Das Bezirksgericht Dielsdorf gibt einer gewalttätigen Alkoholikerin nochmals eine Chance.
Der Streit eskalierte gegen Mitternacht im Januar 2023. In einem Mehrfamilienhaus im Bezirk Dielsdorf schlug eine heute 46-jährige Schweizer Hausfrau ihrem Lebenspartner mit einer Suppenkelle zweimal derart heftig auf den Kopf, dass er «Sternchen» sah. So steht es in der Anklageschrift. Ausserdem habe der Mann eine Beule erlitten.
Doch nicht genug: Die Frau nahm ein Küchenmesser mit einer 20 Zentimeter langen Klinge und stach damit in die linke Schulter des Partners. Sie hat damit laut Anklage eine lebensgefährliche Verletzung in Kauf genommen.
Danach sass die Frau 20 Tage in Untersuchungshaft. Später trennte sie sich von ihrem Lebenspartner.
Es war nicht der erste Streit zwischen dem Paar. Mindestens zwei frühere Gewaltschutzmassnahmen mit Kontaktverboten sind bekannt. Im Prozess vor dem Bezirksgericht Dielsdorf ist auch von Untersuchungen gegen den Partner wegen häuslicher Gewalt die Rede, ohne dass diese jedoch konkretisiert werden.
Angeklagt ist zudem, dass die Frau im Oktober 2022 mit einer Schere die Kabel der Subwoofer-Boxen und des Verstärkers ihres Partners durchschnitten hatte und mit einem Schraubenzieher dessen Fernseher zerkratzte.
Borderline und Alkoholmissbrauch
Die Frau gibt die Gewalttaten und die Sachbeschädigungen im Gerichtssaal zu, ohne irgendetwas zu beschönigen, und erklärt: «Ich bereue es zutiefst.» Ihr Verteidiger konnte sich mit dem Staatsanwalt auf ein abgekürztes Verfahren einigen – mit einem für sie sehr vorteilhaften Urteilsvorschlag.
Es ist zwar eine unbedingte Freiheitsstrafe von zwei Jahren wegen versuchter schwerer Körperverletzung und weiterer Straftatbestände beantragt. Diese soll aber zugunsten einer ambulanten Massnahme aufgeschoben werden. Das bedeutet, dass die 46-Jährige nicht ins Gefängnis gehen würde, sondern bloss in Freiheit eine ambulante Therapie besuchen müsste.
Die Gerichtspsychiaterin hat in ihrem 60-seitigen Gutachten bei der Frau eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ sowie einen schädlichen Gebrauch von Alkohol diagnostiziert. Zum Zeitpunkt des Messerstichs habe eine Alkoholintoxikation bestanden. Die Gutachterin kam zum Schluss, dass die Wiederaufnahme der Beziehung zu ihrem Partner das Risiko für weitere Gewalttaten massgeblich steigern würde.
In der Strafuntersuchung hatte die Beschuldigte erklärt, sie habe den Mann seit Juni 2023 nicht mehr gesehen, weil er ihr nicht gut tue. Sie hatte die Partnerschaft selber «als toxische Beziehung» bezeichnet. Diese sei beendet.
Zwei bis drei Liter Bier pro Tag
Zwei Wochen vor der Gerichtsverhandlung erfuhr ihr amtlicher Verteidiger allerdings, dass sie wieder mit demselben Mann in einer Wohnung zusammenlebt. Er informierte das Gericht darüber. Im Gerichtssaal dazu befragt, erklärt die Frau: «Wir wollen es noch einmal probieren, wir lieben uns.»
Die Beschuldigte ist Mutter von drei Söhnen, zwei davon sind noch minderjährig und fremdplatziert. Sie ist nicht erwerbstätig und lebt von der IV. Auf die Frage, ob und wie viel Alkohol sie noch trinke, antwortet sie: zwei bis drei Liter Bier pro Tag. Sie mache aber auch einmal zwei Tage Pause.
Sie sei sich des Risikos bewusst, dass sie wieder mit ihrem Partner zusammenlebe, sie habe sich aber geändert. Wenn es Probleme gebe, gehe sie nun hinaus in den Wald. Sie besucht zudem bereits einmal wöchentlich eine Gesprächstherapie von jeweils einer Stunde.
Das Bezirksgericht Dielsdorf heisst den Urteilsvorschlag gut. Die Frau muss damit rund 20 000 Franken Verfahrens- und Gutachterkosten bezahlen, was ihr bewusst ist und sie akzeptiert.
«Wir können Ihnen nicht vorschreiben, mit wem Sie zusammenleben», erklärt der Gerichtsvorsitzende bei der Urteilseröffnung. Das Gericht glaube, dass die ambulante Massnahme das beste für sie sei und sie auf einem guten Weg sei, damit es nicht wieder passieren werde.
Sie müsse mit ihrer Therapeutin aber darüber reden, wie Gewalt in Zukunft ausgeschlossen werden könne. Der Richter wünscht ihr, «dass es gut kommt» und die Fremdplatzierung der Söhne irgendwann aufgehoben werden kann.
Urteil DH240002 vom 21. 3. 2024, abgekürztes Verfahren.