Geplant war eine viertelstündige Massage bei einer Prostituierten für 100 Franken. Es wurde aber ziemlich blutig.
Am 9. März 2023 betrat ein heute 33-jähriger Schweizer das Appartement einer Sexarbeiterin in Zürich Albisrieden, um sich einer Massage zu unterziehen. Laut Anklage soll der Freier davon ausgegangen sein, dass es sich bei der Dienstleisterin um eine Frau handelte. Es war allerdings ein Mann, der sich im Prozess der Umwandlung zur Frau befindet und optisch als Frau wahrgenommen wird, aber noch einen Penis hat.
Eine der Fragen im Strafprozess, der am Donnerstag vor dem Bezirksgericht Zürich stattgefunden hat, ist: Wusste der Freier im Voraus, dass er sich auf eine Transfrau eingelassen hatte? Im Appartement übergab er ihr 100 Franken für eine Viertelstunde. Laut Anklage habe die Sexarbeiterin ihn oral zu befriedigen begonnen. Der Freier habe gefragt, ob sie sich ausziehen könne. Sie habe verneint. Er habe daraufhin das Treffen abbrechen wollen und sein Geld zurückverlangt.
Die Sexarbeiterin habe unvermittelt ein Küchenmesser genommen und damit dem Freier dreimal in den Oberschenkel gestochen. Die Verletzungen waren nicht lebensgefährlich, machten aber eine Operation und einen mehrtägigen Spitalaufenthalt notwendig.
Freier flüchtete nackt aus Appartement
Auf Überwachungsvideos vom Treppenhaus sieht man, wie der Freier, nur vier Minuten nachdem er das Appartement betreten hat, nackt und blutend in den Flur flüchtet. Die Beschuldigte öffnet nur zwei bis drei Sekunden später die Türe und wirft ihm die Schuhe hinterher, die er vergessen hatte.
Die 20-jährige Transfrau aus Rumänien steht nun wegen versuchter schwerer Körperverletzung vor dem Bezirksgericht Zürich. Die Staatsanwältin beantragt eine Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren und sieben Jahre Landesverweis.
Wie aus ihrer Lebensgeschichte hervorgeht, wurde die Beschuldigte im Alter von 13 Jahren von ihrem Stiefvater sexuell missbraucht, wofür er zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Seit dem 13. Lebensjahr nimmt sie Hormone. Vor rund zwei Jahren war sie als Opfer in einen Menschenhandels-Fall involviert, bei dem ihr die Täter ihre Ausweise und das Mobiltelefon abnahmen, und sie musste von der italienischen Polizei in Mailand befreit werden.
Sie erklärt, sie habe sich freiwillig für die Prostitution entschieden, um Geld für weitere bevorstehende Operationen zu sparen.
Zur Tat erzählt sie etwas ganz anderes, als in der Anklageschrift steht: Der Freier habe genau gewusst, dass sie eine Transfrau sei. Er habe sogar im Gegenteil eine Transfrau erwartet. Aufgrund der Hormonbehandlungen sei ihr Geschlechtsteil allerdings geschrumpft. Deshalb sei der Mann enttäuscht gewesen und habe sein Geld zurückverlangt. Sie habe es ihm zurückgegeben.
Dann habe er sie plötzlich und unvermittelt angegriffen – nicht sie ihn. Er habe sie am Hals und an den Haaren gepackt und nach oben gezogen. Sie sei in Panik geraten und habe um sich gegriffen, dabei eine Schublade erwischt, die ausgeleert sei. Sie habe einfach einen Gegenstand am Boden ergriffen und damit auf den Freier eingeschlagen. Das sei das Messer gewesen. Es habe sich um Notwehr gehandelt.
Sie habe sich danach aus Angst im Badezimmer eingeschlossen und sei erst wieder herausgekommen, als sie gehört habe, dass der Freier die Wohnung verlassen habe. Sie habe sich gewaschen, eine geplatzte Narbe am Hals desinfiziert und auch eine Verletzung am Ohr gehabt.
Die Staatsanwältin hält in ihrem Plädoyer unter anderem fest, dass am Hals der Transfrau keinerlei DNA des Täters gefunden worden war. Es habe laut IRM-Gutachten auch keinerlei Abwehr- und Verletzungsspuren und auch keine Halsverletzung bei ihr gegeben, und sogar ihre künstlichen Fingernägel seien noch intakt gewesen. Ihre Aussagen zur Tat seien widersprüchlich, schwer nachvollziehbar und zum Teil durch objektive Beweismittel widerlegt.
Die Verteidigerin verlangt einen Freispruch wegen rechtfertigender Notwehr und eine sofortige Freilassung aus der Haft.
Objektive Beweismittel sprechen gegen Notwehr
Das Bezirksgericht verurteilt die Beschuldigte zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten wegen versuchter schwerer Körperverletzung. 316 Tage sind durch Haft erstanden. Der obligatorische Landesverweis wird auf das Minimum von 5 Jahren festgesetzt. Die Transfrau wird aus der Haft entlassen und dem Migrationsamt zugeführt.
Die Bezirksrichter kommen laut mündlicher Urteilsbegründung zum Schluss, dass der Freier wohl tatsächlich gewusst habe, dass es sich um eine Transfrau handle. Dafür sprächen auch Whatsapp-Chats, welche die beiden im Voraus ausgetauscht hätten. Es könne durchaus sein, dass der Freier dies in der Untersuchung aus Scham in Abrede gestellt habe. Es sei für das eigentliche Delikt aber unerheblich und könne offenbleiben.
Eine Notwehrsituation sehe das Gericht nicht. Die Version, dass sich die Frau im Badezimmer eingeschlossen habe, könne aufgrund der Videoaufnahmen nicht stimmen. Auch das Verletzungs- und Spurenbild stimme nicht mit ihren Aussagen überein. Der Freier habe hingegen dreimal glaubhaft ausgesagt.
Die Beschuldigte habe mit den Messerstichen zumindest eine lebensgefährliche Verletzung einer Hauptschlagader in Kauf genommen. Es müsse aber offenbleiben, was sie genau zu den Messerstichen veranlasst habe.
Die Beschuldigte muss die Verfahrenskosten und 4000 Franken Gerichtskosten bezahlen. Zudem wurde sie zu einer Schadenersatzzahlung von 12 000 Franken an eine Versicherung verpflichtet. Sie wird nach Rumänien zurückgeschafft. Weiteres Geld für die Operationen anzusparen, dürfte deshalb in nächster Zeit eher schwierig werden.
Urteil DG230126 vom 18. 1. 2024, noch nicht rechtskräftig.