![](https://i1.wp.com/img.nzz.ch/2024/05/29/39d9e5d8-5791-4512-b0d3-97a1a32ce66a.jpeg?width=1200&height=674&fit=bound&quality=75&auto=webp&crop=7592,4265,x0,y435&wmark=nzz&w=1200&resize=1200,0&ssl=1)
Pablo Esparza / Anadolu / Getty
Seit drei Jahren leitet der gebürtige Deutsche die Ausgrabungen von Pompeji und sorgt für Furore. Beim Treffen vor der Kulisse der Ruinenstätte am Vesuv erzählt er von neuen Funden, alten Steinen und der Suche nach Glück und Erfüllung.
«Sonntag waren wir in Pompeji. Es ist viel Unheil in der Welt geschehen, aber wenig, das den Nachkommen so viel Freude gemacht hätte.» Goethes Notiz vom 13. März 1787 in seiner «Italienischen Reise» passt auch für unsere Tage. Die Ausgrabungsstätte südlich von Neapel erfreut sich ungebrochener Beliebtheit, letztes Jahr wurde mit über vier Millionen Besuchern ein neuer Rekord erzielt.
Dazu machen immer neue Schlagzeilen über spektakuläre Ausgrabungen die Runde, zuletzt etwa diejenige über den sogenannten schwarzen Raum, einen prächtigen Bankettsaal mit hellen Fresken, die auf schwarzem Untergrund leuchten und Motive aus dem Trojanischen Krieg zeigen. Vor einem Jahr legten die Archäologen ein Wandgemälde frei, das womöglich eine entfernte Vorgängerin der heutigen Pizza abbildet. Und davor gab es Meldungen über den Fund eines Sklavenzimmers, der einen neuen Blick auf das Alltagsleben in Pompeji vermittelt.
Seit April 2021 ist der 43-jährige Gabriel Zuchtriegel Direktor des Archäologischen Parks von Pompeji. Der deutsch-italienische Doppelbürger steht damit an der Spitze eines der wichtigsten italienischen Kulturbetriebe. Von seinem grossen Büro geht der Blick auf die Ruinen Pompejis. Im Hintergrund thront mächtig der Vesuv, dessen Ausbruch im Jahr 79 nach Christus die Stadt unter einer meterhohen Asche- und Bimsschicht begraben hat.
Herr Zuchtriegel, Pompeji boomt, es gibt immer neue Sensationsfunde. Was ist da eigentlich los?
Gabriel Zuchtriegel: Derzeit bearbeiten wir die grösste Ausgrabungsfläche seit den 1950er Jahren. Das erklärt, warum so viele Neuigkeiten ans Licht kommen. Eigentlich handelt es sich aber um Projekte, die hauptsächlich zu Restaurierungs- und Erhaltungszwecken stattfinden und den Besucherinnen und Besuchern zunutze kommen. Es geht uns nicht darum, einfach möglichst viel auszugraben. Es handelt sich um eine Phase, die auch einmal vorbeigehen wird. Pompeji boomt unabhängig davon.
Aber diese Phase trägt schon Ihre Handschrift.
Nur zu einem kleinen Teil. In Pompeji stehen wir alle auf der riesigen Arbeitsleistung vorhergehender Generationen. Seit über 270 Jahren wird hier gegraben. Pompeji ist so etwas wie die Hauptstadt der Archäologie. Nicht nur, weil es so gross ist und so bedeutend, sondern auch, weil es die Geschichte der Archäologie mitgeprägt hat. Als man hier angefangen hat, gab es noch gar keine Archäologie im modernen Sinne.
Es ist noch nicht so lange her, da gab es andere Schlagzeilen aus Pompeji. Man konnte von einstürzenden Ruinen und dergleichen lesen.
