Partnerschaften zwischen zwei Städten sollen Kulturen und Politik verbinden. Doch nicht immer sorgen sie für positive Beziehungen. Beispielsweise, wenn die Mafia mitmischt.
Wetzikon und Badolato verbindet auf den ersten Blick wenig. Doch seit 2010 besteht eine offizielle Partnerschaft zwischen der Stadt im Zürcher Oberland und der Gemeinde in Kalabrien. Wer nach Wetzikon fährt, sieht auf dem Ortsschild neben dem Wappen der Stadt auch jenes von Badolato. Ein Zeichen einer langjährigen Freundschaft. Die Geschichte der beiden Ortschaften reicht viele Jahre zurück.
Ab den 1950er Jahren zog es viele Badolatesi nach Wetzikon. Sie suchten Arbeit, fanden sie auf dem Bau oder in der Migros und bauten eine grosse Gemeinschaft auf. Sie gründeten den Fussballverein U. S. Virtus Badolato, betreiben das Klubhaus auf dem Wetziker Sportplatz und engagieren sich im lokalen Bocciaklub. Am Stadtfest grillieren sie Salsiccia, und auf der Bühne im Stadtzentrum treten dann Musiker aus Badolato auf. Auch eine offizielle Delegation aus Süditalien reist jeweils an. Die zwei Kulturen sind eng verwachsen, ein Beispiel für eine gelebte Städtepartnerschaft.
Einst Friedenssicherung, heute Lobbying
Städtepartnerschaften schaffen Verbindungen. Besonders auf lokaler Ebene werden sie immer dann zelebriert, wenn der Gemeinde- oder Stadtrat zu seiner jährlichen Reise in die Partnerstadt aufbricht. Da tauschen sich die Delegationen über die lokale Politik und Projekte aus. Es gibt festliche Essen und die eine oder andere Flasche Wein. Früher begleiteten Lokalmedien diese Reisen und hielten sie mit Berichten in der Zeitung fest.
Städtepartnerschaften gelten als wertvolle Plattform für den kulturellen und politischen Austausch. Schweizer Städte und Gemeinden haben über Jahrzehnte rund um den Globus solche Verbindungen geknüpft. Zürich und Kunming, Basel und Miami Beach, Locarno und Nizza, Luzern und Potsdam, Biel und San Marcos in Nicaragua. Ihre Websites präsentieren diese Partnerschaften stolz – wie in einem Sammelalbum.
Die Idee hinter Städtepartnerschaften entstand nach dem Zweiten Weltkrieg. Städte aus verschiedenen Ländern rückten näher zusammen, offizielle Freundschaften sollten den Frieden sichern. Viele europäische Städte setzten damit ein Zeichen der Versöhnung, besonders zwischen ehemaligen Kriegsgegnern. Doch Städtepartnerschaften sind mehr als blosse Freundschaftsbekundungen. Sie sind oft Teil grösserer geopolitischer Strategien und der internationalen Beziehungen vieler Länder.
Daniel Kübler ist Professor für Politwissenschaft an der Universität Zürich und Direktor am Zentrum für Demokratie Aarau. Er sagt: «Zu Beginn stand der zivilgesellschaftliche Austausch im Fokus von Städtepartnerschaften.» Heute stünden andere Interessen im Vordergrund. Die Partnerschaften seien wirtschaftlich relevanter geworden, würden strategischer genutzt, und die Städte organisierten sich mittlerweile vor allem in Verbänden. «Die Verbindungen sind multilateraler, oft spielen ökonomische Aspekte eine Rolle. Die Städte können so Lobbying betreiben», sagt Kübler.
Zürich wollte Entwicklungsarbeit leisten
Gleichzeitig verlieren die klassischen Städtepartnerschaften durch die Globalisierung an Bedeutung. Sie werden nicht mehr so intensiv gelebt wie früher. Statt Besuche finden nun virtuelle Treffen und Konferenzen statt. In vielen Fällen sind die Partnerschaften abgekühlt, der Austausch erfolgt nur noch selten. Auch in den Medien finden sie immer seltener statt, und die Bevölkerung nimmt sie kaum noch wahr.
