Die Ski-WM in Saalbach werden für die Schweizer Delegation mit 13 Medaillen zu einem einzigen Freudentaumel. Das Momentum und ein ausgezeichneter Teamgeist haben dazu beigetragen. Doch das wahre Erfolgsrezept ist die individuelle Betreuung.
Freude herrscht im Alpenland Schweiz. An den Ski-WM in Saalbach gab es fast jeden Tag etwas zu feiern, mit 13 gewonnenen Medaillen sind diese Titelkämpfe die zweiterfolgreichsten nach den Titelkämpfen 1987. Das waren die verrückten Heim-Weltmeisterschaften von Crans-Montana, wo die Schweiz acht von zehn Titeln und 14 Medaillen gewann. Wie damals ist heute eine goldene Generation am Werk.
In Saalbach hat diese Zuwachs bekommen. Neben etablierten Athleten wie Loïc Meillard, Wendy Holdener, Lara Gut-Behrami und Marco Odermatt standen auch Newcomer im Rampenlicht. Franjo von Allmen war mit zwei Titeln und seiner erfrischenden Art der Pop-Star dieser WM – und er ist erst 23-jährig. Die Slalom-Weltmeisterin Camille Rast und der mit Silber und Bronze ausgezeichnete Alexis Monney sind 25.
Von Allmen steht stellvertretend für eine Rasselbande, die nicht nur durch Erfolge beeindruckt, sondern auch Teamgeist und Lebensfreude versprüht. Das ging in Saalbach so weit, dass sich nach der Abfahrt nicht nur die Athleten, sondern auch alle Trainer bis hin zum Alpinchef den Schädel scheren liessen. Man kann das grenzwertig finden, aber diese Art von kollektivem Freudentaumel ist einzigartig in einem Sport, in dem in einem Team zwar alle die gleichen Skijacken tragen, aber letztlich jeder für sich fährt.
Marco Odermatt shows off an unusual hair cut at the skiing world championships https://t.co/mjTw0V5bal pic.twitter.com/f9pLlJXlRT
— Andrew Dampf (AP) (@AndrewDampf) February 9, 2025
In der Ego-Welt des Spitzensports eigentlich undenkbar
Miteinander statt gegeneinander: Das gilt zurzeit als Erfolgsrezept bei Swiss Ski. Aksel Svindal, einst Goldsammler für Norwegen, führt das auf die Persönlichkeit von Marco Odermatt zurück. «Was er für das Schweizer Team macht, ist unglaublich. Er hat so viel erreicht und ist trotzdem für seine Teamkollegen da. So ein Typ ist Gold wert», sagte Svindal kürzlich in einem Interview mit der NZZ.
Tatsächlich ist Odermatt, der dreifache Gewinner des Gesamtweltcups, nicht nur ein Gradmesser im Training, sondern auch ein Ratgeber bei der Pistenbesichtigung und ein Kumpel, der auch dann mitfeiert, wenn er geschlagen wurde. Wie sehr für ihn Teamkollegen zählen, zeigte sich im Januar in Adelboden. Odermatt stand mit Bestzeit im Zielraum, als Meillard, der Führende nach dem ersten Lauf, sich das Chuenisbärgli hinunter warf. Der Romand verpasste den Sieg, und für einen Moment stand Odermatt die Enttäuschung darüber ins Gesicht geschrieben.
Das war eine Szene, die in der Ego-Welt des Spitzensports eigentlich undenkbar ist. Aber Odermatt weiss genau, wie talentiert Meillard ist, und wie schwer sich dieser damit tut, dass seinem Teamkollegen all das gelingt, was er auch könnte. Die beiden trainierten lange in der gleichen Gruppe, doch nachdem Odermatt 2022 erstmals die grosse Kristallkugel gewonnen hatte, wechselte Meillard zu den Slalomfahrern.
Dass er den richtigen Weg gewählt hat, zeigte sich definitiv in Saalbach: Mit zwei Titeln und einer Bronzemedaille ist Meillard der erfolgreichste Athlet dieser WM – für einmal steht Odermatt in seinem Schatten. Nicht dass es je Animositäten zwischen den beiden gegeben hätte. Aber auch Meillards grosses Ziel ist der Gesamtsieg im Weltcup, und sich Tag für Tag im Training mit dem grössten Rivalen vergleichen zu müssen, kann belastend sein.
Loïc Meillard a tout donné mais c’est insuffisant pour priver Marco Odermatt d’une quatrième victoire de rang dans le chaudron d’Adelboden !
Le leader de la Coupe du monde s’impose avec 2 dixièmes d’avance sur son compatriote #ChaletClub pic.twitter.com/qqQZT1fh0I
— Eurosport France (@Eurosport_FR) January 12, 2025
Heute hat jeder der beiden das perfekte Umfeld, und das Verhältnis ist kollegial. Das war in den 1980er Jahren völlig anders, als zwischen Pirmin Zurbriggen und Peter Müller oder Maria Walliser und Michela Figini Eiszeit herrschte. Gehörte es damals zum Erfolgsrezept, dass sich grosse Egos aneinander rieben, so können sich die Leadertypen heute entfalten, ohne die Ellbogen ausfahren zu müssen.
