Das Industrieunternehmen trennt sich vom zyklischen Geschäft, die Börse jubiliert. Ausserdem: Die Schokoladenhersteller kämpfen mit zwei Herausforderungen, Gurit steht am Ende – und am Anfang, und ein Wort zu Eli Lilly und Novo Nordisk.
Geschätzte Leserin, geschätzter Leser
Es ist das Ende einer langen Geschichte: Georg Fischer verabschiedet sich von Machining Solutions und will auch die Sparte Casting Solutions aufgeben. Der Grundstein der Aktivitäten im Maschinenbau und in der Herstellung von Leichtbaukomponenten liegt über hundert Jahre zurück. Übrig bleibt ein auf den Transport von Wasser spezialisiertes Industrieunternehmen. «Wir beschleunigen unsere strategische Positionierung auf Water und Flow Solutions», sagte CEO Andreas Müller an der Telefonkonferenz am Mittwochmorgen.
Tatsächlich erfüllt Georg Fischer mit der heute präsentierten Restrukturierung lange gehegte Anlegerwünsche. Seit Jahren war die noch stärkere Fokussierung ein Thema, durch die transformative Übernahme von Uponor im Bereich Water Solutions 2023 sind die fordernden Stimmen lauter geworden. Das Schaffhauser Unternehmen wird mit einem Umsatz von rund 3,2 Mrd. Fr., basierend auf den Angaben für 2023, künftig zwar rund ein Drittel kleiner sein, dafür über den Zyklus schneller wachsen und eine höhere Profitabilität aufweisen. Die Widerstandskraft wächst weiter.
Die Börse reagiert wenig überraschend erfreut, sogar hoch erfreut.
Da kann man schon mal wohlwollend über die gleichzeitig publizierte Gewinnwarnung hinwegschauen, wie es die Zürcher Kantonalbank formuliert: Die noch im Sommer angekündigte Erholung – speziell im Automotive-Segment – ist, wie schon im Sommer befürchtet, nicht eingetreten. Neu rechnet Georg Fischer für die gesamte Gruppe mit einer vergleichbaren operativen Marge auf Stufe Ebit von rund 9%, davor waren 10 bis 12% angepeilt worden. 2024 wird zum Transformationsjahr erklärt. Und ich will glauben, dass es dabei bleibt.
Der Verkauf von Machining Solutions an United Grinding Group von Martin Ebner macht somit strategisch aber auch finanziell Sinn. Der Kaufpreis von 630 Mio. bis 650 Mio. Fr. ist angemessen, er liegt gemäss den Analysten der Zürcher Kantonalbank im Rahmen der Bewertung des Gesamtkonzerns, obwohl es sich um ein konjunktursensitives Geschäft handelt. Die Transaktion soll bis spätestens Anfang des zweiten Quartals 2025 abgeschlossen werden. Ob der Kaufpreis am oberen Ende der Spanne zu liegen kommt, liegt laut Müller an der operativen Gewinnentwicklung der Sparte im kommenden Jahr. Die anfallenden Einmalkosten seien minimal.
Ein grösserer Knackpunkt ist die Zukunft von Casting Solutions, für das gegenwärtig alle Optionen geprüft werden. Doch auch dieser Deal soll laut dem CEO bis Ende 2025 abgeschlossen sein. Geht es nach ihm, findet GF auch für das Geschäft mit Leichtbaukompenenten einen strategischen Käufer. Die Frage, ob man mit einem früheren Verkauf, in einem besseren Marktumfeld nicht einen höheren Preis hätte erzielen können, versuchte Müller mit dem Verweis auf die übrigen Geschäftsfelder wie den Flugzeugbau neben dem sehr schwachen Automotive-Bereich aus dem Weg zu räumen. Aber klar ist: Casting Solutions ist mit Blick auf die serbelnde europäische Autoindustrie Georg Fischers Sorgenkind.
Mit Blick auf die Umsatzverteilung der heutigen Gruppe und der weltweiten Marktposition des verbleibenden Geschäfts kann einen der heute angekündigte Schritt nicht überraschen, im Gegenteil. Gegenwärtig ist GF im Rohrleitungsgeschäft weltweit die Nummer zwei. Aber in diesem sehr fragmentierten, strukturell stark wachsenden Markt glaubt CEO Müller auch dank akquisitorischen Wachstums bis 2030 zur Nummer eins aufsteigen zu können. Die mittelfristigen Ziele für die kommenden fünf Jahren sollen im 2025 konkretisiert werden. Die Übernahme von Uponor hat die Ausgangslage verändert und gab den Startschuss für diese strategischen Überlegungen. Seit mehr als einem Jahr habe GF nach einer Lösung gesucht, bestätigte Müller.
