Der Überraschungserfolg von Deepseek war nur der Anfang. Es gibt eine ganze Reihe chinesischer Konzerne und Start-ups, die beim Thema Künstliche Intelligenz ganz vorn mitspielen wollen.
In der Aufregung über Deepseek ging fast unter, dass in den vergangenen Tagen mehrere chinesische Tech-Konzerne neue Versionen ihrer Sprachmodelle veröffentlicht haben. Alibabas Qwen2.5-VL und Doubao von Bytedance beanspruchen für sich, in manchen Bereichen das Modell o1 zu schlagen, die aktuellste Version von KI-Pionier OpenAI.
Angesichts des Tech-Wettstreits mit den USA hat Chinas Staatsführung die Entwicklung von KI zur nationalen Priorität erhoben. Sie setzt dabei auf ein «KI-Nationalteam» aus sechs Tech-Konzernen. Doch auch die sogenannten «KI-Tiger», fünf vielversprechende Start-ups mit Milliardenbewertung, haben in den vergangenen Monaten für Aufsehen gesorgt. Dabei gibt es durchaus Verbindungen zwischen den Mitgliedern des Nationalteams und den aussichtsreichen Jungfirmen. Alibaba etwa hat in vier der fünf Hoffnungsträger investiert. Interessanterweise zählte Deepseek bislang nicht zu diesen Tigern.
Bevor die junge Firma aus dem ostchinesischen Hangzhou überraschend ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte, zählten die Chatbots der Tiktok-Mutter Bytedance, des Internetkonzerns Baidu, des Gesichtserkennungsspezialisten Sensetime und des Start-ups Zhipu in China zu den beliebtesten KI-Diensten. Baidu, Bytedance und Sensetime sind Teil des Nationalteams, Zhipu ist einer der fünf Tiger.
Ein Grund, warum immer wieder chinesische KI-Start-ups scheinbar aus dem Nichts kommen, ist der starke Fokus vieler Firmen in der Branche auf Industrieanwendungen. Einer breiten Öffentlichkeit sind sie oftmals nicht bekannt.
Die Entwicklung von Spezialmodellen für die Industrie benötigt weniger Rechenleistung und damit weniger Hightech-Chips, zu denen China aufgrund der US-Exportbeschränkungen keinen Zugang mehr hat. Zudem hindert die Zensur mit Blick auf politisch sensible Themen – anders als bei allgemeinen Sprachmodellen – die Entwicklung von Industriemodellen nicht.
Generative KI-Angebote für die breite Öffentlichkeit müssen in China von der Internetaufsichtsbehörde CAC genehmigt werden. Eine Freigabe erhält nur, wer seinen Algorithmus offenlegt und sich der strikten Zensur unterwirft. Fragen, die die herrschende Kommunistische Partei als sensibel einstuft, etwa nach dem Tiananmen-Massaker oder nach der Unterdrückung der Volksgruppe der Uiguren in der westchinesischen Provinz Xinjiang, werden von den chinesischen Chatbots deshalb nicht beantwortet oder geben die offizielle Propaganda wieder. Rund 40.000 Begriffe stehen auf der roten Liste der Zensoren.
Anbieter aus dem Westen wie OpenAI sind dazu nicht bereit. Dessen Modell ChatGPT wird deshalb in China nicht angeboten. Der Dienst ist lediglich über eine Tunnelsoftware erreichbar, die für viele Privatnutzer illegal ist.
Viele Beobachter im Westen waren deshalb lange davon überzeugt, dass die Zensur und der Mangel an Hightech-Chips die Entwicklung von KI in der Volksrepublik bremst. Da es China bislang nicht gelungen ist, diese speziellen Halbleiter selbst zu produzieren, suchen heimische Firmen nach Umwegen, um trotzdem leistungsfähige KI-Modelle zu entwickeln.
Das passiert etwa durch bestimmte Verpackungstechniken, bei denen mehrere, weniger moderne Halbleiter hintereinandergeschaltet werden. Oder indem Modelle entwickelt werden, die vergleichsweise wenig Rechenleistung benötigen, wie bei Deepseek.
Ein Überblick über Chinas wichtigste KI-Firmen, darunter die grossen Tech-Konzerne des «KI-Nationalteams», aber auch die «KI-Tiger» genannten Start-ups:
Das KI-Nationalteam
Alibaba: Am Montag veröffentliche Alibaba seine neueste Version des Sprachmodells Tongyi Qianwen, Qwen2.5-VL. Angaben der Entwickler zufolge schlägt es in Bereichen wie Dokumentenanalyse, Beantwortung von Fragen, Mathematik und Videoverständnis führende US-Konkurrenten wie OpenAI GPT-4o, Anthropic Claude 3.5 Sonnet und Google Gemini 2.0 Flash.
