Stäbchen ins Maul, DNA-Probe einschicken: So einfach ist es, seinen Hund genetisch zu testen. Solche Untersuche sollen Abstammungen und Krankheiten nachweisen. Doch wie zuverlässig sind die Ergebnisse?
Der Schlüssel zum Hundegenom kommt per Post. In einem gepolsterten Briefumschlag liegen zwei Stäbchen, an deren Enden sich eine Bürste befindet. Mit diesem Werkzeug nimmt man einen Abstrich der Mundschleimhaut: Maul auf, Stäbchen rein, Bürste zwischen Lefze und Kiefer führen. Das Ganze erinnert an einen Corona-Test mit einem ungeduldigen Patienten. 45 Sekunden soll man die Bürste im Hundemaul drehen – eine lange Zeit für einen Vierbeiner, der den Fremdkörper am liebsten zerbeissen würde.
Endlich geschafft! Stäbchen trocknen lassen, zurück in den Umschlag, ab ins Labor. Die Prozedur dient dazu, die Gene des Vierbeiners zu testen. Eine Handvoll Firmen bietet in Europa solche Tests für Privatpersonen an. Zur Auswahl stehen meist zwei Varianten: eine Rassebestimmung und ein Gesundheits-Check. Bei der Rassebestimmung erhalten Kundinnen und Kunden einen Stammbaum, der die Ahnenreihe ihres Lieblings aufzeigen soll. Beim Gesundheits-Check untersucht das Labor, ob Genmutationen vorliegen, die bestimmte Krankheiten auslösen können.
«Ob Krebs, Diabetes oder Übergewicht – Hunde leiden immer mehr unter den gleichen Zivilisationskrankheiten wie wir Menschen», sagt Michael Geretschläger, Geschäftsführer von Feragen. Das Unternehmen aus Salzburg ist einer der grossen Player auf dem Gebiet der Hunde-Gentests. «Gerade junge Leute wollen alles über ihre Hunde wissen», sagt Geretschläger. Das fange schon bei der Frage nach der Rasse an. «Manche machen den Test aus Jux und Tollerei, anderen geht die permanente Fragerei beim Gassigehen auf die Nerven.» Auch für Züchter würden die Tests immer wichtiger: So könnten sie zweifelsfrei nachweisen, dass ihre Tiere gesund und reinrassig sind.
Beim Gesundheits-Check wiederum gehe es um Prävention: «Wenn ich weiss, dass mein Hund eine Prädisposition für eine Herzkrankheit hat, werde ich ihn nicht unbedingt zum Agility-Champion aufsteigen lassen», sagt Geretschläger. «Wenn ich weiss, dass er Augenprobleme bekommt, werde ich vermeiden, im Winter ewig im Schnee zu gehen.» Der Laborchef beteuert: «Wenn ein Hund einen Gendefekt hat, wird die Krankheit früher oder später auftreten.» Wer darauf vorbereitet sei, könne dem Tier ein möglichst langes Hundeleben ermöglichen.
Ein naheliegender Wunsch. Doch stellt sich die Frage: Wie zuverlässig sind solche Prognosen? Und was bedeutet es, wenn eine Mutation auftritt? Wird mein Hund dann zwangsläufig blind (progressive Retina-Atrophie)? Kann er sich irgendwann nicht mehr bewegen (Ataxie)? Oder muss er an einer tödlichen Hauterkrankung sterben (letale Akrodermatitis)? Um nur drei von Hunderten Krankheiten zu nennen, bei denen Gendefekte eine zentrale Rolle spielen.
Hundebesitzer könnten unnötig leiden
In der Fachzeitschrift «Nature» hat sich ein Team um die Bioethikerin Lisa Moses von der Harvard Medical School schon 2018 mit diesen Fragen auseinandergesetzt. Ihr Urteil fällt vernichtend aus: «Haustiergenetik muss unter Kontrolle gebracht werden», heisst es in dem Aufsatz. Geschehe das nicht, würden Unternehmen von irreführenden, ungenauen Informationen profitieren, während «Hundebesitzer unnötig leiden.» Die Befürchtung: Menschen könnten ihre Haustiere falsch behandeln oder sogar «vorsorglich» einschläfern lassen, um ihnen unnötiges Leiden zu ersparen.
Denn die Vorhersagen seien bei weitem nicht so genau, wie es die Anbieter glauben machen wollten. Zwar gebe es tatsächlich defekte Gene, die eine Krankheit auslösen könnten. Ob sie aber wirklich ausbreche, sei unklar. «Einige Anbieter publizieren Fallstudien anhand einiger weniger Hunde – aber nichts in der Grössenordnung, die für statistisch zuverlässige Ergebnisse nötig wäre», monieren die Wissenschafter. Zudem werde oft nur auf eine Genvariante untersucht, selbst wenn es drei gibt. Ein Beispiel: Beim Gen ABCB1 gebe es drei bekannte Mutationen, die Medikamentenunverträglichkeiten auslösen. Getestet werde aber oft nur auf eine Mutation – eventuell die falsche.
