Lüchinger ist ein Patriot mit internationalem Flair. Er hat eine ungewöhnliche Karriere voller Widersprüche hingelegt. Dennoch erntet er Lob von links bis rechts.
Bellende Hunde beissen nicht, heisst es im Volksmund. In Bundesbern müsste man das Bonmot umformulieren: Beissende Hunde bellen nicht. Die, die wirklich Macht haben, machen ihren Einfluss im Hintergrund geltend. Sie haben das grelle Medienspektakel nicht nötig.
Botschafter Gabriel Lüchinger gehört definitiv zu den leisen Zeitgenossen. Der 48-Jährige redet selten öffentlich, dafür wird über ihn geredet. Und das eigentlich nur positiv. Zurzeit ist Lüchinger Chef der Abteilung Internationale Sicherheit im Aussendepartement EDA. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde er letztes Jahr bekannt, als er die Task-Force leitete, welche die Konferenz für den Frieden in der Ukraine auf dem Bürgenstock organisierte.
2023 nominiert ihn die SVP als Nachfolger von Bundeskanzler Walter Thurnheer, wobei er gegen den Grünliberalen Viktor Rossi unterlag. Dennoch gilt: Wenn in Bern ein hochkarätiger Job frei ist, fällt sein Name. Etwa beim Nachrichtendienst: Sicherheitspolitiker von rechts bis links attestierten dem Oberst in der Armee vor ein paar Wochen die besten Qualifikationen für den Posten. Lüchinger sei:
- ein «anständiger Mensch mit grosser Führungserfahrung» (Josef Dittli, FDP-Ständerat)
- eine «sehr kompetente Persönlichkeit (. . .), die bestens vernetzt ist» (Priska Seiler Graf, SP-Nationalrätin)
- ein Mann, der «eigentlich alles kann» (Werner Salzmann, SVP-Ständerat
Karriere voller Widersprüche
Nun hat Lüchinger aber vorerst einen anderen neuen Job: Er soll als Sondergesandter für die USA das Verhältnis zu Donald Trump klären. Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom Mittwoch eine «Projektorganisation eingesetzt, die die Beziehungen zwischen der Schweiz und den USA steuern soll». Ziel ist es, die Kontakte mit den USA zu intensivieren und Lösungen in den Bereichen Handel, Wirtschaft und Finanzen zu finden. An der Spitze steht Aussenminister Ignazio Cassis.
Die neue «operative Struktur» ist ein Eingeständnis, dass die üblichen aussenpolitischen Kanäle mit Trump nicht funktionieren, Dienstwege und Regeln sind ihm egal. So war die Wirtschaftssekretärin Helen Budliger im März in den USA, um Trumps Regierung zu erklären, dass die Schweiz punkto Zöllen und Handelshemmnissen eine Freundin im Geiste der USA ist. Doch auch der Bundesrat fiel aus allen Wolken ob der angekündigten Zölle von 31 Prozent.
Vorerst hat Trump die Zölle ausgesetzt. Doch um in Zukunft besser vorbereitet zu sein, setzt der Bundesrat nun auf ein dynamischeres Vorgehen via persönliche Kontakte. Dieses bringt Lüchinger aus Sicht des Bundesrats offenbar mit. Er diene als «ergänzender Kontaktkanal mit Schwerpunkt auf der internationalen Sicherheit».
Gabriel Lüchinger hat eine ungewöhnliche Karriere voller Widersprüche hingelegt. Er hat eine Leidenschaft für das Internationale, engagiert sich aber gleichzeitig für das Lokale. Er gilt als sachlicher Diplomat, ist aber Mitglied einer Partei, die nicht für ihre vornehme Zurückhaltung bekannt ist.
Der Familienvater hat Rechtswissenschaften in Bern und Helsinki sowie internationale Beziehungen in Schweden studiert. Zunächst arbeitete er als Jurist im Verteidigungsdepartement und als wissenschaftlicher Mitarbeiter im SVP-Generalsekretariat. Von 2010 bis 2016 war er Verteidigungsattaché in Kairo und Abu Dhabi.
Später arbeitete Lüchinger als Generalsekretär der SVP, unter dem heutigen Bundesrat Albert Rösti. Die Volkspartei hatte unter dem Duo wenig Erfolg. Lüchinger wechselte in den Stab von Bundesrat Guy Parmelin, wo er unter anderem für internationale Kontakte zuständig war und den diplomatischen Concours absolvierte. Nach nur vier Jahren wurde er Chef der Abteilung Internationale Sicherheit im Aussendepartement. Eine steile Karriere.
Gleichzeitig blieb er seiner Heimat treu. Lüchinger verantwortet bis heute als Gemeinderat das Ressort Sicherheit und Sport in Herzogenbuchsee, einer Berner Gemeinde mit rund 7400 Einwohnern. Dort klingt es ähnlich wie im Bundeshaus: «Gabriel bleibt immer ruhig», sagt Daniel Polling, «Streitgespräche gibt es mit ihm nie.»
Polling ist Polizist und Vizepräsident der lokalen SVP und hat schon manche Gemeindeversammlung und Kommissionssitzung in Herzogenbuchsee erlebt, in der es hektisch wurde, besonders bei Steuerfragen. Als SVP-Parteifreund mag Daniel Polling nicht der objektivste Kronzeuge sein. Doch selbstverständlich sei sein Lob nicht, betont er. «Polteri» in der Politik möge er nämlich nicht, auch nicht in der eigenen Partei. Gewisse «extreme» Exponenten würde er «am liebsten auf den Mond schiessen», weil sie der Allgemeinheit schadeten. Lösungsorientierte Politiker wie Lüchinger seien ihm lieber. Unter vier Augen könne dieser durchaus auch über persönliche Dinge reden.
«Ein Patriot»
Während sich in Bundesbern manch einer fragt, was der diplomatische Lüchinger in der Polpartei SVP verloren habe, stellt sich diese Frage für den lokalen Vizepräsidenten Polling nicht. «Lüchinger ist ein Patriot im besten Sinne», sagt er. «Gabriel ist stolz auf sein Land und engagiert sich dafür, dass es der Schweiz gut geht.» So wie jetzt in den USA: «Davon haben alle etwas, nicht nur die SVP.»
Doch so gut wie früher lässt sich das Internationale und das Lokale wohl nicht mehr vereinen. Ende Jahr gibt Lüchinger das Amt als Gemeinderat ab. Seine Aufgabe als Sondergesandter für die USA ist ebenfalls bis Ende Jahr befristet. Er hat also nur wenige Monate, um bei Trump nach Karin Keller-Sutters Telefonat mit dem amerikanischen Präsidenten durchzudringen.