Die lange Zeit der Trockenheit hat den spanischen Erdbeeranbau zum Politikum werden lassen. Die Bauern zapfen das Grundwasser an – mit verheerenden Folgen für die Umwelt.
Es ist März, auf den Bergen liegt noch Schnee, doch in den Schweizer Supermärkten herrscht bereits Frühling. Es gibt Spargel, Rhabarber und vor allem: Erdbeeren. Saftig rot türmen sie sich in den Regalen, als würden sie versuchen, im Alleingang den grauen Nieselregen zu vertreiben.
Wenn man zu dieser Jahreszeit Erdbeeren kauft, dann kommen diese nicht von den Feldern der Tessiner Landwirte, sondern aus dem Süden Europas, üblicherweise aus Spanien. In den ersten Monaten dieses Jahres war es dort aussergewöhnlich warm und vor allem trocken. Im Februar wurde in einem Grossteil Kataloniens der Wassernotstand ausgerufen, die letzte Stufe des Dürreplans der Regionalregierung. Jeder Einwohner darf pro Tag nur noch maximal 200 Liter Wasser verbrauchen.
Das weckt Erinnerungen an den vergangenen Sommer, als in grossen Teilen Spaniens der Dürrenotstand herrschte. Das Jahr 2023 war für Europa das fünfte Dürrejahr in Folge. Die Böden werden immer trockener, die Grundwasserspiegel sinken. Und in diesem Jahr scheint es, als würde sich die Entwicklung unverändert fortsetzen.
Spanien, der Obstgarten Europas
Spanien ist der Obst- und Gemüsegarten Europas. Trauben, Orangen, Tomaten, Gurken – europäische Kühlschränke sind voll von Lebensmitteln, die von der Iberischen Halbinsel stammen. 2022 hat Spanien 36 Millionen Tonnen Obst und Gemüse angebaut, das sind 13 Prozent der Produktion in der gesamten Europäischen Union.
Insbesondere bei der Erdbeerenproduktion ist Spanien mit 326 000 Tonnen ganz vorne dabei, sie macht 27 Prozent der gesamten EU-Produktion aus.
Zu den grössten Abnehmern von spanischen Erdbeeren zählen Deutschland, Frankreich und Grossbritannien – Spanien ist der grösste Exporteur von Erdbeeren weltweit.
Die Schweiz importiert jährlich über 8000 Tonnen Erdbeeren aus Spanien. So gut wie alle Importe entfallen auf die Monate im Winter und Frühjahr, wenn das einheimische Angebot begrenzt ist. Auch im Rest Europas werden Erdbeeren aus dem Ausland vor allem ausserhalb der heimischen Saison verkauft.
Die Trockenheit hat die Erdbeeren in den Fokus gerückt. Die Frage, die sich alle stellen: Wie lange reicht das Wasser noch für die spanische Landwirtschaft?
Die Erdbeeren kommen fast ausschliesslich aus Huelva
Fast alle spanischen Erdbeeren kommen aus einem einzigen Gebiet: Huelva, einer Provinz nahe der portugiesischen Grenze, die zu Andalusien gehört. Wenn Spanien der europäische Obstgarten ist, ist Huelva der Teil des Gartens, in dem Beeren angebaut werden. Laut Angaben der Regionalregierung finden mindestens 94 Prozent des Erdbeeranbaus hier statt.
Huelva zeigt exemplarisch, welche Auswirkungen eine massive Konzentration der Produktion haben kann – auf die Umwelt, aber auch auf die Menschen, die von ihr abhängig sind.
Die Region war im vergangenen Sommer neben Katalonien am stärksten von der Trockenheit in Spanien betroffen, wie Daten der Nasa zeigen. In diesem Jahr dürfte sich daran kaum etwas ändern.
In Huelva befindet sich der Nationalpark Doñana, der aus Feucht-, Sumpf- und Dünengebieten besteht. Der Park ist durch EU-Recht geschützt und ist seit 1994 ein Unesco-Welterbe. Doch dem Reservat wird immer mehr Wasser entzogen – zur Bewässerung des Obstanbaus.
