfiehlt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) bei grosser Ansteckungsgefahr das Tragen von Hygienemasken. Für den privaten Gebrauch seien Atemschutzmasken (zu diesen zählen auch die FFP2-Masken) nicht notwendig, denn in Alltagssituationen würden sie nicht unbedingt besser schützen, heisst es auf der BAG-Website noch am 6. Dezember.
In der neuen wissenschaftlichen Prüfung schneiden die FFP2-Masken allerdings deutlich besser ab als die Hygienemasken. Da gerade in der Schweiz darüber diskutiert wird, wie der Schutz vor der Pandemie verschärft werden könnte, bietet sich also möglicherweise ein Wechsel in Bezug auf den empfohlenen Maskentyp an.
Die Forscher um Bodenschatz ermittelten für etliche Szenarien des Maskentragens bei einer zwanzigminütigen Begegnung in kürzester Distanz, wie gross jeweils das maximale Ansteckungsrisiko war. Tragen sowohl die infizierte als auch die nicht infizierte Person eine akkurat sitzende FFP2-Maske, beträgt das Risiko höchstens 0,14 Prozent. Streifen hingegen beide Personen OP-Masken passgenau über Mund und Nase, liegt das maximale Ansteckungsrisiko bei 10,4 Prozent, es ist dann also 74-mal grösser als mit FFP2-Masken.
Auch die Frage, welche Rolle es spiele, wie sorgfältig man die Masken an das Gesicht anpasse, haben die Wissenschafter untersucht. Ihr Resultat: Selbst wenn beide FFP2-Masken nur nachlässig getragen werden, schneiden sie – mit einem Infektionsrisiko von 4,2 Prozent – im Vergleich zu zwei perfekt sitzenden Hygienemasken 2,5-mal besser ab.
Die tatsächliche Infektionswahrscheinlichkeit dürfte allerdings deutlich kleiner sein, als es die Resultate der Studie suggerieren – laut Bodenschatz ist sie um den Faktor 10 bis 100 geringer. Das liegt daran, dass die Wissenschafter das maximal mögliche Risiko ermitteln wollten und darum gezielt idealisierte Annahmen getroffen haben. Zum Beispiel vernachlässigten sie, dass die Luft, die an den Maskenrändern vorbeiströmt, noch verdünnt wird, bevor eine andere Person sie einatmet.
Die Studie, die auf umfangreichen Messungen und Berechnungen beruht, hat ein eindeutiges Fazit: Die allgemeine Nutzung von Masken, so schreiben die Autoren, sei die wirksamste Methode, um die Übertragung von Coronaviren zu begrenzen. Das Tragen von FFP2-Masken sei dabei der Verwendung von Hygienemasken vorzuziehen.
18. November: US-Forscher sieht «starke Evidenz, dass ein Markt in Wuhan Ausgangsort der Corona-Pandemie war»
slz. · Der erste bekannte Covid-19-Fall sei eine Verkäuferin von Meeresfrüchten des Huanan Seafood Market in Wuhan gewesen. Bei der Frau seien die Symptome erstmals am 11. Dezember 2019 aufgetreten. Dies schreibt der Evolutionsbiologe Michael Worobey in der Fachzeitschrift «Science». Er hat wissenschaftliche Veröffentlichungen sowie Berichte von chinesischen Behörden, der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und auch von Medien ausgewertet.
Gemäss Worobey ist dagegen der bisher als erster bekannter Fall beschriebene Covid-19-Patient sozusagen eine Falschdatierung. Angeblich soll bei dem Mann bereits am 8. Dezember 2019 Covid-19 diagnostiziert worden sein. Doch zu diesem Zeitpunkt habe sich der Mann wegen Zahnproblemen im Spital behandeln lassen, so zitiert Worobey einen Bericht. Die Covid-19-Symptome seien bei dem Mann jedoch erst am 16. Dezember aufgetreten, sechs Tage später musste er dann ins Spital eingeliefert werden.
Die Analyse der Geschehnisse im Dezember 2019 in Wuhan habe eine starke Evidenz dafür ergeben, dass ein Markt der Ausgangsort der Corona-Pandemie gewesen sei, ist Worobey überzeugt. Für ihn kommt dafür nur der Huanan Seafood Market infrage.
Denn alle der ersten durch Spitalaufenthalte bekanntgewordenen Covid-19-Fälle hätten Händler oder Zulieferer des Huanan Seafood Market betroffen. Oder Verwandte von diesen. Zudem hätten die meisten der 174 Corona-Patienten, die in der Frühphase der Corona-Pandemie in Wuhan entdeckt worden seien, in der Nähe des Marktes gewohnt.
Dass nur gut die Hälfte der frühesten Covid-19-Betroffenen entweder Mitarbeiter oder Besucher des Huanan Seafood Market waren oder Kontakt zu solchen Personen hatten, das ist für ihn kein Gegenargument.
Vielmehr sei genau das zu erwarten, betont er. Denn Sars-CoV-2 verbreite sich bekanntlich sehr schnell und oftmals unbemerkt. Wenn die ersten Infektionsketten ihren Anfang auf dem Markt genommen hätten, dann sei davon auszugehen, dass bereits der dritte oder vierte Infizierte in dieser Kette keinen direkten Kontakt mehr mit einem Mitarbeiter oder Besucher des Marktes gehabt habe.
Doch den handfesten Beweis, dass dasjenige Coronavirus, das die weltweite Pandemie ausgelöst hat, tatsächlich von einem Tier auf dem Huanan Seafood Market stammt, kann Worobey nicht erbringen. Denn der Markt wurde am 1. Januar 2020 geschlossen und desinfiziert, die dort gehaltenen Tiere gekeult. Worobey fordert detaillierte epidemiologische Untersuchungen inklusive genetischer Analysen der in den Patienten in Wuhan vorhandenen Coronaviren. Doch es ist unklar, ob es diese Proben überhaupt gibt.
2. November: Geimpft, aber trotzdem ansteckend – warum das ein Grund mehr für die Schutzimpfung ist
ni. · Schon länger mehren sich die Hinweise darauf, dass die Corona-Impfung zwar sehr gut vor einer schweren, potenziell tödlichen Erkrankung schützt, aber deutlich weniger gut vor einer milden Infektion. Wie oft sich doppelt geimpfte Personen mit Sars-CoV-2 anstecken und das Virus an andere – geimpfte und ungeimpfte – Personen weitergeben, haben nun britische Forscher mit Daten aus dem nationalen Contact-Tracing untersucht – und zwar dort, wo Virusübertragungen besonders häufig vorkommen: im privaten Haushalt.
Wie die vor kurzem in der Fachzeitschrift «The Lancet Infectious Diseases» erschienene Arbeit mit 621 Probanden zeigt, steckte sich in der Studienzeit zwischen September 2020 und September 2021 ein Viertel der doppelt geimpften Personen bei Mitgliedern des gleichen Haushalts an und entwickelte eine milde Erkrankung oder eine Infektion ohne Symptome; bei den ungeimpften Personen lag die Ansteckungsrate mit 38 Prozent etwas höher.
Bei der Infektiosität allerdings scheinen sich Geimpfte und Ungeimpfte nicht wesentlich zu unterscheiden. So haben die untersuchten Geimpften das eingedrungene Virus laut den Studienautoren zwar rascher als Ungeimpfte eliminieren können; die geschätzte Zahl der Coronaviren in der Nase und im Rachen – die sogenannte virale Last – soll bei ihnen aber nach der Ansteckung vergleichbar hohe Werte erreicht haben.
Das dürfte laut den Forschern erklären, weshalb sich die hochansteckende Delta-Variante auch in Ländern mit relativ hoher Impfquote weiter ausbreiten kann. Dieser Sachverhalt spricht aber keinesfalls gegen die Impfung. Denn ihre wichtigste Funktion ist und bleibt die Verhinderung von schweren Krankheitsfällen. Dass die Immunisierung deutlich weniger gut vor einer asymptomatischen oder einer mit milden Symptomen einhergehenden Infektion schützt, sollte bisher Ungeimpfte stark motivieren, sich selber mit der Schutzimpfung vor einer schweren Erkrankung zu schützen. Denn sie können sich im Kontakt mit Geimpften nicht sicher vor einer Ansteckung fühlen. Das ist die eigentliche Botschaft der britischen Studie, die im Hinblick auf die kalten Wintermonate, wenn sich wieder mehr Menschen zu Hause versammeln, eine grosse Bedeutung hat.
28. Oktober: Das Antidepressivum Fluvoxamin reduziert bei Covid-19 das Hospitalisationsrisiko
ni. · Eine grosse Studie aus Brasilien zeigt, dass ein bewährtes und günstiges Medikament gegen Depressionen auch eine Wirkung gegen Covid-19 hat – zumindest wenn die damit behandelte Person aufgrund ihres Alters, bestehender Krankheiten oder Übergewichts ein erhöhtes Risiko hat, nach der Infektion mit dem neuen Coronavirus schwer zu erkranken.
Beim eingesetzten Wirkstoff handelt es sich um Fluvoxamin, ein Antidepressivum aus der Gruppe der sogenannten Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI); die Substanz ist in der Schweiz seit 1983 zugelassen. Dass das Mittel auch eine antientzündliche Wirkung hat und damit Patienten mit Covid-19 bei frühzeitiger Gabe von Nutzen sein könnte, war schon aus früheren Beobachtungen und kleineren Studien bekannt. Erst die nun im Fachjournal «The Lancet Global Health» veröffentlichte Arbeit eines brasilianisch-kanadischen Forschungsteams ist aber gross genug und methodisch überzeugend, um daraus konkrete Empfehlungen ableiten zu können.
Von den knapp 1500 in die Studie eingeschlossenen Covid-19-Patienten mit hohem Risiko erhielt die eine Hälfte in den Ambulatorien von verschiedenen Spitälern neben der Standardtherapie während zehn Tagen Fluvoxamin, die andere Hälfte ein gleich aussehendes Placebo. Wie sich zeigte, verschlechterte sich in der Fluvoxamin-Gruppe bei 11 Prozent der Patienten der Zustand in den nächsten 28 Tagen so stark, dass sie hospitalisiert werden mussten oder zumindest eine erhöhte medizinische Betreuung brauchten; in der Placebo-Gruppe lag diese Rate mit 16 Prozent statistisch signifikant höher.
Die Studienergebnisse seien in erster Linie für ärmere Länder mit zu wenig verfügbarem Covid-19-Impfstoff bedeutsam, schreiben Kommentatoren, die an der Studie nicht beteiligt waren. Zudem seien trotz den überzeugenden Ergebnissen noch einige Fragen ungeklärt. So wisse man etwa nicht, wie sich der Effekt von Fluvoxamin auf andere bei Covid-19-Patienten eingesetzte Medikamente wie die monoklonalen Antikörper auswirken würde. Besser, als im Fall einer Erkrankung auf mögliche Arzneimittel zu zählen, ist daher die Anwendung der Corona-Schutzimpfung.
27. Oktober: Tumorpatienten entwickeln schlechteren Impfschutz – sie sollten unbedingt eine Auffrischung erhalten
slz. · Ein Tumorleiden ist ein Risikofaktor für eine schwere Covid-19-Erkrankung. Daher zählten in vielen Ländern Krebspatienten zu der ersten Gruppe der Geimpften. Nun liefert die im Mai 2020 begonnene britische Capture-Studie in der Fachzeitschrift «Nature Cancer» Belege für einen schwächeren Immunschutz als bei Gesunden.
Untersucht wurden 585 Krebspatienten mit einer bösartigen Geschwulst in einem Organ oder mit Blutkrebs. Alle Patienten hatten entweder zwei Dosen der Vakzine von AstraZeneca oder von Biontech/Pfizer erhalten. In der darauffolgenden Zeit untersuchte man ihre Immunantwort.
Dadurch wurde allerdings ihr Immunsystem weniger aktiviert als bei Gesunden. Nur in gut der Hälfte der Tumorpatienten wurden spezifisch gegen die derzeit dominierenden Delta-Varianten gerichtete Antikörper entdeckt. Vor allem bei Patienten mit Blutkrebs schwächelte das Immunsystem, nur ein Drittel von ihnen bildete überhaupt die dringend benötigten Antikörper.
Bei einer Vergleichsgruppe von Gesunden besassen 85 Prozent der Geimpften die spezifischen Antikörper. Bei allen Probanden war die mRNA-Vakzine von Biontech/Pfizer etwas effizienter als der Vektorimpfstoff von AstraZeneca.
Deutlich besser sah es bei der zweiten Verteidigungslinie aus, die ebenfalls nach einer Impfung – und auch nach einer Infektion – vom Immunsystem aufgebaut wird. Neben den Antikörpern werden nämlich auch spezielle T-Zellen gebildet, die von Viren befallene Zellen erkennen und diese umgehend vernichten. Diese zweite Truppe von Verteidigern verhindert zwar nicht eine Infektion. Dafür mindert sie die Schwere einer Erkrankung. Bei knapp 80 Prozent der geimpften Tumorpatienten war eine solche T-Zellen-Antwort feststellbar.
Da selbst doppelt geimpfte Tumorpatienten oftmals nur suboptimal geschützt seien, sollten diese Personen auf jeden Fall baldmöglichst eine Auffrischungsimpfung erhalten, fordern die Autoren, vor allem in Phasen, in denen die Inzidenzen hoch seien und damit das Risiko für eine Ansteckung erheblich sei. In der Schweiz wie auch in Deutschland können Tumorpatienten eine Boosterimpfung bekommen.
Ob Impfdurchbrüche bei Tumorpatienten häufiger sind als in der Normalbevölkerung, konnten die Autoren nicht sagen. Denn während der Datenerhebungsphase seien die Inzidenzen in Grossbritannien deutlich niedriger und die Delta-Variante noch nicht so dominierend gewesen wie jetzt, schreiben sie.
Um das ineffiziente Immunsystem der Krebspatienten zusätzlich anzukurbeln, könnte es vorteilhaft sein, für die Boosterimpfung einen anderen Vakzintyp zu verwenden als bei den ersten zwei Impfungen, so wird spekuliert. Allerdings gibt es zwar erste Hinweise, aber noch keine Beweise, dass diese Strategie erfolgversprechend ist.
14. Oktober: Ein BMI über 35 verdoppelt bei Covid-19 das Risiko für einen potenziell fatalen Krankheitsverlauf
ni. · Dass Übergewicht bei Covid-19 ein wichtiger Risikofaktor für einen schweren Krankheitsverlauf ist, haben Mediziner schon zu Beginn der Pandemie festgestellt, und viele Studien haben dies in der Folge bestätigt. Wie verheerend zu viel Körperfett bei einer Infektion mit Sars-CoV-2 tatsächlich ist, dürften viele dennoch unterschätzt haben. Eine grosse Kohortenstudie aus Schweden spricht nun Klartext.
Für die in der Fachzeitschrift «Plos One» veröffentlichte Arbeit haben Forschende von der Universität Göteborg die Daten von 1649 erwachsenen Covid-19-Patienten aus dem nationalen Intensivmedizin-Register ausgewertet. Die Patienten – drei Viertel von ihnen waren Männer, und das Durchschnittsalter betrug 60 Jahre – waren alle in der ersten Corona-Welle zwischen März und September 2020 auf einer schwedischen Intensivstation behandelt worden.
Wie die Studie zeigt, waren knapp 8 von 10 dieser Patienten übergewichtig; das ist deutlich mehr als in der Allgemeinbevölkerung oder bei anderen Patienten auf Intensivstationen. 4 von 10 Patienten erfüllten sogar die Kriterien einer Adipositas: Sie hatten also einen Body-Mass-Index (BMI) von mehr als 30. Welche Konsequenzen damit verbunden sind, zeigen die Studienergebnisse eindrücklich.
So konnten die Forscher mit statistischen Methoden eine praktisch dosisabhängige Verbindung zwischen dem BMI eines Patienten und seinem Risiko für einen tödlichen oder zumindest stark verlängerten Krankheitsverlauf nachweisen. Bei Patienten mit einem BMI von mehr als 35 – das ist zum Beispiel ein Mann, der 175 Zentimeter gross ist und 108 Kilogramm auf die Waage bringt – war dieses Risiko doppelt so hoch, und zwar unabhängig von Alter und Geschlecht.
Das erhöhte Risiko blieb auch dann noch nachweisbar, wenn die Forscher bei den Patienten andere bekannte Risikofaktoren für einen schweren Krankheitsverlauf wie etwa Bluthochdruck, Diabetes oder Nierenkrankheiten berücksichtigten. Das zeige, schreiben die Studienautoren, dass Übergewicht nicht nur ein Risikofaktor für andere Krankheiten wie Diabetes oder Bluthochdruck sei, sondern bei Covid-19 als unabhängiger Risikofaktor einen schweren Krankheitsverlauf begünstige.
