Präsident Emmanuel Macron und sein Premierminister Michel Barnier haben sich auf ein Kabinett verständigt. Das neue Mitte-rechts-Bündnis muss die Schuldenkrise stemmen, die Rentenreform verteidigen – und aufpassen, dass es nicht schon bald wieder gestürzt wird.
Frankreich hat eine neue Regierung. Zweieinhalb Monate nach der bitteren Niederlage des Lagers von Emmanuel Macron bei der Parlamentswahl haben sich der französische Präsident und sein Premierminister Michel Barnier auf ein Kabinett geeinigt, das deutlich nach rechts tendiert.
Bei den 19 designierten Ministern und 20 Staatssekretären handelt es sich fast ausschliesslich um Mitglieder aus Macrons Mittebündnis Ensemble und Vertreter der konservativen Républicains. Nur der designierte Justizminister Didier Migaud stammt aus dem linken Lager. Der ehemalige Sozialist gehört aber nicht dem Linksbündnis Nouveau Front populaire (NFP) an, das aus den Wahlen im Juli als stärkste Kraft hervorgegangen war und Barnier kategorisch boykottiert.
Signale nach rechts
Am meisten zu reden gibt in Paris der neue Innenminister Bruno Retailleau. Er war bisher Fraktionschef der Republikaner und gehört dem rechtskonservativen Flügel der Partei an. Retailleau spricht sich für Zuwanderungsquoten und härtere Regeln für den Familiennachzug von Flüchtlingen aus. Seine Personalie kann als klares Indiz dafür gelten, dass Barnier bei der Migrationspolitik die Zügel anziehen will und so auch ein Zeichen an das Rassemblement national sendet, das eine Tolerierung der Regierung an entsprechende Bedingungen knüpft.
Mit Retailleaus Parteifreundinnen Catherine Vautrin und Laurence Garnier, der neuen Ministerin für regionale Angelegenheiten und der neuen Staatssekretärin für Verbraucherschutz, kommen zwei weitere dezidiert wertkonservative Frauen zum Zug. Beide stimmten in der Vergangenheit gegen die Ehe für alle und gegen die Verankerung des Rechts auf Abtreibung in der französischen Verfassung. Ihre Ernennung soll Macron nicht gefallen haben, am Ende aber setzte sich Barnier durch.
Neuer Aussenminister wird Jean-Noël Barrot, der dem Präsidentenlager angehört und zuvor schon beigeordneter Minister für europäische Angelegenheiten war. Er steht für Kontinuität in der französischen Aussenpolitik, auch bei der Unterstützung der Ukraine. Das schwierige Dossier für Wirtschaft und Finanzen bekommt der erst 33-jährige Liberale Antoine Armand, auch er ein Vertrauter Macrons. Der bisherige Verteidigungsminister Sébastien Lecornu bleibt ebenso auf seinem Posten wie die Kulturministerin Rachida Dati und die Energieministerin Agnès Pannier-Runacher.
Auffällig ist, dass keiner der potenziellen Präsidentschaftskandidaten an der Regierung beteiligt ist und mehrere politische Schwergewichte aus dem Rennen sind. Dafür soll Barnier ausdrücklich gesorgt haben. Sowohl der bisherige Innenminister Gérald Darmanin als auch der bisherige Wirtschaftsminister Bruno Le Maire haben die Regierung verlassen.
Kann die neue Mitte-rechts-Koalition überhaupt überleben? Der erst vor gut zwei Wochen von Macron zum Premierminister ernannte frühere EU-Kommissar stand von Beginn der Sondierungen an unter erheblichem Druck. Der NFP hatte sich einer Zusammenarbeit mit Barnier komplett verweigert und einen Misstrauensantrag ins Spiel gebracht. Olivier Faure, der Chef des Parti socialiste, setzte am Wochenende den Ton, als er das neue Kabinett als «reaktionäre Regierung, die der Demokratie den Stinkefinger zeigt» bezeichnete. Der radikale Linken-Führer Jean-Luc Mélenchon sprach von einem «macronistischen Katastrophenfilm».
Macron hatte eine Regierung der Vereinigten Linken, zu der auch Mélenchons Partei La France insoumise gehört, ausgeschlossen, weil er deren Wirtschaftspläne für gefährlich hält. Dennoch versuchte Barnier auch gemässigte Sozialdemokraten wie den Präsidenten des Rechnungshofes Pierre Moscovici oder den ehemaligen Premierminister Bernard Cazeneuve für sein Team zu gewinnen, um eine möglichst breite Koalition zu bilden. Doch beide sagten dankend ab, weil sie der Regierung kein langes Leben vorhersagen und sich nicht die Finger verbrennen wollen.
Le Pen wartet ab
Auch von ganz rechts droht Barnier Ärger. Das Rassemblement national hatte seine Ernennung zum Premierminister überhaupt erst möglich gemacht, indem es ankündigte, ihn nicht sofort stürzen und vorerst «unter Beobachtung» stellen zu wollen. Jordan Bardella, der Chef der Rechtsnationalisten, sprach am Wochenende gleichwohl von einer Regierung, die «schwach und fragil» sei.
Das gehört freilich zur Strategie der Partei von Marine Le Pen, die sich den Wählern als bessere Alternative bei den Themen innere Sicherheit und Migration empfiehlt – aber auch als konstruktive Opposition erscheinen will, die das Land vor noch mehr Chaos und Unruhe rettet. Ein gemeinsames Vorgehen mit den Linken, das nötig wäre, um Barnier zu stürzen, ist deswegen vorerst nicht zu erwarten.
Über eine absolute Mehrheit, die politische Vorhaben von Macron einfach umsetzen kann, wird die künftige Regierung nicht verfügen. Barnier muss also je nach Vorhaben auf die Unterstützung unterschiedlicher Partner setzen. Das dürfte vor allem bei der Haushaltspolitik heikel werden. Wegen einer zu hohen Neuverschuldung betreibt die EU-Kommission ein Defizitverfahren gegen Paris.
An einem drastischen Sparkurs in Frankreich mit seinen traditionell hohen öffentlichen Ausgaben führt eigentlich kein Weg vorbei, und über die Frage möglicher Steuererhöhungen ist schon vor der Ernennung der Regierung Streit zwischen Barnier und dem Macron-Lager entbrannt. Verzichten will die neue Regierung auch nicht mehr auf die umstrittene Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre, die mehr Geld in die öffentlichen Kassen spülen würde. Doch bei diesem Minenfeld gibt es vereinten Widerstand von links und ganz rechts. Barnier wird um eine der zentralen Reformen Macrons kämpfen müssen.