Der merkwürdige Teenager sang 2013 in «Royals» übers Älterwerden. Auf ihrem neuen Album muss Lorde als Erwachsene klarkommen.
Beide haben die gleichen Wangenknochen. Die gleichen durchdringenden Augen. Die gleichen ausserweltlichen Züge. Und wie das Gesicht von David Bowie ist das von Lorde seltsam alterslos. Die beiden trafen sich zum ersten Mal im Jahr 2013 bei einer Benefiz-Veranstaltung und posierten zusammen für Bilder.
David Bowie, der ewige Hellseher des Pop, hatte die Neuseeländerin zuvor die «Zukunft der Musik» genannt. Offenbar hatte er recht.
Kaum eine Sängerin war einflussreicher für die Musikerinnen und Musiker der Generation Z als Lorde. Nachfolgende Stars, darunter Billie Eilish und Olivia Rodrigo, wurden von ihrem Stil beeinflusst, der für Jugendliche hochdramatische Situationen ganz kühl und lakonisch vermittelte.
Ihr Erfolgsrezept: so langweilig
Ella Yelich-O’Connor wuchs in einer Vorstadt von Auckland auf. Ihre Mutter ist Dichterin, der Vater Bauingenieur. Ihr Talent wurde früh erkannt. Mit zwölf unterschrieb sie einen ersten Vertrag bei Universal Music. Sie sollte über Liebe singen, zum verträumten Teenie-Star werden. Sie tat nichts davon.
Von Anfang an fehlten Lorde diese herausragenden Pop-Star-Merkmale, die Sängerinnen ihres Jahrzehnts und der vorangehenden auszeichneten. Diese junge Frau neigte nie zu einer Übersexualisierung ihrer selbst, sie war nicht cool, sie war nicht exzentrisch, nicht einmal betrunken.
In einem Interview mit der «New York Times» deckte Lorde im April ein mögliches Geheimnis ihres Erfolges auf. Viele Musiker, erklärte sie, scheiterten an Pop-Songs, weil ihnen der Respekt für das Genre fehle; weil sie insgeheim glaubten, zu Höherem bestimmt zu sein. Lorde hingegen hat verstanden: Kein Problem kann zu klein und kein Gefühl zu flüchtig sein für einen guten Song.
Auf ihrem Debüt «Pure Heroine» (2013) bekommt man von der 16-Jährigen eine trotzig stolze Führung durch ihre Welt der Vorstädte. Das Album handelt davon, mit schlechter Verkehrs-, aber immerhin mit guter Internetverbindung am Ende der Welt zu sitzen und auf das Ende der eigenen Pubertät zu warten. Langeweile, Ausbruch: ja oder nein, Verunsicherung und wieder Langeweile.
Die Single «Royals» machte sie berühmt. Sie rechnet darin mit dem Materialismus der Pop-Welt ab. «But every song’s like gold teeth, Grey Goose, trippin’ in the bathroom», singt sie etwa. Dazu ein gemächlicher Beat, Fingerschnippen – der Rest ist Stimme (gehaucht) und Text.
Voll kleiner Ärgernisse
Lordes neues Studioalbum, ihr viertes, beginnt schleichend. Der Beat rollt los wie ein platter Reifen. Was Lorde aber aus den immer gleichen alten Pop-Kadenzen herausholt, ist beachtlich. «Virgin» ist in den Details sehr aufwendig gearbeitet, voll schräger Geräusche, voll kleiner Ärgernisse. Es wechseln dramatische Klavierakkorde zu gedämpft treibenden Disco-Beats. Die Musik scheint regelrecht mit ihrer Eigensinnigkeit zu kämpfen.
Das gilt auch für Lordes Stimme. Manchmal wird der Kompressor aus ihrer Stimme genommen, und es klingt, als würde sie gerade im Proberaum singen, dann wird plötzlich wieder die ganz grosse Bühne aufgemacht oder punktgenau irgendein Hardcore-Effekt zugeschaltet. In ihrem typischen synkopischen Gesang verwünscht sie ihren Ex-Freund und kann ihn trotzdem nicht loslassen. «Don’t know if it’s love or if it’s ovulation».
Auch wenn Lorde mittlerweile sagt, sie könne ihren Erstling «Pure Heroine» nicht mehr hören, das Album klinge zu sehr nach Kindheit, kehrt sie nun zu ihren musikalischen Wurzeln von 2013 zurück. Nach zwei Alben, die sie mit Taylor-Swift-Intimus und Pop-Allrounder Jack Antonoff aufgenommen hat, sind ihre Songs auf dem jetzt veröffentlichten Werk «Virgin» wieder weniger gefällig und generisch, dafür raffinierter. Lorde sucht auch mit 28 Jahren noch nach einem sicheren Platz in der Welt und findet ihn in der eigenen Vergangenheit. «Virgin» wird gut altern.