Auf welche Weise das Körperfett das tut, ist laut den Wissenschaftern noch nicht im Detail geklärt. Möglich sei, dass bei den übergewichtigen Patienten die adaptive Immunantwort beeinträchtigt sei. Als metabolisch aktives Organ könne ein Zuviel an Fettgewebe auch die Herz- und Lungenfunktion ungünstig beeinflussen oder das Thromboserisiko erhöhen. Unabhängig vom Mechanismus müsse der BMI bei der Risikobeurteilung von Covid-19-Patienten auf der Intensivstation unbedingt stärker berücksichtigt werden. Zudem sollten adipöse Patienten besonders engmaschig überwacht werden.
16. September: Experten halten kurzfristigen Einfluss der Impfung auf den weiblichen Zyklus für möglich
ni. · Seit breit gegen Covid-19 geimpft wird, klagen etliche Frauen nach der Immunisierung über eine verstärkte Regelblutung oder Zwischenblutungen. Weniger häufig wird nach der Impfung über einen verlängerten oder verkürzten Menstruationszyklus berichtet.
Wegen solcher Meldungen, die vor allem in den sozialen Netzwerken kursieren, mit denen aber auch viele praktizierende Ärztinnen und Ärzte konfrontiert sind, hat das einflussreiche «British Journal of Medicine» («BMJ») am Donnerstag in einem Kommentar mehr Studien zu diesem Thema gefordert. Damit solle Klarheit geschaffen werden. Denn die Verunsicherung führe dazu, dass sich viele Frauen nicht impfen liessen.
Das «BMJ» weist gleichzeitig darauf hin, dass der Sicherheitsausschuss der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) Anfang August keinen Beleg für einen kausalen Zusammenhang zwischen den eingesetzten Impfstoffen und den Beschwerden bei der Monatsregel gefunden habe. Auch die EMA fordert von den Impfstoffherstellern aber weitere Daten.
Auch wenn der Beweis für eine kausale Verknüpfung noch fehlt, ist es für Fachleute vorstellbar, dass die Corona-Impfung Auswirkungen auf die Stärke und die Regelmässigkeit der Menstruation haben kann. Weil der weibliche Zyklus aber von einer Vielzahl körperlicher und psychischer Einflüsse abhängt, ist es schwierig, hier eine einzelne Ursache dingfest zu machen. Dass die Immunisierung eine Rolle spielen könnte, suggerieren auch vereinzelte Beobachtungen, wonach Frauen nach der Menopause und Transmänner, die normalerweise keine Periode haben, nach der Impfung Blutungen erlebten.
Wie das «BMJ» schreibt, dürften die von den Frauen beschriebenen Menstruationsprobleme eher durch die Immunreaktion nach der Impfung denn durch einzelne Bestandteile in der Corona-Vakzine ausgelöst werden. Dies deshalb, weil die gemeldeten Zyklusveränderungen nicht auf einzelne Impfstoffe beschränkt sind.
Für Experten ist es beispielsweise vorstellbar, dass die Verbindung zwischen Impfung und veränderter Regel über Immunzellen oder Hormone vermittelt wird, die beim zyklischen Auf- und Abbau der Gebärmutterschleimhaut eine Rolle spielen. Andere Fachleute betonen, dass der Zeitpunkt des Eisprungs durch Immun- und Entzündungsprozesse beeinflusst werde. Auf diese Weise könnten nicht nur Fieber, Impfungen und Krankheiten Dauer und Stärke der Periode verändern. Auch Hochleistungssport, die Zeitverschiebung bei einer Reise und viele andere Formen von körperlichem Stress kämen als Ursache infrage.
Die meisten Fachleute betonen, dass die nach der Corona-Impfung beobachteten Unregelmässigkeiten in den allermeisten Fällen nur einen oder wenige Menstruationszyklen beträfen. In diesen Fällen gebe es keinen Grund zur Sorge. Insbesondere seien nach der Corona-Impfung keine länger dauernden negativen Effekte auf die Menstruation oder die Fruchtbarkeit bekannt. Letzteres wird aber gerade in sozialen Netzwerken immer wieder fälschlicherweise behauptet.
10. September: Corona-Impfung schützt Schwangere und Kind
slz. Die Ständige Impfkommission (Stiko) in Deutschland hat am Freitag für ein Corona-Impfung für alle Schwangeren ausgesprochen. Schwangeren und Stillenden, die bis jetzt nicht oder unvollständig geimpft seien, werde eine Impfung mit zwei Dosen eines mRNA-Impfstoffs empfohlen, heisst es darin. Ebenso werden alle Frauen im gebärfähigen Alter aufgefordert, sich impfen zu lassen.
Es habe sich erstens in den letzten Wochen gezeigt, dass Schwangerschaft ein Risikofaktor für eine schwere Covid-19-Erkrankung sein könne, so erläutert Marianne Röbl-Mathieu, Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in München und Mitglied der Ständigen Impfkommission die neue Empfehlung. Zweitens habe sich die Impfung auch für Schwangere als sicher erwiesen.
Eine ausführliche Einschätzung finden Sie hier.
26. August: Ungenaue Antigen-Schnelltests – jeder dritte Infizierte wird übersehen
ni. · Testen, testen, testen: So lautet das bekannte Pandemie-Mantra. Dazu werden seit langem auch Antigen-Schnelltests eingesetzt. Denn diese sind gegenüber dem besonders verlässlichen PCR-Test viel schneller, günstiger und praktischer in der Anwendung. Aber sind sie auch zuverlässig? Nicht so, wie man sich das wünschen würde. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls eine Studie aus Bern.
Die Wissenschafter unter der Leitung von Michael Nagler vom Institut für Klinische Chemie am Inselspital haben einen verbreiteten Antigen-Schnelltest der Firma Roche einem direkten Vergleich mit dem PCR-Test unterzogen – und das unter realen Bedingungen, wie sie am Inselspital herrschen. Damit liegen laut den Studienautoren erstmals zuverlässige Ergebnisse eines solchen Vergleichs vor. Andere Antigen-Schnelltests dürften ihrer Meinung nach nicht besser abschneiden.
Die Stichprobe umfasste 1465 Personen, von denen 141 mit der Goldstandard-Messmethode PCR als infiziert identifiziert wurden. Mit dem Antigen-Schnelltest liessen sich dagegen nur 95 Infektionen nachweisen. Das heisst, wie die Berner Forscher im «International Journal of Infectious Diseases» schreiben, dass mit dem Antigen-Schnelltest nur zwei von drei PCR-positiven Personen identifiziert werden konnten. Noch grösser war der Fehler bei symptomfreien Infizierten. Hier erkannte der Schnelltest nur 44 Prozent der PCR-positiven Personen.
Diese Resultate weichen somit erheblich von den Herstellerangaben ab. Roche schreibt auf ihrer Website, dass die Zuverlässigkeit ihres Antigen-Schnelltests in zahlreichen unabhängigen Studien validiert worden sei. Die Sensitivität gibt Roche mit 95,5 Prozent und die Spezifität mit 99,2 Prozent an. Demgegenüber ermittelten die Berner Forscher in ihrer Studie eine Test-Sensitivität von 65,3 Prozent. Das heisst, zwei von drei Infizierten werden richtig erkannt; einer von drei wird fälschlicherweise als nicht infiziert beurteilt. Die Spezifität ist mit 99,9 Prozent unbestritten. Das heisst, mit dem Test werden Personen ohne Infektion zuverlässig als solche erkannt.
Für Fachleute kommt diese Diskrepanz nicht ganz unerwartet. Denn bei den Herstellerangaben handelt es sich stets um eine technische Evaluation der Testgenauigkeit. Hier geht es um die Frage: Erkennt der Test ganz eindeutige Positivproben als positiv und ganz eindeutige Negativproben als negativ? In der Realität ist es komplexer. Hier variieren die Patienten und ihre Proben punkto Zeitpunkt und Schwere der Infektion erheblich. Das führt unweigerlich zu schlechteren Testergebnissen.
Was dieser Fehler in der gegenwärtigen Pandemie bedeuten könnte, haben die Forscher abgeschätzt. Bei derzeit rund 130 000 Schnelltests pro Woche dürften 12 400 Personen fälschlicherweise ein negatives Testergebnis erhalten. Diese Personen würden sich danach sicher fühlen und möglicherweise Familienfeiern, Konzerte und Fussballspiele besuchen, so wird Nagler in einer Medienmitteilung des Berner Inselspitals zitiert. «Potenziell besteht somit das Risiko, dass Antigen-Tests die Pandemie verstärken, anstatt sie zu bremsen», sagt der Studienleiter.
Laut Nagler zeigt die Arbeit der Forschergruppe, dass Antigen-Schnelltests nur bedingt dazu geeignet sind, eine Sars-CoV-2-Infektion zuverlässig auszuschliessen. Die zur Verfügung stehenden Antigen-Schnelltests sollten daher mit Vorbehalt eingesetzt werden. Dabei gilt es aber auch zu berücksichtigen, dass der Test bei besonders infektiösen Personen mit hoher Viruslast im Nasen-Rachen-Raum zuverlässiger ist als bei Personen mit wenigen Viren.
19. August: Forscher entdecken Schlüssel für eine Super-Immunität
ni. · Ein Vorgänger-Virus des heutigen Pandemie-Erregers führte 2002/03 zum Sars-Ausbruch mit über 8000 infizierten Personen; mehr als 700 von ihnen starben. Wer den damaligen Ausbruch überlebte, hat offenbar jetzt gewisse Vorteile, wie eine Studie aus Singapur nahelegt. Zwar sind diese Personen nicht per se gegen Covid-19 geschützt. Doch nach einer Immunisierung gegen das jetzt zirkulierende Coronavirus entwickeln sie eine ungewöhnlich breite Immunität gegen verschiedene Coronaviren.
Diesen Effekt hat das Team von Lin Fa Wang von der National University of Singapore jedenfalls bei acht Sars-Überlebenden aus Singapur nachweisen können. Bei den meisten seien auch 17 Jahre nach der Infektion noch neutralisierende Antikörper gegen den ehemaligen Sars-Erreger im Blut nachweisbar gewesen, schreiben die Wissenschafter in der Fachzeitschrift «The New England Journal of Medicine». Gegen das derzeitige Sars-CoV-2 dagegen fanden die Forscher vor der Impfung keine oder nur sehr wenige wirksame Antikörper.
Das änderte sich nach zwei Dosen mit dem RNA-Impfstoff von Pfizer/Biontech eindrücklich. Jetzt hatten alle acht Probanden hohe Konzentrationen von Antikörpern, die im Reagenzglas den Sars- und den Covid-19-Erreger bekämpfen konnten. Besonders interessant: Der Booster-Effekt auf die Antikörper gegen den Sars-Erreger war unabhängig vom Antikörper-Spiegel vor der Impfung.
Die Forscher erklären sich den beobachteten doppelten Effekt der Impfung damit, dass die für die Antikörper zuständigen Immunzellen (B-Zellen) auf jedes Virus mit einem Potpourri aus unterschiedlichen Antikörpern reagieren. Einige dieser Eiweissstoffe dürften dann auch gegen verwandte Viren eine gewisse Wirkung entfalten. Wenn das stimmt, könnte die Covid-19-Impfung bei den Sars-Überlebenden die spezifischen Immunzellen stärken und so zu einer besonders breiten Immunität führen, die sogar über den Sars- und den Covid-19-Erreger hinausgeht.
Um ihre Hypothese zu testen, untersuchten die Wissenschafter die Antikörper-Antworten von fünf verschiedenen Personengruppen: neben den Sars-Überlebenden mit Covid-19-Impfung waren das Sars-Überlebende ohne Impfung; Ungeimpfte mit gegenwärtiger Erkrankung an Covid-19; Geimpfte, die zuvor Covid-19 hatten, und schliesslich Personen ohne Kontakt mit Sars-CoV-2.
Wie sich zeigte, waren die geimpften Sars-Überlebenden die einzige Gruppe, deren Antikörper im Reagenzglas zehn verschiedene Coronaviren neutralisieren konnten. Darunter waren nicht nur alle bisherigen Varianten von Sars-CoV-2, sondern auch solche, die erst noch entstehen könnten. So war das Immunsystem dieser Personen auch gegen fünf Coronaviren gewappnet, die derzeit in Fledermäusen und Schuppentieren zirkulieren, in Zukunft aber auch für den Menschen gefährlich werden könnten.
An der Studie unbeteiligte Forscher sehen die Arbeit als Beweis dafür, dass eine breit wirksame Impfung gegen nicht ganz so eng verwandte Coronaviren gelingen könnte. So sind der ehemalige Sars-Erreger und das heutige Sars-CoV-2 nur zu etwa 80 Prozent identisch. Beide dringen aber, wie auch andere potenziell gefährliche Coronaviren, über den gleichen Rezeptor in die menschliche Zelle ein. Laut Wang und seinen Kollegen könnte ihre Studie zeigen, dass die Kombination von zwei verschiedenen Coronaviren – beziehungsweise deren Spike-Protein – möglicherweise ausreicht, um die erhoffte breite Immunität zu erzeugen. Bisherige Forschungsprojekte mit dem Ziel einer universalen Corona-Impfung arbeiteten mit deutlich mehr Viren.
3. August: Genetische Risiken für schwere Covid-19-Verläufe
evg. · Wie ein Mensch auf Sars-CoV-2 reagiert, ist auch von seiner genetischen Ausstattung beeinflusst. Neueste Forschungsergebnisse haben 13 genetische Varianten identifiziert, die eine Infektion begünstigen oder einen schweren Krankheitsverlauf wahrscheinlicher machen. Die Resultate wurden in der Fachzeitschrift «Nature» publiziert.
In die Analyse sind Daten einer grossen Menge von DNA-Abschnitten eingeflossen. Dadurch konnten Forscher nicht nur Basenfolgen untersuchen, deren Beteiligung an der Erkrankung bereits vermutet wird. Andrea Ganna, Mitautor der Studie und Forscher an der Universität Helsinki, teilt auf Anfrage mit, dass auch Unerwartetes gefunden worden sei, beispielsweise eine Position auf Chromosom 3, die mit einem schweren Covid-19-Verlauf assoziiert zu sein scheine. Noch ist unklar, wie dieser DNA-Abschnitt die Krankheit beeinflusst. Zudem bestätigte die Studie, dass Gene, die die Immunreaktion und die Lungenfunktion beeinflussen, einen schweren Verlauf der Erkrankung begünstigen können.
Die vorliegende Studie untersuchte bereits vorhandene, unabhängig erstellte Datensätze in einer sogenannten Metaanalyse. Dies war dank einer gemeinsamen Datennutzungsinitiative der Universität Helsinki und des Broad Institute in den USA möglich. Ein Vorteil dieses Vorgehens besteht darin, dass die Studie die Genome von Populationen unterschiedlicher genetischer Abstammung integrieren konnte, was die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die gesamte Bevölkerung erhöht.
Die Studienresultate können der Entwicklung von zielgerichteten Medikamenten gegen die Krankheit dienen. Sie erlauben nicht, eine Vorhersage darüber zu treffen, ob jemand sich infizieren oder schwer an Covid-19 erkranken könnte, wie dies bei Risikofaktoren wie Alter, Übergewicht oder Diabetes der Fall ist. Allerdings könnten die Forschungsresultate in Zukunft zur Berechnung des genetischen Risikoprofils eines Patienten herangezogen werden.
29. Juli: Beeinflusst Covid-19 die Denkfähigkeit nachhaltig?
evg. · Der Begriff «Long Covid» bezeichnet anhaltende Beschwerden nach einer Corona-Infektion. Patienten berichten beispielsweise von depressiven Symptomen und Energiemangel. Auch von kognitiven Beschwerden wird berichtet. Beispielsweise klagen Betroffene darüber, sich nicht richtig konzentrieren oder «nicht richtig denken» zu können. Erfahrungsberichte einzelner Patienten wurden bereits mehrfach in Fachzeitschriften dokumentiert.
Ob kognitive Tests diese Beschwerden fassen können und sich Unterschiede zu niemals infizierten Personen statistisch belegen lassen, haben Forscher am Imperial College London untersucht. In einem Online-Test haben mehr als zehntausend von Covid-19 genesene Personen anspruchsvolle Denkaufgaben gelöst.
Tatsächlich zeigte sich, dass ihre Leistung signifikant schlechter war als diejenige einer Vergleichsgruppe, die nicht mit Sars-CoV-2 infiziert gewesen war. Insbesondere die Fähigkeit, Planungs-und Problemlösungsaufgaben zu meistern, war verringert. Diese Beeinträchtigung war zudem statistisch unabhängig von anderen Beschwerden wie Müdigkeit, Angst und Depressionen. Das bedeutet, dass von Patienten berichtete Beschwerden im Denken durchaus mithilfe von kognitiven Tests fassbar sind.
