Freizügiger Lebensstil, Homosexualität, Schwimmunterricht für Mädchen: All das ist radikalen Muslimen ein Greuel. Sie haben damit viel mit Rechtsextremen gemeinsam.
«Remigration» ist ein Begriff, der in den letzten Monaten für hitzige Debatten gesorgt hat. Politik und Medien lamentieren vor allem über Phantasien von Rechtsextremen, die Migranten zur Rückkehr zwingen wollen, selbst wenn diese gut integriert sind oder bereits in zweiter Generation in Europa leben.
Dabei gibt es im Zusammenhang mit «Remigration» einen Trend, den Progressive lieber ignorieren, weil er nicht in ihr Weltbild passt: Muslimische Migranten kehren zurück in islamische Länder. Dies nicht etwa, weil sie in Europa jener Islamfeindlichkeit ausgesetzt wären, die von Linken oft beschworen wird. Sondern weil sie vor dem liberalen Lebensstil im Westen flüchten.
«Der Westen ist das Paradies des Teufels»
Ein Beleg für diese Entwicklung findet sich auf dem populären arabischsprachigen Youtube-Kanal «Muslim Affairs». Der Betreiber dieses Kanals, der über 1,6 Millionen Abonnenten zählt, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Stimmen der Rückkehrer zu dokumentieren. In Dutzenden von Videos nimmt er Anrufe von muslimischen Remigranten entgegen, die ihre oft emotionalen Berichte über die Flucht aus dem Westen teilen.
Was es in den Kommentarspalten zu diesen Videos zu sehen gibt, ist ebenso aufschlussreich: Hunderte weitere Migranten schildern ihre eigenen Erfahrungen oder äussern den Wunsch, dem Beispiel der Rückkehrer zu folgen. Es entsteht der Eindruck einer Bewegung, die sich abseits medialer Aufmerksamkeit formiert.
Die Testimonials dieser muslimischen Remigranten strotzen vor Hass auf die offene Gesellschaft, der sie ihr Aufenthaltsrecht verdanken. «Der Westen ist das Paradies des Teufels», erklärt ein Mann, der Finnland für den Irak verliess. Seine Sprache ist von religiöser Inbrunst durchdrungen, musste er doch mit ansehen, wie «zwei Frauen sich in der Öffentlichkeit vor den Augen der Kinder geküsst haben». Blasphemie!
Die Angst vor dem «intellektuellen Kidnapping»
Eine Frau berichtet, sie habe den Westen «aus Angst vor der intellektuellen Entführung meiner Kinder» verlassen. Sie schreibt: «Die Frau im Westen hat keinen Wert. Und die Menschen haben keine Moral, Männer heiraten Männer, Frauen heiraten Frauen.» Ihr Appell richtet sich an alle muslimischen Eltern: Verlasst den Westen, bevor eure Kinder geistig entführt werden.
Ein Familienvater, der nach dreissig Jahren in Europa nach Mauretanien zurückkehrte, erinnert sich mit Grauen an das deutsche Bildungssystem, in dem sich neunzig Prozent des Unterrichts um Homosexualität drehe. Seine Abscheu gipfelt in der Vorstellung, seine Kinder könnten westliche Werte verinnerlichen. «Bei Allah, ich habe keinen einzigen Tag ruhig geschlafen, nachdem ich erfahren hatte, dass meine Kinder in der Schule zur Homosexualität erzogen werden.»
Eine Frau, die von Schweden nach Algerien ausgewandert ist, sieht in westlichen Schulen Brutstätten des «Atheismus, der Homosexualität, des Sex». Sie warnt vor der Indoktrination. Es sei ein Irrtum zu glauben, Kinder würden gehorchen. Denn wenn sie herangewachsen seien, hätten sie viele Ideen und «seltsame Vorstellungen» aufgesogen. Sie fragten ihre Eltern plötzlich, warum etwas «haram» sei und etwas anderes «halal». Kurz, sie stellten «existenzielle Fragen, atheistische Fragen – Gott bewahre uns!».
