Mehr als dreissig Jahre nach seinem Tod fasziniert der Frontmann der Band Queen noch immer. Wie ist seine Vitalität zu erklären?
Als kürzlich bekanntwurde, Freddie Mercurys Londoner Haus stehe für umgerechnet 35 Millionen Franken zum Verkauf, löste die Nachricht weltweite Schlagzeilen aus. Bei Sotheby’s brachte der Verkauf seiner 30 000 Sammlerstücke – darunter Schmuck, Kleider, Kunst, Turnschuhe, ein Flügel, ein Schnauzkamm und eine dem königlichen Original nachgemachte Krone – die Rekordsumme von über 15 Millionen Franken ein. Der Pop-Star mag vor 33 Jahren gestorben sein. Aber er und seine Gruppe Queen sind nicht totzukriegen.
Ihm selber schien der Nachruhm egal zu sein. Wie er sein Vermächtnis einschätzen würde, hatte ihn ein Journalist gefragt. «I don’t give a fuck, darling», gab er zurück, «because I’ll be dead by then.» Wie er die musikalische Leistung von Queen beurteilen würde, wollte ein anderer wissen: «Unsere Songs sind klingende Kleenex-Tücher», sagte er. Musik für den Schnellverbrauch.
Freddie Mercury, der Sänger, Pianist Songschreiber und Performer: Er war begabt, intelligent, geistreich und schwul. Und er war masslos in allem. Bigger than life, wie die Amerikaner sagen: grösser als das Leben. Und vielleicht deshalb hat er als Idol seinen eigenen Tod überdauert.
Grösser als das Leben
Der Film «Bohemian Rhapsody» – mit einem brillant aufspielenden Rami Malek in der Hauptrolle – ist etwas brav geraten bei einem so exzessiven Vorbild. Aber er bietet geistreiche Dialoge, und seine Musikszenen sind mitreissend gedreht. Seit Jahren wird ein Queen-Musical aufgeführt, die Gruppe tourt mit ihrem neuen Sänger in vollen Hallen, die meisten Videos der Band funktionieren immer noch, und auch ihre Platten werden weiter in hohen Zahlen verkauft. Bis heute sind es gegen 210 Millionen.
«Unsere Songs sind klingende Kleenex-Tücher» – das klingt kokett bei einem Sänger, dem die Musik noch mehr bedeutete als der Sex, und der bedeutete ihm eine Menge. Zumal Mercury singen konnte wie keiner in diesem Genre. Seine Stimme umfasste drei Oktaven, er konnte vom Bariton mühelos ins hohe Falsett hochgleiten, meisterte auch schnelle, komplexe Gesangspassagen und sang sie mit einer Kraft, die ihm selbst dann erhalten blieb, wenn er vorher über die Bühne gerannt war.
Bei einem Aids-Benefizkonzert zu Mercurys Ehren, es wurde ein halbes Jahr nach seinem Tod abgehalten, traten zwar viele gute Sänger auf. Aber keiner konnte alle von Freddies Töne meistern, mit der Ausnahme von George Michael.
Als Entertainer war Freddie Mercury ohnehin nicht zu schlagen. Nachdem Queen auf ihrer letzten Tournee vor seinem Tod zweimal das Wembley-Stadion gefüllt hatten, sagte er auf der Bühne «not bad for a bunch of old queens», was sich auch mit «nicht schlecht für einen Haufen alter Schwuchteln» übersetzen liesse. Die Menge raste.
Als Queen alle an die Wand spielten
An seinem Charisma, dem Humor und der vokalen Brillanz konnte keiner zweifeln, der ihn live erlebt hatte – oder wenigstens am Fernsehen beim Auftritt von Queen am Live-Aid-Konzert, dem von Bob Geldof ausgerichteten globalen Benefizkonzert für Afrika am frühen Abend des 13. Juli 1985.
An diesem Tag spielten Queen die Konkurrenz an die Wand. Neben ihnen hatte keiner eine Chance, weder David Bowie noch Madonna, Tina Turner oder Mick Jagger, nicht The Who oder Led Zeppelin und schon gar nicht U2. Das anerkannten auch alle teilnehmenden Musiker. Neidlos.
Queen, die sich erst Wochen vor dem Anlass für das Mitmachen entschieden hatten, spielten mit Leidenschaft, Druck und Präzision. In 21 Minuten brannten sie ein Medley von sechs Stücken ab, von «Bohemian Rhapsody», Mercurys berühmtestem Song, bis zu den Stadionhymnen «We Will Rock You» und «We Are the Champions». Die man hassen möchte, aber nicht kann, weil sie dermassen unverschämt zum Mitsingen einladen, dass man sich beherrschen muss, um Haltung zu bewahren.