Dass ein schwerer Krankheitsverlauf mit Hospitalisierung und Beatmung gerade bei älteren Patienten lange Erholungszeiten und auch länger anhaltende kognitive Beeinträchtigungen mit sich bringen kann, war bereits früher berichtet worden, unter anderem in der Fachzeitschrift «Neuropsychopharmacology».
Hingegen war für die Forscher aus London überraschend, dass auch die nicht hospitalisierten Patienten in den kognitiven Tests signifikant schlechtere Leistungen zeigten als die Vergleichsgruppe – wenn auch in geringerem Ausmass als die hospitalisierten Patienten. Denn eine Studie aus Italien hatte nach milden Verläufen einer Covid-19-Erkrankung trotz Symptomen wie Stress, Angst und Depressionen keine kognitiven Defizite gefunden. Doch dies könnte auch an der vergleichsweise geringen Anzahl untersuchter Personen in der italienischen Studie liegen.
Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Infektion und der kognitiven Beeinträchtigung ist mit der vorliegenden Studie noch nicht belegt. Denn dafür hätten die Patienten nicht nur nach, sondern auch vor einer Infektion getestet werden müssen. Allerdings haben die Forscher dies so gut wie möglich in ihrer statistischen Analyse berücksichtigt.
Die vorliegenden Studienresultate sind ein Hinweis darauf, dass eine Infektion mit Sars-CoV-2 das Denken beeinträchtigen könnte. Noch ist unklar, wie die gemessenen Unterschiede und die von Betroffenen berichteten Beschwerden genau zusammenhängen.
Interessant wäre zu wissen, ob es die gemessenen Unterschiede in der Problemlösungsfähigkeit sind, die für den Einzelnen im Alltag wahrnehmbar und einschränkend sind. Denn durch die grosse Anzahl untersuchter Personen in der Studie aus England können bereits kleinste Unterschiede statistisch signifikant werden. Weitere Studien sollen die Ursachen der anhaltenden psychischen und kognitiven Beschwerden erforschen und untersuchen, ob sich die Erkrankten mit der Zeit vollständig erholen.
28. Juni: Wie stark beeinflussen die Jahreszeiten die Ausbreitung des Coronavirus?
rtz. · Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie versuchen Wissenschafter, den Einfluss der Jahreszeiten auf die Verbreitung des Virus zu quantifizieren. Diesen zu kennen, wäre wichtig und hilfreich, damit man inmitten der Pandemie mit geeigneten Modellrechnungen ein Stück vorausplanen und Schutzmassnahmen wie das Abstandhalten, das obligatorische Tragen von Masken oder die Schliessung von Schulen und Restaurants dosiert einsetzen könnte.
Allerdings kamen in der Vergangenheit verschiedene Forscherteams zu unterschiedlichen Schlüssen. Mal wurde der Einfluss der Saisonalität auf das Virus als gering, mal als durchaus wesentlich eingeschätzt.
Das liegt vornehmlich daran, dass der Einfluss der Jahreszeiten auf das Infektionsgeschehen komplex und vielgestaltig ist. Darin überlagern sich mehrere, zum Teil in entgegengesetzter Richtung wirkende Effekte. Beispielsweise wirken sich Temperatur, Luftfeuchtigkeit und UV-Strahlung auf die Lebensdauer des Virus in einem Aerosoltröpfchen aus. Gleichzeitig schwankt im Rhythmus der Jahreszeiten aber auch die Fähigkeit des menschlichen Immunsystems, mit Erregern fertigzuwerden. Kommt hinzu, dass sich das Leben in den warmen Monaten nach draussen verlagert, während man die kalten Jahreszeiten lieber mit Beschäftigungen drinnen verbringt. Und dann können noch kulturelle Aspekte wie grosse Feste, Schulferien und Reisetätigkeit der Verbreitung des Virus Vorschub leisten – oder sie eben hemmen.
Angesichts dieser Gemengelage entschied eine interdisziplinäre Gruppe Forschender aus England, den Gesamteinfluss der Jahreszeiten auf die Corona-Pandemie zu untersuchen, anstatt die Effekte einzelner Einflussfaktoren wie Witterung, Schule und Ferien auseinanderzudividieren. Ihre Resultate haben die Forscher unlängst auf medRxiv aufgeschaltet – die Studie ist also noch nicht begutachtet worden.
Die Wissenschafter nahmen an, dass die Jahreszeiten dem Infektionsgeschehen eine sinusförmige Schwankung aufprägen. Ausserdem beschränkten sie ihre Analyse auf Europa, um starke Abweichungen, was die kulturellen und sozialen Einflussfaktoren angeht, auszuklammern. So konnten sie unter Berücksichtigung der in europäischen Ländern beobachteten Fallzahlen und der nichtpharmazeutischen Interventionen den Einfluss der Jahreszeiten auf die Pandemie modellieren.
Sie kamen zu dem Ergebnis, dass der Reproduktionsfaktor R des Coronavirus allein durch saisonale Effekte im Sommer um mehr als 40 Prozent sinkt. Das ist viel – vergleichbar etwa mit den Auswirkungen einer starken einschränkenden Schutzmassnahme wie dem Schliessen von Schulen und Universitäten. Allerdings, so betonen die Autoren, bedeute das Ergebnis nicht, dass im Sommer oder in heissen, feuchten Regionen nicht mit Ausbrüchen zu rechnen sei. Auch unter sommerlichen Bedingungen könne die Reproduktionsrate des Coronavirus über 1 liegen und einen exponentiellen Anstieg der Fallzahlen nach sich ziehen.
2. Juni: Begünstigt die Corona-Impfung bei jungen Männern eine Herzmuskelentzündung?
ni. · Israelische Forscher haben gemäss einem Bericht der Fachzeitschrift «Science» für den Pfizer-Biontech-Impfstoff ein erhöhtes Risiko für eine Herzmuskelentzündung festgestellt. Vor allem junge Männer waren von der auch Myokarditis genannten Krankheit betroffen. Fachleute betonen, dass die in Israel festgestellte statistische Risikoerhöhung Männer nicht von der Immunisierung gegen Covid-19 abhalten sollte. Denn der Nutzen der Impfung überwiege die Risiken.
In einem Bericht an das israelische Gesundheitsministerium schreiben die Forscher laut «Science», dass einer von 3000 bis 6000 Männern im Alter von 16 bis 24 Jahren nach der Impfung eine Entzündung des Herzmuskels entwickelt habe. In den allermeisten Fällen sei die Krankheit mild verlaufen und nach der Gabe von entzündungshemmenden Schmerzmitteln in wenigen Wochen wieder abgeklungen. Bei zwei Männern verlief die Myokarditis tödlich, wobei der Zusammenhang mit der Impfung nicht konklusiv sei.
Auch in den USA und in Europa untersuchen die Gesundheitsbehörden Fälle von Myokarditis, die in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Corona-Impfung aufgetreten sind. So hat die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) gemäss «Science» bis Ende Mai 107 Berichte zu Myokarditis-Fällen nach der Pfizer-Biontech-Vakzine erhalten. Das entspreche einem Fall auf 175 000 verabreichte Impfdosen, was deutlich weniger ist als in Israel.
In der Schweiz sind laut Swissmedic bis Ende Mai 12 Fälle von Myokarditis, Perikarditis (Herzbeutelentzündung) und Kombinationen davon gemeldet worden. Vier Meldungen betrafen den Pfizer-Biontech-Impfstoff, sieben die Vakzine von Moderna; bei einer Meldung fehlte die Angabe zum Impfstoff. Die 12 Fälle entsprächen etwa einer Meldung auf 400 000 verabreichte Impfdosen, schreibt Swissmedic.
Bei diesen Melderaten muss berücksichtigt werden, dass in Europa erst sehr wenige Personen unter 30 Jahren geimpft wurden. In Israel indes erhalten seit Ende Januar alle Männer und Frauen über 16 Jahren die Impfung. Gemäss der Agentur Reuters sind in dem Land zwischen Dezember 2020 und Mai 2021 insgesamt 275 Myokarditis-Fälle gezählt worden. Bei rund 5 Millionen geimpften Menschen ist das etwa ein Fall auf 18 000 Geimpfte, was im allgemeinen Hintergrundrauschen der auch ohne Impfung auftretenden Myokarditis-Fälle untergeht. Denn Herzentzündungen können durch verschiedene Viren, auch Sars-CoV-2, wie auch andere Erreger ausgelöst werden.
90 Prozent der festgestellten Myokarditis-Fälle betrafen in Israel jedoch junge Männer unter 30 Jahren. Für diese Altersgruppe – insbesondere jene der 16- bis 19-Jährigen – errechneten die Forscher eine deutlich höhere Fallrate, als sie das ohne die Impfung erwartet hätten. Sie sprechen deshalb von einer «wahrscheinlichen Verbindung» mit der Impfung. Der Hersteller Pfizer indes sagte in einer Stellungnahme, dass bis anhin keine kausale Verbindung zwischen Myokarditis und seiner Impfung etabliert sei.
Was die Gründe für die israelische Beobachtung einer erhöhten Myokarditis-Häufigkeit bei jungen Männern sind, ist noch unklar. Auch noch ungewiss ist, ob die festgestellte Risikoerhöhung nur den in Israel überwiegend eingesetzten Pfizer-Biontech-Impfstoff oder aber auch andere Vakzine betrifft. Spekuliert wird, dass die RNA-Impfung als besonders wirksame Immunisierung bei jungen Männern eine so starke Immunantwort hervorrufen könne, dass daraus in seltenen Fällen eine Herzmuskelentzündung entstehe.
25. Mai: Spürhunde erkennen Virus mit einer Genauigkeit von bis zu 94 Prozent
ina. · Trainierte Hunde können Corona-Infizierte sehr schnell erkennen, selbst solche ohne Symptome, wie neue Versuche der London School of Hygiene and Tropical Medicine (LSHTM) zeigen. Sechs Hunde, die zur Wohltätigkeitsorganisation Medical Detection Dogs gehören, hätten an den getragenen Socken und T-Shirts von 400 Probanden geschnüffelt und infizierte Personen mit hoher Genauigkeit erkannt. Der beste Schnüffler – ein vierjähriger Labrador namens Tala – konnte positive Proben mit einer Genauigkeit von 94 Prozent identifizieren, während der Hund mit der niedrigsten Leistung 82 Prozent erzielte.
Die vorläufigen Studienergebnisse sind zwar nicht so genau wie ein traditioneller PCR-Test, doch um ein Vielfaches schneller, denn Hunde brauchen weniger als eine Sekunde, um Gerüche zu erkennen. Selbst Schnelltests dauern 15 Minuten, und zudem sind sie weniger verlässlich bei asymptomatischen Personen. Hunde, die darauf trainiert sind, das Virus zu erkennen, könnten daher künftig durch Menschenreihen an Flughäfen oder Stadien gehen und die Luft um sie herum erschnuppern. Wenn ein Hund signalisiert, dass jemand mit dem Virus infiziert ist, müsste jedoch ein PCR-Test im Labor durchgeführt werden, um das Ergebnis zu bestätigen. Denn die sechs Hunde hätten 16 von 100 Menschen, die das Virus nicht hatten, fälschlicherweise identifiziert, schreiben die britischen Forscher.
Frühere Studien haben gezeigt, dass der ausgeprägte Geruchssinn von Hunden zur Erkennung von Krebs, Parkinson oder viralen Erkrankungen wie Malaria eingesetzt werden kann. Dabei riechen die Hunde nicht den Erreger an sich. Sie riechen sogenannte flüchtige organische Stoffe (VOC), welche von infizierten Zellen freigegeben und über den Schweiss oder Urin ausgeschieden werden. Hunde riechen und erkennen diese Stoffe – auch kurz nach der Ansteckung, wenn infizierte Personen noch keine Symptome zeigen.
In der nächsten Phase der Studie wollen die britischen Forscher prüfen, ob die Spürhunde das Virus auch an infizierten Personen erkennen – nicht nur an ihren getragenen Socken oder T-Shirts. Auch in der Schweiz, Frankreich oder Libanon werden Corona-Spürhunde ausgebildet, und an Flughäfen in Helsinki und Dubai wurden trainierte Hunde bereits letztes Jahr im Rahmen laufender Versuche eingesetzt.
21. Mai: Leicht erhöhtes Risiko für Babys kurz vor der Geburt
slz. · Schwangere, die sich kurz vor dem errechneten Geburtstermin mit Sars-CoV-2 anstecken, haben ein leicht erhöhtes Risiko, dass die Geburt zu früh einsetzt und das Baby tot auf die Welt kommt. Zu dieser Schlussfolgerung kommt eine Studie, die im «American Journal of Obstetrics and Gynecology» veröffentlicht wurde. In England waren dafür zwischen Ende Mai 2020 und Ende Januar 2021 insgesamt 342 080 Schwangere untersucht worden, 3527 von ihnen hatten eine laborbestätigte Corona-Infektion. Bei dieser Gruppe kam es im Schnitt zu 8,5 Totgeburten pro 1000 Frauen, bei den Nichtinfizierten betrug die Rate 3,4. Schäden bei der sehr grossen Mehrheit der überlebenden Neugeborenen wurden keine festgestellt.
Unklar bleibt, warum die Corona-Infektion eine Gefahr darstellt. Dies könnte an Blutgerinnungsstörungen oder Entzündungen der Plazenta, ausgelöst durch das Virus, oder generell am schlechteren Gesundheitszustand der erkrankten Mutter liegen.
Zudem ist nicht gesagt, dass alle Schwangeren das gleich hohe Risiko für eine Totgeburt aufweisen, wenn sie sich kurz vor dem Geburtstermin infizieren. So wurde nicht angegeben, wie schwer die Erkrankung jeweils verlief. Es kann also sein, dass nur Frauen mit einer schweren Covid-19-Erkrankung das beobachtete erhöhte Risiko für eine Totgeburt aufweisen.
Dessen ungeachtet stelle sich die Frage der Impfung von Schwangeren mit neuer Dringlichkeit, schreiben die Autoren. Zwar lägen noch keine Daten aus klinischen Studien vor, ob die zugelassenen Corona-Impfstoffe für Mutter und Ungeborene sicher seien. Hinweise aus Ländern wie Israel oder den USA, die bereits Schwangere impften, sprächen jedoch dafür.
7. Mai: Ein Biomarker erkennt schwere Covid-19-Verläufe
ni. · Die meisten Personen entwickeln nach einer Infektion mit dem neuen Coronavirus keine oder nur geringfügige Symptome. Einige erkranken allerdings so schwer, dass sie medizinische Intensivpflege benötigen – und teilweise trotzdem sterben. Diese besonders gefährdeten Patienten möglichst früh anhand von sicheren Zeichen zu erkennen, wäre von grossem klinischem Nutzen. Denn damit hätten Spitalärzte eine objektive Grundlage, um bei ihren Patienten mit Covid-19 über die benötigten Therapiemassnahmen und den richtigen Behandlungsort zu entscheiden.
Einer internationalen Forschergruppe unter Zürcher Leitung ist bei der Suche nach einem solchen prädiktiven Biomarker offenbar ein Erfolg gelungen. In Zusammenarbeit mit Wissenschaftern aus Tübingen, Toulouse und Nantes haben der experimentelle Immunologe Burkhard Becher von der Universität Zürich und seine Kollegen zeigen können, dass man anhand der Zahl der sogenannten natürlichen Killer-T-Zellen (NKT-Zellen) im Blut einen schweren Covid-19-Verlauf voraussagen kann. Das gelinge «mit hoher Sicherheit und bereits am Tag der Aufnahme ins Spital», wird Becher in einer Medienmitteilung der Universität Zürich zitiert.
Die natürlichen Killer-T-Zellen sind eine heterogene Untergruppe der weissen Blutzellen, genauer: der T-Zellen. Sie sind bereits sehr früh in der Immunabwehr gegen Viren involviert. Bei Patienten mit schwerem Verlauf konnte Bechers Forschergruppe einen starken Abfall dieser Zellen nachweisen. Solche Patienten entwickeln später typischerweise eine überschiessende Immunantwort auf den Krankheitserreger. Die dabei gebildeten Botenstoffe verursachen eine massive Entzündungsreaktion im Körper, wodurch in der Lunge etwa der Gasaustausch gestört wird.
Ähnliche Krankheitsverläufe wie bei Covid-19 sehen Ärzte aber auch bei Infektionen mit anderen respiratorischen Erregern. Um spezifische Unterschiede erkennen zu können, analysierten die Forscher für ihre Arbeit in der Fachzeitschrift «Immunity» nicht nur die Blutproben von 57 unterschiedlich schwer erkrankten Covid-19-Patienten, sondern auch jene von 25 Patienten mit schweren, aber nicht durch Sars-CoV-2 verursachten Lungenentzündungen und von 21 gesunden Kontrollpersonen.
