Trotz technologischen Fortschritten und diversifizierten Berufsfeldern bleibt der Frauenanteil in der Automobilindustrie gering. Warum das so ist und wie etwa deutsche Unternehmen versuchen, mehr Frauen für technische Berufe zu begeistern.
Fabrikhallen, in denen es nach Öl und Gummi riecht und in den Pausen derbe Witze erzählt werden. In der Automobilproduktion arbeiteten vor mehr als hundert Jahren in der Regel Männer. Mit dem Ford Modell T, gebaut zwischen 1908 und 1927, begann die Grossserienproduktion. Vergangenes Jahr liefen weltweit rund 93,5 Millionen Fahrzeuge von den Bändern, davon mehr als 67,1 Millionen Autos.
Gebaut werden sie auch heute noch meist von Männern. Nach Angaben der deutschen Gewerkschaft IG Metall arbeiten nur 17,2 Prozent Frauen in der Automobilindustrie – bei einem Frauenanteil an der Bevölkerung in Deutschland von 50,7 Prozent und in der Schweiz von 50,4 Prozent.
Wie kann das sein? «In der Vergangenheit waren Jobs in der Autoindustrie oftmals Schwerstarbeit, die von Männern übernommen wurde», sagt Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach bei Köln. «Das hat sich in den vergangenen Jahren geändert, auch durch den Einsatz von Robotern und ergonomischen Arbeitsplätzen.» Dennoch liegt die Quote der Mitarbeiterinnen deutlich unter der von Mitarbeitern.
Damit Hersteller künftig mehr Mitarbeiterinnen akquirieren können, müssen sie umdenken. «Es geht nicht nur um Blech, Motoren und Mechanik», sagt Bratzel. «Moderne Autos bieten ein grosses Mobilitätsangebot, integrieren KI, Software und Daten. Die Berufe sind heute deutlich vielfältiger als noch vor einigen Jahren.»
Dies öffne neuen Berufsfeldern die Tür und sei auch für Mitarbeitende attraktiv, die mit Benzin, Öl und Metall bisher weniger hätten anfangen können. Hersteller und Zulieferer sollten die Begehrlichkeit rund um das Automobil daher in allen Berufsfeldern deutlicher herausstellen und den Fokus auf neue, attraktive Felder lenken.
Wie das funktionieren kann, zeigt unter anderem BMW. Der bayrische Autohersteller fördert seit Jahren Mädchen und Frauen weltweit. «Die Produktion ist attraktiv, auch für Frauen und für junge Menschen», sagt Ilka Horstmeier, seit 2019 Personalvorständin bei BMW und damit zuständig für rund 150 000 Mitarbeitende aus mehr als 110 Nationen. «Diversität tut der Produktion sehr gut.»
Von einem Frauenanteil um 50 Prozent weit entfernt
Im neuesten BMW-Werk in San Luis Potosí in Mexiko sind rund 37 Prozent der etwa 3700 Mitarbeitenden Frauen, die Mehrheit von ihnen arbeitet in den Bereichen Montage und Lackierung. BMW produziert in Mexiko seit 2019 die Modelle 3er, 2er und M2. In zwei Schichten entstehen 450 Autos täglich, die in achtzig Länder exportiert werden.
Knapp 23 Prozent der Positionen auf BMW-Führungsebene werden von Frauen besetzt. Im gesamten Konzern arbeiten nur 20 Prozent Frauen, bis 2025 sollen es 22 Prozent werden. Zum Vergleich: Bei Mercedes-Benz liegt der Frauenanteil im Unternehmen bei 22,2 Prozent, in Führungspositionen bei 25,7 Prozent, und von acht Vorstandsposten sind drei von Frauen besetzt.
Bei der Marke VW lag der Frauenanteil 2023 bei 18,6 Prozent. 2000 waren es nur 12,4 Prozent. Bis Ende 2025 plant der VW-Konzern, im Management 20,2 Prozent Frauen zu beschäftigen. Die Audi AG kommt auf eine Frauenquote von 17,1 Prozent und will mit einer «Diversity-Strategie» bis Ende 2025 einen Anteil an Mitarbeiterinnen von 20 Prozent erreichen. Bei Porsche liegt der Anteil der Mitarbeiterinnen bei 17 Prozent, vor zwanzig Jahren waren es nur 10 Prozent.
«Grundsätzlich haben wir zu wenig Frauen, die sich für technische Berufe interessieren. Deswegen muss man, wenn man Frauen im gesamten technischen Umfeld fördern will, schon in Schulen auf diese Berufsfelder aufmerksam machen», erklärt Ilka Horstmeier. «Wir stärken das Interesse von Mädchen an technischen Berufen durch Initiativen wie Girls’ Day oder #empowerGirl.» Auch die Arbeitszeitmodelle sind flexibler geworden – trotzdem wird es in der Produktion weiter Schichtarbeit geben.