Die Instandhaltung und die Überwachung des Denkmälerbestandes war immer ein Thema. Anfangs ist sehr viel verlorengegangen. Es gab auch gar nicht die Technik und die Methodik, um das vor Ort alles zu bewahren. Viele Fresken und Funde wurden abtransportiert. Und eigentlich sind wir erst heute dabei, wirklich einen wissenschaftlichen Ansatz zu definieren, um Pompeji nachhaltig zu erhalten. Es geht darum, nicht nur einzelne Häuser im Blick zu haben, sondern die ganze Stadt. Aber der wahre Boom oder die wahre Revolution besteht darin, dass wir jetzt zum ersten Mal mit einem digital gestützten wissenschaftlichen System arbeiten. Pompeji besteht aus 13 000 Räumen. Diese müssen wir systematisch unter Kontrolle behalten und Prioritäten festlegen. Erstmals sind wir auf der Grundlage von wissenschaftlichen Daten in der Lage, zu beziffern, was wir im Jahr ausgeben müssen als Archäologischer Park, um Pompeji nicht noch einmal in eine Krisensituation zu bringen.
Das ist die handfeste Seite. Daneben gibt es eine inhaltliche Diskussion. Was jetzt ans Licht kommt, angefangen bei der berühmten Pizza über das Sklavenzimmer bis zu den Imbissbuden, sind ja oft Funde, die mit dem damaligen Alltagsleben der kleinen Leute zu tun haben. Taucht da ein ganz neues Pompeji auf?
Das habe ich mich oft gefragt. Natürlich haben wir jetzt tolle Funde wie dieses Sklavenzimmer, was uns wirklich noch einmal einen ganz neuen Einblick gibt. Aber ich glaube, es hängt ganz viel einfach davon ab, wo man hinschaut. Das ist eine Erfahrung, die jeder Besucher, jede Besucherin machen kann. Man kann nach Pompeji kommen und von einem Highlight zum anderen gehen, zum Haus der Vettier etwa oder zur Mysterienvilla. Man kann aber auch schauen, was eigentlich dazwischenliegt. Und dann stellt man fest, dass da eigentlich ein ganz interessanter Teil, vielleicht der interessanteste Teil der Geschichte, verborgen ist: die kleinen Werkstätten, die winzigen Wohnungen, die Orte der Ausbeutung, der Prostitution – vieles, was uns zeigt, dass diese antike Gesellschaft Licht und Schatten hatte und keineswegs eine erhabene, klassische Welt war. Teilweise ging es hier sehr brutal zu und her.
Kann man heute verlässliche Aussagen über den Gemütszustand der Leute machen, die hier gelebt haben? Waren die Menschen damals trotz aller Härte glücklich?
Gute Frage. Ich halte Pompeji für höchst aufschlussreich, wenn man sich die grösste Revolution der antiken Welt vor Augen führt: die Verbreitung des Christentums. Die Gesellschaft hier hatte erhebliche Defizite – eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sie schliesslich bereit war, sich für neue Wege und eine neue Religion zu öffnen. Dahinter steht wohl schon auch die Frage nach Glück und Erfüllung. Es gab hier extrem grosse soziale Unterschiede und viel Mobilität. Wir haben es mit einer ausgesprochen städtischen Kultur zu tun, zu der die Religiosität der alten Mittelmeerkultur nicht mehr so recht gepasst hat.
Eine Gesellschaft in der Krise, die ein neues Heilsversprechen suchte?
Absolut. Es gab natürlich unterschiedliche Strömungen. Man kann das am Heiligtum der Isis (einer aus dem ägyptischen Pantheon übernommenen Göttin, Anm. d. Red.) hier festmachen oder auch an der Vorliebe für Philosophie, die an die Stelle der alten Religion trat. Mit deren Natur- und Fruchtbarkeitskult konnten die Menschen nicht mehr so viel anfangen.
«Es gibt einfach einen höheren Pegel hier»
2023 hat Zuchtriegel das Buch «Vom Zauber des Untergangs. Was Pompeji über uns erzählt» vorgelegt. Es schaffte sogleich den Sprung in die Bestsellerlisten. In dem Buch erzählt der Archäologe von seinem Werdegang, davon, was ihn antreibt – und was ihn irritiert hat, wie etwa die Widerstände gegen seine Ernennung zum Direktor vom Pompeji, als gleich mehrere Mitglieder des wissenschaftlichen Rats von Pompeji nach seiner Berufung aus Protest zurücktraten. In seinem Buch berichtet er freimütig darüber. Vor allem aber legt er anschaulich dar, was uns die antike Welt heute erzählen kann und wie man sich ihr am besten annähert.