Für die Messung der Immunzellen und Botenstoffe in den Blutproben benützten die Wissenschafter die sogenannte hochdimensionale Zytometrie. Damit können Eiweisse auf der Oberfläche und im Innern von Millionen von Zellen gleichzeitig bestimmt und die Daten anschliessend durch Computerhilfe ausgewertet werden. Wie sich zeigte, war die generelle Immunantwort bei den verschiedenen Formen von Lungenentzündungen sehr ähnlich. Doch bei Patienten mit schwerem Covid-19-Verlauf verhielten sich laut Becher die natürlichen Killer-T-Zellen einzigartig. Diese Zellen würden eine spezifische Immunsignatur definieren, die im Spital nachgewiesen werden könne, so Becher.
9. März: Mehr Coronavirus-Infektionen bei stärkerem Pollenflug
(dpa)/lsl. · Starker Pollenflug kann laut einer Studie das Risiko für eine Sars-CoV-2-Infektion erhöhen. Gebe es viele Pollen in der Aussenluft, stiegen die Infektionszahlen, berichtet ein Forschungsteam in der Wissenschaftszeitschrift «Proceedings of the National Academy of Sciences» («PNAS»).
Pro 100 Pollenkörner in einem Kubikmeter Luft stiegen die Infektionsraten an Orten ohne Lockdown-Regelungen – und demnach ohne Einschränkung der Übertragung – im Schnitt um jeweils 4 Prozent. In manchen deutschen Städten seien im Untersuchungszeitraum zeitweise pro Tag bis zu 500 Pollen auf einen Kubikmeter gekommen – dabei stiegen die Infektionsraten um mehr als 20 Prozent.
Die Forscher erklären das Phänomen folgendermassen: Wenn Pollen flögen, reagiere die Körperabwehr in abgeschwächter Form auf Viren der Atemwege, die Schnupfen und Erkältungen verursachen – und das unabhängig vom allergenen Potenzial der Pollen. Der Körper produziere dann unter anderem weniger sogenannte antivirale Interferone. Diese Botenstoffe rufen benachbarte Zellen dazu auf, ihre antivirale Abwehr zu verstärken, um die Eindringlinge in Schach zu halten.
Die täglichen Infektionsraten korrelierten mit der Pollenzahl in Ländern mit und ohne Lockdown. Bei vergleichbarer Pollenkonzentration in der Luft war die Zahl der täglichen Infektionen im Schnitt halb so hoch mit Lockdown als ohne. Zusammen mit der Luftfeuchtigkeit und der Temperatur könne der Pollenflug 44 Prozent der Varianz der Infektionszahlen erklären, schreiben die Forscher.
Die Autoren hatten Daten zur Pollenbelastung und Sars-CoV-2-Infektionsraten aus 130 Stationen in 31 Ländern auf fünf Kontinenten analysiert. Sie berücksichtigten auch demografische Faktoren und Umweltbedingungen, darunter die Temperatur, die Luftfeuchtigkeit, die Bevölkerungsdichte und die Ausprägung des Lockdowns.
Laut einer Pressemitteilung rät die leitende Forscherin Claudia Traidl-Hoffmann Personen aus der Risikogruppe, die Pollenflugprognosen in den nächsten Monaten zu Rate zu ziehen. Sie könnten Masken tragen, wenn die Pollenkonzentration hoch sei. Das könne das Virus und den Pollen gleichermassen von den Atemwegen fernhalten.
11. Februar: Aerosol-«Superspreader» – das Alter und das Gewicht sind ausschlaggebend
lsl. · Vor der Pandemie machte sich kaum einer über ausgeatmete Aerosole Gedanken. Aber mittlerweile wissen wir: Mit diesen Tröpfchen werden Viren ausgestossen, und je mehr davon eine infizierte Person abgibt, desto ansteckender ist sie wahrscheinlich. Nun haben Forscher analysiert, wie gross die Unterschiede in der Aerosolbildung bei gesunden Personen sind.
Bei 194 Studienteilnehmern detektierten sie die Aerosole im Atem, während jene Atemmasken trugen. Der Unterschied war gross. Einige wenige Probanden atmeten sehr viele Partikel aus: 18 Prozent von ihnen produzierten 80 Prozent der winzigen Tröpfchen, wie die Forscher berechneten. Das Verhältnis der Aerosol-«Superspreader» passe gut zu dem beobachteten Verhältnis der Viren-Superspreader von ebenfalls etwa 20:80, schreiben sie in der Zeitschrift «PNAS».
Die Aerosole entstehen laut den Forschern, wenn die Atemluft mit hoher Geschwindigkeit über die mit flüssigem Schleim überzogenen Atemwege streicht. Deshalb entstehen beim Lachen, Singen oder lauten Reden auch mehr Aerosole. Dabei kommt mehr Bewegung in die Flüssigkeit, sie wird aufgepeitscht, ähnlich wie wenn Wind über das Meer fegt und feine Tröpfchen aufwirbelt.
Faktoren wie etwa die Ernährung und das Alter beeinflussten die Beschaffenheit des Schleims – und damit wahrscheinlich auch die Aerosolbildung, schreiben die Forscher. Sie suchten deshalb nach Zusammenhängen. Keinen Unterschied gab es zwischen Männern und Frauen. Jedoch scheint das Alter und Gewicht der Personen einen Unterschied zu machen. So gehörten junge Menschen mit einem tiefen Body-Mass-Index nicht zur Gruppe der Aerosol-«Superspreader», jedoch auffallend viele Übergewichtige mit höherem Alter.
Wichtiger aber noch: Die Aerosolbildung scheint bei einer Sars-CoV-2-Infektion zuzunehmen. Das hatten die Forscher in einer früheren Arbeit bei einem einzelnen Patienten beobachtet. Um nun genauer zu untersuchen, wie sich die Menge der ausgestossenen Aerosole im Laufe einer Infektion entwickelt, infizierten sie acht Affen mit Sars-CoV-2.
Täglich analysierten sie dann die Menge der Viren im Nasensekret sowie die abgegebenen Aerosole. Mit steigender Viruslast nahm die Zahl der Tröpfchen im Atem stetig zu, bis sie an Tag 7 einen Spitzenwert erreichte. Danach sank sie wieder ab. Die Forscher nehmen an, dass während einer Sars-CoV-2-Infektion auch bei Menschen die Menge der Aerosole zunimmt und das in jeder Altersgruppe.
10. Februar: Das Thromboserisiko bleibt bei Covid-19 zwei Monate lang erhöht
ni. · Dass eine Infektion mit dem neuen Coronavirus das Risiko für Blutgerinnsel in den Venen und – etwas weniger stark – in den Arterien erhöht, haben Ärzte schon in der ersten Welle der Pandemie festgestellt. Die Verklumpungen können sich bei den Patienten als Venenthrombose, Lungenembolie, Herzinfarkt oder Hirnschlag äussern. Wegen dieser Gefahr erhalten seit längerem alle hospitalisierten Covid-19-Patienten eine medikamentöse Thromboseprophylaxe mit Heparin oder einem anderen Medikament. Ob auch die – weniger schwer erkrankten – ambulanten Patienten von einer solchen Prophylaxe profitieren, ist weniger klar.
Diese Frage kann zwar auch eine neue Studie aus Schottland nicht beantworten. Die Arbeit zeigt aber, dass das Risiko für Thromboembolien (unter diesem Begriff werden die durch Blutgerinnsel bedingten Krankheiten zusammengefasst) bis zu zwei Monate nach der laborbestätigten Covid-19-Diagnose anhält – und das auch bei jüngeren und ambulanten Patienten. Für ihre auf dem Preprint-Server medRxiv erschienene Untersuchung hat die Gruppe von Frederick Ho von der Universität Glasgow fünf nationale Gesundheitsdatenbanken angezapft. Damit konnten sie in dem Land mit 5,5 Millionen Einwohnern alle Personen mit einer erfassten Covid-19- und Thromboembolie-Diagnose identifizieren.
Bis Anfang Oktober liessen sich knapp 1500 Patienten mit einer solchen Doppeldiagnose finden (bei gut 30 000 Covid-19-Patienten). Wie die statistische Analyse zeigt, gibt es zwischen der Infektion und der nachfolgenden Thrombose oder Embolie einen klaren zeitlichen Zusammenhang. Die Assoziation war in den ersten sieben Tagen nach dem positiven Testergebnis besonders stark. In dieser Zeit entwickelten die Patienten neben Venenthrombosen und Lungenembolien auch gehäuft Herzinfarkte und Hirnschläge. Das erhöhte Risiko blieb für Venenthrombosen und Lungenembolien bis zu 56 Tage nach dem positiven Testergebnis nachweisbar.
Auch andere Infektionskrankheiten wie die Grippe erhöhten das Thromboserisiko, schreiben die Forscher. Der Effekt sei bei Covid-19 aber stärker. Deshalb wird die medikamentöse Thromboseprophylaxe heute schon auf gewisse ambulante Covid-19-Patienten ausgeweitet. Das sind vor allem Personen mit weiteren Risikofaktoren für Gerinnungsprobleme. Bei ihnen kann nach verschiedenen Behandlungsempfehlungen nach Abwägen der Vor- und Nachteile eine zeitlich beschränkte Thromboseprophylaxe in Betracht gezogen werden. Sie allen anzubieten, wird wegen möglicher Blutungskomplikationen aber nicht empfohlen.
27. Januar: Die Verbreitungsgebiete von Fledermäusen «überbrücken» die Strecke zwischen dem Fundort des nächsten Verwandten von Sars-CoV-2 und Wuhan
kus. · Noch immer sind die direkten Vorfahren des neuen Coronavirus Sars-CoV-2 nicht gefunden. Damit ist auch die Frage, wie genau und über welche Stationen das Virus seinen Weg in den Menschen fand, weiterhin offen. Die nächsten Verwandten des Virus sind noch immer zwei Fledermaus-Coronaviren, die man 1500 Kilometer von Wuhan entfernt entdeckt hatte. In Wuhan wurde Sars-CoV-2 zum ersten Mal nachgewiesen. Allerdings trennten sich die Wege der beiden Viren laut Forschern bereits vor etwa 50 Jahren von jenem von Sars-CoV-2. Forscher analysierten nun weitere Coronaviren aus Fledermäusen und Schuppentieren mit Blick auf den Ursprung des Virus.
Zunächst verglichen David Robertson von der University of Glasgow und seine Kollegen die Coronaviren miteinander. Das Erbgut dieser Viren verändert sich an sich eher langsam. Allerdings können die Erreger – sollten zwei verschiedene Varianten denselben Wirt infizieren – Stücke ihres Erbguts miteinander tauschen und durch diesen Prozess sprunghaft neue Virentypen mit anders zusammengesetztem Erbgut bilden. So dürfte laut den Forschern auch eines der zwei besonders nah mit Sars-CoV-2 verwandten Viren namens RmNY02 einen Teil seines Erbguts erworben haben. Manche der Viren, die Teile ihres Genoms teilen, kommen dabei bis zu 2000 Kilometer weit entfernt voneinander vor, wie Robertson und seine Kollegen in einem Preprint auf der Internet-Plattform bioRxiv schreiben.
Nach der Genetik und dem Vorkommen der Viren untersuchte das Team auch die Verbreitungsgebiete von vier Fledermausarten. RaTG13, das über das gesamte Erbgut hin mit Sars-CoV-2 am nächsten verwandte Virus, stammt aus einer Java-Hufeisennase Rhinolophus affinis, das Virus namens RmYN02 aus der Hufeisennasenart R. malayanus. Allerdings ist das Verbreitungsgebiet von Letzterer beschränkt – im Gegensatz zu jenem der Java-Hufeisennase und der Art R. sinicus. Beide sind weit über China verbreitet, die Verbreitungsgebiete überlappen sich vollständig und schliessen all jene Orte ein, wo relevante Viren gefunden worden waren: Wuhan, die Provinz Yunnan, aus der die beiden nächsten Verwandten von Sars-CoV-2 stammen, die Fundorte der infizierten Schuppentiere. Zudem umfassen sie auch die teils weit voneinander entfernt gelegenen Fundorte der Viren, die Erbgut teilen.
Ihre Ergebnisse zeigen laut den Forschern, dass man die Probenentnahme für die Suche nach dem Ursprung von Sars-CoV-2 und weiteren potenziell gefährlichen Coronaviren geografisch breit anlegen und sich auch nicht auf eine Tierart beschränken sollte. Allerdings: Auf die Java-Hufeisennase sollte man laut den Forschern ein besonderes Augenmerk richten. Sie teile ihre Schlafstätten mit anderen Fledermausarten, was den Viren die Möglichkeit biete, neue Wirte zu infizieren, Co-Infektionen zu verursachen und dabei Erbgut auszutauschen.
11. Januar: Versammlungsverbote und Schulschliessungen reduzieren die Mobilität besonders effizient
Spe. · Die Einschränkung der Mobilität ist ein probates Mittel, die Corona-Fallzahlen zu senken. Wer sich weniger bewegt, hat in der Regel auch weniger Gelegenheiten, sich mit dem Coronavirus anzustecken oder es zu verteilen. Dass es im Frühling letzten Jahres gelang, die erste Welle der Corona-Pandemie zu brechen, lag unter anderem auch daran, dass durch den landesweit verordneten Lockdown der Bewegungsradius der Bevölkerung erheblich eingeschränkt werden konnte. Einen grossen Anteil daran hatten offenbar Versammlungsverbote, Laden- sowie Schulschliessungen. Das geht aus einer noch nicht begutachteten Publikation hervor, die Forscher der ETH Zürich am Wochenende aufs Netz gestellt haben.
Die Gruppe um Stefan Feuerriegel wertete die Daten aus, die zwischen dem 10. Februar und dem 26. April des letzten Jahres von den Schweizer Mobilfunkanbietern gesammelt wurden. Diese Daten verraten, mit welcher Antenne ein Handy zu einem bestimmten Zeitpunkt verbunden ist. Auf diese Weise konnten die Forscher 1,5 Milliarden Bewegungen im fraglichen Zeitraum rekonstruieren. Ein Vergleich mit den Bewegungsdaten des Vorjahres zeigte, dass die Mobilität durch den Lockdown um 50 Prozent abgenommen hatte.
Der Bundesrat hatte im März 2020 mit einem ganzen Bündel von Massnahmen auf die steigenden Fallzahlen reagiert. Obwohl diese im Abstand von wenigen Tagen in Kraft traten, gelang es den ETH-Forschern, dieses Knäuel mit statistischen Methoden und unter Berücksichtigung kantonaler Unterschiede zu entwirren. Laut den Ergebnissen wurde die Mobilität durch das Verbot von Versammlungen mit mehr als fünf Personen um 24,9 Prozent reduziert, durch die Schliessung von Läden und Geschäften um 22,3 Prozent und durch Schulschliessungen um 21,6 Prozent. Grenzschliessungen und das Versammlungsverbot von mehr als 100 Personen hatten hingegen eine untergeordnete Wirkung. Überraschend ist der relativ grosse Effekt der Schulschliessungen. Zum Teil ist dieser darauf zurückzuführen, dass mit den Kindern auch die Eltern und Lehrer zu Hause blieben.
In einem zweiten Schritt konnten die Forscher zeigen, dass die Bewegungsdaten ein guter Indikator für das Infektionsgeschehen sind. Geht die Mobilität um ein Prozent zurück, nehmen 7 bis 13 Tage später die Fallzahlen um 0,8 bis 1,1 Prozent ab. Durch ein regelmässiges Monitoring der Mobilfunkdaten lässt sich also vorab erkennen, ob die ergriffenen Massnahmen ausreichend sind. Anhand der Fallzahlen lässt sich das erst nach zehn Tagen beurteilen. Manchmal ist es dann schon zu spät, um korrigierend einzugreifen.
Wichtige Erkenntnisse aus 2020
31. Dezember: Warum Bluthochdruck das Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 erhöht
slz. · Menschen mit Bluthochdruck (Hypertonie) haben laut diversen Studien ein drei- bis vierfach höheres Risiko für eine schwere Covid-19-Erkrankung. Forscher der Charité Berlin und Kollegen anderer deutscher Institute haben nun eine mögliche Ursache dafür gefunden. Die Hypertonie führe zu einem entzündlichen Zustand und diverse Zellen des Immunsystems befänden sich dadurch bereits vor einer Infektion sozusagen in erhöhter Alarmbereitschaft, erklären die Wissenschafter in einer Publikation in «Nature Biotechnology». Wenn nun der Virenansturm komme, reagiere das System über.
Es werden dann nicht nur wie erwünscht virenbefallene Zellen vernichtet, es kommt auch zu einer Zerstörung gesunden Gewebes. Erhöhte Entzündungswerte seien unabhängig vom Herz-Kreislauf-Status immer ein Warnsignal dafür, dass die Covid-19-Erkrankung schwer verlaufen werde, betonte Ulf Landmesser, einer der beteiligten Forscher. Eine beruhigende Nachricht ist allerdings, dass auch die neue Studie keine Hinweise dafür findet, dass Bluthochdruckpatienten anfälliger sind für eine Sars-CoV-2-Infektion.