Mit den Einnahmen aus dem Verkauf will das Unternehmen die durch die Uponor-Übernahme massiv gestiegenen Schulden reduzieren. Per Ende Jahr dürfte sich das Verhältnis von Nettoschulden zu Ebitda auf 3 belaufen. Angesichts des absehbaren Geldsegens wird auch klar, wieso GF die Schuldensituation leicht nahm und keine Eile ausstrahlte, die Brückenfinanzierung von 636 Mio. Fr. durch eine Anleihe abzulösen. Das Darlehen in Höher von knapp 1 Mrd. Fr. soll durch die Ausgabe zweier Bonds refinanziert werden. Der Leverage dürfte bis im Sommer 2025 auf 2,5 bis 2,7 sinken. Die geringere Schuldenlast gebe dem Unternehmen auch Raum für ergänzende Übernahmen im Wert von bis zu 200 Mio. Fr., sagte Müller. Und da wäre auch noch der mögliche Erlös aus dem Verkauf von Casting Solutions.
Alle Puzzleteile lagen auf dem Tisch, ich hätte sie nur zum Gesamtbild zusammensetzen müssen: Georg Fischer erscheint ab 2025 in neuem Kleid.
Apropos auf dem Tisch: Mit der Übernahme des GF-Geschäftsteils wird Käuferin UGG künftig schätzungsweise rund 1,5 Mrd. Fr. Umsatz im Jahr machen. Nach erfolgreicher Integration könnte der Maschinenhersteller durchaus selbst zum Börsenkandidaten werden. Ein IPO war schon im Jahr 2018 angedacht gewesen, bevor sich Investor und Gründer der BZ Bank Martin Ebner die frühere Tochter der deutschen Körber-Gruppe schnappte.
Gute Neuigkeiten für Schokoladenliebhaber: Die ersten offiziellen Erntedaten der neuen Kakaosaison (Oktober bis Januar respektive Juni) deuten gemäss Angaben aus der Elfenbeinküste darauf hin, dass der Ertrag höher als vor Erntebeginn erwartet und deutlich ergiebiger als noch 2023/24 ausfallen wird. Von einem 13 bis 25% höheren Angebot aus der Region ist im Artikel der Nachrichtenagentur Bloomberg die Rede. Gleichzeitig ist die Nachfrage nach Schokolade im wichtigen europäischen Markt gesunken.
Damit hat sich auch die Lage am Kakaomarkt seit Mitte Oktober etwas entspannt. Zwar kostet eine Tonne der Bohnen mit rund 7000 $ noch immer fast zweimal so viel wie im Sommer 2023. Drei aufeinanderfolgende schlechte Ernten in Westafrika standen am Anfang des steilen Preisanstiegs, der durch Marktverwerfungen noch befeuert worden war. Doch scheint sich die Angebot-Nachfrage-Situation auf dem neuen Preisniveau einzupendeln.
Da Lindt & Sprüngli nur einen Teil des für 2025 benötigten Kakaos bereits vor dem starken Preisanstieg preislich abgesichert hatte, werden die entsprechenden Kosten laut der Zürcher Kantonalbank nochmals erheblich steigen, um rund 50% schätzt der zuständige Analyst Patrik Schwendimann in einer jüngst veröffentlichten Studie. Weil Kakao etwa ein Drittel zu dem Rohstoffkosten beitrage – ein weiterer Drittel entfalle je auf andere Inhaltsstoffe wie Milch sowie auf Verpackungskosten – müsse der Schokoladenhersteller die Preise erneut im hohen einstelligen bis niedrigen zweistelligen Prozentbereich erhöhen und bei den Marketingkosten sparen, um die operative Marge konstant halten zu können.
Dank dem Fokus auf Premiumprodukte und dem sehr hohen Umsatzanteil an Weihnachten und Ostern, wo Käuferinnen für ihre Geschenkeinkäufe nicht besonders auf den Preis achten, traue ich es dem Konzern durchaus zu, die Preiserhöhungen durchzubringen, ohne markant Verkaufsvolumen einzubüssen. Das ist an sich nichts Neues. Verschärft hat sich indes die Lage mit Blick auf das Umfeld im Konsumgütersektor: Dieses ist noch rauer und gerade im wichtigen US-Markt deutlich preissensitiver geworden.