Alibaba wurde 1999 als Onlinehändler von dem ehemaligen Englischlehrer Jack Ma gegründet. Die Plattform Taobao ist mit rund 930 Millionen aktiven Nutzern die mit Abstand grösste Onlinehandelsplattform Chinas.
Ma fiel im Oktober 2020 durch regierungskritische Äusserungen bei der Staatsführung in Ungnade und gab seine Ämter ab. Zudem musste Alibaba mehrere Unternehmensbereiche verkaufen, darunter die Anteile an der Finanztochter Ant, die die Bezahl-App Alipay betreibt.
Baidu: Baidus «Ernie Bot» (chinesisch Wenxiaoyan) ist einer der meistgenutzten Chatbots Chinas. Im März 2023 hatte der Suchmaschinenkonzern den KI-Dienst vorgestellt. Nach Startschwierigkeiten sollen die neueren Versionen nach Einschätzung von Unternehmenslenker Robin Li inzwischen mit OpenAIs ChatGPT gleichgezogen haben. Bei einigen chinesischsprachigen Aufgaben soll Ernie Bot gar überlegen sein.
Ausser Ernie Bot hat Baidu weitere elf grosse Sprachmodelle für bestimmte Industrieanwendungen in Bereichen wie Automobil, Energieversorgung, Finanzen, Industrie und Raumfahrt entwickelt.
Baidu wurde vor 25 Jahren in Peking gegründet. Der Tech-Konzern betreibt die grösste Suchmaschine Chinas – Google ist in China gesperrt.
Bytedance: Ende vergangenen Jahres avancierte Doubao, zu Deutsch «Hefekloss mit Bohnenfüllung», zum beliebtesten KI-Chatbot in China. Vergangene Woche veröffentlichte der Tech-Konzern Bytedance ein Update, das nach Unternehmensangaben in bestimmten Bereichen besser ist als das OpenAI-Modell o1. Bytedance ist in Deutschland vor allem durch seine Kurzvideoplattform Tiktok bekannt.
Im Zuge der Tech-Regulierungskampagne in China musste das Unternehmen einen Anteil von einem Prozent an eine staatliche Investmentgesellschaft abtreten, die der mächtigen Internetaufsichtsbehörde CAC untersteht. Damit erhöhte der Staat seinen möglichen Einfluss auf Bytedance.
iFlytek: Der Spracherkennungsspezialist hat gemeinsam mit dem Telekommunikationsausrüster Huawei das Sprachmodell Spark entwickelt. Es wurde 2023 vorgestellt. Die neueste Version kann iFlytek-Chef Liu Qingfeng zufolge mit OpenAIs GPT-4 Turbo mithalten. Qingfeng bedankte sich im vergangenen Jahr öffentlich bei den lokalen Behörden für die «grosse Unterstützung», die iFlytek bei der Entwicklung von Spark erhalten habe.
iFlytek ist für seine bemerkenswert präzise Spracherkennung bekannt. Es kann in Echtzeit Gespräche transkribieren und übersetzen. Das Unternehmen steht seit 2019 auf der Sanktionsliste der Vereinigten Staaten. Die US-Regierung wirft dem Unternehmen vor, mit seinen Produkten zur Überwachung und Unterdrückung der Uiguren beizutragen.
Huawei: Offiziell ist der Telekommunikationsausrüster Huawei kein Mitglied des KI-Nationalteams. Und dennoch unterstützen die Technologien und Produkte des Unternehmens neue KI-Angebote vieler chinesischer Unternehmen. So erforscht und entwickelt der Konzern eigene Hightech-Chips. Denn Huawei ist infolge der von US-Präsident Donald Trump in seiner ersten Amtszeit verhängten Sanktionen seit 2019 von US-Technologien abgeschnitten.
Zudem hat das Unternehmen aus dem südchinesischen Shenzhen eine Reihe eigener KI-Modelle für Industrieanwendungen unter dem Namen «Pangu» entwickelt, darunter etwa für Bergbau, Finanzen, Produktion, öffentliche Verwaltung und Wettervorhersagen.
Sensetime: Der Gesichtserkennungsspezialist Sensetime brachte 2023 das Sprachmodell Sensenova auf den Markt. Die neueste Version, die im vergangenen April veröffentlicht wurde, soll nach Unternehmensangaben mit OpenAIs GPT-4-Turbo-Modell mithalten können. Die Stärken des Modells liegen in der Interpretation hochauflösender Bilder sowie in der Text-zu-Bild-Generierung.
Sensetime wurde 2014 in Hongkong gegründet. Seit 2021 steht das Unternehmen auf der Sanktionsliste des US-Finanzministeriums. Im Dezember 2024 stufte das US-Verteidigungsministerium Sensetime als Firma mit Verbindungen zum chinesischen Militär ein. Ihr wird unter anderem vorgeworfen, mit ihrer Gesichtserkennungssoftware, die die ethnische Zugehörigkeit von Personen erkennt, zur Unterdrückung der Uiguren beizutragen.
