Donald Trump verhängte Sanktionen gegen den Internationalen Strafgerichtshof, Joe Biden hob sie wieder auf. Nun fällt dem amerikanischen Präsidenten der ICC im Nahostkonflikt selbst zur Last. Aber sein politischer Handlungsspielraum ist begrenzt.
Joe Bidens Balanceakt im Gaza-Krieg ist bereits jetzt ein akrobatisches Kunststück. Nun versucht ihn auch noch der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) aus dem Gleichgewicht zu bringen: Am Montag beantragte Karim Khan gleich fünf Haftbefehle. Einen gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu, einen gegen dessen Verteidigungsminister Yoav Gallant und drei gegen Führungsfiguren der Hamas. Allen Beschuldigten wirft Khan dabei Kriegsverbrechen vor, darunter auch den Tatbestand der Ausrottung.
Der amerikanische Präsident reagierte auf die Ankündigung, wie er in den vergangenen Monaten praktisch immer auf unangenehme Neuigkeiten zum Nahostkonflikt reagierte: mit grosser Empörung, aber ohne echte Konsequenzen ins Auge zu fassen. Biden nannte das Vorgehen des Chefanklägers in Den Haag «ungeheuerlich». Was auch immer Khan damit implizieren wolle: «Es gibt keine Gleichwertigkeit – keine – zwischen Israel und der Hamas», verlautete der Präsident in einem kurzen Statement am Montag.
Später am Montag doppelte Biden in einer Rede nach. Was im Gazastreifen passiere, sei kein Genozid, betonte er. «Wir unterstützen Israel, um (den Hamas-Führer) Sinwar und die übrigen Schlächter der Hamas zu eliminieren.» Die USA arbeiteten mit Israel zusammen, um die Hamas zu besiegen.
Republikaner fordern Sanktionsgesetz
Im Gegensatz zu Biden und seiner Demokratischen Partei fordern die Republikaner derweil «harte Sanktionen» gegen den ICC. In einem Brief an Khan drohten zwölf republikanische Senatoren bereits im April mit Vergeltungsmassnahmen, sollte er Haftbefehle gegen israelische Politiker beantragen. Ein solches Vorgehen wäre auch eine Bedrohung für die Souveränität der USA: «Wenn Sie Israel ins Visier nehmen, nehmen wir Sie ins Visier.»
Die republikanische Kongressabgeordnete Elise Stefanik hat dem Repräsentantenhaus derweil bereits ein Sanktionsgesetz gegen den ICC vorgelegt. Es trägt den klingenden Namen «Illegitimate Court Counteraction Act». Würde es verabschiedet, müsste der Präsident mit Einreise- und Kontensperrungen gegen Mitarbeiter des Strafgerichtshofs in Den Haag und ihre unmittelbaren Familienmitglieder vorgehen, sollte der ICC gegen amerikanische Bürger oder Verbündete der USA ermitteln.
Der Kongress müsse das Gesetz verabschieden, forderte Stefanik am Montag. Der ICC sei ein «unrechtmässiges Gericht», das eine friedliche Nation mit einer radikalen Terrorgruppe gleichstelle.
Zufällig war Stefanik am Montag gerade in Israel zu Besuch, wo sie auch Ministerpräsident Benjamin Netanyahu traf. Dieser führe sein Land gerade durch eine der dunkelsten Zeiten in dessen Geschichte, und die USA müssten klar zu Israel stehen, schrieb die führende Abgeordnete auf dem Kurznachrichtendienst X nach dem Treffen. Gegenüber israelischen Parlamentariern hatte Stefanik bereits am Sonntag einen Seitenhieb gegen Biden gelandet. Die militärische Hilfe für Israel müsse bedingungslos sein, meinte sie. «Es gibt keine Entschuldigung für einen amerikanischen Präsidenten, Hilfslieferungen an Israel zu blockieren, die vom Kongress bereits bewilligt wurden.»
Stefanik spielte damit auf Bidens kürzlich getroffene Entscheidung an, eine Lieferung von 500- und 2000-Pfund-Bomben an Israel auf Eis zu legen. Es war der bisher erste wirkliche Druckversuch des Präsidenten, um Israel von einer grossen Bodenoffensive in der Stadt Rafah im Gazastreifen abzuhalten. Doch die Republikaner warfen Biden pauschal vor, ein «Waffenembargo» gegen Israel verhängt zu haben. Gleichzeitig kam der Präsident auch unter Druck vonseiten proisraelischer Wahlkampfspender, während sein linker Parteiflügel einen generellen Stopp der Lieferung von Offensivwaffen an Israel forderte.
Gespalten zwischen Idealismus und Machtpolitik
Ähnlich wie mit den Waffenlieferungen geht es Biden nun auch mit dem ICC. Während die Republikaner in der Frage geeint sind, geht ein tiefer Spalt durch die Demokratische Partei. Während ihr Präsident die Entscheidung des Chefanklägers heftig kritisierte, waren einige demokratische Senatoren am Montag nicht bereit, sie zu kommentieren. Auch solche, die nicht gut auf Netanyahu zu sprechen sind.
Bereits jetzt muss Biden fürchten, dass ihn seine beharrliche Unterstützung für Israel die Wiederwahl im Herbst kosten könnte. Wenn es im Nahen Osten nicht bald einen Waffenstillstand gibt, wird es für den Präsidenten immer schwieriger werden, die Herzen der jungen und linken Wähler zurückzugewinnen, die in den USA mit der propalästinensischen Protestbewegung sympathisieren.
Theoretisch braucht Biden kein neues Gesetz, um Sanktionen gegen Khan und den ICC zu verhängen. Sein Amtsvorgänger Donald Trump hatte 2020 zwei Ankläger des Strafgerichtshofs per Verordnung mit Strafmassnahmen belegt. Sie trieben Ermittlungen wegen amerikanischer Kriegsverbrechen in Afghanistan und israelischer Vergehen in palästinensischen Gebieten voran. Biden jedoch hob diese Sanktionen 2021 wieder auf.
In der Begründung der Biden-Regierung schwang jedoch bereits damals deren gespaltenes Verhältnis zum ICC mit. Einerseits bekräftigte sie nochmals Trumps Kritik am Strafgerichtshof. Die Ankläger in Den Haag dürften Staaten wie die USA oder Israel, welche das Gründungsstatut des ICC nicht ratifiziert haben, nicht zur Verantwortung ziehen, schrieb Aussenminister Antony Blinken in einer Erklärung. Gleichzeitig sei die Ahndung von massenhaften Greueltaten aber ein wichtiges Interesse der nationalen Sicherheit der USA. Deshalb wolle man die Mängel des ICC lieber im Dialog lösen, anstatt unilaterale Sanktionen zu verhängen.
Zwischen den Zeilen lässt sich das so lesen: Washington möchte als demokratisches Vorbild gerne auf der Seite des Völkerrechts stehen, sich im Konzert der Grossmächte aber genauso wenig wie Russland oder China selbst daran binden.








