Was in der Vereinbarung zwischen Israel und der Schiitenmiliz steht – und weshalb beide Seiten den Krieg nach über vierzehn Monaten beenden wollen.
Mit einem Mal erzitterte am Dienstagnachmittag ganz Beirut unter der Wucht von unzähligen, praktisch zeitgleichen Detonationen. Es war der Höhepunkt einer heftigen Bombenkampagne, die schon vor ein paar Tagen begonnen hatte und nun offenbar ihren Zenit erreicht hat: Im Abstand von wenigen Sekunden trafen israelische Kampfjets in der libanesischen Hauptstadt bis zu zwanzig angebliche Hizbullah-Ziele. Rauchwolken verdunkelten den Horizont. In den sozialen Netzwerken kursierten Bilder grosser Zerstörung.
Ausgerechnet dieses schwere Bombardement könnte nun aber eine Art grausiges Schlussfurioso des Krieges zwischen der schiitischen Miliz und Israel darstellen. Denn laut Medienberichten sollen sich der jüdische Staat und der Hizbullah auf ein vorläufiges, von den USA vermitteltes Waffenstillstandsabkommen geeinigt haben, das schon am Mittwoch in Kraft treten könnte. Damit würde der Krieg in Libanon, der am 8. Oktober 2023 mit dem Angriff des Hizbullah auf Nordisrael begonnen hat, vorerst ein Ende finden.
Die genauen Details des Abkommens dürften erst dann bekanntwerden, wenn dieses auch verkündet wird. Dazu muss aber zunächst Israels Sicherheitskabinett zustimmen, das am späten Dienstagnachmittag zusammenkommt. Eine Einigung gilt aber als wahrscheinlich.
Rückzug des Hizbullah und der israelischen Armee
In den vergangenen Tagen waren die groben Umrisse des Abkommens an die Medien durchgesickert. So sieht es etwa den Rückzug der Hizbullah-Kämpfer aus Südlibanon hinter den Litani-Fluss vor, ungefähr dreissig Kilometer von der israelischen Grenze entfernt. Einheiten der libanesischen Armee sollen den Abzug sicherstellen und – unterstützt von den Blauhelmsoldaten der Unifil – dafür sorgen, dass sich die Schiitenmiliz nicht wieder im Grenzland einnistet.
Auch Israels Armee wird sich im Rahmen des Abkommens aus Südlibanon zurückziehen müssen. Noch wird allerdings heftig gekämpft: Während der Hizbullah weiterhin Raketen nach Israel feuert, meldeten die israelischen Streitkräfte am Dienstag, dass sie im Osten des Kampfgebiets den Litani-Fluss erreicht hätten – es ist der bisher tiefste Vorstoss der Israeli seit Beginn der Bodenoffensive.
Überwacht werden soll die Umsetzung des zunächst auf sechzig Tage beschränkten Waffenstillstands von einer internationalen Kommission, die von einem amerikanischen General geleitet wird. In dieser Übergangsphase sollen dann die letzten Streitpunkte für ein Ende des Krieges geklärt werden. Zudem umfasst das Abkommen angeblich eine bilaterale Zusatzklausel zwischen den USA und Israel. Diese erlaubt es Israels Armee, unter gewissen Bedingungen auch weiterhin gegen den Hizbullah vorzugehen, sollte dieser sich nicht an das Abkommen halten.
Einige Israeli zweifeln an einem dauerhaften Frieden
Aus israelischer Sicht wäre das Abkommen ein erster Schritt, um die knapp 60 000 evakuierten Staatsbürger aus der Grenzregion im Norden sicher in ihre Häuser zurückzubringen – damit wäre ein offizielles Kriegsziel erfüllt. Zudem würde ein Waffenstillstand die teilweise ausgebrannten Soldaten und Reservisten entlasten und weitere Kräfte für den andauernden Kampf im Gazastreifen freisetzen.
Einige Israeli sehen in einem möglichen Waffenstillstand aber keinen dauerhaften Frieden, sondern lediglich eine Atempause – die Jahre oder auch nur Monate dauern könnte. «In den ersten sechzig Tagen würde der Waffenstillstand wahrscheinlich eingehalten», sagt der israelische Militärexperte Meir Elran im Gespräch. «Doch in Zukunft wird der Hizbullah seine Kapazitäten wieder aufbauen. Es wird für Israel sehr schwierig bleiben, den Waffenschmuggel nach Libanon zu unterbinden.» Elran geht davon aus, dass die Schiitenmiliz in fünf bis zehn Jahren ähnlich aufgerüstet sein wird, wie sie es zu Beginn dieses Kriegs war.
Wie stark ist der Hizbullah noch?
Ob der Hizbullah zu alter Stärke zurückfinden kann, ist allerdings unklar. Nach vierzehn Monaten Krieg ist er nicht nur militärisch schwer angeschlagen. Die einst stärkste Miliz der Welt konnte nicht verhindern, dass Israel innert kürzester Zeit ihre gesamte Führungsebene samt ihrem gottgleichen Generalsekretär Hassan Nasrallah ausschaltete. In der folgenden Bodenoffensive hielten die Hizbullah-Kämpfer zwar dagegen, aber für ihren Widerstand in Südlibanon zahlte die Miliz einen enormen Blutzoll.
Vertreter des Hizbullah betonen zwar, man könne den Kampf weiterführen. Doch auch sie dürften wissen, dass ihre Truppe vor einer Niederlage steht: Im Rahmen eines Abkommens müsste der Hizbullah nicht nur sein Stammland in Südlibanon räumen. Er würde auch die Unterstützung für Gaza aufgeben, ohne Israel dort zu Konzessionen gezwungen zu haben. Für die von Iran unterstützte Miliz war dies der wichtigste Grund gewesen, in den Krieg einzutreten.
Die übrigen Beiruter Politiker stehen derweil wie so oft abseits und harren der Dinge. Bis heute hat Libanon immer noch keinen Präsidenten und keine Regierung. Ob diese Probleme infolge eines Waffenstillstands gelöst werden können, ist fraglich – zumal auch ein angeschlagener Hizbullah in Beirut immer noch ein grosser Machtfaktor ist.
Libanon steht vor dem Kollaps
Auch wenn die Libanesen in ihrer Wut über die israelischen Bombardierungen vereint sind, löst der ideologisch aufgeladene Kampf des Hizbullah bei einer Mehrheit keine Begeisterung aus. Viele sehen die Miliz als Störfaktor in ihrem Land. So geht in den christlichen Gegenden das Leben beinahe weiter wie zuvor, während in den Vororten von Beirut und in Südlibanon die Bomben fallen. Gleichzeitig treibt der brutale Krieg das Land an den Rand des Kollapses. 1,2 Millionen Libanesen sind auf der Flucht, leben bei Verwandten oder in Notunterkünften.
Orte wie das Christendorf Deir al-Ahmar am Rand der heftig bombardierten Bekaa-Ebene stehen sinnbildlich dafür. In dem 10 000 Einwohner zählenden Städtchen sind 8000 schiitische Flüchtlinge aus den Nachbardörfern untergekommen. «Uns fehlt es inzwischen an allem», sagt Natif Kuzah, der Bürgermeister. Der kommende Winter mache die Lage dramatisch. «Das dauert jetzt mehr als zwei Monate. So kann es nicht mehr weitergehen.»