Ein bezeichnender Fall ist der einer syrischen Familie, die 2016 nach Deutschland kam. Als die Schule von der Tochter verlangte, am Schwimmunterricht teilzunehmen und einen Badeanzug zu tragen, geriet der Vater in einen moralischen Konflikt. Was ihn besonders entsetzte: Seine eigene Tochter wollte teilnehmen. «Es war ein Albtraum», berichtet er. Die Erfahrung motivierte die Familie schliesslich zur Auswanderung in die Türkei.
Auch in den USA entkommt man der Indoktrination nicht. Eine marokkanische Frau berichtet, wie eine «christliche Lehrerin in einer islamischen Schule ihren Kindern ein Video über ein homosexuelles Kind» gezeigt habe. Es war einer von mehreren Vorfällen, der sie zur Rückkehr nach Marokko bewog.
«Regenbogen nur am Himmel» – Rechtsradikale empfehlen Strandferien in Polen
Die Abscheu vor westlicher Lebensart hat eine lange intellektuelle Tradition. Als der ägyptische Islamist Sayyid Qutb 1949 in Colorado studierte, reichte ein einziger Tanzabend in einer Kirche, um seinen lebenslangen Hass auf die westliche Dekadenz zu entfachen. Was für amerikanische Studenten ein harmloser geselliger Abend war – junge Männer und Frauen, die zu dem damals populären Lied «Baby, It’s Cold Outside» im gedämpften Licht tanzten –, erschien ihm als Inbegriff moralischer Verkommenheit. In seinen Schriften liess er sich angewidert über die «animalische» Atmosphäre aus, die er wahrnahm, als die Lichter gedimmt wurden und die Paare sich näherten.
Die Äusserungen der heutigen Remigranten zeigen: Wer wie viele progressive Ideologen glaubt, konservative Muslime seien Verbündete im Kampf für «Diversity» und gegen rechte Identitätspolitik, irrt. Die Errungenschaften liberaler Politik – LGBTQ-Rechte, Religionsfreiheit, individuelle Selbstbestimmung – sind genau jene Werte, die traditionelle Muslime radikal ablehnen.
Während linke Aktivisten islamkritische Positionen reflexhaft als islamophob und rassistisch brandmarken, teilen viele traditionelle Muslime genau jene Kritik an westlicher «Dekadenz», die auch Neue Rechte und Rechtsextreme umtreibt.
Die Flucht vor westlicher Liberalität ist denn auch nicht auf muslimische Remigranten beschränkt. Rechte Ideologen idealisieren Länder wie Polen als Zufluchtsorte, an denen man ohne «woken Wahnsinn» leben dürfe. Das AfD-Medium «Deutschland-Kurier» bewarb kürzlich Ferien an polnischen Stränden. Dort, so die Botschaft, gebe es «Regenbogen nur am Himmel».
AfD-Mann Maximilian Krah warnt vor Islamkritik
Vor diesem Hintergrund gewinnt Frederic Höfers Essay «Feindbild Islam als Sackgasse: Plädoyer für einen rechten Kurswechsel» eine unheimliche Bedeutung. Höfer, ein Rechtsradikaler, vertritt die These, dass «traditionsbewusste» Europäer und Muslime sich vereint dem «zersetzenden Antitraditionalismus des Westens» entgegenstellen müssten.
Doch was geschähe, wenn traditionelle Muslime und rechtsradikale Europäer gemeinsame Sache machten, wie Höfer es vorschlägt? Würden dann progressive Kräfte, die heute jeden Hauch von Islamkritik als «Islamophobie» anprangern, zu erbitterten Islamgegnern mutieren? Und würden konservative Kreise, denen heute Islamfeindlichkeit vorgeworfen wird, plötzlich gegen «Islamophobie» wettern?
Diese Entwicklung zeichnet sich mancherorts bereits ab. Der AfD-Politiker Maximilian Krah warnt mittlerweile vor Islamkritik und wirbt für ein Bündnis mit konservativen Muslimen gegen die «linksliberale Elite». Die freiwillige Remigration antiliberaler Muslime dürfte ihm Sorgen bereiten. Und so bleiben Muslime in Europa ein Spielball für linke und rechte Ideologen: mal als Ersatz des Proletariats, mal als Verbündete gegen die Aufklärung.