Ukrainische Sonderkommandos machen angeblich Jagd auf russische Soldaten am Nil. Was wie ein Hirngespinst klingt, lässt sich teilweise mit Bildmaterial aus dem Sudan untermauern.
Kirilo Budanow, der telegene Leiter des ukrainischen Militärgeheimdiensts, versteht sich nicht nur auf die Planung von tödlichen Einsätzen weit hinter den feindlichen Linien. Der erst 38-jährige Generalleutnant pflegt auch meisterhaft die Aura des geheimnisvollen Chefagenten, der die Öffentlichkeit mit kryptischen Worten in Spannung versetzt.
Bei einer Konferenz in Kiew am Sonntag soll Budanow für einmal jedoch Klartext gesprochen haben. Er bestätigte gegenüber der Zeitung «Obosrewatel» erstmals Gerüchte, wonach die Ukraine Spezialeinheiten im Sudan einsetzt. Das Ziel bestehe darin, den russischen Feind an jedem erdenklichen Ort der Erde zu «vernichten».
Russland unterstützt Rebellen im Sudan
Russland hat seit 2017 Truppen im Sudan – mehrere hundert Mann der paramilitärischen Gruppe Wagner. Deren Rolle hat sich im Laufe der Zeit allerdings gewandelt. Anfangs hatten sie den Auftrag, Truppen des Regimes von Omar al-Bashir auszubilden und russische Interessen bei der Goldförderung abzusichern. Moskau führte zudem Verhandlungen über die Schaffung einer Marinebasis am Roten Meer. Nach dem Sturz Bashirs gerieten die Russen jedoch in den Sog der innersudanesischen Konflikte.
Als 2023 ein offener Bürgerkrieg ausbrach, schlugen sich die russischen Kämpfer auf die Seite des Rebellenführers Mohammed Hamdan Daglo und belieferten ihn nach amerikanischen Erkenntnissen mit Waffen. Auf der Gegenseite steht die sudanesische Armee unter General Abdelfatah al-Burhan. Glaubt man der Darstellung Kiews, so hat der ukrainische Geheimdienst zu dessen Gunsten eingegriffen und macht Jagd auf die russischen Paramilitärs der Gegenseite.
Auf den ersten Blick wirkt dies wie eine abenteuerliche Propagandageschichte. Die Ukraine ist militärisch im eigenen Land unter enormem Druck und kann nicht wahllos Elitetruppen auf anderen Schauplätzen einsetzen. Es lässt sich nicht ausschliessen, dass der Geheimdienst seine Schlagkraft überhöht und sich als globalen Machtfaktor inszenieren möchte.
Verhör auf Russisch unter Palmen
Doch seit einigen Monaten tauchen immer neue Hinweise auf, dass im Sudan tatsächlich ukrainische Sonderkommandos kämpfen. Ein von der «Kyiv Post» vor drei Wochen veröffentlichtes Video zeigt einen vermummten Mann im Kampfanzug, der auf Russisch drei Kriegsgefangene verhört. Der eine von ihnen identifiziert sich als Mitglied der Gruppe Wagner und erzählt, er sei mit einer Gruppe von hundert Mann von der Republik Zentralafrika auf sudanesisches Gebiet vorgedrungen, mit dem Auftrag, die örtliche Regierung zu stürzen.
Die Echtheit des Videos lässt sich nicht mit Sicherheit bestätigen. Die Umgebung mit rötlichem Sand und Palmen spricht dafür, dass es in Afrika aufgenommen wurde. Die Mütze des Verhör-Offiziers lässt sich als Produkt eines ukrainischen Herstellers von Militärkleidung identifizieren. Ein anderer Uniformierter trägt am Oberarm das Emblem des ukrainischen Geheimdiensts HUR.
Das schliesst eine Inszenierung nicht aus. Es gibt jedoch weitere Spuren, die in Richtung Ukraine deuten. So hat der Sender CNN im September Videoausschnitte von mehreren Drohnenangriffen im Sudan veröffentlicht. Diese erfolgten alle im Grossraum Khartum, der zwischen den Bürgerkriegsparteien umkämpften Hauptstadt des Landes. Ein Videoausschnitt zeigt den Monitor des Drohnen-Operateurs und darauf die Anzeige «Supiniti», das ukrainische Wort für «Stoppen».
Die betreffende Attacke richtete sich gegen vier Pick-up-Fahrzeuge auf der Brücke zwischen Khartum und der von Daglos Rebellen kontrollierten Stadt Omdurman am Westufer des Nils. Weitere Videoausschnitte zeigen Kamikaze-Drohnen, die Personen im Häuserlabyrinth von Omdurman angreifen.
Auch die Art der Angriffe würde zu einer ukrainischen Aktion passen. Nur ganz wenige Armeen der Welt beherrschen diese Art der Drohnentechnologie – das Zusammenspiel einer Überwachungsdrohne, die das Geschehen von weit oben verfolgt, und einer sogenannten First-Person-View-Drohne, die ein Ziel attackiert und beim Aufprall explodiert. Der Einsatz trägt die Handschrift ukrainischer Drohneneinheiten und ist kaum das Werk einer sudanesischen Bürgerkriegspartei.
Ein weiteres Indiz ist ein im Oktober veröffentlichtes Video mit einem hellhäutigen Scharfschützen, der auf einem Hügel auf der Lauer liegt und ein Ziel in der Ferne beschiesst.
Die Recherchegruppe Bellingcat hat die Örtlichkeit identifiziert; es handelt sich um ein Wüstengebiet ausserhalb von Omdurman. Mit grosser Wahrscheinlichkeit stammen auch diese Bilder von den Behörden in Kiew, die damit gezielt die Spekulationen um eine ukrainische Geheimdienstaktion befeuern wollten.
Gesichert ist, dass der Militärgeheimdienst HUR im vergangenen April einen Sondereinsatz im Sudan durchführte, um ukrainische Bürger aus den Kriegswirren zu retten. Möglicherweise blieb danach ein Sonderkommando im Land. Bekannt ist ferner, dass Präsident Selenski im September in Irland ein etwas kurioses Treffen mit dem sudanesischen Junta-Chef Burhan abhielt. Dabei ging es laut Selenski um «gemeinsame Sicherheitsherausforderungen», insbesondere um von Russland finanzierte bewaffnete Gruppen. Damit war die Wagner-Truppe gemeint, die seither allerdings schrittweise aufgelöst und in neuer Form dem russischen Verteidigungsministerium unterstellt wird.
Treffen die Berichte über einen ukrainischen Geheimkrieg im Sudan zu, so liesse dies nur einen Schluss zu: Kiew will Russland auf einem anderen Kontinent schwächen – 3500 Kilometer von der Front im eigenen Land entfernt.