Ich-Botschaften
Über das, was bewegt, wird heute nicht mehr nur offen gesprochen, man trägt es jetzt auch wortwörtlich auf Kleidungsstücke gedruckt.
Der erste Eindruck beruht auf Oberflächlichkeiten: Wie alt ist eine Person? Welche Frisur trägt sie? Welche Tasche? Noch geht es erst einmal nicht um innere Werte. Ausser: Auch sie werden für alle sichtbar gegen aussen präsentiert. Zum Beispiel als T-Shirt-Aufdruck.
Dieses Phänomen hat bereits einen Namen bekommen – «mental health merch» –, der sich wie immer gut auf Social Media macht mit Kleidung, die den eigenen Gemütszustand bewirbt. Auf den Oberteilen stehen Sätze wie «Takin’ it slow today» oder «Just livin’ my quarter-life crisis» (beides von Wild Vibes).
Die Bekleidungsmarke Madhappy führt ein T-Shirt im Sortiment, das einen halb traurigen, halb glücklichen Smiley abbildet. Man erkennt, was man erkennen will – das Label nennt sein Produkt ein «everyday essential» der Garderobe.
Slogan-Shirts mit Alltagsgefühlen
Kleidung ist ein beliebtes Mittel, um Zugehörigkeit zu schaffen. Mit ihr kann man sich für alle gut sichtbar positionieren, sowohl online als auch offline. Das haben die Modedesignerinnen Katharine Hamnett und Vivienne Westwood bereits in den achtziger Jahren erkannt, als sie das weisse T-Shirt erstmals zum Schild für politische Proteste umfunktionierten. Sie gelten bis heute – unabhängig voneinander – als Erfinderinnen des Slogan-Shirts.
Auf den Runway brachte das Protest-Shirt 2017 die Dior-Kreativdirektorin Maria Grazia Chiuri: Mit «We should all be feminists» druckte sie in schwarzer Schrift auf ein weisses Oberteil ein Zitat der nigerianischen Autorin Chimamanda Ngozi Adichie. Und auch die High Fashion machte sich die Kraft von Sprüchen schon zunutze: 2019 entwarf das Design-Duo Viktor & Rolf voluminöse Tüllkleider mit Aufschriften wie «Sorry I’m late I didn’t want to come» oder «I’m not shy I just don’t like you». Natürlich gingen die Bilder überall herum. Die High-Fashion-Kreationen zielen auf Alltagsgefühle.
So konnte man in den letzten Jahren auch auf den Strassen beobachten, wie alles Mögliche auf T-Shirts, Tassen und Taschen gedruckt wurde: der Name der Lieblingsbäckerei, das Buch, das man gerade liest, die Uni, die man besucht oder besuchen wird. Wobei der College-Pullover schon fast wieder etwas aus der Zeit gefallen ist: Yale oder HSG klingt zu sehr nach ambitionierter «Girl-Boss», ein Begriff, der ebenfalls bereits wieder in Verruf geraten ist – und überhaupt: Wer identifiziert sich heute noch über die Karriere?
Die Psyche als schickes Accessoire?
Jetzt prangt die Selbstfürsorge auf dem T-Shirt. Eigentlich war diese Entwicklung ja nur eine Frage der Zeit, schaut man sich die gegenwärtige Beliebtheit von Ratgeberbüchern an – von «Unfollow Your Dreams» bis zu «Das Happiness-Prinzip» steht alles im Regal. Das Wohlbefinden ist zur Ware geworden: Angefangen bei Spas und Yoga-Retreats, boomt heute auch die «anxiety economy», die Produkte umfasst, die Stress und Angst lindern sollen. Es gibt Marken, die einen Teil ihres Erlöses von Mental-Health-Merch für Institutionen für die Gesundheit spenden, aber das tun längst nicht alle.
Die Entwürfe können als Sensibilisierungs-Tool der jungen Generation betrachtet werden. Psychische Probleme, die gemäss verschiedensten Studien stark zugenommen haben sollen, werden sichtbar gemacht, was das Bewusstsein für diese Themen schärfen soll. Es ist okay, über Probleme zu sprechen! Oder anders: vom Tabuthema zur Identität. Denn primär sagt so ein T-Shirt aus: Mir geht es schlecht, und ich stehe dazu. Auf den Sweatshirts der amerikanischen Bloggerin Eileen Kelly steht in pinkfarbenen Grossbuchstaben «Lexapro» – ein Medikament, das für die Behandlung von Depressionen verschrieben wird.
Verkommt die Psyche mit diesem Trend am Ende zum schicken Accessoire? Als Vorläufer könnte man das Tiktok-Phänomen «crying make-up» nennen. Unter dem Hashtag #sadgirl wurden Tausende von Tipps gegeben, wie man sich ein verweintes Gesicht schminkt. Die Idee dahinter lautete auch hier: zeigen, dass es einem nicht gut geht, und zwar so, dass es wirklich jeder versteht. An Drama fehlt es nicht.
Im Vergleich zu «crying make-up» haben die Mental-Health-Merch-Stücke immerhin oft noch eine humorvolle Note. «I carry intense emotions», heisst es auf der Tasche von We’re not really strangers. Dahinter muss nicht gleich eine Sinnkrise oder eine psychische Erkrankung stehen.
Unklar bleibt, was für eine Reaktion sich die Trägerinnen von Mental-Health-Merch wünschen: ein anerkennendes Nicken? Soll man die Person auf ihr T-Shirt ansprechen? Oder doch lieber einfach ignorieren? Schliesslich wird Kleidung oft auch nur für einen selbst getragen. Das unterstreicht auch der Pullover von Pangaia, der in Zusammenarbeit mit der Mediations-App Headspace lanciert wurde: Der Schriftzug «You matter» ist lediglich im eigenen Spiegelbild wirklich gut lesbar.