Sein Künstlerleben dreht sich um das Licht und um die Nacht. In einem georgischen Techno-Tempel ist er für die Beleuchtung und das künstlerische Programm zuständig. In Zürich, wo derzeit seine Fotos gezeigt werden, sprach er auch über die schwierige Lage Georgiens.
Am Anfang war die Welt finster. Und das lag nicht nur am fehlenden Strom für die alten Strassenlampen, die nachts traurig und vergeblich die Strassen säumten. Für die atmosphärische Dunkelheit gab es auch gesellschaftliche Gründe: Armut, Kriminalität, Krieg. «Ich bin in Gotham City aufgewachsen», sagt der Multimedia-Künstler Omar Gogichaishvili alias Hitori Ni. Und er meint damit nicht New York City, sondern seine Heimatstadt Tbilissi.
Anlässlich der Ausstellung «Techno Worlds» über Klubkultur ist der 31-jährige Georgier in die Zürcher Photobastei eingeladen worden. Hier werden seine Fotos gezeigt. Hier wird er abends als Performer auftreten. Vorher aber nimmt er sich Zeit, um über sein Künstlerleben in Georgien Auskunft zu geben.
Schon vor seiner Geburt sei an der Grenze heftig gekämpft worden, als die georgische Provinz Abchasien, unterstützt von Russland, politische Unabhängigkeit forderte. Sein Vater sei damals von der Armee als Fallschirmjäger eingezogen worden, erzählt Hitori Ni. Die Kunde von der Schwangerschaft seiner Frau aber habe ihn von einem Einsatz seiner Einheit befreit, den niemand überleben sollte. «Ich habe meinem Vater sozusagen ein zweites Leben geschenkt», sagt Hitori Ni in kaukasisch getöntem Englisch. Dabei nimmt er einen in den Fokus seiner dunklen, aber wachen Augen, damit einem sein fatalistisches Grinsen nicht entgeht.
Auch im Innern Georgiens sei es seither immer wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen gekommen. Der nationalistische Präsident Swiad Gamsachurdia wurde Anfang der neunziger Jahre vom ehemaligen sowjetischen Aussenminister Eduard Schewardnadse verdrängt, der sich mit dem kriminellen Warlord Dschaba Iosseliani verbündet hatte. «Schewardnadse war verhasst», sagt Hitori Ni und erklärt: Schewardnadse habe sich zu wenig abgesetzt von Russland. Und er habe das Bandenwesen der Warlords nicht bekämpft.
Lichtgestalt und Luzifer
Nach dem Dark Age der neunziger Jahre versprach 2004 ein Machtwechsel endlich Aufklärung. Der scheinbar liberale, westlich orientierte Micheil Saakaschwili brachte die Wirtschaft wieder in Schwung. Ausserdem sei Saakaschwili mit eisernem Besen gegen Korruption und Kriminalität vorgegangen. Seine Zero-Tolerance-Politik, die auch vor Jugendlichen und Kindern nicht haltmachte, sollte jedoch abermals in eine Diktatur führen, die ganz Georgien erzittern liess.
Für Hitori Nis Werdegang entscheidender aber war, dass der neue Präsident Georgien wieder mit Strom versorgte. Seither dreht sich sein Leben um Licht und Schatten. Bis heute nutzt er als Multimedia-Künstler einerseits Techniken von Belichtung und Beleuchtung – von Scheinwerfern bis zu Film- und Fotokameras. Andrerseits setzt er sich selbst als Performer und Sänger einer Metal-Band als Lichtgestalt und Luzifer in Szene.
Sein künstlerisches Interesse führt Hitori Ni auf mediale Erfahrungen in Kindheit und Jugend zurück. Zunächst habe er im Radio viel Musik gehört – und dabei dank Sendern aus dem nahen Ausland auch etwas Russisch gelernt. Als unter Saakaschwili auch der Fernseher wieder zu flimmern begann, sass er dann fasziniert vor dem TV-Gerät. Inspiriert hätten ihn insbesondere Trickfilme und die glamourösen Moderatoren des Musik-Fernsehsenders MTV.