Tencent: Anders als etwa die Chatbots von Baidu und Bytedance, die sich an eine breite Nutzerschaft richten, fokussiert sich Tencent mit dem 2023 vorgestellten Sprachmodell Hunyuan auf einen seiner Kernbereiche: die Videogenerierung. Das Unternehmen aus Shenzhen erzielt einen Grossteil seines Umsatzes mit Onlinespielen. Vergangene Woche stellte Tencent ein Update vor, dass Spieleentwicklern dabei helfen soll, dreidimensionale Ansichten zu produzieren.
Das Unternehmen wurde 1998 von Ma Huateng, auch bekannt als Pony Ma, und Zhang Zhidong gegründet. Es startete mit einem Sofortnachrichtendienst namens QQ. Dieser entwickelte sich zur Allzweck-App Wechat weiter, ohne die in Chinas Alltag nichts mehr geht. Per Wechat wird mit Freunden und Geschäftskontakten kommuniziert, im Geschäft und online bezahlt, und es werden Behördengänge erledigt.
Die Tiger
01.AI: Ende 2023 sorgte der Tech-Investor und Bestsellerautor Kai-Fu Lee mit seinem KI-Start-up 01.AI für Schlagzeilen. Nur acht Monate nach der Gründung erreichte die Firma eine Bewertung von mehr als einer Milliarde US-Dollar. Das grosse Sprachmodell Yi-34B basiert auf Metas Llama-System.
Geldgeber sind unter anderem Lees Wagniskapitalfonds Sinovation Ventures und Alibaba. Der mit US-Pass in Peking lebende Geschäftsmann aus Taiwan schrieb 2018 das Buch «KI-Supermächte». Darin vertritt er die These, dass die USA zwar bei technologischen Durchbrüchen führend seien, China aber die Technik besser und schneller beherrschen werde. Mit den jüngsten Veröffentlichungen von Deepseek fühle er sich nun «bestätigt», betonte er am Montag in einem Beitrag auf dem Karriereportal LinkedIn.
Baichuan: Das Pekinger KI-Start-up wurde im April 2023 von Wang Xiaochuan gegründet, dem Entwickler von Chinas zweitgrösster Suchmaschine Sogou, die inzwischen zu Tencent gehört. Zu seinen Kapitalgebern zählen unter anderem Alibaba, Tencent und Xiaomi.
Bereits im Gründungsjahr veröffentlichte Baichuan das erste Open-Source-Sprachmodell. Vor allem an Universitäten wird es gerne zur Forschung genutzt. Zudem entwickelte das Start-up mit Baixiaoying einen KI-Assistenten, eine Art «Super-App» für KI-Anwendungen aller Art.
Minimax: Mitte Januar stellte das Shanghaier Start-up sein grosses Sprachmodell Minimax1 vor. Eigenen Angaben zufolge soll der Dienst in den Bereichen Mathematik und Fachwissen weltweit führenden Modellen ebenbürtig sein. Frühere KI-Modelle unter dem Namen Hailuo AI waren auf die Erstellung von Videos fokussiert.
Minimax wurde 2021 von mehreren ehemaligen Videospezialisten des Gesichtserkennungsspezialisten Sensetime gegründet. Investoren sind unter anderem Alibaba, Tencent und der Venture-Capital-Geber Hongshan, der frühere China-Arm von Sequoia Capital.
Moonshot AI: Der Chatbot Kimi des Pekinger Start-ups Moonshot AI ist einer der schärfsten Rivalen von Baidus Ernie Bot. Ende vergangenen Jahres nutzten mehr als 36 Millionen monatlich aktive Nutzer den Dienst. Vergangene Woche veröffentlichte Moonshot AI die neueste Version des Chatbots. Unternehmensangaben zufolge kann sie in Bereichen wie Mathematik und Programmieren mit ChatGPT mithalten.
Das Start-up wurde 2023 gegründet. Es zählt unter anderem die Tech-Konzerne Alibaba, Meituan und Tencent sowie Hongshan zu seinen Investoren.
Zhipu AI: Bis zum Überraschungserfolg von Deepseek zählte Zhipu AIs grosses Sprachmodell ChatGLM zu den vier gefragtesten Chatbot-Apps in China. Zudem hat das Pekinger Start-up einen sogenannten KI-Agenten entwickelt, der Sprachbefehle der Nutzer umsetzt, um Aufgaben zu erledigen.
Die Firma entstand 2019 aus einer Ausgründung der Pekinger Eliteuniversität Tsinghua. Finanziert wurde sie unter anderem von Alibaba, Meituan, Tencent, Xiaomi und Risikokapitalgeber Hongshan. Erst im Dezember hatte das Unternehmen in einer neuen Finanzierungsrunde umgerechnet mehr als 400 Millionen Dollar bei Investoren eingesammelt.