Die Sicherheitsbehörden führen einheitliche Massnahmen gegen Fangewalt ein. Die Liga steigt aus dem Kaskadenmodell aus – und kritisiert das Modell scharf.
Noch vor einem Jahr klang es vielversprechend: Die Sicherheitsbehörden erklärten, einen gemeinsamen Massnahmenkatalog gegen Fangewalt einführen zu wollen. Dafür setzten sie sich mit allen involvierten Kreisen von den Fans über die SBB bis zu den Profiklubs an den Tisch. Doch jetzt ist das gemeinsame Projekt mit einem Knall gescheitert: Die Swiss Football League hat am Donnerstag angekündigt, aus dem sogenannten Kaskadenmodell auszusteigen. Die Sicherheitsbehörden dagegen wollen es trotzdem einführen.
Seite an Seite sassen die beiden Parteien im Berner Generationenhaus und gebärdeten sich wie Eltern, die ihren Kindern die Scheidung verkünden. Zwar widersprachen sie sich in fast jedem Punkt, versicherten aber, Freunde bleiben zu wollen – was konkret heisst: Sie wollen den immer wieder beschworenen «Dialog» aufrechterhalten.
So warf Karin Kayser-Frutschi, Nidwaldner Regierungsrätin und Co-Präsidentin der Kantonalen Konferenz für Justiz-und Polizeidirektoren, der Liga vor, der Zusammenarbeit beim Kaskadenmodell den «Todesstoss» zu versetzen. Claudius Schäfer, CEO der Swiss Football League, wiederum zeigte sich überzeugt, das Modell werde zu mehr Eskalationen führen.
Schwere Gewalt in Basel
Das Zerwürfnis hatte sich in den letzten Monaten abgezeichnet. Das Kaskadenmodell ist ein Sanktionskatalog, der für die ganze Schweiz gelten soll. Er enthält Massnahmen von einfachen Verwarnungen bis zum Spielverbot. Die Idee: Je härter die Gewalttat, desto härter die Strafe. Die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren kann das Kaskadenmodell auch allein einführen. Es liegt in der Hoheit der städtischen beziehungsweise kantonalen Behörden, den Klubs die Bewilligung für Fussballspiele zu entziehen.
Die anfängliche Hoffnung war jedoch, dass man mit einem konzertierten Effort die Akzeptanz erhöht, vor allem auch unter den Fans. So sassen anfänglich auch die Fanarbeiter mit am Tisch, ebenso wie die SBB und ein Wissenschafter der Universität Bern, der das Projekt begleitete. Doch dann kam es zum Bruch – zuerst mit den Fanarbeitern, die bereits vor einigen Monaten ausstiegen, und jetzt eben auch mit den Klubs.
Alles nahm seinen Anfang am 4. April 2023 in Basel. Nach dem Cup-Halbfinal des FCB gegen YB passten vermummte Basler Fans Sicherheitsleute ab und griffen sie an, teilweise setzten sie Gegenstände ein. Vier Personen wurden verletzt, drei davon schwer. Die Basler Muttenzer Kurve zeigte sich selbst «schockiert» über das Ausmass der Gewalt. Und die Basler Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann zog die Konsequenzen: Sie schloss für das nachfolgende Spiel die heimische Kurve und den Gästesektor.
«Es ging mir darum, klarzumachen, dass wir solche Dinge in Zukunft nicht mehr hinnehmen», begründete Eymann den Entscheid in einem Interview mit der NZZ. Ihre Kolleginnen und Kollegen in den anderen Kantonen sahen das ähnlich und verfügten in den folgenden Monaten aufgrund von Ausschreitungen weitere Sektorsperrungen in Bern, Genf, Lausanne, Luzern, Sitten, St. Gallen und Zürich.