Sie haben in Ihrem Buch erwähnt, dass es eine etwas romantische Sehnsucht ist, die Sie antreibt. Die Sehnsucht nach einer Welt, die echter, wahrer, freier war. Warum?
Wir leben in einer Welt, in der wir alle, wie Shakespeare sagt, viele Rollen spielen. Und die von grosser Komplexität geprägt ist. Wenn wir in die Geschichte zurückschauen, können wir Gesellschaften sehen, in denen es diese starke Ausdifferenzierung nicht gab. Das hat mich interessiert. Man sollte Geschichte nicht nur als einen Zuwachs an technologischer Entwicklung und als Fortschrittsprozess interpretieren, sondern sich auch fragen, was wir auf dem Weg verloren haben an Authentizität, an Stimmigkeit, an Verbindung auch mit der Natur.
Das zu suchen, treibt Sie an?
Ja, auf jeden Fall. Niemand zwingt uns, uns mit Geschichte oder Archäologie zu beschäftigen. Wenn wir uns nicht weiter dafür interessieren würden, würde zunächst wohl nichts passieren. Die Welt würde sich weiterdrehen. Jedoch können wir nur dank der Beschäftigung mit Geschichte sehen, wie stark wir uns verändert, was wir dazugewonnen und was wir verloren haben. Wenn wir dann darüber diskutieren, kann vielleicht eine Vision für die Zukunft entwickelt werden. Denn wie immer man die Zukunft angeht: Es hat immer sehr, sehr viel mit der Vergangenheit zu tun.
Sie sind jetzt Direktor des Archäologieparks, haben unzählige Sitzungen, Interviews, Besprechungen, Grabungsbegehungen, Führungs- und Kommunikationsaufgaben. Bedauern Sie manchmal, dass Sie zum Archäologiemanager geworden sind?
Eigentlich nicht. Als ich in Paestum als Direktor der dortigen Ausgrabungsstätte angefangen habe, in diesem Bereich zu arbeiten, hab ich es mir schlimmer vorgestellt und einen stärkeren Bruch erwartet. Klar, ich bin nun nicht mehr so direkt mit eingebunden bei den Ausgrabungen oder im Forschungslabor wie früher, als ich an der Universität war. Aber letztlich geht es immer um die gleiche Frage: Was wollen wir eigentlich schützen und vermitteln?
Anfangs wurden Sie sehr angefeindet: Als Deutscher und dazu noch als junger Mann sahen Sie sich mit harter Kritik konfrontiert. Ist das vorbei?
Ja, im Moment schon. Ich bin älter geworden, und Italiener bin ich mittlerweile auch – obwohl ich ja schon 2020, also vor meiner Anstellung, die doppelte Staatsbürgerschaft hatte. In Italien herrscht eine andere Diskussionskultur als in der Schweiz oder in Deutschland. Vieles, was dort vielleicht erschreckend wirkt in der Form, ist hier an der Tagesordnung. Es gibt einfach generell einen etwas höheren Pegel hier, harte Worte und einen schärferen Ton. Aber das gibt sich dann.
Sie haben selbst gesagt, Sie seien in Ihrer italienischen Fassung wesentlich extrovertierter als in der deutschen Fassung. Mit wem spreche ich gerade, mit dem italienischen oder mit dem deutschen Gabriel Zuchtriegel?
Ich frage mich oft selbst, womit das zu tun hat. Man müsste eigentlich Archäologie in eigener Sache betreiben. Psychologie und Archäologie haben ja sehr viel miteinander zu tun. Wahrscheinlich schleppe ich einfach irgendetwas mit mir herum an Erfahrungen oder Erlebnissen – Dinge, die ich in deutscher Sprache abgeheftet habe, und andere, die in italienischer Sprache abgelegt sind.
Das wächst ja irgendwie einmal zusammen, nicht?
Es ist wie mit einem Haus in Pompeji. Man kann es anschauen, aber manche Dinge versteht man nur, wenn man dann noch weiter ausgräbt und die Geschichte versteht.
