Am Mittwoch kommt es zum Showdown zwischen der Regierung und dem Rassemblement national. Derweil steht das Land ohne Staatshaushalt da. Das Vertrauen der Märkte ist am Erodieren.
Die französische Regierung von Premierminister Michel Barnier könnte nach nur zwei Monaten bereits wieder ausgedient haben. Schon jetzt steht fest, dass sie das Seilziehen gegen das rechtsnationale Rassemblement national (RN) verloren hat. Streitpunkt ist das Staatsbudget für 2025. Trotz Konzessionen und finanzieller Notlage konnte Barnier die Oppositionsführerin Marine Le Pen nicht überzeugen. Ohne Budget steckt Frankreich in seiner zweiten Regierungskrise in sechs Monaten.
Die Nervosität an den Märkten steigt, und mit ihr steigen die Schuldzinsen für französische Staatsanleihen. Le Pen hat klargemacht, dass sie sich im Budgetstreit mit der Linken zusammenschliessen und der Regierung das Misstrauen aussprechen werde. Das politische Chaos ist vorprogrammiert und greift auf die Kapitalmärkte über. Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten:
Wie hat der Finanzmarkt auf die politische Blockade reagiert?
Es war eine Krise mit Ansage. Die Kapitalmärkte reagierten heftig, aber nicht panisch. Die Unsicherheit ist im Anleihemarkt am besten sichtbar. Der Risikoaufschlag zehnjähriger französischer Anleihen gegenüber deutschen Schuldpapieren erreichte am Montagabend 88 Basispunkte. Der «Spread» war so hoch wie seit 2012 nicht mehr, auf dem Höhepunkt der Euro-Krise. Für Frankreich wird es immer teurer, sich zu verschulden.
Vergangene Woche bewegten sich die Zinsen französischer Anleihen kurzzeitig über jenen Griechenlands, und sie sind immer noch nahe beieinander, bei rund 2,9 Prozent. Das sei nicht überraschend, bemerkt René Hermann, Anleihen-Experte bei Independent Credit View. Bereits im September seien die französischen Schuldzinsen einmal höher als jene Spaniens gewesen. Die Risiken haben sich in den letzten Jahren von der Peripherie zum Kern der Euro-Zone verschoben.
Der französische Aktienmarkt konnte sich halten, wobei Grossbanken-Werte wie Crédit Agricole, BNP Paribas und Société Générale Verluste hinnehmen mussten. Der französische Leitindex CAC 40 ist in diesem Jahr der schlechteste Europas mit einem Minus von fast 4 Prozent. SMI und Euro-Stoxx 50 haben beide deutlich gewonnen. Die schlechte Performance von Frankreichs Leitindex hat aber nicht nur mit der politischen Unsicherheit zu tun, sondern auch mit spezifischen Problemen der Konzerne LVMH, Total Energies und L’Oréal, die fast ein Viertel des Indexes ausmachen.
Warum hat Frankreich ein so grosses Schuldenproblem?
Die Schuldenwirtschaft gehört zu Frankreich. Das Land hatte seit der Präsidentschaft von Valéry Giscard d’Estaing 1974 keinen ausgeglichenen Staatshaushalt mehr. Die Märkte hofften zu Beginn von Präsident Emmanuel Macrons erster Amtszeit 2017, dass er die Staatsfinanzen ins Lot bringen würde. Das geschah nicht. Im Gegenteil, die Fiskalsituation verschlechterte sich zusehends. «Die Schulden steigen schneller an als vor der Pandemie», stellt Hermann fest.
Frankreich läuft finanziell am Limit – wegen der Staatsschulden, des hohen Defizits, der Mehrbelastung durch das höhere Zinsniveau sowie des steigenden Drucks auf die Ausgaben, etwa für Verteidigung. Barniers Wirkungsfeld war zudem stark eingeschränkt. Als Chef einer tolerierten Minderheitsregierung hing Barnier vom Goodwill des RN ab. Bei Steuererhöhungen ist das Potenzial ebenfalls ausgereizt. Frankreich hat eine der höchsten Steuerraten aller OECD-Länder. Folglich musste Barnier bei den Ausgaben ansetzen. Politisch war das chancenlos.
Droht Frankreich in eine Schuldenspirale zu geraten?
Die fiskalische Situation des Landes hat sich seit Pandemie und Energiekrise stark verschlechtert; allen voran wegen grosszügiger staatlicher Subventionen an Haushalte und Unternehmen. Das Verhältnis von Staatsschulden zu Bruttoinlandprodukt (BIP) ist zwischen 2019 und 2023 von 97,4 auf 110 Prozent angestiegen. Für Hermann steht Frankreich «am Anfang einer Schuldenspirale».
