An der Pleite des Krypto-Handelsplatzes FTX haben sich nicht nur Kleinanleger die Finger verbrannt, sondern auch professionelle Investoren wie Temasek aus Singapur. Uwe Krüger, Europachef bei Temasek, erzählt, wie es dazu kam und welche Pläne die Investmentgesellschaft in Europa verfolgt.
«So every generation prospers» ist die Mission der singapurischen Investmentgesellschaft Temasek. Und ganz im Sinne dieser Mission investiert Temasek entlang der vier Themenfelder Nachhaltigkeit, längere Lebensspannen, zukunftsgerichteter Konsum und Digitalisierung.
So kam es, dass sich Temasek im Oktober 2021 an der damals aufstrebenden Krypto-Börse FTX von Sam Bankman-Fried beteiligte. Wie bei vielen Kleinanlegern war auch bei einem professionellen Grossinvestor wie Temasek die Überraschung gross, als FTX Anfang November Konkurs anmeldete. Dies, nachdem es aufgrund von Gerüchten über zweifelhafte Geschäftspraktiken zu einem «Bankensturm» gekommen war.
Mittlerweile wurden gegen den Gründer Sam Bankman-Fried Ermittlungen eingeleitet. In einem Interview an der Deal Book Conference der «New York Times» am Mittwoch (30. 11.) beteuerte er, selbst erst Anfang November realisiert zu haben, dass es Unstimmigkeiten bei FTX gab.
Blinder Fleck
Temasek gehört zu 100 Prozent dem Staat Singapur, bevorzugt aber die Bezeichnung Investmentgesellschaft, da es im Gegensatz zu klassischen Staatsfonds privat verwaltet wird und die Regierung keinen Einfluss auf die Investitionsentscheide nimmt. So entschieden die 20 Partner von Temasek, 210 Millionen Dollar in FTX International und weitere 65 Millionen Dollar in FTX US zu investieren. Das entspricht einer Beteiligung von 1 Prozent an der Krypto-Börse. Uwe Krüger, Europachef bei Temasek, betont, dass die Investmentgesellschaft keine Positionen in Kryptowährungen halte, sondern lediglich in die Plattform- und Softwareinfrastruktur von FTX investiert habe.
Temaseks Portfolio weist einen Wert von 297 Milliarden Dollar auf. Somit sind die 275 Millionen Dollar, die die Investmentgesellschaft nun abschreiben muss, zu verkraften. Dennoch erstaunt es, wie es trotz aufwendigen Prüfungen, die der Beteiligung vorangingen, zu einer solchen Fehleinschätzung kommen konnte. Gab es auch bei professionellen Investoren einen blinden Fleck? «Gegenwärtig prüfen wir das im Rahmen eines internen Audits. Es ist zu früh, um jetzt bereits Schlussfolgerungen zu ziehen. In jedem Fall bleibt die Blockchain-Technologie ein wichtiges Innovationsfeld», so Krüger.
Wie die «Financial Times» berichtet, sagte Lawrence Wong, Singapurs stellvertretender Premierminister, vor dem Parlament, dass die Verluste von Temasek «enttäuschend» seien und dem Ansehen des Stadtstaates geschadet hätten. Man kann sich durchaus fragen, ob Temasek als professionelle Investmentgesellschaft mit der Investition in FTX ein falsches Signal an den Markt und somit an die Kleinanleger gesendet hat.
Am Markt ist zu hören, dass sich grosse Investoren aufgrund des Falls FTX nun überlegen, künftig nicht mehr in nicht regulierte Plattformen zu investieren. Dementsprechend dürfte es für unregulierte Krypto-Börsen deutlich schwieriger werden, Investoren zu finden. Davon ausgehend, entsteht in der Branche automatisch Druck, sich einem Mindestmass an Regulierung zu unterwerfen. Und nicht nur deswegen möchte Temasek künftig nicht auf Investments in die Blockchain-Technologie verzichten. «Die Technologie ist nicht nur im Finanzsektor von Nutzen, sondern auch im Supply-Chain-Management. Mithilfe der Blockchain können Lieferketten in der Zukunft viel besser nachverfolgt werden», sagt Krüger.