Allerdings hatte die Art der medikamentösen Behandlung einen grossen Einfluss auf das Covid-19-Risiko der Studienteilnehmer. So wiesen Hypertoniker, die bereits vor der Sars-CoV-2-Infektion regelmässig ACE-Hemmer zur Regulierung ihres Blutdrucks eingenommen hatten, kein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf auf. Nahmen die Patienten hingegen andere Substanzen ein, sogenannte Angiotensin-Rezeptor-Blocker, profitierten sie bezüglich Covid-19 kaum davon: Ihr Risiko für einen schweren Verlauf war fast so hoch wie für Bluthochdruck-Betroffene, die keines dieser beiden Medikamente einnahmen.
In der ACE-Hemmer-Gruppe verlief die Entzündungsreaktion milder, und die Immunzellen waren effektiver in der Virenbekämpfung. Somit sank die Virenlast im Organismus deutlich schneller und auch auf geringere Mengen.
Die neue Arbeit bestätigt damit frühere Untersuchungen, die zeigten, dass eine Therapie mit ACE-Hemmern den Verlauf von Covid-19 nicht verschlechtert. Dies war zu Beginn der Pandemie befürchtet worden, weil Sars-CoV-2 das ACE-2-Protein als Andockstation und Helfer beim Zelleintritt verwendet. Ob es für Hypertoniker sinnvoll sei, bei einer Sars-CoV-2-Diagnose sofort ACE-Hemmer einzunehmen, dafür liefere die Studie keine Hinweise, schreiben die Autoren warnend. Man wisse nicht, wie schnell dies einen Einfluss auf den Zustand des Immunsystems habe. Um diese Frage zu klären, sind bereits klinische Untersuchungen eingeleitet worden.
18. Dezember: Dreimal so hohes Sterberisiko durch Covid-19: Bisher grösste Studie zeigt wichtige Unterschiede zu Influenza
ni. · Rechtzeitig vor dem Impfstart in vielen Ländern erscheinen die Resultate einer Studie, die Unentschlossene vielleicht doch noch für die Immunisierung gegen das neue Coronavirus motivieren könnten. Denn die neuen Daten aus Frankreich machen einmal mehr deutlich, dass Covid-19 keine harmlose Krankheit ist. Das gleiche Bild haben zwar schon andere Untersuchungen vermittelt. Aber noch nie basierten die Aussagen auf einer so grossen Datenmenge.
Für ihre Studie analysierten Catherine Quantin vom Universitätsspital Dijon und ihre Kollegen die klinischen Informationen von mehr als 130 000 hospitalisierten Patienten. Solche Informationen werden in Frankreich von allen öffentlichen und privaten Spitälern in eine nationale Datenbank eingespeist. Knapp 90 000 der Spitalpatienten waren diesen Frühling in Frankreich wegen Covid-19 hospitalisiert gewesen. Die restlichen gut 45 000 Personen hatten in der Grippesaison 2018/19 wegen Influenza ein Spital aufsuchen müssen.
Im Vergleich zu den hospitalisierten Grippepatienten hatten die Covid-19-Patienten in den Spitälern ein dreimal so hohes Sterberisiko (17 Prozent gegenüber 6 Prozent). Zudem: Bei Covid-19 entwickelte ein grösserer Teil der Patienten eine so schwere Erkrankung, dass sie auf der Intensivstation behandelt werden mussten (16 Prozent gegenüber 11 Prozent). Der Aufenthalt auf der Intensivstation dauerte im Fall von Covid-19 fast doppelt so lange (15 Tage gegenüber 8 Tagen).
Laut den Studienautoren dürften die festgestellten Unterschiede vor allem darauf zurückzuführen sein, dass bei der Influenza die Bevölkerung über einen gewissen Immunschutz verfügte. Dieser stammt von der jährlichen Grippeimpfung wie auch von früheren Begegnungen mit ähnlichen Influenzaviren (Kreuzimmunität). Beim pandemischen Coronavirus Sars-CoV-2, einem neuartigen Krankheitserreger, habe die Bevölkerung keine Immunität gehabt, schreiben die Forscher.
Um die in der Fachzeitschrift «The Lancet Respiratory Medicine» erschienenen Resultate einordnen zu können, müsste man wissen, wie repräsentativ die von den französischen Forschern untersuchte Grippesaison war. Es ist schliesslich bekannt, dass die grippebedingten Todesfallzahlen je nach zirkulierenden Influenzaviren und Wirksamkeit der jährlich zusammengestellten Grippeimpfung stark variieren können. Zu diesem Punkt befragt, sagt die Studienleiterin Quantin in einer Medienmitteilung, dass die Grippesaison 2018/19 in Frankreich die schwerste in den letzten fünf Jahren gewesen sei.
In einem begleitenden Kommentar zur französischen Arbeit schreibt Eskild Petersen von der Universität Aarhus in Dänemark, dass man davon ausgehen könne, dass die Indikationen für eine Hospitalisation in den beiden Untersuchungszeiträumen gleich gewesen seien. Eine Verzerrung der Resultate sei daher nicht anzunehmen. Für Petersen sprechen die Ergebnisse klar dafür, dass Covid-19 eine schwerere Erkrankung ist als die saisonale Grippe.
In einem Bereich hält die französische Studie dennoch gute Nachrichten bereit. So mussten in den untersuchten Monaten deutlich weniger Kinder unter 18 Jahren wegen Covid-19 hospitalisiert werden, als dies bei der Grippe der Fall war (1 Prozent gegenüber 20 Prozent). Zudem war die Sterberate für kleine Kinder bei beiden Krankheiten vergleichbar und sehr tief.
2. Dezember: Wie das Coronavirus ins Gehirn gelangt
ni. · Es wurde schon länger vermutet, jetzt liefert eine deutsche Forschergruppe Beweise: Das neue Coronavirus, Sars-CoV-2, kann bei infizierten Personen über Nervenzellen in der Nasen-Riechschleimhaut ins Gehirn gelangen. Diese Fähigkeit des Erregers könnte laut den Wissenschaftern einige der neurologischen Symptome wie Riech- und Geschmacksverlust, Kopfschmerzen, Müdigkeit oder Schlechtsein erklären, unter denen nicht wenige Covid-19-Patienten leiden.
Bereits in früheren Studien hatten Forscher bei Patienten Erbgut von Sars-CoV-2 im Gehirn und in der Hirn- und Rückenmarksflüssigkeit nachgewiesen. Wie das Virus aber ins Zentralnervensystem vorgedrungen ist, blieb offen. Dieser Frage ging die Forschergruppe von Frank Heppner von der Berliner Charité mit einer in der Fachzeitschrift «Nature Neuroscience» veröffentlichten Autopsiestudie nach. Die 33 untersuchten Patienten waren in der Charité oder im Universitätsspital Göttingen mit der Diagnose Covid-19 gestorben. Sie waren im Schnitt 72 Jahre alt geworden und 31 Tage nach Beginn der Corona-Symptome gestorben.
Die Wissenschafter entnahmen bei den Toten Gewebeproben aus dem Nasen-Rachen-Raum und verschiedenen Regionen des Gehirns. In vielen Proben konnten sie das Erbgut von Sars-CoV-2 wie auch einen wichtigen Eiweissstoff des Erregers, das Spike-Protein, nachweisen. Im Nasen-Rachen-Raum fanden sich zudem in und um Zellen herum intakte Viruspartikel. Diese machten die Forscher – nach eigenen Angaben weltweit erstmals – mithilfe elektronenmikroskopischer Aufnahmen sichtbar.
Am meisten Coronaviren gab es im oberen Teil der Nasenhöhle, dort, wo die Riechschleimhaut ihren Sitz hat. In diesem Bereich finden sich die Riechzellen und die von ihnen ausgehenden Nervenfasern. Sie formieren sich zum paarig angelegten Riechnerv, der ins Gehirn zieht. Über diese Nervenzellen könne Sars-CoV-2 ins Zentralnervensystem gelangen, schreiben die Berliner Wissenschafter. Eine weitere Eintrittspforte sehen sie in den kleinen Blutgefässen, die in der nasalen Riechschleimhaut in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Nervenzellen liegen. Auch über diesen Weg dürften die Viren ins Gehirn und in andere Organe des Patienten gelangen.
Trotz ihren Befunden warnen die Forscher vor einer Überinterpretation der Ergebnisse. Die untersuchten Probanden seien vor ihrem Tod alle sehr schwer an Covid-19 erkrankt. Ob das Virus auch bei Patienten mit leichten oder mittelschweren Symptomen ins Gehirn gelange, sei damit nicht geklärt. Zudem hätten neben dem Pandemievirus auch andere Mikroorganismen wie Herpesviren oder der Tollwuterreger die Fähigkeit, nach einer Infektion ins Gehirn des Patienten vorzustossen – mit zum Teil gravierenden Folgen.
24. November: Sars-CoV-2 passt sich in Nerzen an
kus. · Dass auch Nerze für Sars-CoV-2 empfänglich sind, hat in Dänemark zur Aussetzung einer ganzen Branche geführt: Das Land hat die Zucht der Pelztiere pausiert, Millionen der Marder wurden gekeult. Der Grund war eine genetische Veränderung von Sars-CoV-2, die nach Einschätzung von Fachleuten das Potenzial hatte, die Wirksamkeit der zurzeit in der Testung befindlichen Impfungen zu beeinträchtigen. Diese Version ist allerdings laut Fachleuten seit Mitte September nicht mehr nachgewiesen worden und dürfte ausgestorben sein.
Nun haben Forscher knapp 240 aus Nerzen gewonnene Viren auf genetische Veränderungen (Mutationen) hin analysiert und mit aus Menschen bekannten Sars-CoV-2-Erbgutsequenzen verglichen. Die weitaus meisten der Nerzsequenzen stammten von niederländischen Pelztierfarmen, wenige aus Dänemark. Sie repräsentieren sieben verschiedene Sars-CoV-2-Linien, wie die Forscher um François Balloux vom University College London in der Fachzeitschrift «Nature Communications» berichten. Die Analyse deute darauf hin, dass die Viren jeweils von Menschen in die verschiedenen Farmen eingetragen worden seien.
Sie identifizierten 23 Mutationen, die mindestens zweimal unabhängig voneinander in den Nerzen entstanden waren. Drei davon betreffen das Spike-Protein, mit dem das Virus an die Zelle andockt – und zwei davon waren je fünfmal neu entstanden, eine viermal. Dieselben Veränderungen fanden die Forscher auch in menschlichen Viren, die in verschiedenen Ländern (darunter auch die Schweiz) isoliert wurden. Bei einem Teil dieser Funde könne es sich zwar um Viren handeln, die von den Nerzen wieder in den Menschen zurückgesprungen seien, aber die Mutationen kämen auch zufällig in menschlichen Viren vor – aber sehr viel seltener als bei den Nerzen.
Dies deutet darauf hin, dass die beobachteten, wiederholt auftretenden Veränderungen dem Virus erlauben, sich besser an seinen neuen Wirt – den Nerz – anzupassen. Diese Anpassung zu beobachten, könne dabei helfen, zu verstehen, wie Viren den Sprung auf einen neuen Wirt meistern würden, so die Forscher. Für den Menschen dürften diese Veränderungen keine grosse Rolle spielen, sagt Balloux. Da sie es nie geschafft hätten, häufiger zu werden oder sich gar durchzusetzen, sei nicht auszuschliessen, dass sie dem Virus im Menschen womöglich sogar schadeten.
Interessant ist, dass diese Anpassungsphase bei Sars-CoV-2 im Menschen nicht beobachtet wurde. Das Virus gewinnt zwar an Diversität – was die These stützt, dass es ganz zu Anfang der Pandemie tatsächlich (von einem noch immer unbekannten Tier) nur einmal auf den Menschen übergesprungen ist –, aber es verändert sich nicht in der gerichteten Art, in der es das im Nerz tut, wie Balloux erklärt. Das erlaubt zwei Thesen: Möglicherweise war es beim Sprung in den Menschen schon so gut angepasst, dass das gar nicht mehr nötig war. Es funktioniere in einer ganzen Reihe von Säugetieren gut, sagt der Forscher. Oder aber es hatte die Anpassungsphase schon hinter sich, als die ersten Genome sequenziert wurden. Man gehe davon aus, dass es etwa Mitte Oktober übergesprungen sei, sagt Balloux. Die ersten Sequenzen hatte man erst Monate später.
11. November: Die Massnahmen gegen Covid-19 schützen nur vorübergehend vor anderen respiratorischen Erkrankungen
Spe. · Die Massnahmen zur Kontrolle von Covid-19 haben einen positiven Nebeneffekt. Wer grössere Menschenansammlungen meidet, Abstand hält, Masken trägt und regelmässig die Hände wäscht, steckt sich auch seltener mit anderen Erregern an. Doch dieser positive Effekt ist möglicherweise nur vorübergehend. In der Fachzeitschrift «PNAS» weisen amerikanische Forscher auf die Gefahr hin, dass auf die verhinderten Ansteckungen ein umso grösserer Ausbruch folgen könnte.
Die Gruppe um die Erstautorin Rachel Baker von der Princeton University hat sich angeschaut, wie sich die im März 2020 verordneten Massnahmen auf das Infektionsgeschehen in verschiedenen amerikanischen Gliedstaaten ausgewirkt haben. Die Autoren konzentrierten sich dabei auf die saisonale Grippe und auf Infektionen mit dem Respiratorischen Synzytialvirus (RSV). Dieser Erreger befällt die Atemwege und kann vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern schwere Symptome hervorrufen.
Obwohl die Massnahmen gegen Covid-19 zu einem Zeitpunkt in Kraft traten, als die Grippe- und RSV-Wellen bereits ihren saisonalen Höhepunkt überschritten hatten, konnten die Forscher danach einen deutlich schnelleren Rückgang der Fallzahlen als in den Vorjahren beobachten. Das steht im Einklang mit früheren Untersuchungen. Anschliessend untersuchten sie mit einem epidemiologischen Modell, wie sich die Kontrollmassnahmen auf die weitere Entwicklung auswirken. Dabei stellten sie fest, dass die Grippe- und RSV-Fallzahlen während der Kontrollperiode zwar tief bleiben, die Anfälligkeit der Bevölkerung aber mit der Zeit zunimmt. Das liegt daran, dass sich in der Bevölkerung keine Immunität aufbauen kann, wenn es kaum Infektionen gibt.
Die Folgen davon machen sich bemerkbar, wenn die Massnahmen aufgehoben werden. Im Modell geschah das nach 6 oder 12 Monaten. Das Modell sagt dann für die darauffolgende Wintersaison einen rasanten Anstieg der RSV-Fallzahlen voraus. Der Ausbruch ist dabei umso stärker, je länger die Kontrollmassnahmen beibehalten wurden. Für die saisonale Grippe sehen die Forscher einen ähnlichen Trend, allerdings seien die Unsicherheiten hier grösser.
4. November: Wer dreckige Luft einatmet, stirbt eher an Covid-19
ni.
· Als in Norditalien zu Beginn der Pandemie auffallend viele Personen an Covid-19 starben, suchte man fieberhaft nach Erklärungen. Der hohe Altersdurchschnitt in der italienischen Bevölkerung galt schnell als Hauptgrund für die vielen Corona-Toten. Einige Forscher machten aber schon früh auf umweltbedingte Faktoren wie eine starke Luftverschmutzung aufmerksam. In der hochindustrialisierten Poebene zwischen Turin und Venedig ist dieses Problem besonders gross.
Dass dreckige Luft einen beträchtlichen Einfluss auf die Covid-19-Sterberate haben dürfte, zeigt nach früheren Untersuchungen nun auch eine grossangelegte Studie aus den USA. In die statistische Analyse flossen die Daten zur langjährigen Feinstaubbelastung in 3089 amerikanischen Bezirken (Countys) sowie die dort bis Ende Juni gezählten Covid-19-Todesfälle ein.
Wie die Public-Health-Expertin Francesca Dominici aus Boston und ihre Kollegen in der Fachzeitschrift «Science Advances» schreiben, konnten sie zwischen der regionalen Belastung mit kleinsten Luftpartikeln, deren Durchmesser unter 2,5 Mikrometern liegt (PM2,5), und dem Covid-19-Sterberisiko einen statistischen Zusammenhang nachweisen. Mehr noch: Die beiden Messgrössen sind laut den Forschern in einer dosisabhängigen Art und Weise verknüpft. So ging eine im langjährigen Mittel um 1 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft höhere PM2,5-Belastung mit einer durchschnittlich 11 Prozent höheren Sterberate einher.