Mit vierzehn Jahren profitierte er von einem Fernseh-Workshop für Jugendliche. Er konnte Erfahrungen vor und hinter der TV-Kamera sammeln. Als er wenig später einen alten Zenit-Fotoapparat geschenkt bekam, waren die Weichen seines Lebens gestellt. Das sowjetische Gerät wurde zu einem dritten Auge, mit dem er seine Umgebung bis heute fokussiert und dokumentiert.
Dämonischer Prophet
Später hat Hitori Ni seine Leidenschaft für die Kamera durch ein Diplom als Kameramann professionell untermauert. Während der Ausbildung sei ihm dann buchstäblich ein Licht aufgegangen – «suddenly appeared light!», lacht er. Er entdeckte die gestalterischen Möglichkeiten der Leuchten und Lampen. Vorübergehend übernahm er die Lichtregie eines unabhängigen russischen Fernsehkanals. Vor allem aber brachte er Licht in georgische Klubs.
Die Lichtregie im «Bassiani», dem grössten Techno-Tempel in Tbilissi, ist bis heute sein Brotjob. Aber Hitori Ni ist gleichzeitig auch der Art Director des Klubs. Seit 2017 gestaltet er ein künstlerisches Programm aus Performances, Drag-, Queer- und Tanzshows, das insbesondere auch die Interessen der LGBTQ-Bewegung berücksichtigt.
Die Agenda des «Bassiani» habe die georgische Klubkultur zwar nachhaltig geprägt, findet Hitori Ni. Unterdessen aber behaupteten sich viele Tänzer und Künstler auch jenseits der Klubszene. Hitori Ni sagt das, als wolle er seine eigene Bedeutung etwas relativieren. Er selber allerdings verdankt dem Klub, wo er sich, maskiert und geschminkt, als dämonischer Prophet in Szene setzt, seinen künstlerischen Ruf und seine Routine.
Wie bedeutend ist eigentlich die Partyszene in Georgien? «Sie ist sehr gross, weil Raves zu den wichtigsten Freizeitangeboten gehören.» Das erkläre auch, weshalb Techno so beliebt sei. Das stilistische Repertoire im «Bassiani» sei durch «hardcore, heavy, sexy Beats und viel Bass» geprägt, erklärt Hitori Ni. Trotz den harten Beats aber herrsche an den Partys eine friedliche Stimmung. Der Klub biete allen eine gewisse Sicherheit: «Leute verschiedener Religionen, Nationalitäten und sexueller Ausrichtung kommen hier gut miteinander aus.»
Der georgische Traum
Als einen politischen Treffpunkt solle man den Klub nicht missverstehen. An den Partys gehe es hauptsächlich um Spass und Entertainment. Immerhin werde dabei aber das Verständnis gegenüber Minderheiten und neuen Lebensformen gefördert. Und er hoffe, dass dieses Verständnis aus dem Underground in den Mainstream übergehe. «Die Klubkultur hätte einiges zur gesellschaftlichen Transformation Georgiens beizutragen.»
Dass die Libertinage der Raver noch keine Selbstverständlichkeit ist in Georgien, zeigt sich offenbar an empörten Reaktionen der Georgierinnen und Georgier auf ausgefallene Kleider oder bunt gefärbte Haare: «Das würde Stalin nicht zulassen», heisse es dann oder: «Da müsste Stalin wieder einmal durchgreifen.»
«Die Georgier streiten sich stets», klagt Hitori Ni. Das liege einerseits an ihrem aufbrausenden Temperament. Allerdings sei das Land auch in einer schwierigen Lage. «Georgien war in den letzten Jahrzehnten ein Spielfeld, auf dem Russland und der Westen um Einfluss kämpften.» Russland, das seit 2008 auch einen Unabhängigkeitskrieg im georgischen Südossetien befeuert, verfolge eine Politik der fortschreitenden Okkupation.