Ihre Abschlussarbeit an der Humboldt-Universität in Berlin – es ging um Latrinen im alten Griechenland – haben Sie damals als Rebellion gegen ein weissgewaschenes Bild der Klassik verstanden. Sind Sie immer noch ein Rebell? Oder sind Sie jetzt, nach dem Marsch durch die Institutionen, Teil des Archäologie-Establishments?
Na ja, ich bin jetzt natürlich Teil des Establishments, das kann man nicht leugnen. Mein Anspruch ist es trotzdem, damit bestimmte Werte zu verbinden. Die Gefahr besteht, dass wir als Archäologen einfach den überlieferten Kanon bestätigen. Wir versuchen uns dessen bewusst zu sein und auch von einem anderen Pompeji zu erzählen. Davon handelt auch unsere Ausstellung «Das andere Pompeji», die noch bis im Dezember in der grossen Halle der Ausgrabungen zu sehen ist.
Also immer noch etwas Rebellion.
Die Archäologie als Fach ist im 18. Jahrhundert entstanden, mit ganz klaren kulturellen und politischen Vorstellungen. Man wollte ein Gegenbild schaffen zur Gegenwart, woraus dann das idealisierte Bild der Klassik und der klassischen Welt entstand. Das hatte damals seinen Sinn, aber heute nicht mehr. Ich halte es für völlig verfehlt, dem jetzt noch nachzutrauern. Heute müssen wir uns die Frage neu stellen, was die Antike bedeuten kann. Es kann nicht sein, dass wir die antike Kunst als universellen Massstab begreifen und über andere Zeitepochen und Kulturen stellen. Wir müssen unseren eigenen Zugang dazu erarbeiten.
Keine Kreuzfahrttouristen? «Da wäre ich sehr vorsichtig»
Gleich nach seinem Amtsantritt hat Gabriel Zuchtriegel mit originellen Einfällen für Aufsehen – und teilweise Kritik – gesorgt. Seine Idee, in den ausgegrabenen Ruinen von Pompeji mit Jugendlichen Theateraufführungen zu realisieren, kam in den etablierten Kreisen nicht gut an. Dabei erinnerte er damit nur daran, dass die ersten Ausgrabungen in Pompeji im 18. Jahrhundert mit der Freilegung der Theaterruinen begannen.
Noch immer gibt es Kritik an Ihnen, wenn auch etwas andere als zu Beginn Ihrer Tätigkeit in Pompeji. Es werde zu viel Spektakel veranstaltet, heisst es etwa. Oder es würden Dinge gemacht, die mit Archäologie nicht mehr viel zu tun hätten, Theater zum Beispiel. Was sagen Sie dazu?
Wir gehören zum Unesco-Welterbe, im letzten Jahr haben wir mit über vier Millionen Besuchern einen neuen Rekord aufgestellt. Wir könnten uns einfach zurücklehnen und den Erfolg geniessen – als würde das alles von selbst passieren. Was dabei aber vergessengeht und was wir nicht so leicht messen können, ist die Frage, was eigentlich bei unseren Besucherinnen und Besuchern hängenbleibt und was an transformativer Energie ankommt.
Transformative Energie? Was heisst das?
Unser Theaterprojekt «Sogno di Volare», «Traum vom Fliegen», setzt da an. Wir arbeiten mit Jugendlichen aus der Umgebung und mit Künstlern und Künstlerinnen aus ganz Italien. Was wir dabei sehen, ist, dass die Mitwirkenden eine Art Transformation durchlaufen. Es passiert genau das, was Kultur bewirken sollte, nämlich die Möglichkeit, aus dem eigenen Leben auszubrechen und etwas Grösseres zu sehen. Insofern ist es für mich tatsächlich ein zentrales Projekt in Pompeji.
Es kämen immer mehr Besucher, haben Sie gesagt. Aber ist das überhaupt sinnvoll? Italien leidet hier und in anderen Hotspots doch sehr stark unter dem Massentourismus. Müsste man nicht endlich gegensteuern?