Klubs verlieren Geld
Das wiederum brachte nicht nur die Fankurven auf die Barrikaden. Am 31. Januar kam es zu einer weiteren Eskalation: Die Bewilligungsbehörden schlossen die Südkurve im Zürcher Letzigrund, nachdem zehn Tage zuvor rund hundert Zürcher Fans nach einem Heimspiel des FCZ Stadtpolizisten am Bahnhof Altstetten angegriffen hatten. FCZ-Präsident Ancillo Canepa fand die Massnahme nicht gerechtfertigt. Er argumentierte, die Behörden hätten keine rechtliche Grundlage für Kollektivstrafen für Gewalttaten ausserhalb des Stadions.
Die Behörden berufen sich auf das Hooligan-Konkordat. Das Bundesgericht hatte zwar einst entschieden, es dürfte nur angewendet werden, um Gewalttaten zu verhindern, nicht aber, um Fans zu bestrafen. Entsprechend bezeichnen die Behörden Sektorschliessungen auch immer als präventive Massnahme – und nicht als Strafe. Canepa erhob Rekurs, die Sache wird vor Gericht entschieden.
Bei den Klubs geht es auch ums Geld. Claudius Schäfer von der Liga bezeichnete Ticketverkaufsverbote als «möglichen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit». Der professionelle Fussball sei ein unterschätzter Wirtschaftsfaktor in den Regionen und investiere viel Geld in Sicherheitsmassnahmen. Die Behördenvertreter erwiderten, auch die Öffentlichkeit verliere Geld. Steuerzahler, die nie ins Stadion gehen, müssen für randalierende Fans aufkommen.
Repression oder Dialog
Die Diskussion steht beispielhaft für die zutiefst unterschiedlichen Haltungen zur Gewalt im Sport. Die Justizdirektoren und ihre Polizeien fordern mehr Repression. Die Liga dagegen will auf den Dialog setzen. Schäfer sagte, die Massnahmen des Kaskadenmodells seien «für die Galerie». Es sei ihm zwar bewusst, dass es Erwartungen in der Gesellschaft gebe. Doch die Statistik zeige, dass die Gewalttaten seit Messbeginn im Jahr 2018 leicht abgenommen hätten. Ausserdem wiesen Studien darauf hin, dass Kollektivstrafen zu einer Solidarisierung unter Fans führen und die Situation eher noch eskalieren.
Die Klubs wollen solche Entwicklungen in den letzten Monaten bereits festgestellt haben: So hätten Fans in Bern nach der Schliessung der Kurve einfach Tickets in anderen Sektoren gekauft. Schäfer appellierte daher an die Behörden, sich auf das Fassen einzelner Täter zu konzentrieren, statt unschuldige Fans mitzubestrafen. Man sei sich bewusst, dass es schwierig sei, Einzeltäter in der anonymen Masse von Fans auszumachen, zumal sich diese häufig absichtlich gleich kleiden. Doch die Lösung sei mehr Ressourcen für die Polizei, nicht das Kaskadenmodell.
So weit, so zerstritten. Und doch gibt es in dieser verfahrenen Situation noch eine Einigung zu vermelden. So wollen die Klubs die SBB bei Fanreisen künftig finanziell unterstützen. Das ist ein Fortschritt: Separate Fanzüge ermöglichen ein geordneteres Anreisen und bewahren andere Passagiere vor unangenehmen Begegnungen. Doch die SBB übten immer wieder Kritik, da es zu Sachbeschädigungen und Drohungen gegen SBB-Mitarbeiter kam.
Offen ist, wie es mit den personalisierten Tickets weitergeht. Die Sicherheitsbehörden hoffen, mit solchen Billets besser nachvollziehen zu können, wer im Stadion ist. Das mache es einfacher, Einzeltäter dingfest zu machen. Bis jetzt fehlt die rechtliche Grundlage. Ein Rechtsgutachten zeigt: Für die Einführung müsste das Hooligan-Konkordat revidiert werden. Ob die Behörden das tatsächlich in Angriff nehmen, entscheiden sie im April. Die Klubs halten auch von dieser Massnahme wenig. Sie argumentieren, dass sich auch mit personalisierten Tickets Schlägereien ausserhalb des Stadions nicht aufklären liessen.