Ist diese Einschätzung noch aktuell? «Ich weiss, dass es Fortschritte in der Testmethodik gibt, aber wir haben immer noch keine Ahnung, wie die jeweiligen Firmen ihre Ergebnisse bekommen», antwortet Lisa Moses per E-Mail. Es gebe weder Mindeststandards noch externe Kontrollen wie in der Wissenschaft. «Genauso wichtig ist aber die Tatsache, dass wir immer noch nicht wissen, ob ein individueller Hund wirklich krank wird», ergänzt Moses. Viele Krankheiten entstünden durch ein komplexes Zusammenspiel von genetischen und anderen Faktoren, beispielsweise bei Epilepsie. «Als Tierärztin bin ich besorgt, dass Hundebesitzer die DNA-Ergebnisse als Gewissheiten ansehen und ihre Hunde unnötigen teuren Tests aussetzen.»
Forschende im deutschsprachigen Raum fällen ein milderes Urteil. «Die Tests sind schon sehr genau», sagt Karin Weber, Molekularbiologin an der Kleintierklinik der LMU München. In der Praxis könnten sie durchaus hilfreich sein. «Manche Collie-Rassen vertragen bestimmte Medikamente nicht», erklärt Weber. «Das ist für Tierärzte natürlich gut zu wissen, bevor sie den Hund entwurmen.» Auch sie greife daher manchmal auf solche Tests zurück. Die Schwierigkeit sieht sie darin, wie Privatpersonen die Tests interpretieren: Die Ergebnisse seien nicht immer leicht einzuordnen.
Manche Krankheiten lassen sich behandeln
Auch Tosso Leeb, Direktor des Instituts für Genetik an der Universität Bern, betrachtet die Tests nüchtern. Er selbst arbeitet mit bestimmten Laboren zusammen, die Hunde-DNA untersuchen. «Natürlich sollte ich mir als privater Hundehalter überlegen, ob ich das Ergebnis wirklich wissen will», mahnt Leeb. «Andererseits spart man vielleicht Tausende von Euro an unnötiger Diagnostik, wenn klar ist, für welche Krankheit ein Hund anfällig ist.» Nicht alles müsse man fatalistisch hinnehmen: «Für manche vererbte Stoffwechseldefekte gibt es sogar Behandlungsmöglichkeiten.» Durch eine Ernährungsumstellung lasse sich der Ausbruch einer Erbkrankheit eventuell verhindern.
Ein weiteres Anwendungsfeld der Tests: die Hundezucht. «Handelt es sich um monogenetisch vererbte Krankheiten, so sind Gentests sehr relevant, insbesondere für die Auswahl von Zuchttieren», sagt Christine Aurich, Leiterin der Abteilung für Besamung und Embryotransfer an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Monogenetisch bedeutet, dass Veränderungen an einem einzigen Gen eine Krankheit auslösen, etwa bei der sogenannten ZNS-Atrophie mit zerebellärer Ataxie. Diese Erkrankung des zentralen Nervensystems löst Bewegungsstörungen, Muskelzittern und verminderte Schluckreflexe aus und tritt etwa bei Belgischen Schäferhunden auf. «Bei Vorkommen auf nur einem Chromosom erkrankt das Tier nicht, gibt das Gen aber an Nachkommen weiter», erklärt Aurich. «Hier gibt ein Gentest Gewissheit.»
Bei Krankheiten, die durch Veränderungen an mehreren Genen entstehen, sei die Vorhersage hingegen deutlich schwieriger. Zum Beispiel bei der bei vielen Rassen verbreiteten Hüftgelenksdysplasie, einer Fehlbildung der Hüftgelenke: «Hier gibt es keinen Gentest, sondern die Krankheit ist nur am betroffenen Tier durch Röntgenaufnahmen feststellbar», sagt Aurich.
Und die Rassebestimmung? Hier sind sich die befragten Fachleute einig, dass die Gentests recht genaue Ergebnisse liefern – zumindest, wenn nicht allzu viele Rassen involviert sind. Bei bunten Mischungen wie Strassenhunden, die sich seit Generationen kreuzen, sei die Bestimmung schwierig, so die einhellige Meinung.
Auf die Kritik angesprochen, beteuert Feragen-Geschäftsführer Geretschläger, dass sich die Technik in den vergangenen fünf Jahren deutlich weiterentwickelt habe. «Wir wissen heute sehr genau, welche Gene für welche Krankheiten verantwortlich sind. Aber natürlich gibt es unter 100 000 Hunden auch einmal einen, der einen Gendefekt hat und trotzdem nicht krank wird.» Geretschläger räumt ein, dass es einen Graubereich gibt: «Es ist wie beim Rauchen.» Das führe mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Krebs – aber nicht zwingend.
Diesen «Graubereich» spürte auch ein Team des kanadischen Fernsehsenders CBC. Die Journalisten schickten Proben derselben Hunde an vier verschiedene Anbieter, um die Rassen bestimmen zu lassen. Bei jedem Labor erhielten sie ein anderes Resultat. Ähnlich erging es dem amerikanischen Sender WBZ-TV, der zum Spass auch eine DNA-Probe der Hundehalterin einschickte. Auch sie erhielt ein genaues Ergebnis ihrer vermeintlichen Abstammung: 28 Prozent Bulldogge, 40 Prozent Border-Collie, 32 Prozent Cane Corso.