Mit ihrer Korrelationsstudie können die Wissenschafter nicht beweisen, sondern nur vermuten, dass die Luftverschmutzung die tatsächliche Ursache für die erhöhte Sterberate in einem Bezirk ist. Denn es ist möglich, dass in Gebieten mit schlechter Luftqualität ältere und gebrechlichere Menschen leben als an Orten mit sauberer Luft. Auch der Alkoholkonsum und das Rauchverhalten können regional unterschiedlich sein, was die Sterberate ebenfalls beeinflussen kann. Gibt es solche erklärenden Faktoren, dann wäre die dreckige Luft nicht die Ursache, sondern lediglich ein Indikator für eine regional erhöhte Mortalität.
Trotz den methodischen Unzulänglichkeiten ihrer Arbeit sind die Bostoner Forscher überzeugt, dass ein erhöhter Feinstaubgehalt in der Luft die Gesundheit der Bevölkerung angreift und so das Sterberisiko nach einer Covid-19-Infektion in die Höhe treibt. Ihre Zuversicht basiert dabei auf zwei Tatsachen. Erstens haben sie in ihrer Analyse zwei Dutzend bekannte Einflussfaktoren für die Sterberate mitberücksichtigt: von der regionalen Bevölkerungsdichte und Demografie bis zu Unterschieden bei klimatischen Faktoren wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit.
Zweitens hat die Feinstaubforschung in den letzten Jahren mit unzähligen Studien aufgezeigt, dass eine erhöhte PM2,5-Exposition – sie gilt vielen Experten als Indikator für eine schlechte Luftqualität – die menschliche Lunge und das Herz-Kreislauf-System direkt schädigen kann. Die damit verbundenen Erkrankungen führen nicht selten zum vorzeitigen Tod. Nach verschiedenen Schätzungen sterben jährlich weltweit 3 bis 7 Millionen Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung.
Die neuste Arbeit zur Feinstaubbelastung und Covid-19-Sterblichkeit ist Teil einer Serie, mit der Forscher untersuchen wollen, wie Pandemien durch globale Umweltbedingungen beeinflusst werden. Idealerweise würde man für eine solche Studie nicht nur aggregierte Daten auf Regionsebene verwenden, sondern auch detaillierte Gesundheitsinformationen von sehr vielen Menschen einfliessen lassen, schreiben zwei Wissenschafter in einem Begleitkommentar zur Studie. Dann könnte man auch Aussagen darüber machen, wie die regionale Feinstaubbelastung das individuelle Sterberisiko der Personen beeinflusst.
Auch ohne Daten auf individueller Ebene sei die Arbeit aber wertvoll, betonen die Kommentatoren. Politiker sollten die Studie als Grundlage nehmen, um zu entscheiden, in welchen Regionen die Luftqualität prioritär verbessert werden müsse.
2. November: Der Lockdown hat die Zunahme von Geschlechtskrankheiten nicht gebremst
kus.
· Bei einem so harten Lockdown, wie er in Italien während der ersten Corona-Welle im Frühjahr galt, würde man eines sicher nicht erwarten: einen Anstieg gewisser sexuell übertragener Krankheiten. Doch genau diesen Befund stellten Forscher am diesjährigen (virtuellen) Kongress der European Academy of Dermatology and Venereology (EADV) vor.
Die Wissenschafter verglichen die Krankheitsmeldungen aus zwei Zentren für die Behandlung sexuell übertragener Infektionen in Mailand zwischen Mitte März und Mitte April im letzten und in diesem Jahr, während des Lockdowns, wie die EADV in einer Mitteilung schreibt. Wie sich dabei zeigte, nahm die Anzahl der Hilfesuchenden ab, und zwar um 37 Prozent. Vor allem Patienten, die nur zu Kontrollen kämen, dürften laut den Forschern auf Termine verzichtet haben.
Allerdings diagnostizierten die Mediziner an den Zentren mehr Fälle akuter bakterieller Infektionen. Die absoluten Zahlen der Patienten mit Gonorrhö (Tripper), sekundärer Syphilis und Mycoplasma genitalium nahmen 2020 im Vergleich zu 2019 zu. Seltener wurden die nicht akuten Erkrankungen wie etwa verschiedene Arten von Warzen.
Laut Marco Cusini von der Fondazione IRCCS Ca’ Grande Ospedale Maggiore Policlinico in Mailand zeigt dieses Resultat, wie wichtig es sei, solche Anlaufstellen auch während der Pandemie offen zu halten. Der Lockdown reduzierte risikoreiches sexuelles Verhalten offenbar nicht – was nicht nur den Erregern der untersuchten Krankheiten, sondern auch Sars-CoV-2 Gelegenheit gegeben haben dürfte, sich auszubreiten.
In Chicago stiegen laut «ID Week» im Lockdown die in den Notaufnahmen entdeckten akuten HIV-Fälle an. Dort wurden im Rahmen von Corona-Tests auch HIV-Tests angeboten. Wie es zu dem Anstieg kommt, ist unklar. Möglicherweise liessen sich Personen eher testen, wenn sie befürchteten, womöglich auch mit dem HI-Virus infiziert zu sein, heisst es. Vielleicht habe die Furcht vor Sars-CoV-2 aber auch Personen dazu motiviert, sich testen zu lassen, die sonst eher keine medizinische Hilfe in Anspruch nähmen.
12. Oktober: Welche Rolle die Übertragung über Aerosole in Büros und Klassenzimmern spielt
Spe. · Laut einem Modell besteht in geschlossenen Räumen ein erhebliches Risiko, sich über Aerosole mit dem Coronavirus anzustecken. Doch es gibt Möglichkeiten, sich zu schützen.
Es häufen sich die Hinweise, dass Aerosole möglicherweise mehr zur Übertragung des Coronavirus beitragen, als man bisher gedacht hat. Vor allem in geschlossenen Räumen besteht die Gefahr, dass die beim Sprechen oder Singen freigesetzten Schwebeteilchen eine Konzentration erreichen, die für eine Ansteckung genügt – und das, obwohl man Abstand zu potenziellen Virenträgern im Raum hält. Wie hoch das Infektionsrisiko ist, haben Forscher vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz nun mit einem einfachen Tabellenkalkulationsprogramm abgeschätzt. Das Fazit ihrer noch nicht begutachteten Arbeit lautet: Aerosole von hochinfektiösen Menschen können das Virus sehr effizient übertragen, es gibt aber Möglichkeiten, das Ansteckungsrisiko zu reduzieren.
Wie jedes Modell beruht auch das Modell der Mainzer Forscher auf gewissen Annahmen. So hängt das Infektionsrisiko davon ab, wie viele Aerosole ein Infizierter beim Sprechen oder Singen ausstösst, wie hoch die Virenkonzentration in den Aerosolen ist, wie lange die Viren dort überleben und welche Virendosis für eine Ansteckung nötig ist. Diese und andere Parameter haben die Forscher anhand der wissenschaftlichen Literatur eingegrenzt und dann verschiedene Szenarien modelliert.
In einem der Szenarien teilt sich eine noch symptomfreie, aber bereits hochinfektiöse Person mit drei Berufskollegen einen 40 Quadratmeter grossen Büroraum. Laut dem Modell besteht bei jedem Kollegen ein individuelles Risiko von 18 Prozent, sich innerhalb von zwei Tagen anzustecken (danach treten in der Regel die Symptome auf, und der Infizierte begibt sich in Selbstisolation). Dieses Risiko halbiert sich, wenn der Raum regelmässig gelüftet wird. Noch besseren Schutz bietet das Tragen einer Maske. In diesem Fall reduziert sich das Ansteckungsrisiko je nach Qualität der Maske um den Faktor 8 bis 40. Ähnlich wirksam ist eine Belüftungsanlage mit Partikelfilter.
Besonderes Augenmerk gilt gegenwärtig dem Ansteckungsrisiko in Schulklassen. Zwar erkranken Schüler viel seltener und weniger heftig an Covid-19 als ältere Menschen. Sie können sich aber beim Lehrer oder bei Mitschülern anstecken und das Virus weitergeben. In einem 60 Quadratmeter grossen Schulzimmer mit 24 Schülern liegt das individuelle Ansteckungsrisiko laut dem Modell bei unter 10 Prozent. Wie im ersten Szenario lässt es sich erheblich verringern, wenn alle Schüler Masken tragen und das Schulzimmer regelmässig gelüftet wird.
Am schlechtesten kommen in der Untersuchung Chöre weg. Da ein Infizierter beim Singen wesentlich mehr Aerosole ausstösst als beim Atmen oder Sprechen, ist das individuelle Ansteckungsrisiko mit 29 Prozent sehr hoch. Zudem sind Masken hier kaum eine Option. Besonders kritisch wird es, wenn sich unter den Sängern ein Superspreader mit einer aussergewöhnlich hohen Virenlast befindet. In einem geschlossenen Raum ohne Lüftung und Partikelfilter ist eine Ansteckung über Aerosole dann so gut wie unvermeidlich. Zum Beleg verweisen die Autoren auf ein Superspreader-Ereignis bei einer Chorprobe in den USA.
Die Autoren betonen in ihrer Publikation, dass diese Zahlen mit erheblichen Unsicherheiten behaftet sind. Dennoch sind sie davon überzeugt, dass ihre Schlussfolgerungen robust sind.
9. Oktober: Masken senken die Infektionsrate um bis zu 30 Prozent
slz. · Im Laufe der letzten Wochen hat sich die Vermutung erhärtet, dass Gesichtsmasken das Risiko einer Ansteckung mit Sars-CoV-2 erheblich senken können. Ein eindrückliches Beispiel für die Bedeutung der Masken hat nun vor wenigen Tagen eine Forschergruppe der Simon Fraser University in Burnaby bei Vancouver geliefert. Sie zeigt, dass in der kanadischen Provinz Ontario durch die Maskenpflicht in Innenräumen die Anzahl der wöchentlichen Neuinfektionen in den Sommermonaten um bis zu einen Drittel gesenkt wurde.
Die genaue Bestimmung sei möglich gewesen, weil die einzelnen Bezirke Ontarios die Maskenpflicht gestaffelt ab Anfang Juni umgesetzt hätten, betonte das Team um Stephanie Pamplona. Somit hatte man die für die Statistik nötigen Vergleichsgruppen aus Regionen mit und ohne Maskenpflicht. Diese galt für alle Innenräume, also öffentliche wie private Büros sowie Busse und Bahnen.
Bereits im Juni hatten deutsche Forscher eine ähnliche Reduktion der Infektionszahlen durch Masken im thüringischen Jena berechnet. Dort hatte man die Maskenpflicht knapp drei Wochen früher als in vielen anderen Städten Deutschlands eingeführt.
Die Beobachtungen aus der realen Welt werden unterstützt durch eine vor wenigen Tagen präsentierte amerikanische Studie, die anhand von mathematischen Modellen die Wirksamkeit von Masken bestimmt hat. Diese Studie ist noch nicht wissenschaftlich begutachtet worden. Die Wissenschafter um Joshua Schiffer zeigen darin auf, dass selbst nicht absolut dichte Masken – also auch solche aus Baumwollstoff, die derzeit viele Personen tragen – die Virusverbreitungerheblich reduzieren können. Wenn 75 Prozent der Menschen in 75 Prozent der Zeit eine solche nicht perfekte Maske trügen, würde die Reproduktionszahl auf den magischen Wert von 1 sinken. Dieser gilt als Ziel, damit die Pandemie nicht ausser Kontrolle gerät. Würden alle Menschen den ganzen Tag lang eine Gesichtsmaske tragen, würde der R-Wert sogar unter 1 sinken. Damit wäre die Pandemie beherrschbar.
Die Autoren sind sogar davon überzeugt, dass Gesichtsmasken als Mittel der Prävention antiviralen, also Sars-CoV-2-blockierenden Substanzen überlegen sind. Denn solche Mittel nehme man ja erst dann ein, wenn bereits erste Symptome einer Infektion aufgetreten seien, sagen sie. Doch zu diesem Zeitpunkt kann ein Infizierter bereits mehrere Mitmenschen angesteckt haben. Dann helfen die Mittel – die notabene erst noch entwickelt werden müssen – vor allem dem Infizierten, weil sie dessen Viruslast senken und damit vermutlich die Schwere der Erkrankung mindern. Aber die Virusausbreitung in der Bevölkerung würden sie praktisch nicht stoppen.
9. September: Auch bei jungen Patienten machen starkes Übergewicht und Diabetes einen schweren Krankheitsverlauf wahrscheinlicher
rtz · Noch immer gilt Covid-19 als eine Krankheit, die vorab den Alten gefährlich wird. Doch stellen sich angesichts rapide ansteigender Infektionszahlen unter jungen Erwachsenen immer drängender die Fragen, wie häufig schwere Verläufe in dieser Altersgruppe zu erwarten sind und mit welchen Risikofaktoren diese verbunden sind. Genau dies haben Forscher um Scott Solomon vom Brigham and Women’s Hospital in Boston, Massachusetts, nun untersucht.
Für ihre Studie analysierten die Mediziner Daten von 3222 jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 34 Jahren, die in den Monaten April bis Juni 2020 nach einer bestätigten Corona-Infektion aus US-amerikanischen Spitälern entlassen wurden.
57,6 Prozent dieser Patienten waren männlich, 57 Prozent schwarz oder hispanisch. Die bekannten Risikofaktoren für eine schwere Covid-19-Erkrankung waren auch unter den jungen Patienten deutlich auszumachen: Mehr als jeder Dritte von ihnen war adipös (das heisst, ihr Body-Mass-Index lag über 30), ein knappes Viertel hatte sogar eine Adipositas Grad III. Von einer solchen spricht man, wenn der Body-Mass-Index (BMI) über 40 liegt. Etwa jeder fünfte Patient hatte Diabetes, jeder sechste Bluthochdruck.
21 Prozent dieser Patienten benötigten infolge der Infektion mit Sars-CoV-2 eine intensivmedizinische Behandlung, 10 Prozent wurden künstlich beatmet, für 2,7 Prozent endete die Covid-19 mit dem Tod. Starkes Übergewicht, Bluthochdruck und Diabetes erhöhten demnach auch für die Jungen die Gefahr eines schweren Infektionsverlaufs, insbesondere wenn zwei oder gleich alle drei dieser Risikofaktoren zusammenkämen, schliessen die Ärzte. Die Arbeit erscheint im Fachjournal «Jama Internal Medicine».
30. August: Blutverdünnung kann das Sterberisiko bei hospitalisierten Covid-19-Patienten offenbar erheblich senken
kus. · Eine Therapie mit blutverdünnenden Medikamenten hat gemäss einer retrospektiven Untersuchung an 4400 wegen Covid-19 hospitalisierten Patienten das Risiko, im Spital zu sterben, um 50 Prozent gesenkt. Jenes einer Intubation reduzierte sich unter einer Blutverdünnung um 30 Prozent. Wurde die Therapie innert zwei Tagen nach der Einweisung ins Spital begonnen, machte es keinen signifikanten Unterschied, ob die Behandlung mit vorbeugenden oder therapeutischen Dosierungen der blutverdünnenden Medikamente erfolgte.
Die Wissenschafter um Valentin Fuster vom Mount Sinai Hospital in New York hatten für ihre Studie Daten von Patienten ausgewertet, die im März und im April mit bestätigten Sars-CoV-2-Infektionen in fünf New Yorker Spitäler eingewiesen worden waren. Die Patienten waren den einzelnen Therapie-Regimen also nicht wie in einer randomisierten Studie zufällig zugewiesen worden, sondern die Blutverdünnung war vom jeweils behandelnden Arzt im Rahmen der individuell angepassten Therapie veranlasst worden.
Dies könnte einen Teil des beobachteten, enorm grossen Effekts erklären: Bei randomisierten Studien, in denen Medikamente geprüft würden, sehe man Effekte dieser Grössenordnung praktisch nie, erklärt Nils Kucher von der Klinik für Angiologie des Universitätsspitals Zürich. «Hier ist er aber so gross, dass da sicher etwas dran ist. Das muss man nun mit randomisierten Studien nachprüfen.» Solche Untersuchungen liefen auch bereits, sagt der Mediziner.
Er selbst hat im Juni begonnen, Patienten für eine ähnliche Studie zu rekrutieren – allerdings nicht im Spital: Dort würden Covid-19-Patienten schon standardmässig mit Blutverdünnern behandelt. Stattdessen will Kucher prüfen, ob leichte Fälle, die zu Hause ausheilen können, von einer Blutverdünnung profitieren. Er sucht dafür über 50-jährige Personen, die positiv auf Sars-CoV-2 getestet sind, gewöhnlich keine Blutverdünnung brauchen und bei denen auch die Infektion nicht automatisch eine blutverdünnende Therapie nach sich zieht. Letzteres ist laut Kucher etwa bei Personen der Fall, die bereits einmal eine Thrombose hatten.