Und wo steht die Partei «Georgischer Traum», die das Land heute beherrscht? Die jetzige Regierung vertrete eine Art sowjetischen Konservativismus und wird dabei auch von der georgisch-orthodoxen Kirche unterstützt. Sowjetisch und orthodox – passt das zusammen? «Das passt nicht unbedingt zusammen, aber in Georgien hat man sich an solche Hybride gewöhnt,» findet der Künstler und grinst, wie um sich seiner Gelassenheit und Objektivität zu versichern.
Verwirrt und unentschlossen
Viele seiner liberaleren Landsleute hofften heute zwar auf Unterstützung aus dem Westen. Er selbst sei da aber vorsichtig: «Ich kann mich nicht erinnern, wann die USA oder Europa das letzte Mal jemandem geholfen haben. Georgien muss sich selber zu helfen wissen.» Die Mehrheit der Georgier aber sei verwirrt und unentschlossen: «Die meisten Georgier wissen nicht, was sie von der Zukunft erwarten sollen.»
Die schwierige Lage Georgiens zeigt sich auch an dem Umstand, dass das Land gewissermassen eingeklemmt ist zwischen zwei Kriegs- oder Konfliktzonen. In der Auseinandersetzung zwischen Aserbaidschan und Armenien schweigen derzeit zwar die Waffen. Russlands Invasion in die Ukraine ist aber immer eine schwere Hypothek für Georgien. Seit Kriegsbeginn seien zahllose Russen nach Georgien geflohen. Das habe dazu geführt, dass die Preise und Mieten in Tbilissi in die Höhe geschnellt seien. Für junge und ärmere Georgier sei das zu einem existenziellen Problem geworden, viele hätten aufs Land ziehen müssen.
Auch sonst sei das Verhältnis zu den russischen Flüchtlingen nicht ganz entspannt. Hitori Ni spricht von Ironie des Schicksals – er sagt es auf Russisch: «ironia sudby» – dass jetzt ausgerechnet Russen nach Tbilissi flüchteten, nachdem zuvor viele Georgier vor den Russen in die Hauptstadt geflohen seien. Er habe nichts gegen die einzelnen Emigranten, insgesamt aber zeigten die Russen wenig Verständnis dafür, dass die Georgier von Russland jahrhundertelang drangsaliert worden seien.
Und sie zeigten wenig Interesse am Land ihres Exils, vielmehr versammelten sie sich in ihren eigenen Cafés und Zentren. Unter älteren Georgiern, die noch die Sowjetzeit miterlebt hätten, gebe es mehr Verständnis für die Motive der russischen Emigranten. Die jüngere Generation hingegen finde, dass sich die russische Bevölkerung zu wenig gewehrt habe gegen das Putin-Regime. Und manchmal liessen sie das die Russen spüren durch höhnische Kommentare.
Über den eigenen Schatten springen
Und wie ist die Beziehung zu den ukrainischen Flüchtlingen? Ach, das sei kompliziert, sagt Hitori Ni und verzieht sein Gesicht. In Tbilissi sei die Mehrheit eigentlich ganz klar auf der Seite des angegriffenen Volkes. Aber die Ukrainer sprächen zumeist eben auch Russisch und nicht Ukrainisch. «Ein Freund von mir ist aus Kiew nach Georgien emigriert – und wenn er einkaufen geht, wird er manchmal als ‹Okkupant› beschimpft.»
Hitori Ni ist plötzlich etwas müde. Er müsse sich noch ausruhen, denn die Nacht ruft ihn dann zurück ins Rampenlicht. Er wisse nicht, wie lange er sich noch in der Klubkultur bewegen wolle. Drogen nehme er keine, Alkohol nur wenig. «Ich glaube aber, dass die Nachtarbeit meinem Organismus allmählich schadet.»
Mit seinen 31 Jahren wolle er nochmals etwas Neues studieren, am liebsten an einer Universität im Ausland. Er liebe Georgien, wo alle seine Verwandten und Freunde lebten. Aber als Künstler sei es doch wichtig, die Routine hinter sich zu lassen, über den eigenen Schatten zu springen und sich einer neuen Realität auszusetzen. «Tag für Tag frage ich mich deshalb: Should I leave or should I stay?»