Das lastet derzeit wohl auf dem Kurs der Partizipationsscheine, der sich der Marke von 10’000 Fr. nähert. Mit dem Wissen, wie erfolgreich Lindt & Sprüngli durch frühere Abschwünge navigierte, halte ich den Pessimismus für übertrieben. Auf dem gegenwärtigen Niveau lohnt es sich, die chronisch teuren Titel im Blick zu behalten.
Auch Barry Callebaut scheint gegenwärtig mit den gestiegenen Inputkosten umgehen zu können. Das Unternehmen verwies anlässlich der Präsentation der Halbjahreszahlen Anfang Oktober einmal mehr darauf, dass es die höheren Beschaffungskosten dank seinem Cost-Plus-Modell an die Kunden weitergeben könne. Und auch die Sorgen, dass durch Barrys Tätigkeit als Kakaohändler die gestiegenen Vorräte das Umlaufvermögen aufblähen und den Handlungsspielraum einengen könnten, haben sich gelegt. Deutlich schwerer als Lindt trifft Barry wohl aber die allgemeine Krise im Nahrungsmittelsektor. Die gestiegenen Preise lasten auf der Nachfrage, das spüren auch andere Schweizer Unternehmen aus dem Konsumbereich – allen voran Nestlé.
Umso wichtiger wäre es, dass sich der Markt nachhaltig entspannt und die Preise wieder sinken. Aber aus meiner Sicht ist mehr als ein Durchatmen nicht möglich. Zu gross ist die Lust der Welt auf Schokolade, zu abhängig ist die Produktion von Umwelt- und Wettereinflüssen. Kakao dürfte auch weiterhin teuer bleiben.
Das Verdikt des Marktes zu Mitja Schulz› Zeit als CEO bei Gurit ist hart: –92% beträgt die Kursperformance der Aktien seit Anfang 2021.
Gut, Schulz ist praktisch zum Höhepunkt eingestiegen. In seine Zeit fällt die vollständige Fokussierung von Gurit auf Windkraft, das Luft- und Raumfahrtgeschäft wurde im Frühjahr 2022 verkauft, kurz darauf die Übernahme von Fiberline Composites A/S, einem Hersteller von Carbon- und Glasfaserprodukten für Windturbinen angekündigt. Zu diesem Zeitpunkt litt der Spezialkunststoffhersteller bereits unter der schwachen Nachfrage nach Windrotorenblätter. Diese sollte sich nicht mehr richtig erholen.
Der Windturbinenbau steckte jahrelang in der Krise. Und als erste Hoffnungsschimmer am Horizont auftauchten, war der Lagerbestand bei Gurits Kunden noch immer hoch, wie das Unternehmen anlässlich der Präsentation der Halbjahreszahlen im Mitte August kommunizierte. Längerfristig droht das Ungemach aber vor allem aus China: Mit Mingyang Smart Energy hat im August erstmals ein chinesischer Turbinenhersteller den Zuschlag zur Realisierung eines Windparks in der deutschen Nordsee erhalten. Die chinesische Überproduktion verstärkt den Preisdruck in einer eh schon umkämpften Industrie, das dürften auch europäische Zulieferer zu spüren bekommen.
Mit den heute veröffentlichten Neunmonatszahlen verfehlt Gurit die Erwartungen erneut. Bereits hätten erste Kunden die intensivierte Konkurrenzsituation ausgenutzt, um günstiger an Carbonfasern zu kommen, schreibt das Unternehmen in der Mitteilung. Bei den hochleistungsfähigen Produkten erwartet es aber ein anhaltendes Wachstum. Gurit reagiert auf die herausfordernde Situation mit einem Massnahmenbündel insbesondere zur Redimensionierung des Windgeschäfts: Künftig will sich Gurit nur auf jene Geschäftsteile konzentrieren, wo sie einen klaren Vorteil gegenüber dem Konkurrenz ausmacht. Daneben sollen die Kosten gesenkt und das Wachstum über andere Bereiche gefördert werden.
Es ist ein Abkehr von der Strategie unter Mitja Schulz, und ein Eingeständnis, dass die Fokussierung gescheitert ist. Der CEO verlässt das Unternehmen per sofort, ersetzt wird er vorübergehend durch CFO Javier Perez-Freije, der erst im Mai zum Unternehmen stiess.
Ein Trostpflaster für Schulz: Nach der heutigen Ankündigung seines Abgangs ging es mit dem Aktienkurs nochmals rund 15% nach unten.