Auch Schweizer Firmen im Fokus
Auch in der Schweiz ist Temasek mit verschiedenen Investments präsent. Das bekannteste dürfte die Mehrheitsbeteiligung von 70 Prozent an Gategroup sein. Während der Corona-Pandemie schoss Temasek nochmals eine halbe Milliarde Dollar in den Airline-Caterer ein. Derzeit kämpft das Unternehmen mit der Inflation. Gategroup befinde sich mit den Airlines in Preisverhandlungen, sagt Krüger. Es gehe hier vor allem um Fairness in Anbetracht von stark gestiegenen operativen Kosten. Über einen Börsengang werde man erst zu einem «wesentlich späteren Zeitpunkt» nachdenken.
Mehr Freude dürfte die Investition in Brusa HyPower in Buchs (SG) bereiten. Das Unternehmen wurde ursprünglich vom Buchser Josef Brusa in Kooperation mit der Hochschule für Technik Buchs (NTB) gegründet und stellt Leistungselektronik für Brennstoffzellen- und Elektrofahrzeuge her. Temasek hat einen hohen zweistelligen Millionenbetrag an Wachstumskapital zur Verfügung gestellt.
Oviva ist ein weiteres Investment von Temasek im zweistelligen Millionenbereich. Das Healthtech-Unternehmen aus dem Kanton Schwyz wurde von einem ehemaligen McKinsey-Partner gegründet. Das Unternehmen hat für Menschen, die besonders gefährdet sind, an Diabetes Typ 2 zu erkranken, eine App entwickelt, mit deren Hilfe sie ihre Lebensgewohnheiten ändern können.
Ausbau der Investitionen in Europa
Seit der Gründung der Investmentgesellschaft 1974 wuchs das Portfolio von 240 Millionen auf 297 Milliarden Dollar an. Im letzten Jahrzehnt reinvestierte Temasek jährlich zwischen 22 und 25 Milliarden Dollar. Das Geld stammt aus Dividenden, Fonds und Veräusserungen. Temasek verwaltet im Gegensatz zu Singapurs zweitem Staatsfonds GIC keine Pensionsgelder oder andere Mittel aus dem Finanzhaushalt des Stadtstaats. GIC wurde in der Schweiz durch seine Mithilfe bei der Rettung der UBS in der Finanzkrise bekannt.
Lange Zeit investierte Temasek nur in Singapur und Südostasien. Ab 2012 eröffnete die Investmentgesellschaft auch Büros in Hongkong, New York und London. In Europa betreibt sie neben demjenigen in London auch ein Büro in Brüssel, und nächstes Jahr soll ein drittes in Paris dazukommen. «Wir möchten damit unsere Präsenz als langfristig orientierter Investor in Europa ausbauen», so Krüger. Gegenwärtig investiert Temasek 35 Milliarden Dollar im Wirtschaftsraum Europa, Naher Osten und Afrika (Emea). Das entspricht 12 Prozent des gesamten Temasek-Portfolios und ist etwa viermal so viel wie noch vor zehn Jahren.
Für Aufsehen sorgte Temaseks Investition in das Unternehmen Biontech während der Corona-Pandemie. Biontechs Kurs stieg im August 2021 bis auf 463 Dollar an. Seit Anfang 2022 schwankt er zwischen 130 und 170 Dollar. Ein grosser Teil von Temaseks Investitionen sind grosse Minderheitsbeteiligungen an privat gehaltenen Unternehmen, wie im Falle des dänischen Unternehmens Haldor Topsoe. Das Familienunternehmen ist im Bereich chemische Katalysatoren und Energieübertragung tätig und befand sich in einer Neuorientierung. «Als Partner engagieren wir uns langfristig an der Seite von familiengeführten Unternehmen, wir stellen Wachstumskapital zur Verfügung und begleiten Generationenwechsel», sagt Uwe Krüger.