In und um seine Werke etabliert BMW verschiedene Programme zur Förderung von Mädchen, Jungen und Studierenden. In der Nachmittagsbetreuung «Club de niños y niñas» können 250 Kinder der Mitarbeiterinnen nach der Schule spielen, lernen, essen und sich ausprobieren. Neue Kollaborationen mit dem Wissenschaftsklub «Science club paota» und dem Unicef fördern Mädchen, um sie für Mathematik, Physik, Technik und technische Themen zu interessieren. Seit 2023 kooperiert BMW mit dem Unicef in Südafrika, Mexiko, Brasilien, Indien und Thailand, um in den Bereichen Wissenschaft, Technologie, Ingenieurwissenschaft und Mathematik (STEM) Mädchen und Frauen zu fördern.
Angelegt ist die Zusammenarbeit mindestens bis 2030. Sie umfasst unter anderem den Aufbau eines STEM-Ökosystems, eine Lehrerausbildung für über 180 Schulen sowie Ausbildungs- und Lebensprojekte für Mädchen. «Wir wollen mit unseren Programmen das Potenzial von Frauen generell entwickeln», erklärt Horstmeier. «Wir werden nicht alle Kinder, die wir fördern, bei BMW einstellen können. Aber wir leisten unseren gesellschaftlichen Beitrag, der über BMW hinausgeht.»
Mercedes-Benz hat sich 2006 zum Ziel gesetzt, den Frauenanteil zu steigern, und bietet dafür ebenso Nachwuchsförderung, Infoveranstaltungen und Mentoring-Programme, darunter «Bertha’s Daughters», welches sich auf die Entwicklung weiblicher Talente konzentriert. Audi hat seit zwanzig Jahren ein internes Frauennetzwerk mit eigenem Mentoring-Programm, bietet Jobsharing in Führungspositionen an und fördert junge Talente mit verschiedenen Programmen. Porsche bietet ebenso Netzwerk- und Mentoring-Programme an, um den Anteil von Frauen im Unternehmen zu erhöhen.
Verstärkter Fokus auf Fachausbildung
In Mexiko arbeitet BMW mit dreissig Universitäten zusammen, bietet Programme für eine aus Deutschland importierte duale Ausbildung und Meisterausbildung an. 500 Auszubildende haben seit der Werksgründung in Mexiko die Ausbildung im dualen System absolviert, wo sie Schule und berufliche Praxis verbinden. Das Interesse sei riesig, heisst es beim Hersteller – auch andere Firmen wollen solche Modelle einsetzen. In Mexiko absolvieren derzeit 51,5 Prozent Frauen die Ausbildung, in Deutschland liegt die Quote lediglich bei rund 22 Prozent.
Die Programme sind im Grundsatz weltweit die gleichen. Die Bedürfnisse sind jedoch in den einzelnen Ländern unterschiedlich, ebenso wie die Partner. Das Spannende in der Ausbildung sei, dass die Auszubildenden zwischen den Ländern tauschen könnten, wenn sie möchten. «Wir fördern gerne junge Talente, und ich bin überzeugt davon, dass viele von ihnen nachher auch in technischen Berufen ihren Weg finden werden», sagt Ilka Horstmeier. Viele junge Mitarbeitende wollen die Transformation der Autoindustrie mitgestalten, weil sie an Mobilität glauben, aber auch daran, dass sich Mobilität verändert.
Wichtig seien auch Rahmenbedingungen wie flexible Arbeitszeitmodelle oder Programme, die eine geteilte Führungsposition unterstützten, so dass man seine Karriere nicht unterbrechen müsse. Mit dem Joint Leadership können sich BMW-Mitarbeitende, die aus der Elternzeit zurückkommen, Führungsaufgaben für eine gewisse Zeit teilen – mittlerweile in immerhin rund achtzig Teams. Porsche bietet ein ähnliches Programm an.
«Wir wollen passende Rahmenbedingungen schaffen, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sicherzustellen», erklärt die BMW-Vorständin. «Wenn man das alles tut, hat man eine gute Chance, einen höheren Anteil an Frauen in Führungspositionen, aber auch in der Gesamtbelegschaft zu erreichen.»
Mittlerweile bietet BMW auch schichtbegleitende Kinderbetreuung an, um für junge Eltern im Produktionsumfeld einen attraktiven Arbeitsplatz zu bieten. «Wir brauchen Talente, wir brauchen digitale Kompetenzen, auch in der Produktion. Wir müssen starke Teams – mit verschiedenen Perspektiven – formen, um die anstehenden Aufgaben zu bewältigen. Ich bin überzeugt davon, dass Frauen eine andere Qualität in Teams bringen und damit einen wichtigen Beitrag zum Erfolg leisten.»
Dass sich die Produktion mit einer höheren Frauenquote ändert, glaubt Stefan Bratzel vom CAM nicht. Denn dort komme es für alle Geschlechter auf die gleichen Kriterien wie Qualität, Zeit, Geld und damit Effizienz an. Auch reine Frauenautos, gebaut von Frauen für Frauen, werde es nicht geben.
«Das Thema Mobilität und Auto muss geschlechterneutral werden. Die Automobilproduktion muss sich für Frauen deutlich mehr öffnen», sagt Bratzel. Vielleicht ergeben sich dann durch eine stärkere Frauenperspektive neue, interessante Möglichkeiten bei der Entwicklung von neuen Autos – wie Sicherheitsgurte und andere Sicherheitssysteme, die Frauen endlich besser passen als bis anhin.