Das ist eine sehr weitreichende Frage, denn es geht ja nicht nur um Pompeji, sondern um die Tourismuswirtschaft insgesamt. Das kann man nicht isoliert angehen, sondern nur gemeinsam mit den anderen Institutionen und mit den zuständigen Ministerien in Rom. Hier in Süditalien, das wirtschaftlich schwächer ist als der Norden, hat der Tourismus eine andere Bedeutung. Er schafft Arbeitsplätze und Wohlstand. Ich sehe meine Kompetenz nicht darin, neue Ziele zu stecken, sondern vielmehr darin, mitzuhelfen, wie wir die Ziele sinnvoll und nachhaltig erreichen.
Aber wenn die Kreuzfahrtschiffe in Neapel anlegen, werden Sie doch jeweils überschwemmt mit Touristen, die Pompeji auf ihrer Bucket-List abhaken möchten und kaum jene Transformationsleistung vollziehen, von der Sie vorhin gesprochen haben.
Da wäre ich sehr vorsichtig. Man sollte nicht bestimmte Gruppen pauschal verurteilen. Wenn wir tatsächlich an der Idee festhalten wollen, dass Kultur irgendwie transformativ ist, dann kann das in keiner Weise so gemeint sein, dass wir uns nur an bestimmten elitären Gruppen ausrichten und zum Beispiel nur noch Besucher mit Universitätsabschluss hereinlassen. Das kann nicht die Lösung sein. Wir müssen alle ansprechen und einerseits dafür sorgen, dass wir hier genügend Platz haben, und andererseits auch andere Orte im Umland fördern.
Ein Drittel von Pompeji ist noch nicht entdeckt. Ist es das Ziel, alles auszugraben?
Nein, das wäre unverantwortlich. So wie wir heute über neue Methoden verfügen, die es vor fünfzig oder hundert Jahren noch nicht gab, wird es auch in Zukunft neue Ansätze geben. Wir möchten auch den kommenden Generationen etwas übriglassen.
Was wir hier sehen, sind ja eigentlich die Überreste eines unglaublich dramatischen Geschehens, des Ausbruchs des Vesuvs im Jahr 79 nach Christus. Dazu gehören Schmerzen, Leid, Unglück, Tod. Empfinden Sie als Archäologe da nicht manchmal eine gewisse Scham, wenn Sie in diesen schlimmen Momenten gleichsam herumstochern?
Dieses Gefühl gibt es, tatsächlich. Und damit verbunden die Frage, ob man eigentlich besser alles ruhen lassen sollte. Würde ich es schätzen, wenn ich in einer schrecklichen Katastrophe ums Leben komme und später mein Körper im Moment des Todeskampfs von irgendwelchen Besucherinnen und Besuchern beschaut wird? Das ist die eine Seite. Die andere besteht darin, dass wir mit unserer Arbeit den Opfern auf gewisse Weise Gehör und Gerechtigkeit verschaffen und dazu beitragen, dass die Erinnerung bleibt und insofern einen positiven Wert hat. Aber es ist natürlich immer ein zwiespältiges Gefühl.
Kann man aus der Vulkankatastrophe von damals etwas lernen? Hier in der Nähe der Phlegräischen Felder schüttelt und rüttelt es ja immer wieder.
Heute können wir die Lageentwicklung etwas besser voraussagen. Damals wussten die wenigsten Menschen, dass der Vesuv ein Vulkan ist. Aber wenn man sich vergegenwärtigt, wie nahe die Besiedlung heute an den Vesuv heranreicht, kommen gewisse Zweifel auf, ob man da wirklich so viel gelernt hat. Andererseits ist es auch schwer vorstellbar, dass alle die historisch gewachsenen Orte hier in der Umgebung eine Art Reservat bilden, in dem keine Menschen wohnen, nur weil irgendwann der Vesuv wieder ausbrechen könnte.
Also einfach weiterleben auf dem Vulkan und den Moment bewusst geniessen?
Ich hatte gerade heute ein Gespräch mit einem Angestellten eines Restaurants hier. Es ging um die Frage, warum manche Leute Angst haben, hierherzukommen, wegen der Meldungen über mögliche Erdbeben. Auf meine Frage, ob er sich auch fürchte, antwortete der Mann: «Wenn es passiert, dann passiert es eben.» Er hat recht. Wir sind ja alle sterblich, aber tun wir wirklich etwas für unser tägliches Leben, wenn wir uns ständig fragen, wann es so weit ist?