Der Vorjahressieger Jon Rahm schlägt eine Fusion der konkurrierenden Golfserien vor. Eine solche Welt-Tour ist allerdings noch in weiter Ferne.
Es ist für jeden Golfspieler eine grosse Ehre, das prestigeträchtigste Turnier der Welt zu gewinnen. Doch Jon Rahm verband mit seinem Masters-Sieg vor einem Jahr noch etwas mehr: die Reminiszenz an einen spanischen Landsmann, der dieses Kunststück vollbracht hatte, als er selbst noch gar nicht auf der Welt war.
«Ich war mir nicht sicher, wie emotional mich das machen würde», verriet er. Doch kurz bevor er beim 18. Loch den Ball einlochte, sicher im Gefühl, dass ihm niemand mehr den Sieg nehmen konnte, erwischte es ihn.
«Geschichte», sagte der 29-Jährige, «ist der entscheidende Grund, warum ich spiele. Und Seve – der Spitzname von Severiano Ballesteros – ist ein riesiger Teil dieser Geschichte.» Seinen Triumph am 66. Geburtstag des 2011 gestorbenen Vorbilds 40 Jahre nach dessen zweitem Masters-Triumph empfand er als «unglaublich bedeutungsvoll».
Sich mit der Geschichte einer Sportart zu identifizieren, ist das eine.
Etwas anderes ist es, diese Geschichte weiterzuschreiben. Auf eine gewisse Weise hat der Nachkomme eines Schweizer Auswanderers, der im frühen 19. Jahrhundert an der baskischen Küste sesshaft wurde, Ende 2023 genau das getan. Damals liess er für ein Rekord-Handgeld von 500 Millionen Dollar, davon 300 Millionen vorab, jene Turnierwelt hinter sich, in der er nach dem Studium in Arizona gross geworden war – und die ihn gross gemacht hatte.
Die Ergebnisse der LIV-Serie werden in der Weltrangliste nicht berücksichtigt
Seitdem tourt Rahm mit anderen abtrünnigen Golfprofis im Rahmen der von saudischen Ölmilliarden finanzierten LIV-Golfserie um die Welt – in einer Veranstaltungsreihe ohne jeden Hauch von Geschichte. Bisher konnte er kritischen Fragen zum Meinungswechsel bezüglich seiner Motivation für den Golfsport ausweichen.
Eigentlich schien seine Position unverrückbar: «Das Beste für mich, meine Zukunft im Golf und mein sportliches Vermächtnis wird die PGA-Tour sein», hatte er im Februar 2022 gesagt.
Umso interessanter wird sein, wie er sich bei seinem ersten Abstecher zurück in den alten Wirkungskreis verkaufen wird: Der Titelverteidiger gehört bei der 89. Auflage des Masters zu einer Gruppe von dreizehn LIV-Golfern. Der Event gibt in der lauen Frühlingsluft von Augusta jedes Jahr vor, besonders traditionsbewusst zu sein. Ein Fall von «enormer Ironie», merkte das Fachmagazin «Golf Digest» vor ein paar Tagen an.
How do you see Jon Rahm at Augusta this week? 🤔 pic.twitter.com/YgReiwvAdy
— Golf Digest (@GolfDigest) April 9, 2024
Mittlerweile preist Rahm seine neue Turnier-Heimat mit den Worten an: «Ich kann Leute, die das noch nicht gesehen haben, nur ermutigen, sich das anzuschauen. Es ist anders. Und es ist unterhaltsam.»
Die LIV-Golfserie ist aber auch dies: ein Turnierformat mit nur drei Runden statt vier, was die Regelhüter der Weltrangliste als Mangel empfinden. Weshalb sie die LIV-Turniere nicht in ihrer Punkte-Kalkulation berücksichtigen. Rahm steht aufgrund seiner alten Ergebnisse zwar noch immer auf dem dritten Platz der Weltrangliste, wird aber sukzessive absacken.
