Der deutsche Wursthersteller Rügenwalder Mühle will mit seinen Fleischersatzprodukten den Schweizer Markt aufmischen. Der Geschäftsführer Michael Hähnel erzählt, wo die Schweizer Kunden anders ticken und warum er trotzdem optimistisch ist.
Herr Hähnel, essen Sie noch Fleisch?
Ja! Aber ich mag beides: Wir haben viele tolle, hochwertige Wurstprodukte im Sortiment, die ich genauso schätze wie unsere vegetarischen und veganen Produkte.
Rügenwalder Mühle stellt seit 1834 Wurstwaren her, macht aber seit einigen Jahren mehr Umsatz mit vegetarischen Produkten. Wird die Zukunft des Unternehmens fleischlos sein?
Da richten wir uns auch nach dem, was unsere Kunden wollen. Es stimmt: Wir machen inzwischen 60 Prozent unseres Umsatzes mit vegetarischen und veganen Produkten und 40 Prozent mit Fleisch. Wir können uns aber auch vorstellen, dass der Trend in den nächsten Jahren weiter Richtung 70/30 oder auch 80/20 gehen kann.
Haben die Leute denn so viel Lust auf Fleischersatz?
Das glaube ich schon. Aber wie gut das Geschäft läuft, hängt auch mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zusammen. In Deutschland weichen die Leute wegen der Inflation derzeit auf Handelsmarken aus, das spüren wir. Gleichzeitig hatten wir in den Pandemiejahren einen unglaublichen Boom, der sich inzwischen deutlich abgeflacht hat. Das ist aber eine ganz normale Entwicklung, die zeigt, dass sich der Markt etabliert hat und erwachsen wird. Wir glauben also, dass er weiter wächst.
Wie kam der Boom während der Pandemie zustande?
Da spielen verschiedene Faktoren mit rein. Etwa, dass die Leute mehr Zeit hatten, sich mit ihrer Ernährung auseinanderzusetzen. Und natürlich, dass die Restaurants geschlossen bleiben mussten. In den Jahren 2019 bis 2022 hatten wir fast 75 Prozent Wachstum, danach nur noch 6,5 Prozent. Der Markt ist in dieser Zeit wirklich explodiert. Gleichzeitig hat ein gesellschaftliches Umdenken stattgefunden, in Deutschland wurde das durch Fridays for Future zusätzlich befeuert.
Könnte es sein, dass diese Entwicklung nun wieder zurückgeht?
Wir glauben an eine fleischlose Zukunft. Aber wir möchten die Leute nicht erziehen. Das ist etwas, das mich manchmal stört an Deutschland: dieser erhobene Zeigefinger, ein wenig wie ein Oberlehrer. Als würden wir am liebsten allen sagen, wie die Welt funktioniert und was sie tun sollen. Als Marke wollen wir genau so nicht sein. Wenn jemand Fleisch essen will, dann soll er das tun – genauso wie jemand, der sich lieber fleischlos ernähren will. Und hierfür wollen wir den Kunden Möglichkeiten aufzeigen. Und wir haben schon viele Fleischesser dazu gebracht, Alternativprodukte auszuprobieren.
Worauf kommt es dabei am meisten an?
Die Menschen müssen Vertrauen in die Marke haben, und es muss ihnen schmecken. Am Geschmack führt kein Weg vorbei, direkt danach ist aber auch ganz klar die Optik wichtig. Um die Konsumenten da mitzunehmen, wo sie stehen, muss man das Gelernte respektieren. Und wenn sie gelernt haben, dass man eine Scheibe aufs Brot legt oder wie ein Schnitzel aussieht, dann müssen die fleischlose Scheibe und das vegane Schnitzel möglichst nah an die Produkte aus Fleisch herankommen. Dann gibt es einige, die die neuen Produkte ausprobieren und dann flexitarisch werden oder sogar komplett umsteigen.
Wie wichtig ist die gesellschaftliche Akzeptanz?
Sie spielt eine grosse Rolle! Veganer sein ist inzwischen sozial akzeptiert, das war nicht immer so. Früher gab es in den Restaurants einen Einzeltisch vor dem WC, da durfte man sich hinsetzen, wenn man vegan essen wollte. Heute sitzt da eher der, der ein Steak bestellt. Wenn heute zum Grillieren eingeladen wird, werden immer auch vegetarische oder vegane Alternativen angeboten. Diese Normalität hat sich in Deutschland in den letzten Jahren ausgebreitet, beschleunigt durch Corona.
Ist das nicht vor allem ein Phänomen in den Städten?
Klar, der Trend zur veganen Ernährung hat in den Grossstädten und Ballungszentren begonnen. Aber von dort breitet er sich aus. Ich glaube, ein wichtiger Punkt ist auch die finanzielle Situation: Gebe ich dafür Geld aus, ist das in meinem Leben so wichtig?
In der Schweiz ernähren sich nur gut fünf Prozent der Bevölkerung vegan oder vegetarisch. Trotzdem haben Sie Ende des vergangenen Jahres den Markteintritt gewagt.
Es stimmt, die Schweizer sind beim Fleischersatz vielleicht noch vorsichtiger. Gleichzeitig sieht man auch hier bei der jüngeren Generation eine grosse Offenheit für die Produkte. Zum grössten Teil werden unsere Produkte von Flexitariern gekauft – also Menschen, die noch Fleisch essen, aber ihren Konsum bewusst reduzieren wollen. Die Konsumenten in Deutschland und der Schweiz sind sich ähnlicher, als man denkt, und nähern sich auch immer mehr an.
