Wissen um Epigenetik und Methoden der grünen Gentechnik könnten die Zukunft unserer Ernährung nachhaltig verändern. Gäbe es da nicht wissenschaftsfeindliche Politik und Dauerstreit um Patente.
Manchmal lässt sich von aussen nicht erkennen, dass etwas schon krankt, dass ein Problem sich eingenistet hat, tief unter der Oberfläche. Genau so ist es mit unserer Nahrung. Jahrtausendelang wurden Getreide, Gemüse und Obst auf mehr Effizienz hin gezüchtet, auf Merkmale wie grosse Äpfel oder eine ähnliche Zeit der Erntereife von Weizen. Zudem kreuzen Firmen wie Corteva oder BASF seit etwa vierzig Jahren fast ausschliesslich innerhalb ihrer eigenen Elitelinien. Das hat die genetische Variation von Kulturpflanzen extrem reduziert.
Sind die Erbanlagen eines Lebewesens verarmt, wird es anfällig für Krankheiten und tut sich schwer mit Umweltveränderungen. Nun sammeln Forschende um den Genetiker Ueli Grossniklaus an der Universität Zürich Erkenntnisse, um wieder mehr Vielfalt auf die Äcker und Felder zu bringen – innerhalb derselben Sorte.
Dafür erkunden sie, ob sich Wissen um die sogenannte Epigenetik für die Landwirtschaft nutzen lässt. «Epi» entstammt dem Griechischen und bedeutet «über» oder «auf». Epigenetik greift nicht in die DNA ein. Sie reguliert durch biochemische Prozesse, ob und auf welche Weise verschiedene Zellen in einem Organismus aktiv werden.
Aus Sicht einer Zelle kann man sich die DNA wie ein Buch vorstellen, das alle für sie nötigen Informationen enthält. Die einzelnen Gene bilden eigene Kapitel. Methylgruppen, also Gruppen aus einem Kohlenstoff und drei Wasserstoffatomen, wirken wie bunte Post-it-Marker, die beeinflussen, wie die Zelle ihr DNA-Buch liest.
Schwarze Post-its verdecken Teile des Textes und verhindern, dass Wörter, Sätze oder Kapitel lesbar sind. Die überklebten Informationen sind zwar weiterhin im Buch vorhanden, aber solange das schwarze Post-it sie verdeckt, werden sie von der Zelle nicht berücksichtigt.
Grüne Post-its hingegen dienen als Signal: Aufgepasst! Wichtige Information! Die Zelle hört auf diese Hinweise und liest die grün markierten Stellen besonders genau.
Bei Kulturpflanzen können epigenetische Prozesse etwa beeinflussen, wie lange eine Pflanze ihre Früchte reifen lässt oder wie schnell Samen zu Keimlingen spriessen. Kann man diese Prozesse steuern, lässt das Pflanzen denkbar werden, die Dürren, Überflutungen oder salzigen Böden trotzen. Die Zellen würden die Stellen in ihrem Buch besonders genau lesen, die helfen, mit solchen Herausforderungen umzugehen – und die überklebten Informationen ignorieren.
«Von einer solchen Wirklichkeit sind wir noch weit weg», sagt Ueli Grossniklaus. Die Ackerschmalwand, an der er und sein Team arbeiten, ist ein Modellorganismus. Die Pflanze eignet sich wegen ihres simplen Genoms für Grundlagenforschung. Erkenntnisse lassen sich erst durch weitere Forschung auf komplexere Organismen wie Weizen übertragen. «Wir haben aber durchaus Effekte gefunden, die auch zeitnah nützlich für die Landwirtschaft sein können.»
Der globale Saatgutmarkt wird von drei Agrarriesen beherrscht: Bayer, Corteva und Syngenta besetzen weit mehr als die Hälfte eines Marktes mit bis zu 57,22 Milliarden Dollar Jahresumsatz. In der EU und der Schweiz kontrollieren die fünf grössten Konzerne 95 Prozent des Saatguts für Gemüse.
«Das führt genetisch zu einem engen Flaschenhals auf den Feldern», sagt Grossniklaus. «Unsere Idee ist, diesen Flaschenhals wieder zu vergrössern, indem wir epigenetische Variation hinzufügen.» Das Resultat wären Pflanzen mit gleicher DNA und gleichem Aussehen, aber sie hätten vielfältige epigenetische Anlagen. Das führe zu mehr Resilienz und mehr Ertrag.
Es braucht Wissen zu Epigenetik, um Pflanzen zu verstehen
Induzierte Veränderungen, etwa dass eine Pflanze auf wiederholten Trockenstress hin Strategien gegen Dürrephasen entwickelt, werden epigenetisch eher nicht vererbt, und wenn, dann nur an die direkten Nachkommen. In späteren Generationen sind solche Eigenschaften wieder verschwunden. Deshalb dachten Kulturpflanzenforscher lange, Prozesse der Epigenetik seien für die Pflanzenzucht nutzlos.
«Unsere Forschung zeigt, dass manche selektierbare epigenetische Eigenschaften sehr wohl stabil vererbt werden», sagt Grossniklaus. «Den Flaschenhals durch Epigenetik zu öffnen, ist möglich.»
Kreuzt man Pflanzen, haben die Nachkommen bessere Eigenschaften. Diese Regel ist beinahe genauso alt wie die Kulturpflanzenzucht. Aber welche muss ich mit welcher anderen kreuzen, um welche Merkmale zu erhalten? «Wer ausschliesslich das Genom betrachtet, wird die Herkunft mancher Eigenschaften niemals vollständig entschlüsseln», sagt Claudia Köhler, Direktorin am Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam. «Manche Prozesse kann ich nur verstehen, wenn ich mich mit Epigenetik auseinandersetze.»