Rund um den Nationalpark drängen sich die Farmen und Plantagen der Erdbeerbauern. Die Anbaufläche hat sich mittlerweile auf 9000 Hektaren ausgeweitet, 450 000 Tonnen Erdbeeren und Himbeeren werden hier jedes Jahr geerntet.
Der Nationalpark wird immer trockener
Huelva ist eigentlich nicht auf den Bewässerungsanbau ausgelegt. Traditionell wuchsen hier Oliven, Getreide und Wein, also Produkte der Trockenlandwirtschaft. Erst als vor rund 30 Jahren Investoren erfolgreich mit dem Erdbeeranbau begannen, breitete sich die Frucht auf den Feldern der Bauern aus. Juan Romero, Umweltaktivist und Mitglied im Beirat des Doñana-Parks, spricht gegenüber der «Taz» von einem «völlig unkontrollierten Boom».
Und während sich die Anbaugebiete immer weiter ausbreiten, trocknet der Nationalpark langsam, aber sicher aus.
Die folgende Aufnahme zeigt, wie sich der Feuchtigkeitsgehalt der Vegetation um den Doñana-Nationalpark in den vergangenen sechs Jahren verringert hat. Die rot markierten Flächen weisen auf Wassermangel oder unfruchtbaren Boden hin.
Weite Strecken des Nationalparks haben sich bereits in trockenes Buschland verwandelt, die Grünflächen sind nahezu vollständig verschwunden. Fast das gesamte Feuchtgebiet hat seit vier Jahren so gut wie kein Wasser mehr, etwa 3000 Lagunen sind vollständig ausgetrocknet.
Und das, obwohl Umweltschützer seit mehr als zehn Jahren mahnen, dass die Erdbeerzüchter dem Feuchtgebiet das Wasser abgraben. Die Trockenheit hat auch Auswirkungen auf die Tierwelt im Park: Die Zahl der Wasservögel, die jedes Jahr im Doñana-Park rasten und brüten, ist deutlich zurückgegangen.
Ein Grossteil des spanischen Wasserverbrauchs fliesst in die Landwirtschaft
Die Landwirtschaft ist in Spanien ein gewaltiger Wasserschlucker. Die künstliche Bewässerung von Getreiden und Früchten steht für 60 Prozent des Wasserkonsums.
Für ein Kilo Erdbeeren sind 300 Liter Wasser nötig. Das macht sie zwar zu weniger durstigen Früchten als beispielsweise Äpfel oder Mangos, die 800 beziehungsweise gar 1800 Liter verbrauchen. Angesichts der Situation in Huelva und im Nationalpark ist jedoch jeder Schluck Wasser im Grunde zu viel.
Das Grundwasser geht immer weiter zurück
Viele Bauern in der Region sind zur Bewässerung ihrer Felder dazu übergegangen, das Grundwasser anzuzapfen. Selbst der andalusischen Regierung ist bekannt, dass auf diese Weise bis zu 1900 Hektaren Felder, die keinen Anschluss an das legale Wassernetz haben, illegal bewässert werden. Doch auch für die legalen Plantagen reicht das Wasser nicht mehr aus. Im Gebiet Doñana werden darum mehr als 1000 illegale Brunnen vermutet, die Grundwasser abpumpen.
In Huelva und weiten Teilen Südspaniens sind grosse Teile des Grundwassers mittlerweile überbeansprucht oder kontaminiert, da der Erdbeeranbau auch die Nitratkonzentration im Wasser erhöht. Auch in der Gegend um den Doñana-Park ist das Grundwasser bereits um mehrere Meter zurückgegangen, teilweise beträgt der Rückgang zwischen 10 und 15 Meter.
Das Problem: Grundwasserspeicher brauchen viel Zeit, um sich zu füllen. Und da die Dürre in weiten Teilen Europas mittlerweile seit mehreren Jahren andauert, reicht ein regenreiches Jahr bei weitem nicht aus, um die Wasserstände auf Normalstand anzuheben. Dafür müsste es, je nach Region, theoretisch über Jahre hinweg kontinuierlich regnen – was logischerweise nicht passieren wird.
Das Wasser, das nun abgepumpt wird, hat sich teilweise über Jahrhunderte hinweg im Boden angelagert. Es fehlt den Binnengewässern an der Oberfläche, die teilweise vom Grundwasser gespeist werden.