Odermatt hat mit erst 27 Jahren schon fast alles erreicht, wovon ein Skirennfahrer träumen kann. Auch Saalbach verlässt er dank Gold im Super-G als Sieger. Trotzdem ist es nicht selbstverständlich, dass er sich mit Teamkollegen austauscht und bei ihren Fahrten mitfiebert. Der Norweger Svindal erlebte vor einem Jahr in Kvitfjell, wie der Schweizer lange im Zielraum ausharrte, um sich einen Schweizer mit hoher Nummer anzusehen. Ein anderer wäre längst im Hotel gewesen, sagte Svindal.
Das ist wohl eine Frage des Charakters und der Erziehung. Allerdings fällt das Mitfreuen auch Odermatt nicht immer leicht. Nach dem WM-Riesenslalom am Freitag sagte der geschlagene Weltmeister von 2023, es werde wohl etwas dauern, bis sich die Freude durchsetze, dass Thomas Tumler und Loïc Meillard Silber und Bronze gewonnen hätten. Es war nach der Ernüchterung in der Abfahrt die zweite Niederlage des besten Skifahrers der Gegenwart an diesen Titelkämpfen. Und die Erinnerung an das eine Woche zuvor gewonnene WM-Gold im Super-G war nicht mehr ganz so frisch wie noch nach der Abfahrt.
Odermatt ist sicher nicht der einzige Grund dafür, dass speziell im Kader der Männer ein guter Teamgeist herrscht. Ein wichtiger Faktor ist die Tatsache, dass Swiss Ski heute jedem Spitzenathleten genau das bieten kann, was er braucht. Die Gruppen sind jeweils klein und mit mehreren Trainern besetzt, so dass individuelle Betreuung möglich ist. Das gilt für den Slalom der Frauen, wo Rast und Holdener zwar in einer Gruppe trainieren, aber eine eigene Bezugsperson haben, und auch Loïc Meillard hat innerhalb der Slalomgruppe einen Coach, der mit ihm die notwendigen Einheiten im Riesenslalom und im Super-G trainiert.
Das ist ein entscheidender Unterschied zu Österreich in der Zeit von Marcel Hirscher: Dieser hatte ein Privatteam innerhalb des Verbands, alles war nur auf seinen Erfolg ausgerichtet. So lange er Rennen in Serie gewann, sah alles gut aus, doch nach Hirschers Rücktritt herrschte in Österreich bei den Riesenslalom- und Slalomfahrern gähnende Leere. Und die Schweiz gewann erstmals seit 30 Jahren die Nationenwertung.
Bei Swiss Ski bleiben die Leader in den ordentlichen Trainingsgruppen, selbst Gut-Behrami, die formell seit Jahren im Privatteam unterwegs ist, schliesst sich immer öfter den Gruppen des Verbandes an. Dort herrscht auch unter den Betreuern ein guter Teamgeist. Das war nicht immer so. Reto Nydegger, seit 2019 für die Abfahrer verantwortlich, fand zu Beginn eine Gruppe vor, in der jeder nur für sich schaute.
Nydegger hatte zuvor in Norwegen gearbeitet, wo der Teamgeist schon immer gross geschrieben wurde. Die erfahrenen Athleten nehmen sich der Jungen an, oft ist es ein Arrivierter, der mit einem Neuling das Zimmer teilt und ihm hilft, in der Weltelite Fuss zu fassen. So gaben Lasse Kjus und Kjetil André Aamodt ihr Wissen an Aksel Svindal und Kjetil Jansrud weiter und diese wiederum an Aleksander Kilde. Alle wurden Seriensieger.
Der Teamgeist ist gut – aber es gibt auch eine gesunde Rivalität
Es ist sicher wichtig, dass der Teamgeist stimmt. Doch ihn allein für Erfolge verantwortlich zu machen, wäre falsch. Bei den Schweizer Männern gibt es gegenwärtig in allen Trainingsgruppen eine gesunde Rivalität. In jedem Training jagen sich Siegfahrer gegenseitig zu Bestzeiten. Wenn einer intern die Nummer 1 ist, weiss er, dass er auch mit den Weltbesten mithalten kann.
Es gibt aber keine Team-Building-Seminare, und es wurde auch noch nie ein gemeinsames Feuerlaufen veranstaltet. Als es darum ging, die Paarungen für die Team-Kombination zu bilden, fragte der Cheftrainer Tom Stauffer, ob es besondere Wünsche gebe. Justin Murisier und Daniel Yule meldeten sich, sie sind seit Kindertagen besten Freunde. Die anderen drei Paare wurden aufgrund der Weltrangliste zusammengestellt – sie gewannen Gold, Silber und Bronze.
Am Tag zuvor hatten Gut-Behrami und Holdener in der Team-Kombination der Frauen Silber errungen. Es war fast schon peinlich, wie die beiden danach betonten, sie hätten schon lange gemeinsam antreten wollen. Gut-Behrami hatte zu Beginn der WM noch mitgeteilt, der Riesenslalom habe für sie Priorität. Nach zwei Nullern im Super-G und in der Abfahrt entdeckte sie plötzlich ihren Teamgeist. Man könnte es auch Opportunismus nennen. Auch das braucht es manchmal, um erfolgreich zu sein.