Die ukrainische Armee kämpft nicht nur gegen russische Panzer, sondern auch mit dem Nachschub an Soldaten. Ein umstrittenes Mobilisierungsgesetz soll Abhilfe schaffen. Eine Datenanalyse.
Die Ukraine hat Schwierigkeiten, genügend Soldaten für die Front zu finden. Eine halbe Million neue Rekruten hat der mittlerweile abgelöste Oberkommandierende der ukrainischen Streitkräfte Waleri Saluschni im Dezember gefordert. Diese Zahl sei «signifikant reduziert» worden, teilte sein Nachfolger Olexander Sirski später mit. Wie viele neue Rekruten die Armee braucht, wurde jedoch nie veröffentlicht. Es dürfte sich um einige hunderttausend handeln.
Auf russischer Seite scheint – derzeit zumindest – der Nachschub an neuen Soldaten kein Problem zu sein. Wieso fällt es der Ukraine schwer, genügend Freiwillige zu finden?
Die ukrainischen Probleme bei der Rekrutierung liegen gegenwärtig folglich nicht an zu wenig potenziellen Soldaten. Zu Beginn des Krieges konnte die Armee auf einen kontinuierlichen Strom von Freiwilligen zählen, mittlerweile allerdings hat die Bereitschaft, in den Kampf zu ziehen, bei vielen Ukrainerinnen und Ukrainern deutlich abgenommen. Eines der Hauptprobleme ist die grassierende Korruption. Wer Geld hat, kauft sich oder seine Kinder vom Militärdienst frei.
Die Regierung versucht, dem entgegenzuwirken. Im August hat der ukrainische Präsident Selenski sämtliche Leiter regionaler Rekrutierungszentren entlassen. Doch solange sich ein grosser Teil der Bevölkerung ungerecht behandelt fühlt und weiterhin Meldungen von gewalttätigen Rekrutierungsmitarbeitern kursieren, kann sich die Regierung nicht erlauben, den Druck auf die Bevölkerung zu erhöhen.
Quelle und Methode
Die Bevölkerungsstatistik zur Ukraine stammt von den World Population Prospects 2022 der Vereinten Nationen. Verwendet wurden Schätzungen für das Jahr 2024. Sie fallen etwas tiefer aus als die Angaben der Ukraine. Angaben zu den wehrfähigen Männern in der Ukraine wurden vom Wirtschaftsausschuss des Parlaments zusammengestellt.
Die Berechnung der Verluste, gemessen an der wehrfähigen Bevölkerung, basiert auf der Idee von H. Schlottman, wurde aber angepasst. Die wehrfähige Bevölkerung im nationalsozialistischen Deutschland wurde auf 16 bis 65 Jahre festgelegt. Die Bevölkerungsstruktur stammt von hier. Gefallen sind zwischen 3,9 Millionen und 5,3 Millionen Soldaten.
Für die Rote Armee im Zweiten Weltkrieg wurde das wehrfähige Alter auf 16 bis 59 gesetzt, weil dazu Bevölkerungsdaten existieren. Gefallene Soldaten: zwischen 9,8 Millionen und 13 Millionen.
Für den Vietnam-Krieg wurden die demografischen Angaben dem Intelligence Memorandum der CIA entnommen.
Teaserbild: Jonas Oesch