Zurzeit sei es noch zu früh, einfach allen Infizierten automatisch eine Blutverdünnung zu verordnen, sagt der Arzt. Dazu wisse man noch zu wenig über die Kosten-Nutzen-Abwägung. Tatsächlich beobachteten die Forscher in der neuen Untersuchung bei den höheren (therapeutischen) Dosierungen etwas häufiger schwere Blutungen. Dies deute darauf hin, dass Ärzte für jeden Patienten eine individuelle Risikoabwägung vornehmen sollten, heisst es denn auch in einer Mitteilung des Mount Sinai Hospital. Insgesamt seien schwere Blutungen aber selten gewesen, schreiben die Forscher in der Fachzeitschrift «Journal of the American College of Cardiology».
26. August: Unterschiede in der Immunantwort zwischen Männern und Frauen
slz.· Schon kurz nach Beginn der Sars-CoV-2-Pandemie wurde klar: Männer haben ein höheres Risiko, eine schwere Covid-19 zu entwickeln, als Frauen. Zudem sterben Männer öfter daran. Obwohl sich ungefähr gleich viele Frauen wie Männer infizierten, waren bisher je nach Land 50 bis 70 Prozent der Covid-19-Toten männlich. Als Ursache vermuten Experten ein unterschiedlich aktives Immunsystem der beiden Geschlechter. Männer kommen generell mit Viren oder auch anderen Erregern weniger gut klar, zumindest im Durchschnitt sind sie von vielen Infektionserkrankungen stärker betroffen.
Forscher der Yale University haben nun die Immunantwort gegen Sars-CoV-2 von 98 Männern und Frauen getrennt analysiert. Ein entscheidender Unterschied war die Aktivität der T-Zellen. Diese erkennen unter anderem von den Viren befallene Körperzellen und attackieren sie. Doch hier schwächelte das männliche Immunsystem von Beginn einer Infektion an. So bildeten die Patienten im Durchschnitt weniger T-Zellen als die Patientinnen. Zudem wiesen die erkrankten Frauen reifere und also effizientere T-Zellen auf.
Keine Unterschiede fanden die Wissenschafter hingegen bei einer anderen Abteilung des Immunsystems: Alle Erkrankten bildeten ähnlich viele Antikörper gegen Sars-CoV-2. Diese werden von anderen Immunzellen, sogenannten B-Zellen, hergestellt.
Die Yale-Forscher fanden in ihren Untersuchungen jedoch nicht nur eine Erklärung, warum Frauen sich besser gegen das Virus zur Wehr setzen können. In weiteren Analysen zeigte sich, dass eine Verschlechterung des Zustands im Verlauf von Covid-19 bei den Geschlechtern aus unterschiedlichen Gründen erfolgte.
So trat bei den Patientinnen eine Verschlechterung ein, wenn gewisse Stimulatoren des unspezifischen Immunsystems vermehrt produziert wurden und dieses dadurch angeheizt wurde. Bei der unspezifischen Abwehr sind nochmals andere Zellen aktiv. Diese bekämpfen Eindringlinge mit anderen Mitteln als die B- oder die T-Zellen.
Bei den Männern wurde es hingegen kritischer, wenn die Zahl der reifen T-Zellen abnahm, also ihre ohnehin schon schwächere spezifische Immunantwort noch mehr nachliess. Erstaunlicherweise war in der Yale-Studiengruppe nur bei den Männern, nicht aber bei den Frauen Übergewicht ein Risikofaktor für eine Verschlechterung des Gesundheitszustands. Zudem nahmen die reifen T-Zellen vor allem bei den Männern, nicht hingegen bei den Frauen mit zunehmendem Alter deutlich ab.
24. August: Die Suche nach dem Zwischenwirt – Marderhunde sind für Sars-CoV-2 empfänglich
kus. · Noch immer ist der vermutete Zwischenwirt unbekannt, von dem das neue Coronavirus auf den Menschen übergesprungen ist. Bis anhin hat man nur enge Verwandte von Sars-CoV-2 in Wildtieren gefunden. Für einen möglichen Kandidaten konnten Wissenschafter des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) in Deutschland nun bestätigen, dass er für das Virus empfänglich ist: den Marderhund, der primär in China zu Millionen als Pelztier gezüchtet wird.
Wie die Forscher in einer Vorabveröffentlichung auf dem Preprint-Server BioRxiv beschreiben, beeinträchtigt die Infektion mit Sars-CoV-2 die Marderhunde in ihrem Experiment praktisch nicht. Sie entwickelten lediglich einen leichten Schnupfen, und einzelne Tiere waren kurz nach der Infektion etwas stiller als sonst. Letzteres habe man aber nur bemerkt, wenn man sie gut kannte und genau beobachtete, sagt Conrad Freuling vom FLI, der Erstautor der Studie. Das Virus schieden sie trotzdem aus und konnten Artgenossen damit anstecken – gute Voraussetzungen für einen Zwischenwirt.
Zudem veränderte sich das Virus in den Marderhunden nicht, es blieb genetisch stabil. In Frettchen-Versuchen des FLI war dies anders. Auch das könnte dafür sprechen, dass das Virus die Umgebung «Marderhund» kennt. Das ist laut Thomas C. Mettenleiter vom FLI aber zurzeit noch Spekulation. Möglicherweise handle es sich auch um einen Zufallsbefund. Trotzdem raten die Forscher mindestens zur Überwachung von Pelzfarmen. Zudem könnte es interessant sein, ältere Proben – falls solche existierten – auf das Vorhandensein des Virus und auf Sars-CoV-2-spezifische Antikörper zu überprüfen, sagt Mettenleiter.
Die zur Familie der Hunde gehörenden Tiere ähneln Waschbären und waren schon beim ersten Sars-Virus als mögliche Zwischenwirte im Gespräch. Sie sind ursprünglich in Ostasien heimisch, von wo aus sie als Pelztiere nach Russland gebracht wurden. Mittlerweile haben sich die unauffällig lebenden Allesfresser nicht nur in Nord- und Osteuropa etabliert, sie bilden stabile Populationen auch in Deutschland oder den Niederlanden und werden auch in der Schweiz immer wieder einmal gesichtet.
Dass sie infizierbar sind, eröffnet auch die Möglichkeit, dass das Virus über eine Infektion von Marderhunden in die Natur gelangt. In den USA fand eine ebenfalls noch nicht von Fachkollegen begutachtete, auch auf BioRxiv veröffentlichte Studie, dass dort die weitverbreitete Hirschmaus empfänglich für Sars-CoV-2 ist. Auch sie wird kaum krank, kann aber Artgenossen anstecken.
Für den Menschen wären solche Infektionen von Wildpopulationen zwar vermutlich kein Risiko. Das Virus kursiert ohnehin in der menschlichen Population, und die Wahrscheinlichkeit, sich an einem Tier anzustecken, ist extrem niedrig. Man kennt laut Mettenleiter lediglich zwei Fälle von Mitarbeitern von Nerzfarmen, in denen man vermutet, dass sich die Personen an Nerzen angesteckt haben – in geschlossenen Räumen und im engem Kontakt mit sehr vielen erkrankten Tieren.
Allerdings besteht beim Übergreifen des Virus auf wilde Populationen die Gefahr, dass das Virus in der Natur weitergetragen wird und dabei möglicherweise in eine Tierart gelangt, die es nicht verträgt und durch die neue, unbekannte Infektion gefährdet werden könnte. Und nicht zuletzt trage das Wissen darum, welche Tiere möglicherweise infiziert werden oder gar sogenannte sekundäre Reservoire für das Virus bilden könnten, dazu bei, dessen Epidemiologie besser zu verstehen, sagt Mettenleiter.
14. August: Ein mathematisches Modell erklärt die unterschiedlichen Ausbreitungsmuster von Grippeviren und Sars-CoV-2
Spe. · Zwischen dem Grippe-Erreger und Sars-CoV-2 gibt es einige Gemeinsamkeiten. Es gibt aber auch erhebliche Unterschiede. Ein ganz wesentlicher ist, dass sogenannte Superspreader massgeblich zur Ausbreitung von Sars-CoV-2 beitragen. Man schätzt, dass 80 Prozent aller Ansteckungen auf das Konto von 10 bis 20 Prozent der Infizierten gehen. Im Umkehrschluss bedeutet das: Die grosse Mehrheit der Infizierten steckt nie eine andere Person an. Das ist bei der Grippe anders. Hier fallen individuelle Unterschiede viel weniger ins Gewicht.
Warum das so ist, haben Forscher des Fred Hutchinson Cancer Research Center mit einem mathematischen Modell zu beantworten versucht. In das Modell fliessen diverse epidemiologische Parameter ein. Diese werden so lange variiert, bis das Resultat der Simulation möglichst gut mit den beobachteten Ausbreitungsmustern des Grippe- oder des Coronavirus übereinstimmt. Die Forscher haben ihre Ergebnisse auf dem Medrxiv-Server publiziert. Sie sind bisher aber noch nicht von unabhängiger Seite begutachtet worden.
Ein Resultat der Simulation ist, dass das Zeitfenster für eine Infektion sowohl bei der Grippe als auch bei Sars-CoV-2 kleiner als zwei Tage ist. Nur in dieser Zeit überschreitet die Virenlast in der Lunge oder im Nasen- und Rachenraum der Infizierten eine Schwelle, die eine Ansteckung anderer Personen wahrscheinlich macht. Zu einem Superspreading-Ereignis kommt es demnach, wenn sich ein Infizierter zur falschen Zeit am falschen Ort befindet und Kontakt zu vielen Menschen hat.
Eine Besonderheit von Sars-CoV-2 ist, dass die höchste Virenlast in der Regel erreicht wird, bevor der Infizierte erste Symptome verspürt. Er verbreitet das Virus also unwissentlich. Das erklärt allerdings noch nicht, warum Superspreading-Ereignisse bei der Grippe weitaus seltener sind. Das Modell der Forscher liefert eine mögliche Antwort. Es zeigt, dass bei gleichen Kontaktverhältnissen weniger Menschen mit den Viren eines hochinfektiösen Grippepatienten in Berührung kommen. Die Forscher führen das darauf zurück, dass Grippeviren vornehmlich durch Tröpfchen übertragen werden, während Sars-CoV-2 auch durch Aerosole verbreitet wird und deshalb grössere Entfernungen überbrücken kann.
Aus den Ergebnissen ihrer Simulation leiten die Forscher eine Reihe von Handlungsempfehlungen ab. Da Personen mit Sars-CoV-2 vermutlich nur wenige Tage ansteckend seien, stelle sich die Frage, ob eine lange Quarantäne gerechtfertigt sei. Auch das wiederholte Testen von Personen mit einem positiven Testresultat sei möglicherweise überflüssig. Zudem raten die Forscher, die Zahl der täglichen Kontakte zu begrenzen. Sei das nicht möglich, empfehle sich das Tragen von Masken, da dadurch die Menge der ausgestossenen Viren reduziert werde.
27. Juli: Die einschränkenden Massnahmen haben viele Menschenleben gerettet, wie eine Modellrechnung zeigt
lsl. · Bis am 10. Mai sind in der Schweiz mehr als 30 000 Menschen positiv auf Covid-19 getestet worden, 1860 von ihnen sind gestorben. Der Epidemiologe Christian Althaus und seine Kollegen von der Universität Bern haben mit einer Modellrechnung untersucht, wie viele Opfer es gegeben hätte, wenn der Lockdown eine Woche früher oder eine Woche später erfolgt wäre. Die Massnahmen wie das Versammlungsverbot, Schul-, Restaurant- und Ladenschliessungen wurden um den 17. März herum gestaffelt umgesetzt.
Laut den Forschern hätte es bei einer späteren Schliessung insgesamt knapp 8700 Todesfälle gegeben, was mehr als viermal so viel ist wie die Anzahl derer, die tatsächlich gestorben sind. Bei einer früheren Schliessung wären es nur 400 Todesfälle gewesen, wie sie in einer noch vorläufigen Publikation auf MedRxiv schreiben. Die Forscher gaben für die spätere Schliessung ein Prognoseintervall zwischen 8038 und 9453 an, was bedeutet, dass der angegebene Wert mit einer 95-prozentigen Wahrscheinlichkeit in diesen Bereich fällt.
Eine Stärke des Modells sei, dass sie die Menge der Infizierten anhand der Zahlen der hospitalisierten und der verstorbenen Patienten geschätzt hätten, schreiben die Forscher. So mussten sie sich nicht auf die Zahl der Getesteten verlassen, die von der jeweiligen Testhäufigkeit abhängt.
Allerdings beruht die Rechnung wie jede Modellrechnung auch auf einigen Annahmen, die das Ergebnis beeinflussen. Beispielsweise rechneten die Forscher mit einer geschätzten Reproduktionszahl von 2,6 von vor dem Lockdown und übernahmen bestimmte Zahlen wie etwa die durchschnittliche Dauer der Hospitalisation aus der Literatur. Zudem war das Modell nicht dafür ausgelegt, den Effekt einzelner Massnahmen zu berechnen. Stattdessen nahmen die Forscher an, dass die Massnahmen die Infektionsrate in einem Zeitraum von zwei Wochen um den 17. März herum reduzierten.
Deshalb kann man die genannten Zahlen nicht als gesetzt betrachten. Klar ist aber, dass ein späterer Lockdown zu sehr viel mehr Toten geführt hätte und frühere einschränkende Massnahmen viele Leben gerettet hätten. Das könne laut den Forschern auch teilweise erklären, warum in Österreich viel weniger Menschen gestorben seien als in der Schweiz. Das Nachbarland sei wegen seiner Nähe zu Italien ebenfalls früh betroffen gewesen, da es aber schneller strikte Massnahmen umgesetzt habe, sei es glimpflicher davongekommen.
22. Juli: Welche Covid-19-Patienten von Cortisonpräparaten profitieren – und wem die Mittel schaden
slz. · Dexamethason, ein altbekanntes Cortisonpräparat, ist derzeit das einzig bekannte Medikament, dass bei Covid-19-Patienten nachweislich das Risiko, dass eine Beatmung nötig wird, sowie die Todesrate senken kann. Das ergab kürzlich der britische «Recovery»-Trial. Nun zeigen Forscher des New Yorker Montefiore Medical Center in einer Publikation im «Journal of Hospital Medicine», welche Betroffenen wirklich von einer Cortisonbehandlung profitieren – und welchen Personen die Mittel schaden können.
Das hängt laut den New Yorker Ärzten vom Entzündungszustand des Körpers ab. Dieser lässt sich mit dem CRP-Wert ermitteln. Je mehr von diesem Protein im Blut zu finden ist, desto «aufgeputschter» ist das Immunsystem. Als normal gilt ein CRP-Wert von 0,5 bis 0,8 Milligramm pro Deziliter. Betrug der CRP-Wert der im Montefiore-Spital behandelten Covid-19-Patienten bei der Einlieferung mehr als 20 Milligramm pro Deziliter, so senkten Cortisonpräparate das Risiko, beatmet werden zu müssen oder gar zu sterben, um 75 Prozent. Gab man die Mittel hingegen Patienten mit einem CRP-Wert unter 10, so stieg deren Risiko für eine Verschlimmerung des Zustandes um 200 Prozent an.
Diese Ergebnisse sollten schnellstmöglich in weiteren Studien überprüft und, sollten sich die Befunde bestätigen, weltweit bei der Behandlung von Covid-19-Patienten beachtet werden, fordern die Autoren. Denn die Messung des CRP-Wertes ist einfach; er wird routinemässig bei Blutuntersuchungen erfasst. Ausserdem wird der Gebrauch von Dexamethason bei Covid-19-Patienten absehbar zunehmen: Das Mittel ist billig, man weiss, wie es einzusetzen ist, und nach der Präsentation der Recovery-Trial-Daten wurde es in einigen Ländern bereits in die offizielle Empfehlungsliste für eine Covid-19-Therapie aufgenommen.
Die Erkenntnisse aus New York bestätigen, was Experten schon länger vermuten: Wenn das Immunsystem im Laufe einer Sars-CoV-2-Infektion zu stark aktiviert worden ist und deshalb gesunde Organe in Mitleidenschaft gezogen werden, kann Cortison helfen. Es mindert die Attacken auf intakte Körperzellen. Doch solange das Immunsystem seinen Job bei der Virenvernichtung erledigt, sollte man es durch Medikamente nicht bremsen.
17. Juli: In Wuhan haben unentdeckte Infizierte vermutlich massgeblich zur Ausbreitung von Covid-19 beigetragen
Spe. · Ein Charakteristikum von Covid-19 ist, dass die Krankheit auch durch Personen übertragen wird, die selbst keine oder nur schwache Symptome entwickeln. Da sich diese Personen in der Regel nicht testen lassen, gibt es neben der offiziellen Statistik viele Fälle, die nie bestätigt werden. Wie hoch diese Dunkelziffer ist, haben chinesische Wissenschafter jetzt anhand des Covid-19-Ausbruchs in Wuhan modelliert. Sie kommen zum Schluss, dass bis zu 87 Prozent der Infektionen unbemerkt blieben.