Man geht davon aus, dass sich eine hohe Staatsverschuldung ab einer Quote von 85 Prozent des BIP negativ auf das Wachstum auswirkt – Frankreich bewegt sich weit darüber. Das Land wächst zu wenig, um die steigenden Zinskosten langfristig zu finanzieren. Ein finanzieller Kollaps droht aber kaum unmittelbar. Hohe Staatsdefizite können wie in Japan viele Jahre weiterlaufen. Zudem hebt Hermann hervor, dass Frankreich strukturell nicht mit Griechenland zu vergleichen sei. Frankreich hat eine grosse, diversifizierte Wirtschaft mit globalen Konzernen und stabilen Banken.
Besteht Ansteckungsgefahr, kommt es zu einer Euro-Krise?
Frankreich ist die zweitgrösste Wirtschaft der Euro-Zone, die grössten Risiken sind konjunktureller Natur. So dürfte der politische Stillstand Frankreich gegen Ende des Jahres in die Rezession reissen, glaubt Arthur Jurus, Anlagechef bei der französisch-deutschen Bank Oddo BHF. Frankreich werde das Wachstum der gesamten Euro-Zone verlangsamen.
Eine schockartige Marktreaktion wie unter der britischen Regierung von Liz Truss ist aber nicht zu erwarten. 2022 hatte Truss ein Budget präsentiert, das an den Bondmärkten starke Turbulenzen auslöste – ihre Regierung musste nach nur 45 Tagen im Amt zurücktreten. «Der Markt kann heftig reagieren, wenn die Refinanzierung unrealistisch erscheint», sagt Hermann.
Bis jetzt ist kein vergleichbarer Stress am Anleihemarkt festzustellen. Jurus glaubt zudem, dass ein Zins-Schock die Europäische Zentralbank (EZB) veranlassen würde, zu intervenieren und französische Staatsanleihen oder Anleihen anderer Euro-Länder aufzukaufen. Solche Interventionen seien eine Lehre aus der Euro-Krise. Sie wurden während der Pandemie erfolgreich eingesetzt.
Was bedeutet die Krise für den Euro?
Das politische Drama und die steigenden französischen Bondzinsen setzen den Euro unter Druck. Denn der Schuldendienst wird für Frankreich teurer, und das Risiko steigt, dass die Staatsverschuldung irgendwann untragbar wird. Das schränkt das Land bei der Fiskalpolitik und den Investitionen ein. Gemäss Jurus könnte die EZB deshalb die Leitzinsen weiter senken, um grössere Verwerfungen zu verhindern.
Darüber hinaus dürfte die unterschiedliche Finanzdisziplin unter den EU-Mitgliedstaaten ihren Zusammenhalt weiter schwächen, was das Formulieren einer einheitlichen Geldpolitik durch die EZB erschwert. Das politische Chaos könnte auch ausländische Investoren davon abhalten, in Euro-Assets zu investieren, was den Euro zusätzlich belasten würde. Aber auch Risiken wie die bevorstehenden Neuwahlen in Deutschland sowie die angedrohten US-Zölle belasten die Gemeinschaftswährung.
Kann sich Frankreich selbst aus der Krise befreien?
Was nach einem erfolgreichen Misstrauensvotum kommt, ist offen. Macron könnte das Parlament im Sommer erneut auflösen, eine neue Regierung formieren oder selbst zurücktreten. Fest steht, gleichgültig unter welcher Regierung: Ohne tiefe Einschnitte wird Frankreich dem EU-Defizit-Ziel von 3 Prozent des BIP nicht näherkommen. Griechenlands Staatsanleihen tragen heute zwar das Prädikat «investment grade», das war aber nur nach etlichen schmerzhaften Jahren des Sparens und der Austerität möglich.
Hermann glaubt, dass die disziplinierende Wirkung des Zinses zurück ist, Politiker müssten sich darauf einstellen. Viele Regierungen hätten sich zu stark an das Tiefzinsumfeld gewöhnt, wo die Refinanzierung von Schulden sehr günstig war. Blickt man auf die Geschichte zurück, stehen die Chancen jedoch schlecht, dass die französische Bevölkerung bereit ist, Einschnitte bei Staatsleistungen hinzunehmen. Davon legen die Gelbwesten-Proteste nach der Pandemie eindrücklich Zeugnis ab.