Die während der Pandemie landesweit bekannt gewordene Ärztin Lisa-Maria Kellermayr nahm sich das Leben, nachdem sie von Corona-Leugnern monatelang bedroht worden war. Nun ist ein Verfasser dieser Nachrichten freigesprochen worden.
Im Fall einer von Corona-Leugnern online vehement attackierten Ärztin hat das Landesgericht Wels in Oberösterreich am Mittwoch einen 61-jährigen Deutschen von dem Vorwurf freigesprochen, mit seinen Nachrichten den Suizid der Frau mitverursacht zu haben. Er habe nicht ahnen können, dass sie psychisch labil gewesen sei und er deshalb mit seinen Drohungen dazu beitragen könnte, dass sie sich das Leben nehme, begründete das Gericht in seinem Urteil.
Die Allgemeinärztin Lisa-Maria Kellermayr hatte schon in einer frühen Phase der Pandemie in ihrer Praxis in Seewalchen am Attersee in Oberösterreich Corona-Patienten behandelt und warb später eindringlich für die Impfung. Weil sie das auch in den Medien und auf ihren Social-Media-Kanälen tat, erlangte sie landesweite Bekanntheit und wurde bald massiv angefeindet – mutmasslich aus der Szene der Impfgegner. Auf Twitter (heute X) und per E-Mail wurde sie mit dem Tod bedroht. Dabei blieb es allerdings nicht: Corona-Leugner lauerten ihr auch auf und tauchten in ihrer Praxis auf.
Sicherheitskosten trieben Kellermayr in den Ruin
Im November 2021 erstattete Kellermayr erstmals Anzeige, sie fühlte sich von der Polizei jedoch nicht genügend ernst genommen. Die Sicherheitsvorkehrungen für die Weiterführung ihrer Tätigkeit kosteten nach ihren Angaben über 100 000 Euro, was auf Dauer untragbar war. Im Frühsommer 2022 sah Kellermayr sich gezwungen, ihre Praxis zu schliessen. Kurz darauf beging sie Suizid.
Hier bekommen Sie Hilfe:
Wenn Sie selbst Suizidgedanken haben oder jemanden kennen, der Unterstützung benötigt, gibt es verschiedene Hilfsangebote:
In der Schweiz können Sie die Berater der Dargebotenen Hand rund um die Uhr vertraulich unter der Nummer 143 erreichen.
In Deutschland finden Sie entsprechende Hilfe bei den Beratern der Telefonseelsorge, online oder telefonisch unter der Nummer 0800 / 1110111.
Der Fall bewegte damals ein von der Pandemie tief polarisiertes Land und machte auch über die Grenzen hinaus Schlagzeilen. Es waren vor allem zwei Personen, von denen Kellermayr mit teilweise sehr explizit formulierten Mordabsichten bedroht wurde. Ermittelt werden konnte bisher nur der Deutsche Roman M., der sich nun vor Gericht wegen des Tatbestands der gefährlichen Drohung mit Suizidfolge verantworten musste. Er hatte die Ärztin vom Februar 2022 bis zu ihrem Tod per E-Mail und auf Twitter kontaktiert und dabei unter anderem angekündigt, sie vor ein «Volkstribunal» zu stellen und sie «auf die Anklagebank und dann sicher ins Gefängnis» zu bringen.
Der wegen Gewaltdelikten vorbestrafte Deutsche bestritt diese Aussagen nicht. Seine Verteidigerin bezeichnete die Korrespondenz aber als «Streitgespräch in einer angespannten Zeit». Er habe die angebliche Diskriminierung von Ungeimpften «inhuman» gefunden und sei überzeugt gewesen, dass sich strafbar mache, wer sich so positioniere. Den Suizid Kellermayrs bedaure er zutiefst, er sei für ihn aber nicht vorhersehbar gewesen. Die Verteidigung argumentierte, dieser sei die Folge schon zuvor aufgetretener psychischer Probleme der Ärztin gewesen.
Die Kausalität zwischen den Drohungen und der Selbsttötung war die zentrale Frage im Prozess, denn nur dann ist die österreichische Justiz zuständig, wie die zuständige Richterin erklärte. Für eine «gewöhnliche» Drohung wären dagegen die Behörden in Deutschland zuständig, wo der Beschuldigte lebt und die Nachrichten verfasste.
An den vier Verhandlungstagen wurden zahlreiche Zeugen angehört, die aussagten, dass Kellermayr grosse Angst gehabt habe, aber dennoch nicht darauf habe verzichten wollen, weiterhin Social Media zu nutzen. Sie habe einen «Lynchmob» befürchtet, berichtete eine Vertraute.
Gutachter sieht in Drohungen ein «Puzzlestück» für den Suizid
Der psychiatrische Gutachter erklärte, Kellermayr habe ihr Leben lang unter psychischen Schwankungen gelitten und auch wiederholt über Selbsttötung nachgedacht. Am Schluss sei die Angst um ihr Leben aber ein wesentlicher Faktor für ihren Zustand gewesen, und die Drohungen des Angeklagten seien dabei ein Puzzlestück gewesen. Er könne nicht ausschliessen, dass sie einen Anteil am Entschluss zum Suizid gehabt hätten.
Das reicht für eine Verurteilung aber nicht aus, wie die Richterin am Mittwoch ausführte. Dafür hätten die Drohungen «mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit» zur Entscheidung Kellermayrs beitragen müssen, sich das Leben zu nehmen. M. habe zudem nicht wissen müssen, dass die Ärztin psychische Probleme habe und Morddrohungen von anderen Personen erhalte. Deshalb sei die Vorhersehbarkeit, wozu sein Verhalten letztlich führen würde, nicht gegeben gewesen, befand das Gericht. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.