Christian Jenny, Gemeindepräsident von St. Moritz, sagte kürzlich dem SRF: «Ich behaupte, unsere Einwohner wissen nicht, welche unsere Partnerstädte sind.» Dabei könnte sich die Bündner Gemeinde mit ihren Schwesterstädten Kutchan in Japan, Vail in den USA und Bariloche in Argentinien durchaus über verschiedene Themen austauschen. Alle vier Orte sind bekannte Wintersportdestinationen, darum gingen sie einst auch eine Partnerschaft ein. Für Daniel Kübler ergeben die Verbindungen immer noch Sinn. «Es gibt immer mehr amerikanische Firmen, die in der Schweiz Skigebiete übernehmen. Wenn in St. Moritz Ähnliches passieren sollte, kann die Partnerschaft mit Vail aus strategischer Sicht nicht schaden.» Der Gemeindepräsident Jenny sieht jedoch keinen touristischen oder politischen Nutzen mehr und stellt infrage, ob seine Gemeinde diese Verbindungen noch braucht.
Wie sinnvoll sind Städtepartnerschaften heute also noch?
Für Daniel Kübler lässt sich diese Frage nicht pauschal beantworten. Er sagt: «Es hängt vom ursprünglichen Zweck der Partnerschaft ab.» Als Beispiel nennt er Zürich und die chinesische Stadt Kunming. Vor über vierzig Jahren sei Zürich die Verbindung vor allem aus Eigeninteresse eingegangen. Direkt profitiert habe die Stadt nicht, denn es sei zunächst um Entwicklungsarbeit gegangen. «Der Stadtrat wollte den Wählern zeigen: Wir engagieren uns für die Schwächeren», sagt Kübler. Eine Art kleine Aussenpolitik. Später sei es dann um wirtschaftliche Kontakte zwischen Zürcher Unternehmen und chinesischen Firmen gegangen.
Heute sieht die Lage anders aus. China gilt nicht mehr als Entwicklungsland, und die Partnerschaft brachte Zürich jüngst mehr Probleme als Vorteile. Die politische Debatte über die Menschenrechte in China wurde lauter. Einige Zürcher Parteien forderten die Auflösung der Verbindung. Der Stadtrat entschied sich dagegen, versetzte die Partnerschaft aber in einen «inaktiven Zustand».
Daniel Kübler sagt, dass die Stadt Zürich richtig gehandelt habe, auch wenn die Partnerschaft ihren eigentlichen Zweck nicht mehr erfülle. «Eine Auflösung hätte signalisiert: Wir wollen nichts mehr mit euch zu tun haben.» Ein solcher Schritt könne geopolitische Spannungen auslösen, sagt Kübler. Es kann zu diplomatischen Verstimmungen kommen. Das musste die australische Kleinstadt Wagga Wagga feststellen, als sie vor einigen Jahren die Partnerschaft mit Kunming auflösen wollte. Zürich hingegen halte sich eine Türe offen, sagt Kübler. «Ein inaktiver Zustand der Partnerschaft kostet nichts. Und vielleicht gibt es irgendwann einen Grund, die Verbindung wieder zu aktivieren.»
Wenn ein Reputationsrisiko droht
Anders sieht es in Wetzikon aus. Die einst vorbildliche Partnerschaft mit Badolato geriet ins Wanken. Anfang Februar stellte die italienische Justiz Badolatos Bürgermeister Nicola Parretta unter Hausarrest – zusammen mit weiteren Behördenmitgliedern. Die Vorwürfe: Korruption, Einschüchterung, Gewaltandrohung. Parretta solle enge Verbindungen zur Mafia haben, berichtet der «Zürcher Oberländer». Die ’Ndrangheta, die ihre Wurzeln in Kalabrien hat und als einflussreichste Mafiaorganisation Europas gilt, habe Parrettas Wiederwahl vor vier Jahren ermöglicht. Doch laut lokalen Medien ist der wahre Entscheidungsträger in Badolato kein gewählter Politiker, sondern ein hochrangiges Mitglied der Mafia. Parretta bestreitet alle Vorwürfe.
Wetzikon hat die Verbindung mit Badolato vorerst sistiert. Die geplante Sommerreise des Stadtrates nach Italien wurde abgesagt. Laut Daniel Kübler bergen solche Vorfälle ein Reputationsrisiko für die involvierte Gemeinde. «In so einem Fall sollte man die Partnerschaft besser beenden.»
Der Wetziker Stadtpräsident Pascal Bassu will jedoch an der Partnerschaft mit Badolato festhalten, wie er in der Lokalzeitung sagte. Die beiden Gemeinden sind dann doch zu eng verbunden, als dass sie einen solch radikalen Schritt gehen würden – eben eine echte, langjährige Freundschaft.
Oder vielleicht spiegelt sich in Wetzikon einfach ein Stück Geopolitik im Kleinen.