Pakistan schiesst mit einem chinesischen Kampfjet ein Flugzeug der Inder aus französischer Produktion ab. Sind chinesische Jets den westlichen überlegen?
Mehr als hundert Kampfjets sollen sich am 7. Mai im Luftraum zwischen Indien und Pakistan bekämpft haben. Pakistan verkündete, dass es fünf indische Jets abgeschossen habe, drei davon seien Rafales aus französischer Produktion. Das Pikante: Die neusten Jets im Inventar der indischen Luftwaffe sollen von chinesischen J-10C abgeschossen worden sein. Das zeige, so hiess es in sozialen Netzwerken und auch in vielen Medien, dass chinesische Jets den westlichen überlegen seien.
Auch mehr als eine Woche nach dem Gefecht – und nachdem sich Delhi und Islamabad zu einem Waffenstillstand durchgerungen haben – ist die Informationslage dünn. Indien schweigt sich über jegliche Verluste auf der eigenen Seite aus. Amerikanische Quellen sprachen gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters vom Abschuss von mindestens zwei indischen Jets, davon einer Rafale, CNN berichtete mit Berufung auf Geheimdienstkreise in Paris, dass ein Jet des französischen Herstellers abgeschossen worden sei.
Erster Verlust einer Rafale im Luftkampf
Damit scheint erstmals eine Rafale im Luftkampf verlorengegangen zu sein. Bei seinen bisherigen Einsätzen in Afghanistan, Mali oder im Irak bewegte sich der Jet in einem Luftraum, wo er nicht mit feindlichen Flugzeugen zu rechnen hatte. Die pakistanische Luftwaffe schickte aber ihre J-10C los. 1:0 für China also? Sind chinesische Jets wirklich den westlichen überlegen?
«Es überrascht mich nicht, dass sich der J-10 gut geschlagen hat», sagt Eric Heginbotham. Mit leichtem Sarkasmus fügt der Wissenschafter, der beim Programm für Sicherheitsstudien am Massachusetts Institute of Technology (MIT) beteiligt ist, an: «Denn er ist praktisch eine Kopie einer amerikanischen F-16.»
Experten wie Heginbotham weisen aber darauf hin, dass eine Vielzahl von Faktoren über Erfolg und Misserfolg im Luftkampf entschieden. Neben den technischen Fähigkeiten des Flugzeugs und dessen Bewaffnung zählen dazu zum Beispiel die Ausbildung der Piloten, die Qualität der Informationen der Luftüberwachung und das Zusammenspiel mit der eigenen Flugabwehr (damit es nicht zu unbeabsichtigten Abschüssen kommt).
Wer zuerst schiesst, ist im Vorteil
Relevant ist zudem der Einsatzbefehl. «Vielleicht durften die pakistanischen Piloten einfach früher schiessen als die indischen», sagt David Stilwell, ein pensionierter General der amerikanischen Luftwaffe: «Im Zweikampf von Pilot gegen Pilot ist derjenige, der zuerst seine Rakete abfeuert, im Vorteil.»
Am 7. Mai seien die pakistanischen und die indischen Jets jeweils in ihrem eigenen Luftraum geblieben, sagt Stilwell. Der Kampf habe über eine Distanz von mehreren Dutzend Kilometern stattgefunden – da sehen die Piloten das gegnerische Flugzeug nicht. Sie erkennen es nur auf dem Radar.
Rafale und J-10C fliegen so schnell, dass sie sich jede Sekunde 700 bis 800 Metern näher kommen. «Man sieht nur dieses kleine Quadrat auf dem Radarschirm und muss sichergehen, ob es ein feindlicher Jet und kein eigenes oder ein ziviles Flugzeug ist», so beschreibt Stilwell, der mehr als 3000 Flugstunden hat, die Situation für die involvierten Piloten, «und entscheiden, ob man schiesst.»
Indien kann abgestürzte chinesische Rakete analysieren
Vielleicht liegt der entscheidende Vorteil der pakistanischen Piloten nicht beim Flugzeug, sondern bei der verwendeten Rakete, einer PL-15E. Vieles über dieses Geschoss ist zwar geheim, doch sie soll eine grössere Reichweite haben als viele westliche Luft-Luft-Raketen. Das «E» in der Typenbezeichnung steht für die Exportversion der Rakete, wie sie China an Pakistan lieferte. Deren Reichweite soll rund 140 Kilometer betragen, bei der Originalversion wird von mehr als 200 Kilometern ausgegangen.
Damit kann sie weiter entfernte Ziele bekämpfen als die Standardrakete der Amerikaner, die AIM-120 Amraam. «Als die Reichweite der PL-15 bekannt wurde, brach in der U.S. Air Force fast Panik aus», sagt Eric Heginbotham vom MIT. Seither arbeite man fieberhaft an einer neuen Version mit längerer Reichweite. Denn die Amerikaner fürchten, künftig direkt gegen die chinesischen Jets antreten zu müssen.
Nach dem Gefecht am 7. Mai wurde auf indischem Boden eine fast intakte PL-15 gefunden. «Das muss die chinesische Seite wahnsinnig machen», sagt der Kampfpilot Stilwell. «Wenn die Inder Zugang zu dieser Rakete haben, können sie die Technologie im Detail analysieren.» Es ist davon auszugehen, dass die Verbindungsoffiziere westlicher Geheimdienste in Delhi mit Hochdruck daran arbeiten, an diese Informationen heranzukommen.
Indien muss ganz unterschiedliche Waffensysteme integrieren
Zwei weitere Faktoren kommen hinzu, die erklären, warum die indische Luftwaffe die Stärken der Rafale vielleicht nicht vollständig ausspielen konnte. Denn auf dem Papier ist sie dem J-10C ebenbürtig. Die sechsunddreissig französischen Flugzeuge wurden erst zwischen 2020 und 2022 geliefert. Insgesamt fliegt die indische Luftwaffe sieben verschiedene Kampfjet-Typen aus russischer, französischer, britischer und heimischer Produktion. Für jeden Typ müssen die Piloten neu ausgebildet werden.
Die Koordination zwischen den verschiedenen Flugzeugtypen, aber auch das Zusammenspiel mit der Fliegerabwehr und Luftaufklärung wird durch die Typenvielfalt verkompliziert. Indien ist daran, seine Rüstungsimporte zu diversifizieren: Während noch vor einem Jahrzehnt fast 80 Prozent der Importe aus Russland kamen, ist dieser Anteil heute nur noch halb so gross. Hingegen ist Frankreich fast auf das Niveau der Russen aufgestiegen, Paris liefert nebst Kampfjets vor allem Technologie für U-Boote.
Auch der J-10C ist neu im pakistanischen Arsenal. Die Pakistaner sind der erste Importeur weltweit für den chinesischen Jet, zwanzig Exemplare wurden 2022 geliefert. In Islamabad ist ein zu Delhi gegenläufiger Prozess im Gang: Die Rüstungsimporte konzentrieren sich immer mehr auf einen Lieferanten, China. Das hängt nicht nur mit der zunehmend engeren Beziehung zwischen Peking und Islamabad zusammen, sondern auch damit, dass die USA sich von Pakistan ab- und Indien zuwenden.
Die chinesische Rüstungsindustrie drängt zunehmend auf ausländische Märkte. Von einem Marktanteil wie in Pakistan kann sie anderswo bis jetzt aber nur träumen. Sie wird künftig im Marketing sicher das Etikett «kampferprobt» für den J-10C-Jet und die PL-15E-Rakete verwenden. Für Chinas Waffenschmieden, insbesondere den Flugzeughersteller Chengdu Aircraft Corporation, war der 7. Mai die beste Werbung.