Sechs Jahre nach Live Aid starb der Sänger an einer Lungenkomplikation, die sich aus seiner HIV-Ansteckung ergeben hatte. Damals glaubten viele noch, die Krankheit treffe fast nur Homosexuelle, so gesehen war Freddie Mercury der typische Patient. Obwohl er ein privater Mensch war, lebte er seine Sexualität mit einer Deutlichkeit aus, die jeden Kommentar erübrigte. Wie er selber seinen Tagesablauf zusammenfasste: «Am Morgen kokse ich eine Linie und überlege mir dann, wen ich heute alles ficken könnte.» Man musste ihn lieben.
Sein Tod machte vergessen, wie egoistisch sich Queen verhalten konnten, wenn das Geld stimmte. So spielten sie in Argentinien unter der Militärdiktatur und liessen sich mit Panzern ins Stadion fahren. Sie traten auch im segregierten südafrikanischen Sun City auf. «Wir machen keine Politik», begründete Brian May diese Auftritte, eine unglaublich einfältige Erklärung für einen so intelligenten Menschen. Denn wer selber nicht politisch denkt, akzeptiert die geltende Politik –selbst in einer Diktatur oder einem Apartheid-Staat.
Das Verhalten von Queen mutete umso unverständlicher an, als Freddie Mercury, unter dem Namen Farrokh Bulsara in Sansibar geboren und in Indien aufgewachsen, als Jugendlicher in England immer wieder Rassismus erlebt hatte. Das war zu einer Zeit, als der rechtsextreme Tory-Leader Enoch Powell offen gegen Ausländer des Commonwealth hetzte und in seiner «Rivers of Blood»-Rede vor dem Massaker warnte, das er sich insgeheim herbeiwünschte.
Der Song aus der Badewanne
Nach Freddie Mercurys Tod versuchten es Queen mit anderen Sängern. Der 44-jährige Adam Lambert zum Beispiel singt mit Charme und beachtlichem Talent. Aber gegen seinen Vorgänger hat er keine Chance. Mercury wusste als Sänger und Entertainer so zu begeistern, dass er es sich leisten konnte, auf der Bühne in weissen Höschen vor homophoben Hardrock-Fans zu paradieren wie ein Strichjunge. So wurde er als Sänger selbst von jenen verehrt, die ihn als Schwulen hassten.
Mercury und Queen wurden wegen ihrer harten Rockhymnen und des Pathos von Feuerzeug-Balladen geliebt. Aber das waren nur zwei Stile von mehreren, die das Quartett draufhatte. Queen konnten auch Funk («Another One Bites the Dust»), funkelnde Pop-Nummern («Killer Queen») und sogar einen altmodischen Stil wie Rockabilly spielen und trotzdem nach sich selber klingen. «Crazy Little Thing Called Love» hiess das Stück dazu. Freddie Mercury sagte, Melodie und Text seien ihm innert zehn Minuten in der Badewanne eingefallen, und genau so klingt das Lied auch.
Diese Zugänglichkeit macht die besten Songs dieser Band aus. Auch wenn die Mitglieder mit einer virtuos abgestuften Mehrstimmigkeit und haufenweise geschichteten Sounds operierten oder Brian May eines seiner Gitarrensoli abdrückte, klang ihre Musik ebenso originell wie eingängig. Ungewöhnlich an dieser Formation war nicht nur, dass alle vier Musiker singen konnten, sondern dass auch alle exzellente Songwriter waren. Übrigens waren auch alle Akademiker. Der Schlagzeuger Roger Taylor hatte Zahnarzt gelernt, der Gitarrist Brian May doktorierte in Astrophysik, der Bassist John Deacon war Elektroniker, Mercury selber hatte Design studiert.
Eine Metapher für Sex
Müsste man den toten Sänger in einem Wort beschreiben, könnte man sagen: Freddie Mercury war ein Hedonist. Wie er es selber formulierte auf dem Titel «Don’t Stop Me Now»: «I’m gonna have myself a real good time / I feel alive / And the world, I’ll turn it inside out». Das ist mehr Heino als Rilke, passt aber zu Mercurys Lebensfreude. Unvergessen auch seine Metapher für Sex: «I get religion quick.» So etwas konnte nur ihm einfallen.
Selbst als der Sänger schwer erkrankt war und in den Videos bleich aussah und abgemagert bis auf die Knochen, sang er gegen das Sterben an. Stücke wie «I’m Going Slightly Mad», «Innuendo» oder das donnernde «Headlong» gehören nicht nur zum Besten, was er mit Queen aufgenommen hat, die Songs und Texte klingen auch wie mitten aus dem Leben heraus gesungen. Mercury machte Musik, solange er konnte, zog sich dann in sein Haus in Montreux zurück und flog zum Sterben nach London heim. Erst am Tag seines Todes gab er bekannt, an Aids erkrankt zu sein.
Was von ihm als Vermächtnis bleibt? «I don’t give a fuck, darling», sagte er. Freddie Mercury lebte immer für den Moment. Gerade darum lebt er immer weiter.