Also sind die Zielgruppe vor allem jüngere Leute?
Wir wollen alle Altersgruppen erreichen. Aber wir sehen schon, dass die Jüngeren hier offener sind. Zudem gibt es in dieser Altersgruppe viele, denen die Themen Umwelt und Tierwohl am Herzen liegen. Unter jungen Frauen gibt es wahnsinnig viele Vegetarierinnen. Und das sind ja unsere Kundinnen der Zukunft.
Welche Herausforderungen sehen Sie im Schweizer Markt?
In Deutschland haben wir den Luxus, eine Art Platzhirsch zu sein. Wir sind mit unserer Marke seit 1834 im Wurstbereich aktiv und konnten auf ein Grundvertrauen der Kunden bauen. Heute sind wir bei den Fleischersatzprodukten Marktführer. Die Schweiz hingegen hatte nie eine Marke, die das vegetarische Segment gross gemacht hat. Stattdessen haben hier die Handelsmarken von Migros und Coop den Anfang gemacht und sind nach wie vor stark. Sie bedienen grosse Teile des Marktes.
Haben Sie deswegen bis jetzt erst wenige Produkte im Sortiment?
Wir würden gerne mehr Produkte in der Schweiz verkaufen. Das hängt aber auch davon ab, wie offen die Handelspartner sind und wie viel Platz der Handel dieser Kategorie gibt. 2014, als wir in Deutschland mit fleischlosen Produkten angefangen haben, gab es in den Supermärkten gar kein Vegi-Regal. Es gab höchstens im Reformhaus ein paar Produkte, die man weder essen noch angucken wollte. Am Anfang wurden wir milde belächelt, schliesslich aber respektiert. Heute wird im deutschen Handel der Wurstbereich langsam immer kleiner, und der vegetarische Bereich erhält mehr Platz. In der Schweiz ist das noch nicht so weit – was sich aber ja noch ändern kann.
Werden in der Schweiz denn die gleichen Produkte nachgefragt? Zwischen der deutschen und der schweizerischen Essenskultur gibt es ja doch Unterschiede.
Als Unternehmen muss man sich entwickeln und sich mit den Kundenbedürfnissen auseinandersetzen, um die richtigen Produkte in die Läden zu bringen. Wir sind noch dabei, zu verstehen: Wie wird in der Schweiz gegessen? Wo ist der Unterschied? Denken Sie zum Beispiel an Frankreich und stellen Sie sich vor, Sie würden dort veganen Käse anbieten wollen. Da hätten Sie wahnsinnige Barrieren. Die abzubauen, funktioniert massgeblich über das Aussehen und den Geschmack. Das Produkt muss so aussehen wie das, was ich kenne, und so schmecken wie das, was ich kenne.
Experimentieren Sie deswegen auch mit kultiviertem Fleisch?
In Deutschland und in der Schweiz ernähren sich immer mehr Menschen vegetarisch. Aber wenn Sie die globale Ernährung betrachten, sehen Sie dramatische Wachstumsraten beim Fleischkonsum, weil es Länder gibt, in denen die Menschen bis vor kurzem noch gar nicht regelmässig ein Stück Fleisch essen konnten. Darum wird kultiviertes Fleisch in der Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Es kann einen Beitrag leisten, die Weltbevölkerung zu ernähren.
Eine Zulassung für solche Produkte ist aber nicht in Sicht.
Wir haben bis vor kurzem mit dem Schweizer Startup Mirai Foods zusammengearbeitet und dabei viel gelernt. Aber leider wird das Thema in vielen EU-Staaten sehr pessimistisch gesehen. Darum passieren echte Fortschritte ausserhalb Europas – vor allem in Ländern wie Israel und Singapur. Es ist wirklich schade, denn wenn Sie kultiviertes Fleisch auf dem Teller haben, merken Sie keinen Unterschied. Das ist faszinierend.
Also bleiben Sie trotzdem an dem Thema dran?
Ja, denn uns als Unternehmen ist es wichtig, sich auszutauschen und dazuzulernen. Wir arbeiten etwa mit Respect Farms zusammen, einem deutsch-niederländischen Startup, das an zukünftigen Geschäftsmodellen im Bereich zellulärer Landwirtschaft forscht. Denn zurzeit haben viele Bauern Sorgen, wie es mit ihnen weitergeht. Sie lesen überall, es werde weniger Fleisch gegessen, und fühlen sich nicht genug unterstützt. Das finde ich, macht die Schweiz besser: Man weiss das heimische Fleisch und lokale Produkte zu schätzen – ohne oberlehrerhaft aufzutreten.
Ein Wursthersteller setzt auf Vegi
Der niedersächsische Lebensmittelhersteller Rügenwalder Mühle stellt seit 1834 Produkte wie Wurst, Mett und Frikadellen her. 2014 stieg er ins Geschäft mit Fleischersatzprodukten ein, heute verdient er mehr Geld mit vegetarischen Produkten als mit Fleisch und ist in Deutschland in diesem Bereich führend. Seit Ende 2023 sind einige wenige fleischlose Produkte der Marke in der Schweiz erhältlich, bei Migros und Lidl.
Michael Hähnel ist seit Anfang 2020 Vorsitzender der Geschäftsführung des Unternehmens. Zuvor war er als Vorstand der Bahlsen-Gruppe und in verschiedenen Management-Positionen bei Beiersdorf tätig.