Das Wissen um Epigenetik kann das Verständnis erweitern, wie es zur Aktivierung verschiedener Merkmale einer Pflanze kommt. Aktiviert werden kann aber nur, was vorhanden ist. Sind Eigenschaften nicht im Genom einer Sorte veranlagt, müssen sie erst von anderen Pflanzen eingekreuzt werden. Für Virusresistenz etwa ist das ein langer Prozess.
Schon heute vernichten Viren die Hälfte des Erntepotenzials der Erde. Und jedes Jahr mutieren und verbreiten sich Erreger schneller. Forscher am Julius-Kühn-Institut für Epidemiologie und Pathogendiagnostik sagen auf Nachfrage: «Durch Proben aus den deutschen Bundesländern haben wir den deutlichen Eindruck: Da draussen verbreitet sich einiges, von dem wir viel zu wenig wissen.»
Genomeditierung hat viel Potenzial, wären da keine Verbote
Virusresistenz durch konventionelles Kreuzen in eine Weizensorte zu überführen, dauert etwa fünfzehn Jahre. Genomeditierung mit der Genschere Crispr/Cas9 kann diese Zeit auf drei Jahre verkürzen.
«Ja, mithilfe von Crispr lassen sich genetische und auch epigenetische Eigenschaften gezielt verändern», sagt Claudia Köhler. «Doch sobald wir eine spezifische Veränderung erzeugen, gilt das in der EU als GMO.»
Der Anbau von GMO, also gentechnisch modifizierten Organismen, ist in der Schweiz durch ein Gentech-Moratorium seit 2005 verboten; ausgenommen sind Forschungszwecke. Zuletzt wurde das Moratorium bis 2025 verlängert, wohl im Herbst wird neu entschieden. Die EU hat nur eine gentechnisch veränderte Pflanze für den Anbau zugelassen: die Maissorte MON 810.
Und zugelassen heisst nicht erlaubt: Seit Oktober 2015 dürfen EU-Staaten zugelassene GMO national verbieten. Zwei Drittel der Länder haben am Stichtag der Regelung solche Verbote beantragt, auch Deutschland. Dabei gibt es dort seit 2013 keine gentechnisch veränderten Gewächse mehr auf den Äckern.
«In der EU ist es erlaubt und gilt nicht als Gentechnik, Chemikalien oder radioaktive Strahlung zu nutzen, um zufällige Mutationen in Nutzpflanzen zu erzeugen. Sobald jedoch eine gezielte Veränderung am Genom vorgenommen wird, etwa durch Crispr, wird die Pflanze als GMO eingestuft», sagt Köhler. «Das ist ziemlich absurd.»
Auch Eingriffe in die Epigenetik einer Pflanze fallen, sobald gezielt verändert wird, unter das Gentechnikrecht.
Ein Grossteil der Bevölkerung will keine grüne Gentechnik. In einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung von 2024 im Auftrag von swiss.food.ch lehnten 77 Prozent der Befragten gentechnisch veränderte Pflanzen ab. Auch im Nachbarland ist die Skepsis gross: Vier von fünf Deutschen wollen keine Methoden, die ins Erbgut von Nutzpflanzen eingreifen. Argumentiert wird oft damit, dass die Sicherheit grüner Gentechnik nicht feststehe.
Wissenschafter kritisieren diese Erzählung seit Jahren. «Diese Sichtweise ist längst völlig überholt», sagt Nicolaus von Wirén. Der Agrarbiologe ist Direktor des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung. «Unsere Gesetze bremsen ohne faktische Grundlage den Fortschritt aus.»
Das gilt auch für das Potenzial von Ideen, die aus neuen Erkenntnissen zur Epigenetik von Pflanzen entstehen. Und das, obwohl epigenetische Prozesse reversibel sind und erst gar nicht ins Erbgut eingreifen.
Angst wirkt mächtiger als Fakten
Genetiker arbeiten mit Begriffen wie «Manipulation», die ersten Nachkommen einer Züchtung bezeichnen sie als «Mutanten». Solche Wörter verleiten zu Angst. Dabei zeigen Dutzende Studien zur Lebensmittelsicherheit: Die Zuchtmethoden grüner Genomeditierung sind sicher.
Solange Gene derselben Art übertragen werden, kann selbst moderne Sequenzierung nicht zwischen modernen GMO und Ergebnissen erlaubter Zucht unterscheiden, die Pflanzen sind gleich.
Problematisch ist auch die Situation der Patente. Eigentlich dürfen Pflanzen weder in der Schweiz noch in der EU patentiert werden. Sehr wohl patentiert werden darf «biologisches Material». Entstehen durch Methoden der Genomeditierung neue Pflanzen mit bestimmten Eigenschaften, können diese unter Patentschutz fallen.
Das führt zur Streitfrage: Wie lange bleibt eine gentechnisch gezüchtete Pflanze noch eine Pflanze – und wann wird sie zur Biotechnologie? Agrarkonzerne beantworten das meist anders als kleine Saatgutzüchter.
Die Schweiz und die EU werden dieses Jahr entscheiden, wie sie auf diese Frage mit Gesetzen antworten, und festlegen, inwiefern durch Genomeditierung veränderte Pflanzen frei angebaut werden dürfen.
Bis dahin ist die Situation für Pflanzenzüchter vergleichbar mit der eines Architekten, der ein Haus zwar planen und bauen darf, aber nicht weiss, ob jemals jemand dort einzieht.
Ein Artikel aus der «»