Seit Wochen demonstrieren Zehn-, ja Hunderttausende in der Südkaukasus-Republik. Das zunehmend repressive Vorgehen der Regierung bedroht die Öffnung nach Europa.
Der Widerstand in Georgien gegen ein im In- und Ausland vehement kritisiertes Gesetz hat am Dienstag einen Höhepunkt erreicht. In dritter und letzter Lesung verabschiedete das Parlament dieses als «Agentengesetz» bezeichnete Vorhaben. Es verpflichtet Medien und nichtkommerzielle Organisationen mit mehr als zwanzig Prozent ausländischer Finanzierung dazu, sich als «Agenten ausländischen Einflusses» zu registrieren und über jede Form ausländischer Unterstützung öffentlich Rechenschaft abzulegen. Jetzt kann die Präsidentin Salome Surabischwili ihr Veto einlegen, das aber von der Parlamentsmehrheit überstimmt werden wird.
In Tbilissi wappneten sich am Dienstag Demonstranten und Spezialkräfte der Polizei für Zusammenstösse. Als sich am frühen Nachmittag die Kunde von der definitiven Annahme des Gesetzes unter den Protestierenden verbreitete, versuchten einige, die metallenen Bauwände rund ums Parlamentsgebäude zu durchbrechen.
Machtvoller Protest beeindruckt Regierung nicht
Mit dem «Agentengesetz» – das befürchten Hunderttausende von Georgierinnen und Georgiern – verbaue die vom Milliardär Bidsina Iwanischwili geführte Regierungspartei Georgischer Traum der Südkaukasus-Republik den Weg nach Europa. Seitdem die parlamentarischen Beratungen vor vier Wochen überraschend wieder aufgenommen worden waren, riss der Strassenprotest nicht ab. Täglich kamen Zehntausende vor dem Parlament in der Hauptstadt Tbilissi zusammen, oft bis in die späte Nacht hinein. Immer wieder reagierte die Polizei mit Tränengas, Wasserwerfern und Festnahmen. Am Wochenende erreichte der Protest in Tbilissi präzedenzlose Ausmasse, als 200 000 oder gar mehr Personen friedlich ihren Unmut kundtaten.
Regierungsvertreter aus den USA und Europa stärkten ihnen den Rücken und riefen die georgische Regierung zum Einlenken auf, nicht ohne implizite Warnungen vor schwerwiegenden Konsequenzen. Besonders die angedrohte Sistierung der visafreien Einreise in die EU wäre sehr schmerzhaft, träfe sie doch gerade die demonstrierende Jugend und überhaupt die nach Westen ausgerichteten Schichten am härtesten. Ministerpräsident Irakli Kobachidse behauptet, die schweigende Mehrheit der Bevölkerung stehe hinter dem Gesetz. Zu Zugeständnissen scheinen die Regierung und vor allem ihr Pate Iwanischwili bis jetzt nicht bereit.
So scheint es, als lasse sich der machtvolle Protest, der über die formelle politische Opposition weit hinausgeht, nur noch mit Gewalt und der Repression gegen Andersdenkende unterdrücken. Seit Tagen werden Protestierende von Schlägertrupps angegriffen, mit Telefonterror bedrängt und mit Aushängen quasi als Volksfeinde angeprangert.
Furcht vor «russischen Verhältnissen»
Die Protestbewegung ist bemerkenswert. Sie kennt keine Anführer, sie lebt von der Selbstorganisation der unterschiedlichen Akteure, die sich ihr angeschlossen haben, und sie hält sich bewusst fern von der politischen Opposition. Deren Vertreter besitzen in dem von der jungen Generation dominierten Strassenprotest keinen Rückhalt. Das ist so nachvollziehbar wie problematisch, weil dadurch völlig unklar ist, wie der Widerstand in eine politische Bahn gelenkt und im Hinblick auf die Parlamentswahl im Oktober fruchtbar gemacht werden kann.
Die Demonstranten eint vor allem der Wunsch nach einer Integration Georgiens in Europa, der laut Umfragen von einer überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung geteilt wird. Auch die Partei Georgischer Traum sprach lange davon, wenngleich der in Russland reich gewordene Iwanischwili stets gute Beziehungen nach Moskau suchte. Jüngst kippte aber auch die Rhetorik Iwanischwilis und Kobachidses in hysterisch-antiwestliche Behauptungen. Sie bezeichneten die Opposition und Nichtregierungsorganisationen als «Parteien des Krieges», die Georgien gegen Russland in Stellung bringen wollten. Mit ihren Vertretern sei abzurechnen.
Doch nicht zuletzt wegen des Gefühls der russischen Bedrohung streben die Georgier nach Europa. Russland wird als Macht gesehen, die 2008 – wiewohl provoziert durch die damalige georgische Führung unter Micheil Saakaschwili – vor die Tore Tbilissis vorstiess und die die abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien de facto besetzt hält.
Das «Agentengesetz» ist auch deshalb zu einer Art Schicksalsfrage geworden. In Russland leitete ein Gesetz ähnlicher Ausrichtung 2012 definitiv die Wende zum Autoritarismus ein. Die Transparenz, die das Gesetz angeblich herstellen soll, ist auch nach dem Urteil von Juristen nur ein Vorwand dafür, Organisationen das Leben zu erschweren, die der Regierung aus ideologischen Gründen nicht passen.
Das Beispiel Russlands zeigt, wohin das führt: Als «ausländischer Agent» wird jeder gebrandmarkt, der anders denkt und handelt, als es der Staat vorsieht. Wie nah Georgien dem bereits gekommen ist, zeigen die Einschüchterungsversuche gegenüber Vertretern der Zivilgesellschaft, die sich besonders vehement am Protest gegen das «Agentengesetz» beteiligen. Für Georgiens Politik und Gesellschaft ist die Entwicklung ein Debakel. Die Polarisierung lähmt das auch für Europa strategisch wichtige Land, und eine politische Lösung ist nicht in Sicht.