Die Regierung sorgt sich um die Arbeitsplätze
Mit dem Grundwasser, das noch da ist, sollte also so sparsam wie möglich umgegangen werden, damit nicht noch mehr Gewässer austrocknen. Doch statt den illegalen Bohrungen den Riegel vorzuschieben, plante die andalusische Regierung des konservativen Regionalpräsidenten Juan Manuel Moreno im vergangenen Jahr die Legalisierung der Felder, um das lukrative Geschäft mit den Früchten weiter zu fördern.
Von den Bauern in Huelva erhielt Moreno Applaus für seine Pläne. Denn für die Region sind die Erdbeeren ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, je nach Jahresertrag bringen sie zwischen 1 und 3 Milliarden Euro.
Die Wichtigkeit der Exporte spiegelt sich auch in den Arbeitsplätzen wider. 14 Prozent der Arbeitsplätze in Huelva sind in der Landwirtschaft zu finden, im spanischen Durchschnitt sind es weniger als 4 Prozent.
Wie geht es jetzt weiter?
Doch die Pläne von Moreno sorgten in den letzten Monaten vermehrt für Streit zwischen der Linkskoalition in Madrid und der Regierung von Andalusien. Es könne nicht sein, dass eine Regierung, die für gerade einmal vier Jahre gewählt worden sei, ein jahrhundertealtes Naturdenkmal zerstöre, sagte Ministerpräsident Pedro Sánchez bereits 2022 bei einem Besuch der Doñana. Die Regionalregierung müsse zu europäischem Recht zurückkehren – eine Anspielung auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vor zwei Jahren, der von «übermässiger Grundwasserentnahme» sprach und davon, dass Spanien zu wenig tue, um die Doñana zu schützen.
Selbst der grösste Bauernverband warnte die andalusische Regionalregierung davor, weiter an ihrem sogenannten «Erdbeerenplan» festzuhalten. Vor einem Monat nahm Moreno schliesslich Abstand von seinem Plan. Die illegalen Anbauflächen sollen jetzt geschlossen und die Betreiber entschädigt werden. Aber noch ist nichts entschieden, zwischen dem Umweltministerium in Madrid und der andalusischen Regionalregierung gibt es zahlreiche Streitpunkte.
Für den Doñana-Nationalpark scheint all das ohnehin zu spät zu kommen. Die International Union for Conservation of Nature (IUCN) strich das Feuchtgebiet Ende 2023 aus ihrem seit 2012 geführten Katalog der gut geleiteten Naturschutzgebiete. Insgesamt stehen auf der Liste 77 Gebiete in 60 Ländern, der Doñana-Park war seit 2015 dabei – und ist das erste Gebiet, das wieder gestrichen wurde. IUCN-Wissenschafter untersuchten in den vergangenen beiden Jahren den Zustand des Parks und kamen zu dem Schluss, dass er gerade einmal 17 der 50 Kriterien der Liste erfülle.
Um das Feuchtgebiet irgendwie noch zu retten, müssten laut dem Umweltaktivisten Romero die Plantagen in unmittelbarer Nähe des Nationalparks gerodet und das gesamte Gebiet auf Bioanbau umgestellt werden. Er schätzt, dass die Grundwasserentnahme um zwei Drittel reduziert werden müsste, damit die Doñana sich erholen könnte.
Eigentlich ist klar: Das Wasser kann langfristig nicht für alle reichen. Für die Familien, die vom Erdbeeranbau leben, müsse darum eine Lösung gefunden werden, sagt Romero. Die spanische Regierung hat vergangenes Jahr ein Hilfspaket im Umfang von mehr als 2 Milliarden Euro für Bauern im ganzen Land verabschiedet. Doch wie es in der Zukunft weitergehen soll, darauf hat niemand eine Antwort.
Konzept und Gestaltung: Anja Lemcke, Text: Nelly Keusch, Daten: Florian Seliger,
Karten: Roland Shaw, Mitarbeit Recherche: Seda Motie
Dieser Artikel ist erstmals am 15. Juli 2023 auf nzz.ch erschienen und wurde umfassend aktualisiert.