Weil Luzern in Bern gegen YB verliert, ist der FC Winterthur dank dem 1:0 auswärts gegen Lausanne-Ouchy vorzeitig für die Meisterrunde der besten sechs Super-League-Klubs qualifiziert. Folgt nun die Fortsetzung des Underdog-Märchens?
Hätte man im letzten Sommer vorausgesagt, dass es der FC Winterthur schon eine Runde vor der Trennung in die Champions und Relegation Group unter die ersten sechs der Liga schaffen würde, wäre man ahnungslos gescholten worden. Zum Saisonstart liess der FCW verlauten, man wolle mehr spielerische Qualität entwickeln, weniger wie ein Underdog spielen sowie die Mannschaft nach vorne ausrichten und sich in der auf zwölf Teams aufgestockten Liga längerfristig etablieren.
Ein hübscher Plan, nachdem sich der Aufsteiger gerade mit Mühe, Not und einem einzigen Punkt Vorsprung auf den desolaten FC Sion in der Super League gehalten hatte. Wäre es nicht realistischer gewesen, für diese Saison 38 Runden Abstiegskampf auszurufen? Nein, war es nicht. Der FC Winterthur steht am übernächsten Sonntag gegen Servette im Cup-Halbfinal, er hat fast immer unterhaltsame, mutige Darbietungen gezeigt und keck profitiert, wenn Klubs wie der FC Basel oder die Grasshoppers sich selbst im Weg stehen.
Gespür für junge Spieler, die den zweiten Anlauf nehmen
Abschlusstraining vor dem Auswärtsmatch gegen Lausanne-Ouchy. Die Sonne scheint auf die Schützenwiese, Junioren und Juniorinnen sind auf dem Weg in die Kabine, die Spieler der ersten Mannschaft lassen sich für Sprintübungen von einer Stange zur anderen hetzen. Der Trainer Patrick Rahmen wechselt ein paar Worte mit Dario Zuffi, seit einer gefühlten Ewigkeit Assistent im FC Winterthur.
Oliver Kaiser, Sportchef und wie viele andere seit Kindsbeinen im Klub, steht mit seinem Sohn am Geländer zum Trainingsfeld. «Jeder muss seine Aufgabe kennen», sagt der 44-Jährige, «und diese Aufgabe mit der grösstmöglichen Freiheit für das Funktionieren des Ganzen erfüllen». Im FC Winterthur funktioniert «das Ganze» gerade äusserst erfolgreich. Aber niemand im Klub würde das so sagen.
Auch der Trainer Patrick Rahmen nicht, zumindest nicht jetzt nach dem Abschlusstraining. Rahmen rückt mit einem Becher Espresso in der Hand einen Stuhl zurecht und setzt sich. Für ihn ist nicht der Moment, über den nahen Erfolg zu sprechen, mit dem Erreichen der Meisterrunde das fast Unmögliche möglich gemacht zu haben. Seine Gedanken sind bei der möglichen Taktik des Gegners, bei der eigenen Mannschaft. Schritt für Schritt, lautet die Denkweise. Irgendwann im Gespräch sagt Rahmen: «Individuell hat jeder Grenzen, aber als Team hat man fast keine.»
Es ist eine Binsenweisheit, die Rahmen als einer der Grundsätze für seine Trainer-Arbeit nennt. Aber der 55-Jährige hat mit dem Klub und seinen Spielern in dieser Saison gezeigt, dass man als Team weit kommen kann, wenn sich die Beteiligten im täglichen Umgang danach richten. «Fast der Hauptteil meiner Arbeit ist Kommunikation – mit dem Staff, dem Sportchef, den Medien, vor allem aber mit den Spielern: Sie wollen wissen, welche Rolle für sie vorgesehen ist, damit sie besser werden können», sagt Rahmen.
Ein Beispiel für «besser werden» ist das Verteidigen: Schon in der ersten Meisterschaftshälfte schoss Winterthur zwar viele Tore, kassierte gleichzeitig aber noch mehr Gegentreffer. Für die Erkenntnis, die Defensiv-Arbeit zu verbessern, brauchte es keinen Doktortitel in Raketen-Wissenschaft. Aber für das Umsetzen der Erkenntnis braucht es Gespür für die Möglichkeiten der Spieler und didaktisches Geschick, soll die offensive Qualität nicht leiden. Es gelang: In den ersten 18 Spielen lautete die Tordifferenz -7, in den 14 Partien nach der Winterpause +7.
Ein anderes Beispiel für «besser werden» sind jüngere Spieler wie Nishan Burkart, Adrian Durrer, Randy Schneider, Alexandre Jankewitz oder die unterdessen hoch gehandelten Sayfallah Ltaief und Matteo Di Giusto: Sie alle sind zum FC Winterthur gestossen, nachdem sie mit ihrem Talent in grösseren Klubs an Grenzen gestossen sind und nun einen zweiten Anlauf nehmen.
Rahmen sagt: «Man muss mit dem Sportchef und dem Staff einen klaren Plan entwickeln für Spieler, die ihr Können schon gezeigt haben – und als Trainer ein Gespür, mit dem Spieler diesem Plan zu folgen.» Der Verkauf des Ex-YB-Akteurs Samuel Ballet für gegen 2 Millionen Franken nach Como in der Winterpause zeigt, dass der FCW auch mit dem Geschäftsmodell funktioniert, junge Spieler auszubilden, voranzubringen und zu verkaufen. Oder sie weiterziehen zu lassen. Wie auch bei den Trainern.
Rahmen plant bereits die Zukunft – mit dem FC Winterthur
So war es jedenfalls mit Alex Frei und Bruno Berner, Rahmens Vorgängern: Frei konnte nach dem Aufstieg dem Lockruf des Stammklubs FC Basel nicht widerstehen. Berner erlag nach dem Ligaerhalt im letzten Mai ebenfalls der Schalmei seines Stammklubs GC. Wie wird es mit Rahmen weitergehen, nachdem er die Mannschaft so erfolgreich weiterentwickelt hat? Die Young Boys suchen einen Trainer, wie auch viele andere Klubs.
Rahmen hat schon einiges erlebt als Trainer. Er war Assistent im Hamburger SV, in Luzern, Cheftrainer in Aarau, Biel, er war an der letzten EM Coach der Schweizer U 21. Und auch in seinem Stammklub FC Basel hat Rahmen so einiges erlebt als Assistent, Interims- und Chefcoach mit Besitzern wie Bernhard Burgener oder David Degen, der die Entlassung Rahmens im Nachhinein «als grössten Fehler als FCB-Präsident» bezeichnete.
Rahmens Vertrag in Winterthur gilt auch für die nächste Saison. Er fühlt sich wohl in Winterthur und spricht mit dem Sportchef schon seit längerem über die Planungen für die nächste Saison.