Viel Fleisch, keine Milch, nur Pflanzen, die angeblich vor Zehntausenden von Jahren schon gegessen wurden: Die Anhänger der Steinzeitdiät unternehmen eine kulinarische Zeitreise. Ob sich der Aufwand lohnt, erklärt eine Ernährungswissenschafterin.
Leserfrage: Ist es richtig, dass die Paleo-Ernährung Energie schenkt und die Gesundheit fördert?
Unsere Vorfahren im Paläolithikum – der Altsteinzeit – waren keine Bauern, sondern Jäger und Sammler. Und deshalb essen Menschen, die sich der sogenannten Paleo-Diät verschrieben haben, nur Lebensmittel, die den damals verspeisten ähneln sollen: vor allem Fleisch, Fisch und Pflanzen. In der Altsteinzeit ass man darüber hinaus noch keine Milchprodukte. Immerhin erlauben sich die Steinzeitmenschen von heute auch Olivenöl und Honig.
Low Carb also ganz ohne Fast Food? – klingt gut und «gesund». Fans der Steinzeitdiät berufen sich auf die Hypothese, laut der die «Urnahrung» gesünder sei, weil die heutige Ernährung zu Zivilisationskrankheiten wie Adipositas führe. Sie glauben auch nicht, dass Laktose gut verträglich ist, und verweisen gern auf die Laktoseintoleranz, die manche Menschen haben.
Was dem Körper bei der Paleo-Ernährung fehlt
Anruf bei Stéphanie Bieler. Die Ernährungswissenschafterin arbeitet bei der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung (SGE) in Bern. Die Steinzeitkost sei verhältnismässig einseitig, sagt Bieler und verweist auf die Schweizer Ernährungsempfehlungen, die im Herbst 2024 aktualisiert wurden. So fehlen bei der Paleo-Ernährung wichtige Lebensmittelgruppen: insbesondere Getreideprodukte und Kartoffeln, was Bieler kritisch sieht. «Diese Lebensmittel versorgen den Körper vor allem mit Kohlenhydraten in Form von Stärke und sind damit wichtige Energielieferanten.» Vollkornprodukte seien zudem besonders reich an Nahrungsfasern. Sie sättigen und regulieren die Verdauung. «Das fördert die Gesundheit», betont die Expertin.
Einige Menschen steigen auf die Steinzeitkost um, da sie sich einen Abnehmeffekt versprechen. Schliesslich sind Brot, Reis, Nudeln oder Sahne eben energiereich. Was sie aber auch sind: wichtige Lieferanten von Vitaminen und Mineralstoffen wie B-Vitaminen und Magnesium.
Und das ist nicht der einzige Mangel, der bei modernen Steinzeitmenschen auftreten kann. Wer wie sie strikt auf Milchprodukte verzichtet, enthält laut Bieler seinem Körper eine wichtige Nährstoffquelle für Protein, Calcium, Jod, Vitamin B 2 und Vitamin B 12 vor. «Es ist möglich, den Calciumbedarf ohne Milchprodukte zu decken», erklärt die Expertin, doch dann müsse man bewusst calciumreiche Lebensmittel in den Speiseplan einbauen – zum Beispiel Grünkohl, Brokkoli oder Fenchel. Denn zu wenig Calcium erhöht zum Beispiel das Osteoporose-Risiko. Sie rät Paleo-Anhängern, im Zweifelsfall und in Absprache mit einer Fachperson auf Nahrungsergänzungsmittel zurückzugreifen. Obwohl unsere Vorfahren noch keine Apotheken und Vitamintabletten kannten.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die hohe Proteinzufuhr, vor allem durch den enormen Fleischanteil der Ernährungsform. Ob das langfristig gesundheitliche Risiken birgt, ist laut Bieler noch nicht abschliessend geklärt. «Gesunde Erwachsene scheinen eine erhöhte Proteinzufuhr über einen gewissen Zeitraum zu tolerieren», erklärt sie und betont, dass hier handfeste Studien fehlten.
Das Argument, Paleo sei «gesund», basiert unter anderem auf der angeblich entzündungshemmenden Wirkung. Insbesondere auf die Darmflora soll die Ernährungsvariante positive Auswirkungen haben. Bieler sagt dazu: «Grundsätzlich beeinflusst jede Ernährungsumstellung das Mikrobiom. Eine gesunde Darmflora wird jedoch in erster Linie durch eine ballaststoffreiche Ernährung mit viel Gemüse, Obst, Vollkornprodukten und Hülsenfrüchten gefördert.»
Darüber hinaus zeigte eine australische Studie aus dem Jahr 2019, dass die Paleo-Ernährungsweise auch negative Auswirkungen haben kann. So erhöhe vor allem der hohe Fleischkonsum das Risiko von Gefässablagerungen und damit von Herzinfarkt und Schlaganfall, so die Forscher.
Die Ernährung war womöglich vielfältiger als gedacht
Womöglich ist die «Urnahrung» aber eigentlich vielfältiger, als sie heute von den Paleo-Anhängern praktiziert wird. So fanden Forscher heraus, dass die Steinzeitmenschen offenbar auch wilden Hafer, Gerste und Nüsse gegessen haben – und das nicht nur roh. Es gibt Hinweise darauf, dass bereits vor rund 30 000 Jahren Getreidekörner zerkleinert, gekocht und zu einer Art Brei verarbeitet wurden.
Und eventuell war früher beim Thema Ernährung auch nicht alles besser als heute. 2020 wurde in norwegischen Untersuchungen festgestellt, dass bereits unsere Vorfahren aus der Steinzeit eine Menge an Schadstoffen in ihrem Fisch konsumierten.
Ob die Paleo-Ernährung besonders gesundheitsförderlich ist, das ist fraglich. Und das hängt laut Stéphanie Bieler auch davon ab, wie die individuelle Ernährung vorher aussah. Was aber ist ihrer Ansicht nach die beste Ernährungsweise? «Besonders gut für die Gesundheit wäre eine moderate Ernährungsumstellung hin zu einer ausgewogenen, abwechslungsreichen Ernährung – idealerweise kombiniert mit einer Erhöhung der körperlichen Aktivität.» Vielleicht ist das der beste Tipp: Weniger am Schreibtisch und am Handy hängen – auch das ist irgendwie «Paleo»-konform.