Die Sozialkommission des Ständerats will den Anstieg der AHV-Lohnabzüge durch eine Senkung der ALV-Lohnabzüge abfedern. Die Rechnung geht nicht auf.
Warum in die Ferne schweifen? Denn das Schlechte liegt so nah. Man muss nicht bis nach Washington schauen, um Abstruses aus der Politik zu vernehmen. Auch die Schweiz liefert Anschauungsmaterial. Den jüngsten Beleg produzierte die Sozialkommission des Ständerats im Zusammenhang mit der Mitte-Volksinitiative für höhere Ehepaar-Renten in der AHV.
Zur Erinnerung: Eine Mitte-links-Allianz ist für die Initiative, obwohl die Ehepaare schon jetzt in der AHV privilegiert sind und Rentner-Ehepaare finanziell besonders gut dastehen. Die Sozialkommission des Ständerats will die Kosten von 3,5 bis 4 Milliarden Franken pro Jahr via Lohnabzüge und Steuern vor allem den Jüngeren anhängen.
Fassade verschönert
Die Kommission schlug zudem vor, dass die Lohnbeiträge für die Arbeitslosenversicherung (ALV) ab 2028 um 0,2 Prozentpunkte sinken – damit die Erhöhung der Lohnbeiträge für die AHV in einer Nettobetrachtung nach Berücksichtigung der ALV-Senkung kleiner erscheint. Das ist ein Marketing-Trick, den die Regierung Trump nicht besser hätte erfinden können.
Die ALV steht finanziell gut da. Sie wies für 2024 einen Einnahmenüberschuss von 1,4 Milliarden Franken aus und hatte Ende 2024 Reserven von 8,2 Milliarden. Zur Finanzierung der ALV gibt es derzeit Lohnbeiträge von 2,2 Prozent bis zu einem Jahreslohn von 148 200 Franken. Formell zahlen dies Arbeitnehmer und Arbeitgeber je zur Hälfte; faktisch dürften die Kosten nach Überwälzungen grösstenteils zulasten der Arbeitnehmer und der Konsumenten gehen. Die Lohnabzüge sind so festgesetzt, dass die ALV bei einer Arbeitslosenquote von etwas unter 3 Prozent eine ausgeglichene Rechnung hat. Die durchschnittliche Arbeitslosenquote von 2000 bis 2024 betrug 2,9 Prozent.
Doch von 2022 bis 2024 lag die Quote im Mittel nur bei 2,2 Prozent. Das bescherte der ALV hohe Überschüsse. Das geltende Recht enthält Ventilklauseln in beide Richtungen. Übersteigen die Schulden der ALV einen Schwellenwert, muss der Bundesrat die Lohnabzüge erhöhen. Übersteigen die Reserven einen Schwellenwert, muss der Bundesrat die Lohnabzüge senken.
Gemäss dem Bundesszenario per Ende 2024 würden unter der Annahme einer durchschnittlichen Arbeitslosenquote von 2,8 Prozent die ALV-Reserven im Jahr 2030 die gesetzliche Eingriffsschwelle übersteigen – und der Bundesrat müsste auf 2031 die Sätze der Lohnabzüge senken. Dies hat nichts mit der AHV zu tun. Die nötigen ALV-Lohnabzüge hängen vielmehr von der Arbeitslosigkeit ab: Nach einer guten Phase am Arbeitsmarkt können die Beitragssätze sinken, nach einer schlechten Phase müssen sie steigen. Die Schwellenwerte sind indes in beide Richtungen so angesetzt, dass der Bund die Beitragssätze in der Regel nicht in hoher Kadenz ändern muss.
Verdüsterte Aussichten
Die geopolitische Lage ist kein gutes Omen für den Schweizer Arbeitsmarkt. Die neue Zollmauer der USA hat das Bild noch deutlich verdüstert. Bei Eskalation des Zollkonflikts ist eine globale Rezession wahrscheinlich; die Schweiz wäre als kleine und offene Volkswirtschaft stark betroffen und müsste mit deutlich höherer Arbeitslosigkeit rechnen. So wäre es gut möglich, dass die ALV-Reserven in den nächsten Jahren statt weiter zuzunehmen wieder abnehmen, womit die ALV den Schwellenwert für Beitragssenkungen auf absehbare Zeit nicht erreichen würde.
Aber die Sozialkommission des Ständerats will trotzdem die Beitragssätze schon 2028 senken. Das erscheint auf den ersten Blick zwar wie eine Entlastung für die Volkswirtschaft, doch dies stimmt nur kurzfristig. Das Gegenstück der kurzfristigen Entlastung wären spätere Mehrbelastungen. Die «vorzeitige» Senkung der Lohnbeiträge würde heissen, dass es in Zukunft schneller wieder zu einer Erhöhung kommt (weil der Schulden-Schwellenwert früher erreicht wird) oder dass es verzögert zu einer weiteren Senkung kommt (weil der Reserven-Schwellenwert verzögert erreicht wird). Damit würde das «bewährte» Prinzip der AHV auch auf die ALV angewendet: Man konsumiere heute zulasten der Jüngeren – aber so gut versteckt, dass dies keiner merkt.
Auf und Ab
Die Geschichte der ALV-Finanzen ist ein Auf und Ab. Bis in die frühen 1990er Jahre lagen die Lohnabzüge für die ALV unter 1 Prozent. Dann stiegen die Abzüge wegen der Wirtschaftskrise in jenem Jahrzehnt bis auf 3 Prozent. In den 2000er Jahren ging es hinunter auf 2 Prozent. Seit 2011 gelten die derzeitigen 2,2 Prozent. Bei der AHV gingen dagegen die Ausgaben und die Lohnbeiträge nur in eine Richtung: nach oben.
Auch den Sozialpolitikern dürfte klar sein, dass die ALV-Lohnabzüge in keinem sachlichen Zusammenhang stehen mit der AHV. So ist die folgende Prognose fast risikolos: Müssten die ALV-Lohnbeiträge wegen längerer Wirtschaftsschwäche steigen, würde kaum jemand zur Abfederung eine Senkung der AHV-Lohnbeiträge verlangen. Als Letzte die Sozialkommission des Ständerats.