Muss sich Macron einen neuen Premierminister suchen? Droht dem Land ein Shutdown «à l’américaine»? Sechs Fragen und Antworten zur politischen Krise in Frankreich.
Nach weniger als drei Monaten im Amt steht die französische Minderheitsregierung vor dem Aus. Denn Michel Barnier, dem konservativen Premierminister, drohen am Mittwochabend gleich zwei Misstrauensanträge von der linken und der rechten Opposition. Vorausgegangen war ein Streit um einen Sparhaushalt, den die Mehrheit der Parlamentsabgeordneten heftig ablehnt. Es wird eng für Barnier, auch wenn die Sache noch nicht gelaufen ist. Welche Szenarien sind jetzt für Frankreich zu erwarten? Dazu ein Überblick.
Kann sich Barnier noch Chancen ausrechnen?
Es ist nicht ausgeschlossen, aber sehr unwahrscheinlich, dass Barnier die Misstrauensvoten überlebt. Im linken Lager haben sich Abtrünnige zu Wort gemeldet, die nicht für seinen Rücktritt stimmen wollen. Doch die Mehrheit des Nouveau Front populaire (NFP) aus Sozialisten, Kommunisten, Grünen und radikalen Linken wollte die Mitte-rechts-Regierung von Anfang an zu Fall bringen. Beim rechtsnationalen Rassemblement national (RN) ist die Sache noch eindeutiger, denn hier wird stramm so abgestimmt, wie es die Chefin Marine Le Pen vorgibt. Und die hat sich festgelegt: Barnier und sein Kabinett, das sie wochenlang duldete, müssen weg. Den Antrag der Linken will Le Pen ebenfalls unterstützen, und zusammen erreichen die Oppositionsparteien die nötige absolute Mehrheit von 289 Stimmen.
Muss jetzt auch Präsident Macron um seine Macht zittern?
Nein. In Frankreich, wo der Präsident ein Monarch auf Zeit ist, kann das Parlament nur die Regierung stürzen. Das Narrativ, dass mit dem Ende Barniers auch ein Ende der Ära Macron naht, wird derzeit von vielen Oppositionspolitikern erzählt. Vor allem der linke Volkstribun Jean-Luc Mélenchon, der selbst Präsident werden will, fordert Macron seit Wochen zum Rücktritt auf. Richtig ist: Der Staatschef ist unter Druck, seine Zustimmungswerte sind im Keller, aber Anzeichen dafür, dass er sich von Mélenchon und Le Pen zu einer vorgezogenen Präsidentschaftswahl bewegen lassen könnte, gibt es nicht.
Was passiert nach Barniers Rücktritt?
Ist das Misstrauensvotum wie erwartet erfolgreich, muss Barnier sofort seinen Rücktritt beim Präsidenten der Republik einreichen. Technisch stünde Frankreich dann ohne einen Regierungschef da, aber dessen Kabinett könnte Macron bis zur Bildung einer neuen Regierung geschäftsführend im Amt lassen. Die Minister dürften zwar keine neuen Initiativen anstossen, würden sich aber um laufende Angelegenheiten kümmern. Macron müsste mit der Suche nach einem Nachfolger für Barnier beginnen – was er wahrscheinlich längst getan hat. Erfahrungen mit geschäftsführenden Regierungen hat das Land. Das letzte Mal gab es eine solche nach dem Rücktritt von Gabriel Attal im Juli. Aber angesichts der hohen Staatsschulden und der schwierigen Wirtschaftslage braucht Frankreich dringend eine handlungsfähige Regierung.
Was passiert jetzt mit dem Haushalt?
Wird Barniers Regierung gestürzt, dürften die meisten seiner Gesetzesentwürfe begraben werden. Betroffen davon sind auch die drei Haushaltsgesetze, die der Premierminister eigentlich bis Jahresende durch das Parlament bringen wollte. Ein neuer, von einer möglichen künftigen Regierung vorbereiteter Haushaltsentwurf hätte keine Chance, die Frist bis zum 31. Dezember einzuhalten.
Droht Frankreich dann ein Shutdown?
Nein. Ein Stillstand der Regierungsgeschäfte wie in den USA ist in Frankreich noch nie eingetreten und auch nicht zu erwarten. Eine Möglichkeit ist, dass die Abgeordneten ein Sondergesetz auf den Weg bringen, das es dem Land ermöglicht, auf der Basis des Haushalts von 2024 weiterzumachen. Gäbe es für ein solches Gesetz keine Mehrheit, könnte der Präsident immer noch Notmassnahmen nach Artikel 16 der Verfassung ergreifen. Dann wäre der demokratische Normalbetrieb vorübergehend ausser Kraft gesetzt. Aber Le Pen und der NFP haben bereits angekündigt, für das Sondergesetz zu stimmen.
Sind Regierungsstürze in Frankreich nicht der Normalfall?
Regierungen in Frankreich sind vielleicht weniger langlebig als in Deutschland. Unter der Präsidentschaft von Macron hat es seit 2017 bereits sechs Regierungen mit fünf verschiedenen Premierministern gegeben. Druck aus dem Parlament hat bei diesen Regierungswechseln zwar eine Rolle gespielt, aber die Abgeordneten haben das Kabinett nicht abgewählt. In der jüngeren französischen Geschichte waren Abgeordnete erst einmal mit einem Misstrauensvotum erfolgreich: 1962 entzogen sie Premierminister Georges Pompidou und seiner Regierung unter Präsident Charles de Gaulle das Vertrauen. Danach kam es zur Neuwahl, und Pompidou wurde von de Gaulle wieder eingesetzt.