Die Untersuchung erstreckte sich über den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 8. März. In diesem Zeitraum wurden in Wuhan nach und nach immer schärfere Massnahmen zur Eindämmung der Epidemie verordnet – von der Abriegelung der Stadt über Massentests bis hin zur Ausgangssperre. Die Modellierung zeigt, dass der Covid-19-Ausbruch von zwei Merkmalen geprägt wurde: der hohen Übertragbarkeit des Virus und der grossen Zahl unentdeckter Fälle. Die Kombination dieser beiden Eigenschaften habe die Eindämmung der Epidemie erschwert, schreiben die Forscher. Dennoch sei es durch das Tragen von Masken, durch Abstandhalten und durch die Quarantäne gelungen, die Übertragung trotz den vielen unbestätigten Fällen zu unterbinden.
Laut den Berechnungen der Forscher steckte ein Infizierter zu Beginn der Epidemie im Schnitt 3,5 andere Personen an. Anfang März lag die Reproduktionszahl dann nur noch bei 0,3. Ohne die eingeleiteten Massnahmen hätte es statt der geschätzten 250 000 Infektionen bis zu 6,3 Millionen geben können. Das bedeutet, dass die Zahl der kumulierten Ansteckungen in Wuhan bis zum 8. März um bis zu 96 Prozent reduziert werden konnte.
Die Untersuchung der chinesischen Forscher enthält zudem eine implizite Warnung davor, zu schnell zum Courant normal zurückzukehren. Hebt man die Massnahmen auf, nachdem es zwei Wochen lang keine bestätigte Infektion mehr gegeben hat, so besteht dennoch eine Wahrscheinlichkeit von 32 Prozent, dass die Epidemie wieder aufflammt. Denn bei einer Dunkelziffer von 87 Prozent gibt es vermutlich immer noch Personen, die das Virus unbemerkt in sich tragen und es an andere weitergeben. Im Modell der Forscher dauerte es nach Aufheben der Restriktionen knapp 40 Tage, bis die Zahl der Fälle wieder über 100 gestiegen war und die zweite Welle ihren Anfang nahm.
16. Juli: Sars-CoV-2 kann das Gehirn direkt und indirekt schädigen
slz. · Die Liste der neuronalen Störungen, die bei Covid-19 schon beobachtet wurden, ist lang. Betroffen sind auch jüngere Patienten oder solche mit einem leichten Verlauf. Unklar ist, ob alle Schäden reparabel sind.
Mehr zu diesem Thema finden Sie in diesem ausführlichen Artikel.
14. Juli: Übertragung von Sars-CoV-2 in der Gebärmutter
rtz. · Französische Wissenschafter haben zum ersten Mal eine Übertragung von Sars-CoV-2 über die Plazenta von der Mutter auf ihr ungeborenes Kind nachgewiesen. Die Mutter des Kindes war in der 35. Schwangerschaftswoche mit Covid-19-Symptomen hospitalisiert worden; das Baby war drei Tage später per Kaiserschnitt zur Welt gekommen. Die Ergebnisse wurden in «Nature Communications» veröffentlicht.
Über diesen Fall berichtet die Wissenschaftsredaktorin Stephanie Kusma ausführlich in einem separaten Artikel.
Man kannte zwar bereits einige Fälle infizierter Neugeborener, aber in keinem von ihnen konnte der Infektionszeitpunkt – vor der Geburt, während der Geburt oder direkt danach – klar belegt werden. Schon aufgrund dieser Beobachtungen waren in den letzten Wochen einige Mediziner mit der Forderung an die Öffentlichkeit gegangen, Schwangere als Risikogruppe einzustufen.
9. Juli: Alt, männlich, krank, arm, nicht weiss: Das sind die wichtigsten Risikofaktoren für einen fatalen Covid-19-Verlauf
ni. · Ein britisches Forscherteam der University of Oxford hat die bisher grösste Covid-19-Kohorte auf Faktoren untersucht, die mit einem tödlichen Krankheitsverlauf einhergehen. Für ihre Analyse standen Ben Goldacre und seinen Kollegen die anonymisierten Krankengeschichten von mehr als 17 Millionen Erwachsenen in England zur Verfügung. Das entspricht 40 Prozent der im nationalen Gesundheitssystem (NHS) registrierten Personen. Knapp 11 000 der Krankengeschichten betrafen Patienten, die an Covid-19 gestorben waren. (In einer früheren Datenauswertung hatten den Forschern erst 5700 Krankengeschichten mit tödlichen Covid-19-Verläufen zur Verfügung gestanden.)
Wie bei anderen Studien stellte sich auch bei dieser Analyse ein fortgeschrittenes Alter als mit Abstand wichtigster Risikofaktor für einen fatalen Covid-19-Verlauf heraus. So war bei den über 80-Jährigen im Vergleich zu Personen zwischen 50 und 59 Jahren das Risiko, an der Infektion zu sterben, um das 20-Fache und mehr erhöht. Auch das männliche Geschlecht wirkte sich bei dieser Krankheit negativ aus. So war das Sterberisiko bei Männern um 60 Prozent höher als bei gleichaltrigen Frauen. Im gleichen Bereich lag auch das erhöhte Risiko für schwarze und asiatische Personen (gegenüber Weissen) und besonders für arme und benachteiligte Personen (gegenüber Bessergestellten).
Auch bei den Vorerkrankungen, die einen tödlichen Covid-19-Verlauf begünstigen, bestätigte sich das bisherige Bild. Neben starkem Übergewicht, Diabetes und chronischen Lungen-, Herz- und Lebererkrankungen waren nebst weiteren Faktoren auch neurologische Leiden und Autoimmunkrankheiten mit einem erhöhten Sterberisiko verbunden. Das bedeute aber nicht, dass all diese Störungen ursächlich für den Tod der Patienten verantwortlich seien, schreiben die Studienautoren. Der fatale Krankheitsverlauf könne auch auf einer Interaktion mit anderen klinischen Faktoren beruhen.
6. Juli: Neandertaler-Gene könnten das Risiko eines schweren Covid-Verlaufs erhöhen
kus. · Man kennt eine Reihe von Faktoren, die das Risiko eines schweren Covid-19-Verlaufs erhöhen, darunter ein hohes Alter oder Herz-Kreislauf-Vorerkrankungen. Auch im Erbgut konnten Forscher bereits DNA-Sequenzen ausfindig machen, die bei Patienten mit schweren Verläufen häufiger sind. Eine solche hat ein internationales Team von Wissenschaftern etwa auf dem Chromosom 3 des Menschen gefunden. Sie kam häufiger bei Personen vor, die künstlich beatmet werden mussten, als bei solchen, die nur zusätzlichen Sauerstoff benötigten.
Es ist eine ganz bestimmte Variante dieser Sequenz, die mit einem erhöhten Risiko für eine schwere Form von Covid-19 verknüpft ist – und diese Variante stammt vom Neandertaler. Zu diesem Schluss kommen Svante Pääbo und Hugo Zeberg vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig bei einer Analyse der Sequenz, die sie vorab, ohne Begutachtung durch Fachkollegen, auf dem Preprint-Server «BioRxiv» veröffentlicht haben. Am ähnlichsten war die Erbgutsequenz jener eines Neandertalers, der vor etwa 50 000 Jahren im heutigen Kroatien lebte. Sequenzen sibirischer Neandertaler glichen ihr weniger, wie die Forscher schreiben.
Die Neandertalersequenz komme in verschiedenen Regionen unterschiedlich häufig vor, heisst es weiter: in Europa beispielsweise mit einer Frequenz von 8 Prozent oder in Südasien mit einer von 30 Prozent. In Bangladesh besitzen gar über 60 Prozent der Bevölkerung mindestens eine Kopie der Risikovariante. Die Sequenz umfasst sechs Gene, die unter anderem mit dem Immunsystem und dem Rezeptor in Verbindung stehen, über den das neue Coronavirus in die Zellen gelangt. Welche davon möglicherweise zu einem erhöhten Risiko beitragen und wie, ist bis anhin unklar.
Dass sich moderner Mensch und Neandertaler vor etwa 50 000 Jahren vermischten, weiss man schon länger; die ein bis zwei Prozent Neandertaler-Erbgut, die sich im Genom heutiger Europäer finden, zeugen davon. Die Erbgutsequenz auf Chromosom 3 ist auch nicht die erste, die mit Krankheiten in Verbindung gebracht wird. So soll ein Neandertaler-Gen beispielsweise auch das Risiko erhöhen, einen Diabetes Typ 2 zu entwickeln.
2. Juli: Die Lunge von Covid-19-Patienten durchläuft zwei Stadien
ni. · Mit einer Autopsie können Ärzte ihre zu Lebzeiten des Patienten gestellten Diagnosen überprüfen. Bei einer neuen Krankheit wie Covid-19 kann die Leichenöffnung zudem einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Krankheit liefern. Anders als bei der klassischen Autopsie, bei der das Gewebe von Auge und unter dem Mikroskop betrachtet wird, geht die molekulare Autopsie einen Schritt weiter. Mithilfe von modernsten Analyseverfahren liefert sie einen Einblick in die molekularbiologischen Mechanismen von Krankheiten.
Eine solche molekulare Autopsie hat eine Schweizer Forschergruppe an 16 Personen durchgeführt. Sie alle waren in den Kantonen Basel-Landschaft und Basel-Stadt an Covid-19 gestorben. Die Wissenschafter interessierten sich für die in den Lungen abgelaufene Immunantwort gegen Sars-CoV-2. Diese charakterisierten sie anhand von Parametern wie der Anzahl Viren im Organ, der Zahl der Entzündungszellen und anhand davon, welche Genabschnitte bei den Zellen abgelesen wurden. Diese Daten setzten sie in Bezug zu klinischen Parametern wie dem Krankheitsverlauf.
So konnten die Forscher bei den Leichen zwei immunologische Signaturen in den Lungen nachweisen, die bei schwerem Covid-19-Verlauf nacheinander auftreten. So ist das Organ in der ersten Phase stark vom Virus besiedelt, das Gewebe aber noch weitgehend intakt. In dieser Phase sind die molekularen Entzündungsparameter stark erhöht. Sie klingen später aber wieder ab. In dieser zweiten Phase scheint das Virus zwar kontrolliert, doch das Lungengewebe zeigt jetzt Zeichen der Zerstörung sowie Ablagerungen von Proteinen des sogenannten Komplementsystems.
Ihre Befunde hätten Implikationen für die Behandlung von Covid-19-Patienten, schreiben die Studienautoren. So stünden in der ersten Phase der Immunantwort gegen das neue Coronavirus antivirale Medikamente wie Remdesivir und breit wirksame Entzündungshemmer im Vordergrund. Später könnten dann Arzneimittel hilfreich sein, die die Aktivität von Komplement-Eiweissstoffen hemmten.
19. Juni: Abwasser als Frühwarnsystem für Sars-CoV-2
rtz. · In Abwasserproben aus Turin, Mailand und Bologna haben Forschende das neuartige Coronavirus nachgewiesen. Das teilt das Instituto Superiore di Sanità in Rom mit. Die frühesten Proben, die das Virus enthalten, wurden demnach in Turin und Mailand am 18. Dezember 2019 entnommen; die älteste mit dem Virus belastete Probe aus Bologna stammt vom 29. Januar 2020. Damit ist ein weiterer Nachweis dafür erbracht, dass das Virus keineswegs erst Anfang Jahr nach Oberitalien eingeschleppt wurde, sondern bereits einige Wochen früher dort zirkulierte. Dies hatten Wissenschafter bereits vermutet, insbesondere weil gegen Ende des Jahres 2019 in der Region eine ungewöhnliche Häufung von schlimmen Lungenentzündungen beobachtet wurde. Doch war damals von einem neuen Virus noch nicht die Rede, geschweige denn ein präziser Test verfügbar. Die nun untersuchten Abwasserproben wurden im Rahmen von regelmässigen, standardisierten Kontrolluntersuchungen genommen, wie es sie überall gibt.
Ähnliche Ergebnisse liegen aus Frankreich, aus Spanien und den Niederlanden, aber auch aus der Schweiz vor: Forscher der Empa haben in Abwasserproben aus Lugano und Zürich eine Belastung mit Sars-CoV-2 nachweisen können, und zwar beginnend mit Proben, die schon Ende Februar genommen wurden. Damals war in Lugano nur ein einziger Infektionsfall bekannt, in Zürich gab es dazumal 6 Fälle.
Die Ergebnisse sind nicht nur rückblickend interessant. Vielmehr beabsichtigen die Forscher, auf der Basis engmaschiger Probenentnahmen aus dem Abwasser und effizienter Analyseverfahren ein Frühwarnsystem für die Ausbreitung von Sars-CoV-2 aufzubauen. Mit diesem könnten allfällige regionale Ausbrüche rasch entdeckt und entsprechend gegengesteuert werden.
Übrigens: Dass das Virus im Abwasser gefunden wurde, bedeutet keineswegs, dass eine Ansteckung via Trinkwasser möglich ist. Denn die Viren, die die Forscher im Abwasser dingfest machen, sind bereits tot.
10. Juni: Traten die ersten Covid-19-Fälle schon im Herbst in Wuhan auf?
ni. · Nach verschiedenen Studien sind die ersten Fälle von Covid-19 in Wuhan, China, Ende November oder Anfang Dezember aufgetreten. Gleichzeitig gibt es aber auch Hinweise darauf, dass das neue Coronavirus schon Wochen oder Monate früher in Südchina zirkuliert haben könnte. Diese Ansicht vertritt nun auch eine amerikanische Forschergruppe der Harvard Medical School in Boston. Für ihre Untersuchung haben John Brownstein und seine Kollegen anhand von Satellitenaufnahmen die Parkplatzbelegung von sechs Spitälern in Wuhan sowie die aus dieser Gegend stammenden Internetanfragen nach Begriffen wie «Husten» und «Durchfall» analysiert.
Obwohl die Parkplatzbelegung der Kliniken zwischen 2018 und 2020 generell zugenommen hat, liess sich laut den Forschern in den über 100 Satellitenbildern ab August 2019 ein starker Anstieg nachweisen. Fünf der sechs Spitäler erlebten zwischen September und Oktober ein besonders grosses Besucheraufkommen. In dieser Zeit verzeichnete die chinesische Suchmaschine Baidu einen deutlichen Anstieg bei den Suchanfragen nach «Husten» und «Durchfall». Der Begriff «Durchfall» sei dabei besonders interessant, schreiben die Forscher. Denn dieser sei spezifischer für Covid-19 als «Husten», der parallel zur Grippesaison jährliche Peaks zeige.
Auch wenn die Befunde mit einem frühzeitigen Auftreten von Sars-CoV-2 im Herbst 2019 vereinbar sind: Ein Beweis sind sie nicht, das schreiben auch die Autoren der Studie. Eindeutiger wäre die Situation, wenn im Nachhinein noch der Virusnachweis bei Spitalpatienten gelänge, die im Spätsommer oder Herbst 2019 wegen unklaren respiratorischen Symptomen in Wuhan hospitalisiert waren. Dass das möglich ist, hat der Fall eines Patienten in Frankreich gezeigt. Dafür muss im Spital aber noch biologisches Material wie Auswurfsekret oder Blut für eine Nachuntersuchung gelagert sein.
2. Juni: Das Virus befällt zuerst die Nase
rtz. · Sars-CoV-2 führt bei einem Grossteil der symptomatischen Infizierten zuerst zu Krankheitsanzeichen der oberen Atemwege, im späteren Verlauf sind auch die unteren Atemwege betroffen. Doch war bisher unklar, ob das Virus als Eintrittspforte das Gewebe im Rachenraum benutzt oder eher die Schleimhäute der Nase. Amerikanischen Wissenschaftern aus North Carolina ist es mit innovativen Methoden gelungen zu zeigen, dass das Virus besonders gut die Zellen der Nasenschleimhaut infizieren kann. Sie vermuten, dass sich das Virus von dort aus den Weg in die unteren Atemwege bahnt. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal «Cell» publiziert.
Dies fanden die Forscher heraus, indem sie zwei Ansätze miteinander kombinierten: Zunächst konstruierten sie anhand vorhandener Erbgutdaten ein künstliches, grün fluoreszierendes Sars-CoV-2-Virus. Ausserdem verwendeten sie eine hochsensible Methode zur Quantifizierung der ACE2-Rezeptormenge in menschlichen Zellen der Nasen-, Rachen- und Bronchialschleimhaut. So konnten sie feststellen, dass einerseits die Menge an ACE2 entlang des Weges von den oberen zu den unteren Atemwegen abnahm und andererseits das Virus die oberen Atemwege besser infizieren konnte.