Abtrünnige Golfspieler ohne Major-Siege im Palmarès müssen fürchten, so auf Dauer jenen Status zu verlieren, der ihnen automatisch die Teilnahme am US und am British Open sowie an der PGA-Championship garantiert – also an jenen Turnieren, an denen sich im Golfsport der historische Stellenwert eines Spielers bemisst.
Mit Blick darauf hat Rahm bereits vorgeschlagen, dass die LIV-Manager ihr Programm modifizieren und eine Fusion zu einer Welt-Tour anpeilen sollten. Ein Vier-Runden-Programm würde auf dem Weg dahin «sehr helfen», sagte er der BBC. «Je näher wir LIV-Golf an einige andere Dinge heranführen können, desto besser.»
Jon Rahm has said he would like to go back to playing 72-hole tournaments 💬⛳ pic.twitter.com/RMCZeCfVza
— Sky Sports Golf (@SkySportsGolf) April 9, 2024
Tatsächlich scheint eine Annäherung in weiter Ferne. Über erste Absichtserklärungen sind die involvierten Parteien seit Mitte des letzten Jahres nicht hinausgekommen. Die PGA-Tour – unterstützt von ihren prominentesten Spielern, Tiger Woods und Rory McIlroy, – bemüht sich seither, Investoren zu finden, die Milliarden in die altehrwürdige Turnierserie pumpen, damit Spieler mehr verdienen und nicht länger mit einem Wechsel zur LIV-Serie liebäugeln.
Ein Treffen mit dem Chef des saudischen Staatsfonds im März auf den Bahamas brachte offensichtlich keine weitere Bewegung in die Annäherung. Offensichtlich fehlt es an einer genialen Idee, der alle Streitparteien etwas abgewinnen können.
Tiger Woods rangiert bei den Buchmachern weit hinten
«Nur mit einer solchen», sagte Rory McIlroy, «könnten wir anfangen, an einem Kompromiss zu arbeiten, über den nicht jeder glücklich sein wird, aber der verständlich macht, warum wir tun, was wir tun.»
Der Nordire würde in Augusta gerne den schwelenden Konflikt verdrängen und sich auf sein Spiel konzentrieren. Das Ziel: in Augusta endlich den einzigen Major-Sieg zu erringen, der ihm nach Erfolgen am US Open, am British Open und an der PGA-Championship zum Karriere-Grand-Slam noch fehlt.
Ratschläge von Butch Harmon, dem ehemaligen Schwungtrainer von Tiger Woods, brachten ihn auf die richtige Fährte. Nun will er sich vor allem im mentalen Bereich verbessern. «Mich selbst, meine Emotionen und meine Gedanken kontrollieren» sei der Fokus für die kommenden Wochen, verriet er. Der Rest käme dann von allein. Doch volle Konzentration allein wird für den Superstar der Zunft nicht reichen, um auf dem hügeligen Platz eine bedeutende Rolle einzunehmen.
Tiger Woods tritt unverdrossen erneut an, obwohl er im Jahr zuvor in der dritten Runde aufgeben musste; seit dem schweren Verkehrsunfall 2021 leidet er an körperlichen Problemen. Der 48-jährige fünffache Masters-Gewinner will in Augusta unbedingt den Cut schaffen, der bei den Golfprofis nach zwei Runden die Spreu vom Weizen trennt. Damit würde Woods eine neue Turnier-Bestmarke aufstellen.
Bei den Buchmachern rangiert Woods allerdings weit hinten. Als klarer Favorit mit 5:1 wird Scottie Scheffler gehandelt, der Sieger von 2022. McIlroy folgt auf dem zweiten Platz mit 11:1. Wie gut Jon Rahm derzeit ist, vermag kaum jemand einzuschätzen. Trotzdem vertrauen viele auf den Spanier und räumen ihm die drittbesten Chancen ein. Seine Quote: 12:1.