Holcim hat einmal mehr geliefert. Am vergangenen Freitag präsentierte der Zementkonzern starke Zahlen fürs dritte Quartal. Trotz unerwartetem Volumenrückgang konnte er die Profitabilität erneut steigern. Insbesondere Projekte mit grünen Baumaterialien trugen dazu bei. An der Börse kam das zunächst nicht besonders gut an. Der Aktienkurs notierte praktisch unverändert.
Doch diese Woche ist Zug in die Titel gekommen. Am Dienstag erreichten sie bei fast 86 Fr. ein neues Höchst.
50% haben die Aktien seit dem Start von Jan Jenisch als CEO vor etwas mehr als sieben Jahren mittlerweile zugelegt. Dabei ging es eine Weile, bis der Markt Vertrauen fasste; den grössten Teil dieses Gewinns verzeichneten die Valoren in den vergangenen zwölf Monaten.
Nun beginnt für Holcim unter Miljan Gutovic und Jenisch als wohl aktiver Verwaltungsratspräsident eine neue Ära. Und die ist von mehr Zuversicht geprägt als die letzte. Getrieben wurde der jüngste Kursanstieg von Schätzungsanpassungen der Analysten: Gleich mehrere hoben die Erwartungen für das laufende und das kommende Geschäftsjahr an. Hinzu kommt die Fantasie über die für das erste Halbjahr 2025 geplante Abspaltung und eine mögliche Kotierung des US-Geschäfts in der Schweiz.
Ich bleibe dabei, der Konzern ist auf Kurs.
Und zum Schluss noch dies: Falls Sie den «Economist» lesen, dann dürfte Ihnen aufgefallen sein, dass das Wirtschaftsmagazin die Titelgeschichte der letztwöchigen Ausgabe den phänomenalen «Fett weg»-Präparaten von Novo Nordisk und Eli Lilly gewidmet hat.
Als «Everything Drugs», Medikamente gegen alles, werden Ozempic/Wegovy des dänischen Pharmakonzerns Novo Nordisk bzw. Mounjaro/Zepbound des US-Rivalen Eli Lilly bezeichnet. Nicht nur gegen Diabetes und Fettleibigkeit sollen die Medikamente helfen, sondern auch zur Vorbeugung von Herz-/Kreislauf-Krankheiten, chronischen Nierenleiden, Alzheimer, Sucht und weiteren Gebrechen.
Kein Zweifel: Die GLP-1-Medikamente zählen zu den grössten Forschungsdurchbrüchen der pharmazeutischen Industrie der vergangenen Jahrzehnte. Ihr Potenzial ist riesig, das will ich hier gar nicht abstreiten. Bloss: Wir scheinen es wieder einmal mit einem typischen Fall des «Magazine Cover Curse» zu tun zu haben: Wenn Magazine wie der «Economist», «Time» oder «BusinessWeek» ein Thema auf ihr Titelblatt nehmen, ist das nicht selten ein Zeichen, dass das Thema an den Finanzmärkten schon längst eingepreist ist und danach eher enttäuschende Nachrichten folgen.
Nur ein Beispiel: Im November 2009 publizierte der «Economist» ein Loblied auf Brasilien, nachdem das Land als Austragungsort der Fussball-Weltmeisterschaft und der Olympischen Sommerspiele auserkoren worden war. Das wäre ein guter Zeitpunkt für Investoren gewesen, «short» Brasilien zu gehen, denn wenige Monate später erreichte der Bovespa-Index seinen Höhepunkt und begann einen zähen, mehr als sechs Jahre dauernden Niedergang.
Dieses Mal dauerte es keine Woche. Eli Lilly hat heute die Gewinnprognosen für das laufende Jahr gesenkt. Der Grund: enttäuschende Verkäufe der Diabetes- und Abnehmmedikamente Mounjaro und Zepbound. Die Titel des amerikanischen Pharmariesen büssen im vorbörslichen Handel in New York mehr als 10% ein. Die Aktien des dänischen Konkurrenten Novo Nordisk verlieren in Kopenhagen mehr als 4% – und auch in der Schweiz und in Deutschland sind die Ausläufer des Bebens zu sehen: Das Burgdorfer Unternehmen Ypsomed, das Injektoren für die GLP-1-Medikamente liefert, verliert gut 5%. Gerresheimer büsst in Frankfurt mehr als 4% ein.
Freundlich grüsst im Namen von Mrs Market
Gabriella Hunter