Die EU-Kritiker um Kompass Europa haben heute Nachmittag in Bern eine Volksinitiative lanciert. Ziel: Nur Stimmbürger und das Parlament sollen über die Gesetze in der Schweiz bestimmen. Das obligatorische Referendum soll ausgeweitet werden.
Heute Montagnachmittag stellt die Organisation Kompass Europa im Medienzentrum in Bern ihre seit längerem angekündigte Initiative vor. Sie trägt den Namen «Für eine direktdemokratische und wettbewerbsfähige Schweiz» und hat das Ziel, ein institutionelles Abkommen mit der EU zu verhindern. Man wolle keine «EU-Passivmitgliedschaft», hiess es. Um eine sachbereichsübergreifende dynamische Rechtsübernahme zu verunmöglichen, müsse die Verfassung geändert werden.
Interessant sind vor allem die Übergangsbestimmungen, die bei Annahme des Volksbegehrens in Kraft treten sollen. Während für bestehende Bundesgesetze und völkerrechtliche Verträge, die die Übernahme wichtiger rechtsetzender Bestimmungen vorsehen, eine Art Bestandesgarantie gilt, würden die Hürden für die Bilateralen III erhöht: Im Initiativtext steht nämlich: «Ein institutionelles Rahmenübereinkommen sowie vergleichbare Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union werden von dieser Bestandesgarantie nur erfasst, sofern sie auf dem Weg des obligatorischen Referendums von Volk und Ständen angenommen wurden.»
Mitsprache der Stimmbürger stärken
Die zunehmende Einbindung in den Binnenmarkt der EU schränke die Spielräume der Schweiz ein, sagte der Mitinitiant Urs Wietlisbach am Montag vor Medienvertretern. Immer häufiger sehe sich die Schweiz gezwungen, komplexe und bürokratische Regulierungen zu übernehmen. Gleichzeitig würden die Möglichkeiten einer eigenständigen Handelspolitik mit aussereuropäischen Staaten wie etwa China eingeschränkt. Ziel der Kompass-Initiative sei es deshalb, die demokratische Legitimation durch das Volk und die Berücksichtigung der Interessen der Kantone beim Vollzug der völkerrechtlichen Pflichten zu stärken. Nur Stimmbürger und das Parlament sollten über die Gesetze in der Schweiz bestimmen können. Deshalb müsse das obligatorische Referendum ausgeweitet werden.
Die Schweiz sei erfolgreich, weil sie direktdemokratisch, unabhängig und weltoffen sei, sagte Wietlisbach weiter. Doch trotz dem Übungsabbruch vor drei Jahren durch den Bundesrat komme die Politik «nun erneut mit einem Rahmenvertrag 2.0, den sie als Bilaterale III anpreist». Auch bei den jüngsten Verhandlungen zwischen Bern und Brüssel sei die dynamische Rechtsübernahme ein Kernstück, und der Vertrag sei immer noch sehr einseitig zugunsten der EU aufgesetzt. Wer das Common Understanding lese, so Wietlisbach, erkenne, dass die Schweiz zu einem EU-Passivmitglied werden solle.
Hinter der Organisation standen am Anfang vor allem die drei Gründer der auf Finanzdienstleistungen spezialisierten Partners Group: Alfred Gantner, Marcel Erni und Urs Wietlisbach. Mittlerweile ist Kompass Europa auf 2500 Mitglieder angewachsen. Neu engagieren sich auch Prominente wie der Ex-Skifahrer Bernhard Russi, der Musiker Dieter Meier oder der Journalist Markus Somm für das Anliegen. Weitere Komiteemitglieder sind der Luzerner FDP-Ständerat Hans Wicki, die Thurgauer SVP-Ständerätin Diana Gutjahr und der ehemalige Verwaltungsratspräsident der Hilti-Gruppe Heinrich Fischer.
Ein engagiertes Mitglied ist auch der ehemalige TV-Moderator Kurt Aeschbacher. Auf die Frage, weshalb er sich für die Initiative einsetze, sagte er in Bern: «Die Kombination von Vertrauen in die Intelligenz der Bürgerinnen und Bürger, in die Institutionen und in die klar geregelten, dezentralen Entscheidungsträger ist in dieser Art weltweit einzigartig.»
Es seien diese Rahmenbedingungen, die den Schweizerinnen und Schweizern ein freiheitliches Dasein und der Wirtschaft ein eigenständiges Wachstum auf den Weltmärkten ermöglichten. Beim vom Bundesrat angestrebten neuen Abkommen mit der EU drohe nun die Verkehrung ins Gegenteil. Aeschbacher: «Die dynamische Rechtsübernahme verpflichtet uns, Gesetze zu übernehmen, die kaum zu unserer wirtschaftlichen DNA passen.»
Das will die Initiative konkret
Die Unterschriftensammlung für das Volksbegehren startet am 1. Oktober. Um auf den Inhalt der Initiative aufmerksam zu machen, organisiert Kompass Europa eine ganze Reihe von Veranstaltungen an verschiedenen Orten der Schweiz. Im Wortlaut lautet der Initiativtext:
Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:
- Art. 101 Abs. 1, zweiter und dritter Satz: 1 […] Er [der Bund] verfolgt eine eigenständige Aussenwirtschaftspolitik, die den Bedürfnissen der Schweiz als international vernetztem Wirtschaftsstandort Rechnung trägt. Er wahrt dabei die demokratischen Rechte des Volkes und die Eigenständigkeit der Kantone.
- Art. 140 Abs. 1, Einleitungssatz (betrifft nur den französischen Text) und Bst. bbis: 1 Volk und Ständen werden zur Abstimmung unterbreitet: bbis. völkerrechtliche Verträge, die eine Übernahme wichtiger rechtsetzender Bestimmungen vorsehen[.]
- Art. 164 Abs. 3: 3 Die Übernahme wichtiger rechtsetzender Bestimmungen muss in einem Bundesgesetz oder einem völkerrechtlichen Vertrag, der dem obligatorischen Referendum untersteht, ausdrücklich vorgesehen und auf einen eng begrenzten Sachbereich beschränkt sein.
- Art. 197 Ziff. 172: 17. Übergangsbestimmung zu den Art. 140 Abs. 1 Bst. bbis und 164 Abs. 3 (Übernahme wichtiger rechtsetzender Bestimmungen). Im Zeitpunkt der Annahme der Artikel 101 Absatz 1, zweiter und dritter Satz, 140 Absatz 1, Einleitungssatz und Buchstabe bbis, und 164 Absatz 3 durch Volk und Stände in Kraft stehende Bundesgesetze und völkerrechtliche Verträge, welche die Übernahme wichtiger rechtsetzender Bestimmungen vorsehen, bleiben von den Grundsätzen für eine solche Übernahme ausgenommen. Ein institutionelles Rahmenübereinkommen sowie vergleichbare Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union werden von dieser Bestandesgarantie nur erfasst, sofern sie auf dem Weg des obligatorischen Referendums von Volk und Ständen angenommen wurden.